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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.08.2012

Kampfname
Brandt und seine Gegner

Als "Riesen in der europäischen Politik" bezeichnete die Londoner Times Willy Brandt nach seinem Tod im Oktober 1992. Würdigungen des Regierenden Bürgermeisters von Berlin (1957 bis 1966), Vorsitzenden der SPD (1964 bis 1987), Bundesministers des Auswärtigen (1966 bis 1969), Bundeskanzlers (1969 bis 1974) und Präsidenten der Sozialistischen Internationale (1976 bis 1992) gibt es in Hülle und Fülle. Hier reiht sich Einhart Lorenz, Emeritus für europäische Geschichte in Oslo, ein. Er ist Fachmann für den frühen Brandt, für die Phase des Exils. Der besondere Reiz des höchst gelungenen Buches besteht im Blick von außen auf den Sozialdemokraten, im Gespür des Biographen für Diffamierungskampagnen und Verdächtigungen, denen der Emigrant und Remigrant ausgesetzt war.

Der 1913 in Lübeck "unehelich" geborene Herbert Frahm gehörte zu den frühen Gegnern des Nationalsozialismus. Nach Hitlers Machtantritt wurde wegen illegaler Flugschriften nach ihm gefahndet. Anfang April 1933 begab er sich im Auftrag der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP) nach Oslo, war unter dem Decknamen "Willy Brandt" Mitarbeiter einer marxistischen Tageszeitung und Kurier zwischen Emigrantenorganisationen in Frankreich und den nordischen Ländern. 1938 wurde ihm die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. Nach dem deutschen Angriff auf Norwegen im Frühjahr 1940 meldete sich der Staatenlose freiwillig, was wegen innernorwegischer kommunistischer Anfeindungen "als Hilfestellung für Brandt gedacht" war. "Seine Waffen waren und blieben Worte und seine Schreibmaschine", schreibt Lorenz. Eine "Beteiligung Brandts als Soldat" sei unwahrscheinlich; eine solche Behauptung "diente der deutschen Rechten später dazu, ihn als ,Vaterlandsverräter' zu diskreditieren". Ende Juni 1940 floh er nach Schweden. In Stockholm erhielt er nach Absprache mit der Exilregierung in London die norwegische Staatsbürgerschaft. Er arbeitete wieder als Journalist, stellte Kontakte für die Verschwörer des 20. Juli zu den Alliierten her. Einer nationalsozialistischen "Verdeutschung Europas" stellte er die "Europäisierung Deutschlands" entgegen.

Im Juli 1948 wurde er in Kiel wieder eingebürgert; die Legalisierung seines "Kampfnamens" erfolgte im August 1949 in Berlin. Als 1960 die erste Nominierung zum Kanzlerkandidaten der SPD erfolgte, machten sich - so Lorenz - "eifrige Mitarbeiter" des CDU-Kanzlers Adenauer über Brandts "Schriften aus der Emigration her und konstruierten mit Hilfe von Zitaten, die aus ihrem Zusammenhang gerissen wurden, ein Feindbild". Herkunft und Exiljahre "wurden umgelogen, die fremde Staatsbürgerschaft ihm vorgeworfen. Es kamen Anspielungen auf den Namen, den Lebenswandel, ,Frauengeschichten' und natürlich pauschal auf die ganz abweichende Vergangenheit." Brandt reagierte darauf nicht offensiv und legte noch 1966 "einen Nebelschleier" über seine Emigrationsjahre. Überhaupt habe er, so das Resümee, nicht an "teutonische Pseudo-Autorität" geglaubt und in der Welt das "negative Bild von Deutschland und den Deutschen" gesprengt.

RAINER BLASIUS

Einhart Lorenz: Willy Brandt. Deutscher - Europäer - Weltbürger. Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2012. 288 S., 24,90 [Euro].

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