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  • Buch mit Leinen-Einband

Produktdetails
  • Verlag: Zeno's Verlag
  • Num. Ausg.
  • Deutsch, Italienisch
  • Abmessung: 195mm
  • Gewicht: 1110g
  • ISBN-13: 9783931018573
  • ISBN-10: 3931018571
  • Artikelnr.: 27721568
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.04.2000

Gut, dass Du leidest
Zeit der Gärung: Die Briefe des jungen Italo Svevo an seine Braut

Der erst in seinen letzten Lebensjahren zu literarischem Ruhm gelangte Italo Svevo, alias Aron Schmitz, genannt Hector beziehungsweise "Ettore", wurde 1861 in Triest als Sohn des deutschstämmigen Juden Franz Schmitz und der italienischen Jüdin Allegra Moravia geboren. Nach dem Zusammenbruch des väterlichen Betriebes 1880 lebte er lange bescheiden als Bankangestellter in Triest und begann in seinen freien Stunden zu schreiben, neben Beiträgen für die Lokalzeitungen von Triest auch einige Komödien und zwei Erzählungen. Ab 1887 arbeitete er an seinem ersten Roman, den er im Jahre 1892 auf eigene Kosten unter dem Titel "Una vita" veröffentlichte. Das Erstlingswerk fand ebenso wenig Beachtung wie der zweite Roman mit dem Titel "Senilità", der Mitte 1898 als Fortsetzungsroman am Triester "Indipendente" und etwas später, wiederum auf Kosten des Autors, als Buch erschien.

In der Zwischenzeit hatte sich für den jungen Svevo Wichtiges ereignet. Etwa zu Beginn des Jahres 1895 hatte er sich in die damals zwanzigjährige Livia Veneziani verliebt, Tochter des wohlhabenden Lackfabrikanten Veneziani und seiner Frau Olga Moravia, einer Kusine Svevos; und noch am Ende des gleichen Jahres, kurz nach Livias 21. Geburtstag, feierten Livia und Ettore ihre Verlobung. Vom 1. Januar bis zum 6. März 1896 führte der ebenso verliebte wie komplizierte Ettore ein "Diario per la fidanzata", das nun in einer sorgfältig edierten vollständigen Ausgabe mit dem Titel "Ettore an Livia. Tagebuch der Verlobung eines Schriftstellers" dem deutschsprachigen Publikum zugänglich ist. Dem Text des Tagebuchs stellt die deutsche Ausgabe sinnvollerweise zwei weitere Texte zur Seite: den als Einleitung zu lesenden Brief Svevos vom 23. Dezember 1895 und die kurze, doch aufschlussreiche "Familienchronik", die Svevo im August 1897 schrieb.

Grundlage der deutschen Übersetzung des Tagebuchs sind die handschriftlichen Eintragungen Svevos in ein am Ende des neunzehnten Jahrhunderts in Nürnberg erschienenes Kalenderbuch mit dem Titel "Blüthen und Ranken edler Dichtung", das mit farbigen Motiven von Blüten, Bienen, Vogelpärchen und Schmetterlingen verziert war. Livia selbst hatte ihrem Verlobten dieses Tagebuch überreicht, wohl in dem Wunsch, dass ihr schriftstellernder Verlobter eine Art Protokoll ihrer Verlobtenzeit führen möge. Das Buch hielt für jeden Tag eine Seite bereit, die mit sentimentalen oder moralisierenden Versen deutscher, zum großen Teil heute vergessener Dichter eingeleitet wurde und darunter mit handschriftlichen Eintragungen zu füllen war. 1987 erschien in Triest eine sorgfältige Reproduktion des Kalenderbuchs - eine bibliophile Rarität. Dieser Reproduktion wurde eine italienische Transkription der handschriftlichen Eintragungen Svevos beigegeben, auf der die deutsche Übertragung beruht. Letztere verzichtet wie ihre italienische Vorlage auf die Wiedergabe des schmückenden Beiwerks und der ausgewählten Verse, gibt aber die Eintragungen Svevos in die einzelnen Kalenderblätter vollständig wieder.

In welchen Stimmungen und aus welchen Perspektiven der junge Svevo seine Kalendernotizen niederschrieb, zeigt der Brief, den er am 23. Dezember 1895, drei Tage nach der Verlobung, an seine Verlobte schrieb. Die junge Livia mit den grünen Augen und den blonden üppigen Haaren ist für ihn ein Traum von größter Reinheit, so rein, "daß ich tatsächlich manchmal zweifle, ob es sich um Liebe handelt", denn "die Liebe habe ich in ganz anderer Gestalt erlebt", schreibt Ettore. Er, der sich als "das letzte Produkt der Gärung eines Jahrhunderts" versteht, spürt das Bedürfnis, seine Verlobte "Schwester" und nicht "Geliebte" zu nennen, denn dieses Wort "erinnert mich an jene Gestalten, die mir jetzt zuwider sind". Schon in diesem Brief gibt er Beispiele für seine sich selbst und andere quälenden Analysen und Zweifel: "In diesen Wochen der Prüfung bevor alles geschah, konnte ich vor allem deswegen so ruhig und kühl sein, weil ich wußte, daß Du littest, und wenn ich hörte, daß Du geweint hattest, verbrachte ich Stunden in ungetrübter Freude." Denn: "Es gibt keine innigere Beziehung als diejenige zwischen dem, der leidet, und dem, der Leiden macht." Das sind schöne Aussichten für ein Leben zu zweit.

In den nachfolgenden Eintragungen des Kalendariums offenbart sich Ettore Schmitz vollends als in sich widersprüchliche Gestalt, deren unfeste Persönlichkeitsstruktur sich immer wieder in eine Vielzahl zusammenhangloser Haltungen aufzulösen droht. Ein Leitmotiv dieser Briefe ist der Wunsch, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und mit Hilfe der Braut zu einer Erneuerung der eigenen Persönlichkeit zu gelangen. Für Ettore, der sich als einer der ersten Italiener eingehend mit der Psychoanalyse des Dr. Freud auseinander setzen wird, ist die entscheidende Instanz auf dem Wege dorthin das Gewissen, "la coscienza". Es ist an "confessione" und "sincerità", an das Bedürfnis nach aufrichtigen Geständnissen gebunden. Insofern signalisieren diese Notizen bereits das psychoanalytische Interesse, das später in Svevos drittem Roman "La coscienza di Zeno" zum beherrschenden Motiv wird. Dabei ist jede Seite des Tagebuchs durchsetzt von der Ironie des jungen Schriftstellers, die alle getroffenen Aussagen in schillernde, schwer zu durchschauende Relativierungen eintaucht: "Habe ich etwas Geistreiches oder Kraftvolles gesagt, so war es nur Ironie."

Die Spannungen dieses dramatischen Protokolls, das natürlich nicht für Leser bestimmt war, treten bereits in den verschiedenen Anreden in Erscheinung, die Ettore an seine Braut richtet: "Süße Blonde" lesen wir da, "Bonbon", "Engel", "Knospe" - Ettore gebraucht für "bocciolo" stets das deutsche Wort -, aber auch "Ziege", "Gaunerin", "Luder" und "Miststück". Der Leser darf sich fragen, wie weit dies alles Ernst, wie weit es nur ein Scherz ist. Das bewegte, auch im Schriftbild der Eintragungen immer unruhiger werdende Tagebuch endet schließlich auf dem Kalenderblatt des 7. März mit einer Eintragung vom 2. September 1896: "Seit über einem Monat bin ich verheiratet und immer noch derselbe mit allen meinen Lastern." Doch folgt ein versöhnlicher Schluss: "Liebes Bonbon! Wieviel Dinge sind an uns schon vorübergezogen und jedes - eine Bestimmung und Dein Charakter wollten es so - hat meine Liebe nur noch vertieft. Möge dies sich immer wieder steigern!"

Nicht nur der fast unverstellte Einblick in die Privatsphäre und das Seelenleben des Schriftstellers machen das kleine Tagebuch zu einer faszinierenden Lektüre. Dem heutigen Leser zeigt es in nuce alle wichtigen Themen, Motive und Haltungen, die Svevo literarisch verarbeiten wird. An vielen Stellen des Tagebuchs finden sich Reflexionen und Stimmungen Ettores, die mit denen seiner Romanfiguren Alfonso Nittis und Emilio Brentanis, den Helden von "Una vita" und "Senilità" nahezu identisch sind. Das Tagebuch enthält zudem ziemlich explizite Hinweise auf Svevos Beziehung zu der Lebedame Giuseppina Zergol, die in "Senilità" in Gestalt der leidenschaftlichen Angiolina eine literarische Nachbildung findet. Selbst auf den spätesten Roman, "La coscienza di Zeno" (1923), weisen Passagen zum Thema des "Bewusstseins" oder zum Rauchen der immer neuen "letzten" Zigarette voraus. So enthält dieser einzigartige Text des jungen Ettore nicht nur Kalendarium und Journal intime, sondern auch Fragmente zur inneren Entstehungsgeschichte der Werke Italo Svevos.

MANFRED HARDT.

Italo Svevo: "Ettore an Livia. Tagebuch der Verlobung eines Schriftstellers". Herausgegeben und aus dem Italienischen übersetzt von Hans Michael Hensel. Mit einer Einführung von John Gatt-Rutter. Zeno's Verlag, Segnitz 1999. 280 S., geb., 113,50 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Manfred Hardt erläutert zunächst, dass es sich bei diesem Tagebuch einst um ein ausgeschmücktes Kalenderbuch gehandelt hat, in dem Italo Svevo (damals noch Ettore Schmitz) 1896, während seiner Verlobungszeit mit Livia, seine Gedanken festgehalten hat. Der Rezensent weist allerdings darauf hin, dass man bei der vorliegenden Ausgabe auf die "Wiedergabe des schmückenden Beiwerks" verzichtet hat, Svevos Eintragungen jedoch vollständig seien. Was den Inhalt der Aufzeichnungen selbst betrifft, scheint Hardt ein wenig überrascht, wenn er feststellt, dass hier bisweilen Svevos "unfeste Persönlichkeitsstruktur" deutlich werde, und dass der Autor vor allem hofft, mit Hilfe seiner Verlobten mit der Vergangenheit abzuschließen und eine persönliche Wandlung durchzumachen. Hardt zeigt sich fasziniert davon, welch unverschlüsselten Blick dieses Tagebuch in Svevos Innenleben ermöglicht, gleichzeitig zeigt er auf, wie viele Themen und Figuren, die in Svevos damaliger Welt eine Rolle gespielt haben, dieser später in seine Romane - direkt oder indirekt - eingearbeitet hat.

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