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Überall wird im öffentlichen Diskurs heute auf Befindlichkeiten Rücksicht genommen: Es werden vor Gefahren wie »expliziter Sprache« gewarnt, Schreibweisen mit Binnen-I empfohlen, dritte Klotüren installiert. Es scheint, als habe der Kampf um die korrekte Bezeichnung und die Rücksicht auf Fragen der Identität alle anderen Kämpfe überlagert. Robert Pfaller, Autor des Bestsellers »Wofür es sich zu leben lohnt«, fragt sich in »Erwachsenensprache. Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur«, wie es gekommen ist, dass wir nicht mehr als Erwachsene angesprochen, sondern von der Poli...
Überall wird im öffentlichen Diskurs heute auf Befindlichkeiten Rücksicht genommen: Es werden vor Gefahren wie »expliziter Sprache« gewarnt, Schreibweisen mit Binnen-I empfohlen, dritte Klotüren installiert. Es scheint, als habe der Kampf um die korrekte Bezeichnung und die Rücksicht auf Fragen der Identität alle anderen Kämpfe überlagert.
Robert Pfaller, Autor des Bestsellers »Wofür es sich zu leben lohnt«, fragt sich in »Erwachsenensprache. Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur«, wie es gekommen ist, dass wir nicht mehr als Erwachsene angesprochen, sondern von der Politik wie Kinder behandelt werden wollen. Steckt gar ein Ablenkungsmanöver dahinter? Eine politische Strategie? Es geht darum, als mündige Bürger wieder ernst genommen zu werden - doch dann sollten wir uns auch als solche ansprechen lassen.
Robert Pfaller, Autor des Bestsellers »Wofür es sich zu leben lohnt«, fragt sich in »Erwachsenensprache. Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur«, wie es gekommen ist, dass wir nicht mehr als Erwachsene angesprochen, sondern von der Politik wie Kinder behandelt werden wollen. Steckt gar ein Ablenkungsmanöver dahinter? Eine politische Strategie? Es geht darum, als mündige Bürger wieder ernst genommen zu werden - doch dann sollten wir uns auch als solche ansprechen lassen.
Robert Pfaller, geboren 1962, studierte Philosophie in Wien und Berlin und ist nach Gastprofessuren in Chicago, Berlin, Zürich und Straßburg Professor für Philosophie an der Kunstuniversität Linz. Von 2009 bis 2014 war er Professor für Philosophie an der Universität für angewandte Kunst Wien. In den Fischer Verlagen ist von ihm 'Das schmutzige Heilige und die reine Vernunft. Symptome der Gegenwartskultur' (2008) erschienen, die vielbeachtete Studie 'Wofür es sich zu leben lohnt. Elemente materialistischer Philosophie' (2011), 'Zweite Welten. Und andere Lebenselixiere' (2012) sowie im Fischer Taschenbuch 'Kurze Sätze über gutes Leben' (2015). Mit Beate Hofstadtler hat er außerdem den Band 'After you get what you want, you don't want it. Wunscherfüllung, Begehren und Genießen' (2016) herausgegeben. Nach 'Erwachsenensprache. Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur' (2017) erschien 2020 'Die blitzenden Waffen. Über die Macht der Form'. 2020 wurde ihm der Paul-Watzlawick-Ehrenring verliehen.
Produktdetails
- Fischer Taschenbücher 29877
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- Artikelnr. des Verlages: 1022013, 24815
- 5. Aufl.
- Seitenzahl: 256
- Erscheinungstermin: 23. November 2017
- Deutsch
- Abmessung: 213mm x 136mm x 27mm
- Gewicht: 356g
- ISBN-13: 9783596298778
- ISBN-10: 3596298776
- Artikelnr.: 48106018
Herstellerkennzeichnung
FISCHER Taschenbuch
Hedderichstr. 114
60596 Frankfurt
produktsicherheit@fischerverlage.de
Ein Toilettenhäuschen für das dritte Geschlecht?
Die Dinge wieder beim Namen nennen: Robert Pfaller wütet gegen Genderwahn und Antidiskriminierung
"Wir leben in einer Welt, in der immer mehr Menschen mit der größten Selbstverständlichkeit in Armut und Aussichtslosigkeit getrieben werden und in der man zugleich Erwachsene vor Erwachsenensprache warnt. Das eine hängt offenkundig mit dem anderen zusammen: Denn es sind dieselben Mächte, die das eine und das andere vorantreiben." Könnte es tatsächlich sein, dass die ganze Antidiskriminierungs-, Gleichstellungs-, Gender- und Queer-Politik nur ein riesiges Ablenkungsmanöver ist? Eine Verschwörung der Profiteure von Neoliberalismus und Austeritätspolitik?
Robert
Die Dinge wieder beim Namen nennen: Robert Pfaller wütet gegen Genderwahn und Antidiskriminierung
"Wir leben in einer Welt, in der immer mehr Menschen mit der größten Selbstverständlichkeit in Armut und Aussichtslosigkeit getrieben werden und in der man zugleich Erwachsene vor Erwachsenensprache warnt. Das eine hängt offenkundig mit dem anderen zusammen: Denn es sind dieselben Mächte, die das eine und das andere vorantreiben." Könnte es tatsächlich sein, dass die ganze Antidiskriminierungs-, Gleichstellungs-, Gender- und Queer-Politik nur ein riesiges Ablenkungsmanöver ist? Eine Verschwörung der Profiteure von Neoliberalismus und Austeritätspolitik?
Robert
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Pfaller, Autor dieser starken Thesen, ist Professor für Kulturwissenschaften an der Kunstuniversität Linz. Volkswirtschaftler mögen sich hier mit Grausen abwenden, aber als Philosoph kann man Pfaller seine empirisch unterkomplexe Attacke auf den Kapitalismus durchgehen lassen. Wer ihm in der Ausgangsthese nicht folgen kann, braucht dieses Buch gar nicht erst in die Hand zu nehmen. Pfallers Stärke liegt in Anklage und Provokation. Differenzierung, statistische Belege, Zahlen oder der historische Vergleich sind seine Sache nicht. Ob in den Vereinigten Staaten oder Volkswirtschaften wie Griechenland, Großbritannien oder Deutschland - die "Brutalisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse" sei überall eklatant. Über routinierte Forderungen nach Umverteilung von oben nach unten kommt der Autor nicht hinaus.
Pfallers Stärken liegen in seinem Erregungspotential: Solange Sozialbudgets gekürzt werden, die Reichen immer reicher werden und die Armen gegeneinander ausgespielt werden, sei es albern, politisches Engagement in der Forderung nach eigenen Toilettenhäuschen für das dritte Geschlecht zu erschöpfen. So eine Polemik muss man sich erst einmal trauen - in Berlin-Kreuzberg etwa sind Leute schon für weniger politische Inkorrektheit aus dem Kiez gejagt worden. Aber was hat das eine denn mit dem anderen zu tun? Sollen Schwule nicht heiraten dürfen, solange es immer noch Hartz IV-Empfänger gibt?
Pfaller behauptet, die Postmoderne zeichne sich - anders als die Moderne - durch ihre Politiken der Ungleichheit aus. Nicht mehr der Anspruch der Menschen auf einen gewissen Teil des gesellschaftlichen Reichtums solle befriedigt werden, sondern lediglich ihrer spezifischen Empfindlichkeit eine symbolische Anerkennung widerfahren. Pfaller qualifiziert sich damit als Verschwörungstheoretiker, auch wenn dieses Theorem unter dem Etikett Verblendungszusammenhang des Kapitalismus schon länger herumspukt. Natürlich war der Kapitalismus demnach nie so blöd, einfach nur Ungleichheit zu erzeugen. Er kaschierte sie durch immer neue Masken.
Pfaller spießt deren jüngste Erscheinung in Form der Diversitätspolitik auf: Die neoliberale Gesellschaft fördere nicht die Ärmeren und Ärmsten, damit diese möglichst so gut wie alle Übrigen leben könnten. Sie fördere vielmehr immer nur Ausnahmen, um alle Übrigen getrost verkommen zu lassen. Dabei ist es doch so einfach: "Wenn man mit den Kämpfen der Diversität beginnt", so Pfaller, komme man niemals zur Gleichheit. Beginne man aber "mit der Gleichheit und gelangt zu einer Lösung, bleibt auch von den Problemen der Diversität nichts mehr übrig".
Wer die Ungleichheit und den davon profitierenden Rechtspopulismus stoppen wolle, müsse sich der Frage stellen, ob die Empörung der verarmenden Bevölkerungsgruppen einen Ausdruck finden kann - und zwar einen anderen als den der rechtspopulistischen Parteien. Zuerst müsse man dafür die Dinge wieder beim Namen nennen. Darum Pfallers Plädoyer für die titelgebende "Erwachsenensprache". Das Durchforsten von Kinderbüchern nach diskriminierenden Begriffen wie "Negerkönig" oder die Kennzeichnung literarischer Texte mit Warnungen seien Ermunterungen zur Empfindlichkeit, die die Erwachsenen infantilisiere und entsolidarisiere.
Wer sich ständig durch das Besondere diskriminiert fühlt, vergesse die Falschheit des Allgemeinen. Was wiederum von den Profiteuren dieser Falschheit beabsichtigt ist. Pfallers Anklage schwingt sich am Ende zu dem Urteil auf, dass es die infamen Sozialdemokraten und Grüne gewesen seien, die sich mit ihren wirtschaftlichen Reformen zum willfährigen Erfüllungsgehilfen der Neoliberalen gewandelt hätten. Ihre an sich begrüßenswerte Diversitäts- und Minderheitspolitik sei darum auch nur ein Täuschungsmanöver gewesen.
Das Problem von Pfallers Anklageschrift liegt darin, dass er auf die Diversitäts-Verfechter einschlägt, obwohl er doch den Kapitalismus treffen wolle. Political Correctness und Anerkennungs-Politik seien nur Masken der neoliberalen Umverteilung nach oben, während die Mehrheit der Menschen verarme. Natürlich geht Pfaller mit solchen Vorwürfen das Risiko ein, dass "der Kapitalismus" oder "die neoliberalen Eliten" davon ohnehin nicht erschüttert werden, während die in ihrem Feminismus- und Genderwahn Verblendeten es ihm übelnehmen werden, wenn er ihre "Empfindlichkeitspolitiken" für Luxussorgenproduktion erklärt, die in ihren Zielen lächerlich sei. "Größtes Pathos für kleinstes Pipifax" überschreibt Pfaller das Kapitel über die "postmodernen Pseudopolitiken" an den amerikanischen Universitäten. Es ist zu bezweifeln, dass er noch einmal eine Einladung zum Vortrag dorthin bekommt.
GERALD WAGNER
Robert Pfaller:
"Erwachsenensprache". Über ihr Verschwinden
aus Politik und Kultur.
S. Fischer Verlag,
Frankfurt am Main 2017.
256 S., br., 14,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Pfallers Stärken liegen in seinem Erregungspotential: Solange Sozialbudgets gekürzt werden, die Reichen immer reicher werden und die Armen gegeneinander ausgespielt werden, sei es albern, politisches Engagement in der Forderung nach eigenen Toilettenhäuschen für das dritte Geschlecht zu erschöpfen. So eine Polemik muss man sich erst einmal trauen - in Berlin-Kreuzberg etwa sind Leute schon für weniger politische Inkorrektheit aus dem Kiez gejagt worden. Aber was hat das eine denn mit dem anderen zu tun? Sollen Schwule nicht heiraten dürfen, solange es immer noch Hartz IV-Empfänger gibt?
Pfaller behauptet, die Postmoderne zeichne sich - anders als die Moderne - durch ihre Politiken der Ungleichheit aus. Nicht mehr der Anspruch der Menschen auf einen gewissen Teil des gesellschaftlichen Reichtums solle befriedigt werden, sondern lediglich ihrer spezifischen Empfindlichkeit eine symbolische Anerkennung widerfahren. Pfaller qualifiziert sich damit als Verschwörungstheoretiker, auch wenn dieses Theorem unter dem Etikett Verblendungszusammenhang des Kapitalismus schon länger herumspukt. Natürlich war der Kapitalismus demnach nie so blöd, einfach nur Ungleichheit zu erzeugen. Er kaschierte sie durch immer neue Masken.
Pfaller spießt deren jüngste Erscheinung in Form der Diversitätspolitik auf: Die neoliberale Gesellschaft fördere nicht die Ärmeren und Ärmsten, damit diese möglichst so gut wie alle Übrigen leben könnten. Sie fördere vielmehr immer nur Ausnahmen, um alle Übrigen getrost verkommen zu lassen. Dabei ist es doch so einfach: "Wenn man mit den Kämpfen der Diversität beginnt", so Pfaller, komme man niemals zur Gleichheit. Beginne man aber "mit der Gleichheit und gelangt zu einer Lösung, bleibt auch von den Problemen der Diversität nichts mehr übrig".
Wer die Ungleichheit und den davon profitierenden Rechtspopulismus stoppen wolle, müsse sich der Frage stellen, ob die Empörung der verarmenden Bevölkerungsgruppen einen Ausdruck finden kann - und zwar einen anderen als den der rechtspopulistischen Parteien. Zuerst müsse man dafür die Dinge wieder beim Namen nennen. Darum Pfallers Plädoyer für die titelgebende "Erwachsenensprache". Das Durchforsten von Kinderbüchern nach diskriminierenden Begriffen wie "Negerkönig" oder die Kennzeichnung literarischer Texte mit Warnungen seien Ermunterungen zur Empfindlichkeit, die die Erwachsenen infantilisiere und entsolidarisiere.
Wer sich ständig durch das Besondere diskriminiert fühlt, vergesse die Falschheit des Allgemeinen. Was wiederum von den Profiteuren dieser Falschheit beabsichtigt ist. Pfallers Anklage schwingt sich am Ende zu dem Urteil auf, dass es die infamen Sozialdemokraten und Grüne gewesen seien, die sich mit ihren wirtschaftlichen Reformen zum willfährigen Erfüllungsgehilfen der Neoliberalen gewandelt hätten. Ihre an sich begrüßenswerte Diversitäts- und Minderheitspolitik sei darum auch nur ein Täuschungsmanöver gewesen.
Das Problem von Pfallers Anklageschrift liegt darin, dass er auf die Diversitäts-Verfechter einschlägt, obwohl er doch den Kapitalismus treffen wolle. Political Correctness und Anerkennungs-Politik seien nur Masken der neoliberalen Umverteilung nach oben, während die Mehrheit der Menschen verarme. Natürlich geht Pfaller mit solchen Vorwürfen das Risiko ein, dass "der Kapitalismus" oder "die neoliberalen Eliten" davon ohnehin nicht erschüttert werden, während die in ihrem Feminismus- und Genderwahn Verblendeten es ihm übelnehmen werden, wenn er ihre "Empfindlichkeitspolitiken" für Luxussorgenproduktion erklärt, die in ihren Zielen lächerlich sei. "Größtes Pathos für kleinstes Pipifax" überschreibt Pfaller das Kapitel über die "postmodernen Pseudopolitiken" an den amerikanischen Universitäten. Es ist zu bezweifeln, dass er noch einmal eine Einladung zum Vortrag dorthin bekommt.
GERALD WAGNER
Robert Pfaller:
"Erwachsenensprache". Über ihr Verschwinden
aus Politik und Kultur.
S. Fischer Verlag,
Frankfurt am Main 2017.
256 S., br., 14,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Jens Bisky kennt den Kulturtheoretiker Robert Pfaller als zuspitzenden, anekdotenreichen Ich-starken Gegenwartsanalytiker. Wenn der Autor das Warnen vor Erwachsenensprache und die neoliberale Entsolidarisierung zusammendenkt, vor der Zerstörung des öffentlichen Raumes und der Veranchlässigung der sozialen Frage zugunsten von Identitätspolitik warnt und für Ironie und Distanz als Mittel gegen die Infantilisierung trommelt, spürt Bisky gleichermaßen notwendige Ideologiekritik und kulturkritisches "Professorenlamento". Ob sich aus der von Pfaller geforderten Gleichheit als Basis tatsächlich alles weitere ergebe, vermag Bisky nicht zu sagen. Den Nachweis, dass echte Solidarität durch radikale Sprachregelungswut oder auch Radikalfeminismus und dergleichen eher verhindert als befördert wird, bleibt ihm der Autor schuldig.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Erwachsenheit statt Empfindlichkeit, Belastbarkeit statt Verletzlichkeit meint hier eine lebenserprobte Kunst der Selbstdistanzierung. Sie darf als Errungenschaft souveräner, aufgeklärter Menschen gelten René Scheu Neue Zürcher Zeitung 20180110
Gegen Höflichkeit, Neoliberalismus und Rechtspopulismus
Was bleibt eigentlich dann noch übrig? Aber von vorne.
Der Autor kritisiert die wachsende Ungleichheit, geschaffen durch den Neoliberalismus. Auch die amerikanische Außenpolitik hat in den letzten Jahren keine Frieden …
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Gegen Höflichkeit, Neoliberalismus und Rechtspopulismus
Was bleibt eigentlich dann noch übrig? Aber von vorne.
Der Autor kritisiert die wachsende Ungleichheit, geschaffen durch den Neoliberalismus. Auch die amerikanische Außenpolitik hat in den letzten Jahren keine Frieden gebracht, sondern nur „failed states“. Mit Hilary Clinton als Präsidentin wäre es wohl so weiter gegangen. Anstatt für mehr Gleichheit zu sorgen werden nur Randgruppen wie Homo– und Transsexuelle gleichberechtigt.
Besonders missfällt dem Autor, dass anstatt die Lebensbedingung nur die Sprache verändert wird. Man kommt vom Binnen-I zum * um alle Geschlechter zu berücksichtigen, Wörter wie Negerkönig und Flüchtling werden politisch inkorrekt. Gremien zur Gleichberechtigung schaffen nur neue Verwaltungsstellen, für Arbeit in der Forschung fehlen dann diese vorwiegend Frauen. Die Diskussion um die Sprache erschwert auch die inhaltliche Debatte, etwa wie die Missstände des Neoliberalismus beseitigt werden können. Bei den Sozialdemokraten beispielsweise führt dies zu einer europaweiten Krise.
Er schreibt von einem Studenten in Amerika, der der Vergewaltigung verdächtigt wurde, freigesprochen, aber dessen bürgerliche Existens dennoch zerstört wurde. Wie schon bei TTIP, so auch gegen Sex, übernehmen nun auch linksliberale Gruppen rechte Ideen. Damit erklärt er, warum die Amerikaner Trump gewählt habe. Dass Trump gewählt wurde, wusste er schon vor der Wahl, was mich heute ein wenig ärgert (er hätte das Buch vor der Wahl veröffentlichen sollen).
Nach diesen 2 Kapiteln folgt ein theoretischer Teil, der in den Zeitungskritiken fehlt. Vielleicht haben ihn die Journalisten nicht verstanden. Pfaller bezeichnet Lügen aus Höflichkeit im Sinne Kants als weiße Lügen, weil sie niemanden schaden. Er meint, dass diese zunehmen, während schwarze Wahrheiten niemanden überzeugen. Zur schwarzen Wahrheit gehört auch der schwarze Humor, der ganz der political correctness widerspricht. Am Besten gefällt mir das Beispiel des zu Tode Verurteilten, der am Montag gehängt wird und sagt: „Die Woche fängt ja gut an.“
Gut, Pfaller ist Österreicher. Aber ich glaube, dass das Scheitern der FDP bei der Wahl 2013 an der 5%-Hürde zum großen Teil auf die Satire der Heute-Show zurückzuführen ist. Die Bedeutung des schwarzen Humors, also der Satire nimmt in der politischen Diskussion nicht ab, sondern zu.
Im nächsten Kapitel schreibt Pfaller, dass neben der Kultur der Ehre und der Kultur der Würde nun auch eine Kultur des Opfers entstanden ist. Diese Opfer suchen die Öffentlichkeit, um ihre Missstände zu präsentieren aus denen Ressentiements entstehen, da andere für die Missstände verantwortlich sind. Er unterscheidet zwischen Aberglaube, Bekenntnis und Paranoia und zitiert viel Freud, der mich mit seinem „Über-Ich“ schon immer langweilte.
Danach werden die Kapitel kürzer und praktischer. Pfaller beschwert sich über Wörter wie „Teamfähigkeit“, „Raumpflegerin“ und der Suche nach Identität. Er rät zum überschreiten von Prinzipien. Auch versteht er nicht, dass Frauen sich darüber beschweren, wenn Männer ihnen die Welt erklären. Und zum Schluss landen wir noch in der Religion, wobei er sogar Konfession meint.
Es kommt bei einem Sachbuch nicht darauf an, ob man dem Autor immer zustimmt. Es muss neue Erkenntnisse liefern. Das zeigt schon meine lange Zusammenfassung. Ein Stern ziehe ich dennoch ab, weil der Teil über Trump besserwisserisch, der Teil über Religion unnötig und der Identitätsteil langatmig ist. 4 Sterne.
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Beunruhigende Entwicklungen unserer Kultur der Postmoderne erscheinen plötzlich in neuem Licht: Es besteht tatsächlich ein Zusammenhang zwischen Entsolidarisierung und Demokratiemüdigkeit, zunehmenden Empfindlichkeiten einzelner Gruppen und der Durchsetzung "korrekter" …
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Beunruhigende Entwicklungen unserer Kultur der Postmoderne erscheinen plötzlich in neuem Licht: Es besteht tatsächlich ein Zusammenhang zwischen Entsolidarisierung und Demokratiemüdigkeit, zunehmenden Empfindlichkeiten einzelner Gruppen und der Durchsetzung "korrekter" Sprache, und einem Neoliberalismus, der die Individualität des Menschen in den Vordergrund stellt anstatt auf Gleichheit der Staatsbürger zu pochen.
Dafür, dass Robert Pfaller dies bereits in den beiden ersten Kapiteln in bemerkenswerter Klarheit darstellt, gebühren dem Buch 5 Sterne. Gleichheit setzt die Fähigkeit voraus, vom Privaten und Persönlichen abzusehen. Die gegenwärtige Entwicklung dagegen fördert persönliche Empfindlichkeiten und führt zu einer vielfachen Spaltung der Gesellschaft, der damit die Fähigkeit zu Kompromissen, zur Solidarisierung, zur Formulierung gemeinsamer Interessen, und somit die "Erwachsenensprache" verlorengehen.
Die 9 Hauptkapitel sind sehr unterschiedlich geschrieben, leider schleichen sich im Mittelteil auch eine Reihe sinnentstellender Druckfehler ein. Pfaller belegt seine Aussagen unter Verweis auf ein umfangreiches Literaturverzeichnis, worin Slavoj Zizek und Sigmund Freud mit je 15 zitierten Werken den Schwerpunkt bilden. Man braucht nicht jeder psychoanalytischen Tiefgründelei des Autors im Detail zu folgen oder jede Attacke auf den Kapitalismus im Sinne von Yanis Varoufakis für bare Münze zu nehmen, um in diesem Buch erhellende Erklärungen zu finden.
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