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Das Buch entwickelt eine Kulturtheorie des Pop und legt dabei ein besonderes Augenmerk auf Körperinszenierungen. Auf der Grundlage einer empirischen Untersuchung der Jugendkultur Techno wird eine an Bourdieu und den Cultural Studies angelehnte theoretische Skizze der Popkultur vorgestellt, die die lebensweltliche Relevanz globalisierter Kulturen, wie es jugendliche (Pop)Musikkulturen seit ihren Anfängen sind, herausarbeitet. Das Buch gibt Antworten auf die Fragen, warum Techno wie keine andere Jugend- und Popkultur zuvor, eine Tanzkultur war und ist und welche Rolle die Körpertechniken und -inszenierungen in dieser Jugendkultur spielen.…mehr

Produktbeschreibung
Das Buch entwickelt eine Kulturtheorie des Pop und legt dabei ein besonderes Augenmerk auf Körperinszenierungen. Auf der Grundlage einer empirischen Untersuchung der Jugendkultur Techno wird eine an Bourdieu und den Cultural Studies angelehnte theoretische Skizze der Popkultur vorgestellt, die die lebensweltliche Relevanz globalisierter Kulturen, wie es jugendliche (Pop)Musikkulturen seit ihren Anfängen sind, herausarbeitet. Das Buch gibt Antworten auf die Fragen, warum Techno wie keine andere Jugend- und Popkultur zuvor, eine Tanzkultur war und ist und welche Rolle die Körpertechniken und -inszenierungen in dieser Jugendkultur spielen.

Autorenporträt
Dr. rer. soc. Gabriele Klein ist Professorin für Soziologie und Kulturtheorie von Bewegung, Sport und Tanz an der Universität Hamburg.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.07.2000

Sind Basslinien Sex?
Gabriele Klein untersucht die Körper und Sinne der Technokultur
SEXY liest man auf dem letzten Foto, auf dem Leibchen einer provozierenden Raverin. „Leibliche Präsenz” steht drunter, und das ist möglicherweise der Dreh- und Angelpunkt des verzweigten Diskurses, wie er in Gabriele Kleins Electronic Vibration entwickelt wird. Ein Buch wie ein Ziegelstein, dennoch, beim ersten Blättern, locker, verführerisch. Was der Leib gelernt habe, steht irgendwo in der Soziologie von Pierre Bourdieu, das sei man selbst – also lassen sich alle möglichen Fragen daran aufhängen: Leibliche Präsenz, schön und gut, aber wann, wo und wie lässt sie sich bezeugen? Und warum ist man eigentlich so, wie man ist? Und birgt SEXY bereits ein Versprechen auf Sex?
Einerseits sagt Gabriele Klein immer wieder, leitmotivisch: Die zentralen Prinzipien der Techno-Szene sind nicht Triebaufschub und Triebverzicht, sondern Körperlichkeit und Genuss. Andererseits muss sie die geweckten Erwartungen enttäuschen, sobald sie konkrete Recherchen unternimmt: Alles völlig unverbindlich; Flirten sei hier „ein Spiel ohne besondere Absichten”. Was also nur heißen kann: Triebaufschub, Triebverzicht. In den Chill-Out-Räumen, dort, wo sich die Raverinnen und Raver nach Tanz- und Drogenexzessen entspannen, und zwar unter den Klängen des Ambient, einer Soft-Variante des Techno, dort läuft außer Schmusen und Kuscheln nicht viel. „Die Vermischung von homo- und heterosexueller Szene, die dadurch bedingte Vielfalt der Begegnungen mit verschiedenen sexuellen Identitäten und Geschlechtern und die Möglichkeit, Geschlechtlichkeit und sexuelle Identität zu inszenieren und spielerisch zu erproben, lassen sich als Kennzeichen der Club- und Rave-Kultur beschreiben. ”
In den Clubs und Locations inszenieren sich die Geschlechter tatsächlich ganz anders, als es noch in den Discos der siebziger und achtziger Jahre der Fall war: schon die Spiegel zur Selbstbespiegelung fehlen, und die Selbstversunkenheit beim vorgeblich privaten Tanzen weicht einer rhythmisch aufgeputschten Kommunikation in uferlosen Tanzzonen: „Die Raver tanzen nicht mehr mit kleinräumigen, sich selten über Kopfhöhe erhebenden Armbewegungen und einer nach innen zentrierten Haltung mit gesenktem Kopf, sondern sind eher nach außen orientiert, den Blick und die Haltung des Oberkörpers auf die Tanzenden gerichtet, von denen sie sich a lot of energy versprechen. ”
Dagegen folgen die Bewegungen der Unterkörper dem Rhythmus, hüpfend oder stampfend, dadurch entsteht eine Gleichspannung im ganzen Raum, eine Welle, auf der man mittanzen könne. Kein Gruppensex aber, wie ihn die Zeitschrift Spex entdeckt zu haben glaubt: „Basslinien jedenfalls sind Sex. Wer einmal zehntausend Kids zur Basslinie hat schreien hören, weiß, dass die Maschinen dazu da sind, den Sex zu kollektivieren. ” Die kollektive Ekstase, sagt Klein, erinnert an afrikanische Kulturen, wie die Eingängigkeit, die Monotonie.
Unter freiem Himmel muss sich Techno erst mal Platz schaffen für eine öffentliche Party, für eine neue Art von Urbanität, und man könnte das, wie Klein nicht müde wird zu betonen, für etwas Politisches halten. Schon in der Einleitung zitiert die Autorin den Criminal Justice and Public Order Act von 1994, mit dem die britische Regierung einen Riegel vorschob: ohne behördliche Genehmigung sollte der öffentliche Raum nicht einfach als Tanzraum zu beanspruchen sein – drei Monate Gefängnis bei Zuwiderhandlung. Dennoch kommt einem eine Argumentation, die zum Beispiel die Love Parade zu einer politischen Demonstration hochredet, immer noch etwas billig vor. Diese Demonstration der Sinnverweigerung sei, behauptet Klein, eine „Form des öffentlichen Ungehorsams” – na ja; man sollte sich weder das politische Konzept noch die politische Haltung zu Gunsten des Vergnügtseins verwässern lassen. Die Love Parade in Berlin wird wieder stark und laut und SEXY sein – und das Schönste werden wie immer die Frauen sein, ganz ohne schöne Theorien. Nie ist die Stadt so SEXY wie an diesem Tag. Und schneller, als man vielleicht möchte, sieht man sich, Geschlechterrollen hin oder her, hingerissen von den Tanz-Mäusen, so wie es Rainald Goetz in seinem Roman Rave beschreibt. Vielleicht aber sind die schönen Menschen schon deshalb politisch, weil sie schön sind und andere eben nicht; weil sie glücklich sind und andere eben nicht.
Gut, dass es Adorno gibt – die Autorin investiert höllisch viel Energie gegen seine These von der kulturindustriellen Manipulation der Massen. Dabei führt sie schlüssig vor, dass die genussvoll Konsumierenden nicht ganz so ohnmächtig sind, wie der Frankfurter Meisterdenker glauben machte. Ungeachtet ihrer imposanten literarischen Recherchen und Differenzierungen leistet die Autorin sich eine kaum haltbare Pointe: „Der Leib ist der eigentliche Adressat der Kulturindustrien, nicht der Geist oder das Bewusstsein. ” Besser wäre: Der Leib ist auch ein Adressat der Kulturindustrien, und „leibliche Präsenz” verrät, wie welche Angebote genutzt werden. Der Körper erzählt seine Geschichte, und es sieht so aus, als verweise die junge Geschichte der Raver auf starke Trends der späten Moderne – indem sie bindet, was sich lange Zeit auszuschließen schien. Das ist es, was man von Techno lernen kann. Und von Gabriele Klein.
RALPH HAMMERTHALER
GABRIELE KLEIN: Electronic Vibration. Pop Kultur Theorie. Verlag Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins, Hamburg 1999. 352 Seiten, Abb. , 36 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.08.1999

Heutzutage tanzt man eher offen
Selbst die geschlossene Gesellschaft der Techno-Clubs steckt voller Freiheiten: Gabriele Klein sucht in der Jugendszene ihren soziologischen Rhythmus

Wer ins Zentrum heutiger Jugendkultur vordringen will, muss sich nicht selten an den Rand der Stadt begeben. Der Puls der Freizeit schlägt in stillgelegten Fabrikhallen, ausgedienten Speichern, Gasometern und E-Werken: Wo einst Stechuhr und Sirenen Arbeitern Beine machten, gönnt heute der Techno-DJ den Tänzern keine Ruhepause. Mit den halb legalen Anfängen der schlecht beleumundeten Rave-Kultur allein ist nicht zu erklären, warum Jugendliche ausgesprochen gerne Ruinen der Industriegesellschaft zu Kultstätten der Zerstreuung küren. Die Trendforscher Adorno und Horkheimer hatten in der "Dialektik der Aufklärung" eine Erklärung parat: "Amüsement ist die Verlängerung der Arbeit unterm Spätkapitalismus . . . Dem Arbeitsvorgang in Fabrik und Büro ist auszuweichen nur in der Angleichung an ihn in der Muße." Die durchtanzte Nacht als Akkordarbeit, als perfide Mimesis an die Leistungsgesellschaft: Am Rave wird anschaulich, was mit Kulturindustrie gemeint ist. Kann es Zufall sein, dass Frankfurt als Mekka der Techno-Bewegung gilt?

Die Soziologin Gabriele Klein nähert sich in ihrer umfangreichen Studie "Electronic Vibration" dem Phänomen Techno auf dem Umweg über ein kulturtheoretisches Studium generale: erst die Arbeit am Begriff, dann das Vergnügen der Anschauung. Das hat seine Berechtigung; zur Oberseminarszeit ist in den Tanztempeln ohnehin noch nichts los. Klein hat ihre Frankfurter gelesen, die backsteinschwere Suhrkamp-Werkausgabe aber an der Garderobe ihres Clubs abgegeben, so dass sie trotz ihrer Vorbildung zu einer differenzierten Analyse und Bewertung der wichtigsten Jugendkultur der neunziger Jahre kommt.

Bei der "Raving Society" (Jürgen Laarmann) scheinen die Zangen traditioneller Gesellschaftskritik nicht zu greifen. Die britischen Cultural Studies haben gegen den kritisch-theoretischen Mainstream seit den siebziger Jahren eine Underground-Variante der Popkulturforschung entwickelt, in der der Konsument und sein kreativer Umgang mit dem vorgegebenen Material die erste Geige, pardon: Gitarre spielen. Begriffe wie "Subversion" oder "Abweichung" gehören seitdem zu den Evergreens jeder Debatte über Popkultur. Ein Massenphänomen wie Techno lässt sich aber nicht mehr als Gegenkultur begreifen. Raver trennen in der Regel klar zwischen ihrem durchaus gewöhnlichen Schul- oder Berufsalltag und ihren Nachtschichten am Wochenende. Techno ist keine Abstimmung mit den Füßen, sondern, wenn überhaupt, eine Jugendbewegung auf Teilzeitbasis.

Kleins Kritik richtet sich gegen eine nachträgliche Politisierung von "Pop" durch den akademischen Diskurs, deren Resultat seine Entkörperlichung ist. Popkultur spielt sich nach Klein vor allem auf dem Dancefloor ab, als Massenbewegung im Wortsinn, als "Körperpraxis": "Medium der Erfahrung ist der Tanz, der dem Einzelnen temporär die Aufhebung seiner Ich-Grenzen suggeriert." Musik geht zuerst in die Beine und nicht in die Birne.

Was allerdings an dieser Körperlichkeit am Ende doch "politische Widerstandskraft" entfalten soll, bleibt rätselhaft. Mit gleichem Recht könnte man auch Bungee-Jumping, Finnisches Saunen oder Triathlon zum Widerstandsakt erklären. So viele Haken sie auf der Tanzfläche auch schlägt, Klein gerät immer wieder in den Scheinwerferkegel der Kritischen Theorie. Mit Walter Benjamin sieht sie in der Selbstbewusstwerdung der Masse, ihrem Umschlag ins "Kollektiv" das Telos der Rave-Gemeinschaft. Aber ist das nicht ebenso ideologisch wie die Abqualifizierung der Tänzer als zugedröhnte Horde von Kryptofaschisten durch die Torwächter der Kultur?

Von Triebstrukturen redet Klein nicht. Dabei hatte der Techno-Kritiker Adorno schon richtig erkannt, dass Kulturindustrie nicht "sublimiert, sondern unterdrückt. Indem sie das Begehrte immer wieder exponiert, den Busen im Sweater und den nackten Oberkörper des sportlichen Helden, stachelt sie bloß die unsublimierte Vorlust auf, die durch die Gewohnheit der Versagung längst zur masochistischen verstümmelt ist." Statt immer um den heißen Blick herumzureden, muss man einmal klar sagen: Es geht beim Tanzen auch um das Phantasma einer "befreiten" Sexualität, um eine imaginäre Entlastung von triebunterdrückenden gesellschaftlichen Zwängen. Die Übersexualisierung, die die Raver durch (Nicht-)Bekleidung oder aufreizende Tanzstile selbst thematisieren, wird bei Klein unter ein unbestimmt bleibendes "Körperbewusstsein" zusammengefasst.

"Sex and Drugs and Rock 'n' Roll": An ihrem Verhältnis zu diesen drei Gestalten des Dionysos muss sich jeder Versuch einer Theodizee der Popkultur messen lassen. Während Klein die Besonderheiten des Geschlechterverhältnisses im Zeitalter von Aids und unklaren sexuellen Identitäten immerhin streift, kommt der spezifischen Wirkung von Partydrogen wie Ecstasy kaum Beachtung zu. Auch schenkt sie sich eine nähere Beschäftigung mit der Musik. Die meisten ihrer Beobachtungen könnten auch auf die Disco-Welle der Siebziger, auf Punk oder Grunge zutreffen. Um die Bedeutung des Körpers beim Raven oder Pogen festzustellen, bedarf es aber keiner ausgefeilten Methode, sondern da reicht eine falsche Bewegung auf der überfüllten Tanzfläche. In der Nacht sind alle Flecken blau.

Obwohl die Hauptthese allzu abstrakt bleibt, muss man anerkennen, dass Klein sich offenbar so manche Freitagnacht aus dem Lehnstuhl der Kultursoziologie hat herausreißen lassen. Gegenüber der Fülle an erhellenden Detailbeobachtungen fällt es weniger ins Gewicht, dass die theoretischen Bezugsrahmen nicht wirklich miteinander ins Gespräch gebracht werden. Klein bedient sich des "Cut 'n' Mix", eines Verfahrens, das für die Techno-Musik stilbildend geworden ist. Das ist in diesem Fall produktiver als ein methodisches Festnageln des allzu beweglichen Gegenstandes. Ein weiteres Plus ihres Buches ist seine opulente Bebilderung, die auch in Trockenzeiten der Argumentation an die Sinnlichkeit des Gegenstandes erinnert. Wenn künftigen Pop-Theoretikern auch von zähneknirschenden Türstehern Einlass gewährt wird, an dem hier gesetzten Standard kommen sie nicht mehr vorbei.

RICHARD KÄMMERLINGS

Gabriele Klein: "Electronic Vibration". Pop Kultur Theorie. Rogner & Bernhard, Hamburg 1999. 352 S., 50 Farb- und S/W-Abb., geb., 36,- DM.

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