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Produktdetails
  • Verlag: Wienand Verlag
  • Seitenzahl: 327
  • Abmessung: 245mm
  • Gewicht: 1100g
  • ISBN-13: 9783879096756
  • Artikelnr.: 08293755
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.03.2002

Nur die gegenstandslose Kunst kann die Welt verbessern
Ein Galeristenpaar im Nachkriegsdeutschland: Etta und Otto Stangl hüteten Klee und seinesgleichen und befeuerten die Abstraktion

"Gerade war wieder ein großer New Yorker Kunsthändler hier. Sie kaufen alle sehr billig hier ein, um es drüben für ein Vielfaches zu verkaufen." Als Etta Stangl diesen Satz 1949 in einen Brief schrieb, klaffte die angedeutete Preisschere bis zum Anschlag. In Deutschland lag der Kunstmarkt darnieder - für Bilder war noch kein Geld übrig. Und da es an Kenntnis einer Kunst mangelte, die ab 1933 systematisch durch Verbote und von Blut-und-Boden-Plattheiten verdrängt worden war, nutzten ausländische und emigrierte Kenner die Chance, als nach dem Krieg die Gunst - oft war es eher die Not der Stunde - schönste Meisterwerke aus den Verstecken befreite.

Das junge Münchner Galeristenpaar Etta und Otto Stangl hätte dem begehrlichen transatlantischen Markt Erstklassiges liefern können. Ettas Erbe aus der splendiden Sammlung ihres Vaters, des Barmener Pianofabrikanten Rudolf Ibach, umfaßte Bilder von Kandinsky und den Expressionisten, Neusachliches und Bauhaus-Kunst, vor allem Juwelen des Ibachschen Favoriten Paul Klee. Aber die Berufsanfänger tasteten diesen Schatz selten an, vielmehr bemühten sie sich um Ergänzung und Erweiterung des allenfalls etwas umgewichteten Fundus; denn sie hegten weitschauende Pläne mit ihm. Gemessen an Erfolg und Ansehen, die sich die "Moderne Galerie Otto Stangl" in den Pionierjahren erwarb, ging ihre Rechnung auf. Daß es eine solche gab, daß die Junggaleristen statt schwärmerisch ins Blaue zu starten, eine durchdachte Strategie verfolgten, belegt ein Buch über ihre Aktivitäten als Händler, Sammler und Museumsgründer, für das Clelia Segieth den schriftlichen Nachlaß auswertete.

Herausgekommen ist mehr als das Porträt einer der bedeutendsten deutschen Galerien der fünfziger und sechziger Jahre oder eine Lobeshymne auf zwei engagierte Kunstförderer, die großen Anteil an der Durchsetzung der abstrakten Kunst hatten. Es entsteht ein plastisches Bild von der Auferweckung der Kunst nach 1945. Die Autorin zeichnet den Münchner Anteil am Netzwerk nach, das, zur Rehabilitierung "entarteter" Kunst geknüpft, zugleich manchen Wiederbeginn förderte und der Entwicklung neuer Positionen unter die Arme griff. Wer will, liest zwischen den Zeilen auch, wie ein Künstler "gemacht" und auf dem Markt positioniert wird. Doch Vorsicht vor unzutreffenden Vergleichen innerhalb einer erst viel später boomenden Zunft: Die Handvoll engagierter Galeristen im Deutschland der Stunde Null unterscheidet sich von ihren jüngeren Kollegen durch ein wohl nur aus der Zeit heraus erklärliches Höchstmaß an Idealismus. Dieser war den beiden quasi an der Wiege gesungen. Ihm, dem Bildhauersohn, den als junger Mann die Exponate in der Ausstellung "Entarteter Kunst" beglückten, ihr als Bildhauerin und Tochter eines Hauses, in dem geliebt wurde, was ab 1933 als "Dreck" verfemt war. Selbiger wird nun sozusagen Startkapital der Galerie, hilft bei der raschen Entwicklung zu einem Forum der Moderne; Ausstellungen wie 1949 eine Franz-Marc-Schau werden von hier aus auf Wanderschaft durchs ganze Land geschickt. Vor Originalen des Ibachschen Bildererbes lehrte Franz Roh, der Tausendsassa in Sachen Kunst, ein nachholbegieriges Publikum die verdrängte, vor allem die gegenstandslose Malerei verstehen, während mit Ludwig Grote, dem entschiedenen Förderer der Moderne, mit Will Grohmann, Werner Haftmann und anderen bald ein und aus ging, was in der kleinen Insiderszene Rang und Stimme hatte.

Nebenbei bereiten diese Aktivitäten den Boden für die jungen Kräfte, den eigentlichen Verkaufsbereich der Galerie. Unter ihrem Dach gründen Rupprecht Geiger, Fritz Winter und Freunde die Gruppe ZEN 49, der sich im Nu Willi Baumeister, Theodor Werner und ein Großteil der abstrakt malenden Nachkriegsavantgarde Deutschlands anschloß. Noch ist er stark, der Glaube an die Kunst als weltverbessernde Kraft; im Westen kann das nur die über jeden braunen Verdacht erhabene gegenstandslose sein. In einer eher spirituellen Auffassung bekannte sich ZEN 49 zur Tradition des Blauen Reiters. Dieser Zusammenhang durchzieht denn auch das Ausstellungsprogramm als roter Faden: Neue Künstlervereinigung München, Blauer Reiter und ZEN 49 stellen die Eckpfeiler, dazu die jüngere Ecole de Paris - Hartung, Soulages, Bissier, Poliakoff. Das Buch vermittelt ein dichtes Bild der prickelnden kulturpolitischen Situation der Nachkriegsära, wenn es zeigt, wie die im ehemaligen NSDAP-Bau am Königsplatz logierenden Amerikaner ebenso wie die Engländer in der ehemaligen "Hauptstadt der Bewegung" die Etablierung der Abstraktion mit Nachdruck forcieren, indem sie eigene Aktivitäten mit denen gleichgesinnter Galerien und Institutionen verknüpfen: Sie fördern Ausstellungen, vermitteln Kontakte, stützen Ankäufe.

Die jungen Galeristen sammelten keineswegs nur mit der erzieherischen Sprengkraft der Sammlung Ibach Pluspunkte, sondern sie verdankten ihr auch handfeste Vorteile, einen von vornherein seriösen Ruf nämlich und beste Beziehungen. Die Erinnerung an Rudolf Ibach schafft Vertrauensvorschuß bei Käufern und Anbietern, nicht zu vergessen bei den Museumsleuten, die sich jetzt ans Füllen der klaffenden Lücken machen. Und auch bei Künstlerwitwen, die wohl kaum zuletzt wegen ihrer schönen Bestände an den Galeristenbusen gedrückt wurden. Die liebevoll gepflegte Freundschaft zu Maria Marc sollte schließlich in der Verwaltung des Franz-Marc-Nachlasses münden und im Bau eines Museums für sein Werk in Kochel am See. Allenfalls ahnend, welch unglaubliche Kandinsky-Werte sie in ihrem Murnauer Keller hütete, hofierte man auch Gabriele Münter und ihre Malerei nach Kräften. Wie ein Schuß vor den Bug traf es Stangl deshalb, als die Münter eines Tages den Schatz hob und, an ihm vorbei, dem Lenbachhaus schenkte.

Bevor wir etwas über Otto Stangls "Riecher" und sein ausgeprägtes Geschick als marktorientierter Geschäftsmann erfahren, läßt die Autorin ein halbes Buch vergehen. Daß er als Händler weit weniger strikt verfährt denn als Galerist zeigt das Beispiel Kirchner: In betonter Vorliebe für das Arkadische, nicht Provokative mieden Stangls Ausstellungen relativ konsequent den "Brücke"-Expressionismus mit seinen seelischen Offenbarungen. Desungeachtet ergriffen sie 1951 die Chance, ein Konvolut Kirchner-Blätter vergleichsweise günstig zu erwerben und es mit prächtigen Profiten zu veräußern. Clever ist man auch zwei Jahre später mit einer Kirchner-Schau zur Stelle, nachdem eine erfolgreiche Retrospektive im Münchner Haus der Kunst das Publikum für den Künstler sensibilisierte. Daß sie später selber Kirchner sammelten, weil die Neue Figuration "ihrer" Maler Horst Antes oder Reiner Küchenmeister ihre Sehweise veränderte, spricht für Lernfähigkeit.

Die Lektüre des Buchs lehrt, wie beharrlich Galeriearbeit zu sein hat und wie mühselig sie ist, wenn sie sich noch nicht etablierter Kunst verschreibt; aber auch wie reich und erfüllt durch den engen persönlichen Kontakt zu den Künstlern, der Stangls stets Grundlage der Zusammenarbeit bedeutete. Längst zählt die Galerie zu den etablierten Adressen für Kunst, als sie 1962 elegante Räume in nobler Citylage bezieht. Es gelingt, Archipenko zu einer Ausstellung zu bewegen, die, wie die Calder-Schau zehn Jahre zuvor, in München Furore macht. Dennoch: Der Zenith war überschritten. Es war der Künstler Hannsjörg Voth, der am Grab Otto Stangls beteuerte: "Aus Deiner Haltung sprach eine nie wieder von mir erlebte Solidarität zwischen Galerist und Künstler." Daß genaue Informationen zum Schicksal der Ibach-Stanglschen Sammlung knapp ausfallen, mag daran liegen, daß die Auftraggeber des Buchs in den Reihen der Erben zu finden sind, der Kinder von Ettas Geschwistern. Die Stangls, so war immer wieder zu hören, hatten alles zusammenhalten und in eine Stiftung einbringen wollen. Doch beide starben 1990, ohne die entscheidenden Unterschriften geleistet zu haben. Einen Teil der Bilder, wie etwa Klees herrlichen "Vollmond", erwarben die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, anderes aus dem Nachlaß tauchte im Handel auf, und über manches scheint das letzte Wort noch nicht gesprochen.

BRITA SACHS

Clelia Segieth: "Etta und Otto Stangl. Galeristen - Sammler - Museumsgründer". Hrsg. in Zusammenarbeit mit dem Zentralarchiv des deutschen und internationalen Kunsthandels e.V. Mit Beiträgen von Carla Schulz-Hoffmann und Peter-Klaus Schuster. Wienand Verlag, Köln. 328 S., Abb., 34 Euro.

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