Produktdetails
  • Verlag: Beltz & Gelberg
  • ISBN-13: 9783407786852
  • ISBN-10: 3407786859
  • Artikelnr.: 13328840
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.10.2003

Eulen aus dem Untergrund
Warum Mama Paula nicht überall Pfannkuchen backen kann

In Florida ist alles anders. Flaches Land, ewiger Sonnenschein und Hitze, viel Meer und Mücken. Ab und zu verirrt sich ein Alligator in den Toilettenspülkasten. Wer wie Roy Eberhardt aus Montana kommt, vermißt die Berge, die blauen Flüsse und die abenteuergesättigte Geborgenheit im Klischee des ländlichen Amerika. Florida und Geborgenheit, das paßt nicht zusammen. Roy geht in die sechste Klasse der Trace Middle School. "Cowgirl" nennen sie ihn dort höhnisch.

Florida ist taff. Für alle. Für die Alten, die hier scharenweise ihren Lebensabend verbringen, für die Armen und die Einwanderer, die sehen müssen, wie sie zurechtkommen, für die Polizisten, die immer schwitzen und für schmächtige, aber tapfere Kerlchen wie Roy, die sich einen Platz in der Hackordnung der Schule erobern müssen. Hackordnung ist ganz wörtlich zu verstehen. Schon auf der ersten Seite wird Roy im Schulbus am Kopf gepackt, und es werden ihm Daumen in die Schläfen gepreßt, als würde man einen Fußball quetschen. Da ist Roy gerade abgelenkt. Denn er sieht einen barfüßigen Jungen vorbeiflitzen. Wer um Himmels willen kann das sein?

Florida ist auch ein ganz besonderes literarisches Biotop. Seit ein paar Jahren blüht hier ein eigenartiges Genre, eine abgebrühte Sorte von Krimis, gemischt mit Sozialsatiren, lakonisch, witzig, nicht unbedingt geeignet für eine Vorlesestunde in der Kirche. Kalifornien ist Utopie, Florida ist Kitsch. Carl Hiaasen gehört zu denen, die seit Jahren regelmäßig mit gepfefferten Romanen und mit nicht weniger scharfen politisch-sozialen Kolumnen zum Ruhm dieses Florida-Literatur-Genres beigetragen haben. Die Leser in aller Welt bewundern seinen Sinn für abgedrehte Typen und aberwitzige Situationen, seine Unverblümtheit und - eine treffende Formulierung bei Amazon - seinen "fräsenden Humor". Tatsächlich geht es einem manchmal bei der Lektüre so, als säße man im Zahnarztstuhl und müßte sich trotzdem kaputtlachen.

"Eulen" ist Carl Hiaasens erstes Buch für jugendliche Leser, außerordentlich schmissig von Birgitt Kollmann übersetzt. Erwachsenen dürfte es genausoviel Vergnügen bereiten wie seine anderen Bücher. Denn auch hier finden sich jede Menge abgedrehte Typen, aberwitzige Situationen, und der Humor fräst zuweilen, daß es weh tut. Dennoch ist dieses Buch anders als die früheren. Es baut auf, es ist auf kluge Weise menschenfreundlich und manchmal sogar richtig possierlich.

Jedenfalls sind die eigentlichen Hauptfiguren possierlich, die Eulen. Es ist eine besonders kleine Art, "so groß wie Bierdosen" und ihre Jungen "wie ein Weihnachtsbaumschmuck". Sie nisten in Kaninchenhöhlen. Abends kommen sie daraus hervorgekrochen, geben seltsam anrührende Geräusche von sich und sind im übrigen sehr neugierig. Es gibt zwei Probleme mit ihnen: Erstens sind sie auch in Florida relativ selten und müssen deshalb geschützt werden. Zweitens will der Pfannkuchenkonzern "Mama Paula" ausgerechnet dort, wo sie nisten, ein Pfannkuchenhaus hinsetzen.

Davon weiß Roy aber zunächst nichts. Er sucht nach dem vorbeiflitzenden Jungen, er weiß auch nicht, warum. Das bringt ihn in heftige Bedrängnis, denn alle Welt will ihn davon abhalten, der tumbe Dana mit einem Schwitzkasten, was ihm aber gar nicht gut bekommt, seine freundlich-verständnisvollen Eltern mit passablen, aber für Roy nicht ausschlaggebenden Argumenten und ein unheimlich sportliches Mädchen aus der Schule. Aber Roy aus Montana ist stur und unverdrossen, auf die allersympathischste Art. Hiaasen hat mit ihm eine jener lange im Gedächtnis bleibenden Jungengestalten geschaffen, an denen die amerikanische Literatur so reich ist. Roy findet den Jungen und erfährt von ihm dessen haarsträubende Geschichte. Fischfinger - so wird der Junge genannt - hat eine Mission. Wer eine Mission hat, ist alles mögliche, nur nicht abgebrüht. Fischfinger will die Eulen retten. Da muß er den ganzen Pfannkuchenkonzern auf die Hörner nehmen.

Man liest das mit großer Spannung und muß mittendrin oft laut lachen; ebensooft muß man sich ein bißchen gruseln. Freilich geht alles gut aus, weniger für Dana, der ein übler Kotzbrocken ist, aber für Roy und das unheimlich sportliche Mädchen und vielleicht sogar für Fischfinger. Auf jeden Fall geht es gut aus für die possierlichen kleinen Eulen.

WILFRIED VON BREDOW

Carl Hiaasen: "Eulen". Aus dem Amerikanischen übersetzt von Birgitt Kollmann. Verlag Beltz & Gelberg, Weinheim 2003. 352 S., geb. 14,90 [Euro]. Ab 11 J.

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