Neununddreißigjährige zum jüngsten Präsidenten der fünften Republik gewählt wurde, hatten Titel wie "Macron, l'invité surprise", "L'ambigu Monsieur Macron", "Emmanuel Macron - le banquier qui voulait être roi" den französischen Buchmarkt überflutet: in der Hoffnung, das Geheimnis Macrons zu lüften. Einer der interessantesten Versuche ist Anne Fuldas Biographie, die jetzt auch auf Deutsch erscheint - weil die Autorin weniger das großpolitische Drumherum beleuchtet, also die Versäumnisse und Fehltritte der Präsidentschaft Hollandes, und auch nicht den "Vatermörder"-Aspekt, der Macron unterstellt wird. In Frankreich ist das Buch schon im April erschienen, noch vor der letzten Wahlrunde, unter dem verheißungsvollen Titel "Emmanuel Macron. Un jeune homme si parfait" - Ein allzu perfekter junger Mann. Auf Deutsch ist es schlicht: "Die Biographie". Selbst die Cover sagen etwas anderes: Auf dem französischen sieht Macron, im Profil, sehr kühl beleuchtet, ein bisschen aus wie der "Mutant", als den ihn der Schriftsteller Michel Houellebecq einmal bezeichnete. Schaut man dagegen das deutsche an, versteht man, warum Hollande einmal über Macron sagte: "Er ist einer, den alle gern zum Sohn hätten."
So uneindeutig geht es auch im Inneren dieser Biographie weiter. Anne Fulda versucht, den Mann über jene zu greifen, die ihm nahestehen oder mal -standen. Nicht etwa, weil die Autorin, Reporterin bei "Le Figaro", an ihrem Vorhaben scheitert, vielmehr, weil sie versucht, alle Facetten dieses für einen französischen Politiker ungewöhnlich facettenreichen Mannes auszuleuchten. Je nachdem, mit wem sie spricht, ist Macron mal "ein Blutegel", "eine Mischung aus Kennedy und Gérard Philipe", "ein Seniorenschmeichler", "der Philosoph der Politik", "ein perfektes Produkt der französischen Meritokratie", "ein Schöngeist" oder "eine Kämpfernatur". Nur dass er stets freundlich sei, darin sind sich alle einig.
Als Macron noch nicht Präsident war, fasste der Schriftsteller Jean d'Ormesson diese Undefinierbarkeit gut zusammen: "Alle Politiker haben ein Tiertotem. Bei Ihnen ist das die Fledermaus. Schau her, meine Flügel, ich bin ein Vogel. Schau her, meine Füße, ich bin eine Maus . . . Irgendwann werden Sie sich entscheiden müssen." Dass Macron das nun getan hat und damit wie so oft überaus erfolgreich war, gefällt allerdings nicht allen. Weshalb sich Fuldas Biographie teilweise wie das Tagebuch eines Verbrechens liest. Wie in einem Krimi lädt sie die Figuren aus dem Leben des Emmanuel Macron vor und befragt sie: Wie standen Sie zum Täter? Wie kam er Ihnen vor?
Über Macrons Mutter gab es bisher sehr wenig bis gar nichts zu lesen, so wenig, dass man fast denken konnte, dass es sie gar nicht gibt. Bei Fulda erfährt man gleich auf den ersten Seiten, sie fühle sich abgehängt. Ihr Sohn, meint die Mutter, habe sich eine Lebensgeschichte andichten lassen, in der sie nicht nur sich selbst, sondern auch ihren Sohn nicht erkennt - was allerdings wenig erstaunt, wenn man bedenkt, dass Macron seine Großmutter "Manette" als prägende Instanz seiner Kindheit und seines Lebens hervorhebt. Macrons Frau Brigitte, über die man wiederum sehr viel weiß - und hier auch nicht viel Neues erfährt - gibt den sehr amüsanten Satz zu Protokoll: "Es ist nicht einfach, mit Jeanne d'Arc zu leben".
Wer Privates wissen will, kann auch "Paris Match" lesen. Aufschlussreicher sind die Gespräche mit Macrons Förderern, mit den "Großen Brüdern", wie Fulda sie nennt. Hier blickt man kurz in die Hinterzimmer der französischen Eliteproduktion, in der es um Geld, Macht und viel Ego geht. Jacques Attali, ein ehemaliger Berater des sozialistischen Präsidenten Mitterand, kann kaum an sich halten, mehrmals zu erwähnen, er habe Macron entdeckt, ja sogar "erschaffen", er habe ihn als Erster dazu ermutigt, das Präsidentenamt anzustreben - so wie er Frankreich überhaupt schon mehrere Präsidenten geliefert habe. Jean-Pierre Jouyet, ehemals Generalsekretär des Élysée-Palasts, erzählt dagegen, wie er Hollande nahelegte, Emmanuel Macron als Wirtschaftsminister einzusetzen, kann sein Gefühl, diesem talentierten Monsieur Macron auf den Leim gegangen zu sein, aber nur schlecht verbergen. Nur David de Rothschild hat ausschließlich lobende Worte übrig: "Es war vorbestimmt, dass er in den Élysée-Palast einzieht."
Von "Manus" Charme liest man auf jeder Seite dieser Biographie, hört man auch von jedem Weggefährten - am Ende bleibt der Eindruck, das Hauptmerkmal dieses sehr talentierten, sehr ambitionierten, sehr klugen jungen Mannes sei seine Fähigkeit, die Menschen zu verführen. Macron, der eigentlich Schriftsteller werden wollte, weiß eben die richtigen Geschichten zu erzählen. "Man kann Emmanuel Macron als einen asexuellen Don Juan beschreiben", schreibt seine Biographin Anne Fulda: Das Ziel dieses Don Juans sei, die "Momente des jubelnden Neuanfangs immer wieder zu erleben". Es hätte Frankreich wirklich schlimmer treffen können.
ANNABELLE HIRSCH
Anne Fulda: "Emmanuel Macron: Die Biographie". Übersetzt von Nicola Denis, Felix Mayer, Bettina Sund und Volker Zimmermann. Aufbau-Verlag, 224 Seiten, 18 Euro
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