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Film und Theater spielten in der Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit immer eine zentrale Rolle. Der Hamburger Politikwissenschaftler Peter Reichel stellt zum ersten Mal in einem Überblick die Bedeutung von Theater und Film in der Konfrontation mit dem nationalsozialistischen Verbrechen dar. Und er geht der Frage nach, welche Bilder von Auschwitz und vom Krieg Film und Theater hervorgebracht haben.

Produktbeschreibung
Film und Theater spielten in der Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit immer eine zentrale Rolle. Der Hamburger Politikwissenschaftler Peter Reichel stellt zum ersten Mal in einem Überblick die Bedeutung von Theater und Film in der Konfrontation mit dem nationalsozialistischen Verbrechen dar. Und er geht der Frage nach, welche Bilder von Auschwitz und vom Krieg Film und Theater hervorgebracht haben.
Autorenporträt
Peter Reichel ist Professor für Politische Wissenschaft an der Universität Hamburg. Mit seinen Büchern "Der schöne Schein des Dritten Reiches (1993) und "Politik mit der Erinnerung" (1999) ist er als Kenner der Geschichte des Nationalsozialismus und seiner Folgen hervorgetreten.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.07.2004

Opfermotiv als Heldengeschichte
Das Filmbuch zum 20. Juli: Peter Reichel über Erinnerungspolitik

"Etwas heiterer müssen wir den Leuten schon kommen. Positiv!" So bescheidet der Direktor eines Kabaretts dem Kriegsheimkehrer Beckmann. Die Albträume des Soldaten, die weinerliche Opfermentalität und die denkbar neblige Schicksalsergebenheit, die Wolfgang Borcherts Roman "Draußen vor der Tür" durchziehen, machten den Roman zu einem der erfolgreichsten Bücher der Nachkriegszeit und das gleichnamige Theaterstück zum seinerzeit meistgespielten. In der Verfilmung aber, ausgerechnet unter der Regie von Wolfgang Liebeneiner, dem ehemaligen Filmprofessor des Propagandaministeriums, hatte der Roman kein Glück - das Jahr 1949 und die Währungsreform hatten die Deutschen so eingestimmt, daß sie keinen Blick mehr in das Niemandsland der Hoffnungslosigkeit werfen wollten.

Die Stilisierung der eigenen Tragik und die Einfühlung aber mochte man wohl als Literatur sich gefallen lassen, als besinnliches Denkmal, nicht aber als wortwörtlich Genommenes, als Gezeigtes im Unterhaltungsmedium Film. Denn mit der Tragik wollte man nicht enden, im Gegenteil: Das Schicksalspathos, das die nationalsozialistische Propaganda bis zum Überdruß, bis zur Groteske ausgereizt hatte, verwandelte sich in das Heldentum des erfolgreichen Alltags. Nüchternheit und Klarheit waren die Lieblingsbegriffe der frühen Bundesrepublik. Wer sich ein lebendiges Bild hiervon machen will, braucht bloß Helmut Schmidt als Kanzler zu betrachten. Er war, nach dem "Wundergreis" Adenauer, wohl der Idealtypus des bundesrepublikanischen Politikers. Keine "Gefühlsduselei", keine großen, jedenfalls keine gewollt aussehenden Gesten, sondern: Realpolitik in neudeutscher Fassung.

Sosehr man sich auch von der Gestik und Rhetorik der Nationalsozialisten unterschied, etwas von den "Verhaltenslehren der Kälte" (Helmuth Lethen) war über den Stil der Nüchternheit auch in die Bundesrepublik gelangt und sollte viele Jahre noch prägend sein. Trotzdem ging der Roman "Draußen vor der Tür" als Zeugnis einer Generation in die Schulbücher und die literarische Nachgeschichte des "Dritten Reichs" ein. Sein Erfolg in der späteren Bundesrepublik beruhte nicht zuletzt darauf, daß er wie als Folie die Lernfähigkeit der Deutschen unterstreichen konnte: So soll es nie wieder werden. Überdies bot der pazifistische Grundton des Stücks sich zu immer neuen Aktualisierungen an, so zum Beispiel in der Nato-Nachrüstungsdebatte Anfang der achtziger Jahre, als Borcherts Stück als radikale Verweigerungsgeschichte gelesen wurde.

In dieser literarischen Nachgeschichte gibt es eine permanente Bewegung, mit Charakterwechseln, neuen Kulissen und alten und neuen Helden. Vor dem Jahrestag des 20. Juli, da Film und Fernsehen sich dem Thema bereits mit wechselndem Erfolg angenommen haben, kommt das Buch von Peter Reichel über die "Erfundene Erinnerung" gerade zum rechten Zeitpunkt. Zeitig genug, um daran zu erinnern, in welchem Maß die öffentliche historische Erinnerung eine Funktion der Gegenwart ist, wie "Weltkrieg und Judenmord in Film und Theater" den Wandlungen nicht bloß des Geschmacks, sondern vor allem wechselnden politischen Motiven ausgesetzt sind. Reichel untersucht in drei großen Kapiteln die "Kriegsbilder der Nachkriegszeit", die "Ansichten von Auschwitz" und das "Theater als Tribunal", und in jedem dieser Kapitel kann man reiche Entdeckungen machen.

Daß die Massenmedien in diesem permanenten Prozeß der Umwälzung eine zentrale Rolle spielen und schon in der frühen Bundesrepublik gespielt haben, steht außer Frage. Aus diesem Grund darf die Erforschung des Sekundären, also der Nachgeschichte des Nationalsozialismus und des Weltkriegs, für sich beanspruchen, Konfigurationen angewandter Geschichte und ihre Genese als Voraussetzung kollektiven politischen Selbstverständnisses in der Gegenwart zu beschreiben. Reichel vollendet mit diesem Band seine Trilogie, die er 1991 mit "Der schöne Schein des Dritten Reichs" begann. "Politik mit der Erinnerung", die 1995 erschien, setzte das Vorhaben fort. Die drei Bände bilden ein imponierendes Panorama deutschen Vergangenheitsbewußtseins und stehen selbst dabei am Ende jener Epoche öffentlicher Erinnerung, die fixiert bleiben mußte auf die Nationalgeschichte. Während die Bundesrepublik sich nach und nach als postnational verstand, brannte das Nationale mit seinem Wahn, seiner Überhebung und mit seiner enormen emotionalen Bindekraft in der Erinnerung nach. Dabei hat man nun die Rolle des Kriegsopfers, dann des Täters, des Massenmörders an Juden und anderen und nun wieder des Opfers - Bombenkrieg, amerikanische und russische Besatzung - durchlaufen, zuletzt mit einem global-internationalistischem Akzent, der deutlich macht, daß diese Vergangenheit auch weiterhin nützlich bleibt. Sie ist so nützlich, daß man sie für eine Lüge halten könnte, für eine fortgesetzte Lüge, die von nichts anderem die Wahrheit erzählt als von unserer Gegenwart und uns selbst. Der Begriff der "erfundenen Erinnerung" faßt diesen ambivalenten Prozeß recht genau. Es zählt zu den Vorzügen des Buchs von Peter Reichel, daß es deutlich macht, wie wenig beliebig die immer neue Erfindung der Vergangenheit anhand der Überlieferung ist. Eine genauere Kulissenregie ist kaum vorstellbar, eine größere Entschiedenheit auch nicht.

Eines der schlagenden Beispiele hierfür ist der 20. Juli 1944 als der Tag, an dem das mißglückte Attentat auf Hitler Wagemut wie Halbherzigkeit der Widerständler gleichermaßen erwies. Selbst einige Jahre nach 1945 standen die Attentäter noch in einem eher schlechten Ruf als "Vaterlandsverräter" oder "Eidbrecher". Die nationale Identifikation und die emotionale Bindung an bestimmte Prinzipien des Soldatischen waren noch so stark, daß die Methode - nämlich das Attentat - das Ziel zu diskreditieren schien. Wie kam es also dann dazu, daß der 20. Juli nach und nach zum Ausweis eines "besseren Deutschland" wurde, daß es ein Tag wurde, auf den man sogar stolz war?

Peter Reichel legt überzeugend dar, daß der 20. Juli erst in dem Moment als Tag des Gedenkens Aussicht auf Erfolg hatte, als die Matrix des Antitotalitären gefunden worden war. Mit dem Aufstand vom 17. Juni 1953 konnte die Erinnerung zurückgeschrieben werden zu den Attentätern, ihren Motiven, Hoffnungen und Ängsten. Das geschah bereits unter dem Zeichen der Systemkonkurrenz zwischen Ost und West und begann als Filmwettstreit zwei Jahre nach dem Aufstand in der DDR. 1954 hatten die Gedenkfeierlichkeiten zum zehnten Jahrestag des Attentats im Hof des ehemaligen Reichskriegsministeriums, im Bendler Block, stattgefunden. Der Bildhauer Richard Scheibe hatte als Denkmalsfigur einen nackten, fast unsichtbar an den Händen gefesselten Jüngling geschaffen - Symbol für den einzelnen, der in einer Art heroischer Wehrlosigkeit nichts als Moral und Überzeugung trägt. Was für das Denkmal taugen mochte - für den Film mußte es mehr und anderes sein. Reichel zeigt, wie beide Filme, als sie 1955 in die Kinos kamen, nicht nur die Angehörigen der Verschwörer auf den Plan riefen, die Familien Beck, Goerdeler und Stauffenberg, sondern auch die Gegenseite, ein Teil der alten Generalität, die sich verleumdet fühlte.

Beide Filme wurden politisch-propagandistisch genutzt sowohl in Westdeutschland als auch in der DDR. Während der als Krimi daherkommende Film von Georg Wilhelm Pabst mit dem Titel "Es geschah am 20. Juli", der "authentische Film über die erregenden 24 Stunden des 20. Juli", als weniger gelungen und ein wenig banal empfunden wurde, hob die westdeutsche Kritik des zweiten Films, "Der 20. Juli" von Falk Harnack, besonders hervor, daß hier sichtbar werde, wie die Widerständler eine Vernetzung der verschiedenen Widerstandsgruppen zu koordinieren suchten: Sozialisten, Frontkämpfer, engagierte Christen, Kommunisten und Monarchisten. Daß es womöglich einen Zusammenhang zwischen der Rezeption dieses Films und des zur gleichen Zeit stattfindenden Aufbaus einer westdeutschen Armee gab, tauchte als Gedanke in der zeitgenössischen westdeutschen Presse nicht auf. Wichtig ist die Beobachtung Reichels, daß mit den Filmen über die Attentäter das Medium des Films selbst als rehabilitiert empfunden werden konnte.

Die ostdeutsche Presse lobte zwar auch manches an dem Film, kritisierte aber, daß die Attentäter als "heldische Pechvögel" erschienen - die Bundesrepublik habe die Gloriole um die "attentätlich gewordenen Biedermeier" zur Restauration der bürgerlichen Gesellschaft gebraucht. Wozu die medialen Feiern des Widerstands heute dienen könnten, ist fraglich; vielleicht ist es wieder das Opfermotiv, das untergründig als Heldengeschichte wiederkehrt.

MICHAEL JEISMANN

Peter Reichel: "Erfundene Erinnerung". Weltkrieg und Judenmord in Film und Theater. Carl Hanser Verlag, München 2004. 374 S., Abb., geb., 24,90 [Euro].

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"ein beeindruckender Nachweis der großen Bedeutung von Film und Theater für unser Geschichtsbild." Florian Coulmas, Süddeutsche Zeitung, 26.03.04 "Peter Reichel hat ... eine beeindruckende Kenntnis von Stücken und Filmen und vermag sie klug in die politische Geschichte der Bundesrepublik einzuordnen... eine bemerkenswerte Geschichte der bildlichen Erinnerungskultur." Cord Aschenbrenner, Neue Zürcher Zeitung, 02.06.2004.

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Dem Rezensenten Hanno Loewy ist diese Abhandlung über den Holocaust im Kino und auf der Theaterbühne eine harsche Kritik wert - wohl auch, weil er das Buch mit "großen Erwartungen in die Hand" genommen hat. Schließlich ist es die erste deutschsprachige Abhandlung dieser Art. Doch schon der Anfang stößt Loewy wegen des "vereinnahmenden Tons", der da angeschlagen wird, unangenehm auf: "Das klingt irgendwie generalistisch und jovial, kritisch und patriotisch zugleich". Zudem findet der Rezensent, dass der Autor Peter Reichel zu lückenhaft an das Thema herangegangen ist. Seine Fixierung auf deutsche Produktionen lässt viel Interessantes außen vor, Querverbindungen können nur begrenzt geknüpft werden. Auch ist seine Herangehensweise zu politologisch, eine filmanalytische oder theatertheoretische Auseinandersetzung findet nicht statt. Dass Loewy mit Reichels inhaltlicher Schwerpunktsetzung nicht einverstanden ist, ist eine Sache - gravierender ist aber wohl, dass der Rezensent dem Autor schlampige Oberflächlichkeit und unnötige Fehler vorwirft und etliche seiner Aussagen im "salbungsvollen Wortnebel" versinken sieht.

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