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Das Jahr 2004 markierte für die Europäische Union den bisherigen Höhepunkt der Integration: Die Erweiterung der EU um zehn neue Staaten und die Unterzeichnung des Vertrages über eine Verfassung für Europa Ende Oktober in Rom - ein großer Erfolg für EUROPA, doch welchen Inhalt hat dieser Begriff?
Der vorliegende Band zeigt fundiert die Zusammenhänge zwischen den über die Jahrhunderte entwickelten Europa-Ideen einerseits und den nach 1945 entstandenen Institutionen Europas andererseits auf. Der Autor spannt den großen Bogen der Geschichte Europas von der Antike bis in die jüngste Zeit. Mit
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Produktbeschreibung
Das Jahr 2004 markierte für die Europäische Union den bisherigen Höhepunkt der Integration: Die Erweiterung der EU um zehn neue Staaten und die Unterzeichnung des Vertrages über eine Verfassung für Europa Ende Oktober in Rom - ein großer Erfolg für EUROPA, doch welchen Inhalt hat dieser Begriff?

Der vorliegende Band zeigt fundiert die Zusammenhänge zwischen den über die Jahrhunderte entwickelten Europa-Ideen einerseits und den nach 1945 entstandenen Institutionen Europas andererseits auf. Der Autor spannt den großen Bogen der Geschichte Europas von der Antike bis in die jüngste Zeit. Mit umfangreichem Glossar und einer Zeittafel zur Europäischen Integration; 45 Grafiken, Karten und Schaubildern sowie Webadressen-Verzeichnis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.01.2011

Postmodernes Imperium
Geschichte und Gegenwartsprobleme der Europäischen Union

Ein umfangreiches "Nachschlage- und Lernwerk" zur Geschichte der europäischen Einigung, so die Selbstbeschreibung, hat Michael Gehler jetzt in zweiter, wesentlich erweiterter Auflage vorgelegt. Fünfzehn vielfach untergliederte Kapitel, unterstützt von zahlreichen Abbildungen, Karten und Grafiken, dazu ein umfangreiches Glossarium, eine tagesgenaue Chronologie der Geschichte des Europas der Institutionen, eine umfassend angelegte Bibliographie und eine aktuelle Sammlung von Web-Adressen zu Themen der europäischen Einigung - all das macht den stattlichen Band zu einem überaus nützlichen Arbeitsinstrument für jeden, der sich mit der Geschichte und den Gegenwartsproblemen der Europäischen Union beschäftigen will.

Gehlers Werk ist aber mehr als ein Kompendium. In seiner Gesamtdarstellung setzt er eigene Akzente, die in der Diskussion über die Entwicklungsdynamik der Europäischen Union Beachtung verdienen. Für ihn ist Europa "kein kurzfristiges Gebilde der letzten 200 Jahre", sondern das Produkt einer langfristigen zivilisatorischen Entwicklung, deren Anfänge in den frühgeschichtlichen Hochkulturen des Vorderen Orients liegen. Die Darstellung beginnt mit einem Überblick über diese Entwicklung bis zu den fundamentalen Prägungen des weströmischen Mittelalters. Es folgen Darstellungen der unterschiedlichen Pläne zu europäischer Einigung von Dante bis zu Jean Monnet, die die Spanne zwischen zivilisatorischer Vision und handfesten machtpolitischen Ambitionen und Realitäten betonen.

Dass mit Richard Graf Coudenhove-Kalergi ausgerechnet der Sohn eines Diplomaten der Habsburger-Monarchie und Angehörige eines weitverzweigten europäischen Adelsgeschlechts zu einem der prominentesten Sprecher der europäischen Einigungsbewegung des 20. Jahrhunderts wurde, erscheint vor diesem Hintergrund nicht weiter verwunderlich. Seine "Paneuropa-Union" wird von Gehler entsprechend ausführlich, wenn auch keineswegs unkritisch gewürdigt, und es fehlt auch nicht ein Hinweis auf die Institutionalisierung der Europa-Idee im Karlspreis von Aachen, dessen erster Preisträger Coudenhove-Kalergi 1950 war.

Folgerichtig legt Gehler auch die Darstellung des realen europäischen Integrationsprozesses seit den fünfziger Jahren gesamteuropäisch an. Der Blick richtet sich nicht, wie in Überblickswerken westeuropäischer oder angelsächsischer Provenienz üblich, auf die Entstehung und Entwicklung der europäischen Institutionen. Diese werden vielmehr in den Prozess der Spaltung Europas im Zeichen des Kalten Krieges eingebettet, und den Versuchen, diese Spaltung zu überwinden, wird viel Raum gegeben, vom Volksaufstand in der DDR 1953 bis zu den geglückten Revolutionen des Jahres 1989. Im Vertrag von Maastricht, mit dem die stärkere Einbindung des vereinten Deutschlands gesichert wurde, sieht Gehler eine dritte "Relance" des Einigungsprojekts nach der Konsolidierung des "Europas der Sechs" in den Römischen Verträgen von 1957 und dem Durchbruch zur ersten Erweiterung nach dem Haager Gipfel von 1969.

In der Darstellung der Entwicklung seit dieser dritten Relance bietet Gehler originäre Forschung. Zum ersten Mal werden die komplexen Zusammenhänge der Durchsetzung der Währungsunion, der Osterweiterung und des Ringens um institutionelle Reform bis zur Inkraftsetzung des Lissabon-Vertrags im Zusammenhang skizziert. Dabei wird ein hohes Maß an Ambivalenz der Entscheidungen deutlich, verursacht nicht zuletzt durch eine Schwächung der deutsch-französischen Verständigung infolge der deutschen Einheit und der Osterweiterung. Weiterhin wird die Krise des Euro-Systems dargestellt, die von der Offenlegung der Überschuldung Griechenlands im Winter 2009/2010 ihren Ausgang nahm. Zu Recht bescheinigt Gehler den Regierungen des Euro-Raumes Entschlossenheit und damit Handlungsfähigkeit trotz aller Divergenzen, Konflikte und Misstöne des Frühjahrs 2010. Diese Feststellung lässt ihn letztlich verhalten optimistisch auf die vielfältigen Herausforderungen blicken, vor denen die Union gegenwärtig steht.

Abschließend diskutiert Gehler den gegenwärtigen Charakter der Europäischen Union in Konfrontation mit dem Imperiums-Paradigma. Er kommt zu dem Schluss, dass es sich um "ein hegemoniales Herrschaftsgebilde mit imperialen Zügen eigener und vor allem neuer Art" handele: kein Staat, sondern ein von Eliten dominiertes transnationales Verhandlungssystem und gleichzeitig "ein kosmopolitisch ausgerichtetes Unternehmen, das normative Kräfte entwickelt hat und weiterhin Normen setzt". In militärischer Hinsicht sei es mit den Vereinigten Staaten nicht konkurrenzfähig, so dass sich sein "Verantwortungsraum" in Südosteuropa erschöpft. Dagegen böten wirtschaftliche Attraktivität und kulturelle Angebote gute Voraussetzungen für eine gleichsam postmoderne imperiale Rolle. In den zahlreichen Gegensätzen zu Washington, die in der Zeit von Präsident Georges W. Bush deutlich und thematisiert wurden, sieht er einen Katalysator zur Emanzipation und Selbstbehauptung Europas in dieser neuen Rolle. Zu deren Wahrnehmung seien freilich - so mahnt er - "Geduld und Realismus" vonnöten.

Man mag bedauern, dass die verschiedenen Teile der Darstellung nicht stärker integriert sind. Die These, dass es einer "Kombination von Ideen und Institutionen" bedurfte, um den europäischen Kontinent zu vereinen, ist zu schwach, um die vielfältigen Entwicklungen strukturell zu ordnen. Sie abstrahiert allzu sehr davon, dass es immer auch unterschiedliche Ideen von Europa waren, die in der Europapolitik miteinander konkurriert haben, und dass diese Politik auch unterschiedliche Interessen bedient hat. Der gewisse Mangel an Kohärenz, der daraus resultiert, ändert aber nichts daran, dass Michael Gehler ein ebenso hilfreiches wie anregendes Werk vorgelegt hat.

WILFRIED LOTH

Michael Gehler: Europa. Ideen, Institutionen, Vereinigung. Olzog Verlag, München 2010. 750 S., 39,30 [Euro].

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