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Der zehnjährige Josh wird von einem Auto angefahren und stirbt. Der Autofahrer begeht Fahrerflucht. Er hat aus reinem Instikt gehandelt: Dwight befürchtet, daß er seinen Sohn Sam, der bei seiner Exfrau lebt, nicht mehr sehen darf, wenn er wegen dieses Unfalls Schwierigkeiten bekommt. Also fährt er lieber weiter. Doch seine Schuldgefühle wird er nicht los. Er lebt in einer Kleinstadt in Connecticut, ganz in der Nähe der Familie des Opfers, und beobachtet sie in ihrem Leid. Die Polizei hat die Ermittlungen bald eingestellt, Trauer und Schuldgefühle drohen die Familie zu zerbrechen. Joshs Vater…mehr

Produktbeschreibung
Der zehnjährige Josh wird von einem Auto angefahren und stirbt. Der Autofahrer begeht Fahrerflucht. Er hat aus reinem Instikt gehandelt: Dwight befürchtet, daß er seinen Sohn Sam, der bei seiner Exfrau lebt, nicht mehr sehen darf, wenn er wegen dieses Unfalls Schwierigkeiten bekommt. Also fährt er lieber weiter. Doch seine Schuldgefühle wird er nicht los. Er lebt in einer Kleinstadt in Connecticut, ganz in der Nähe der Familie des Opfers, und beobachtet sie in ihrem Leid. Die Polizei hat die Ermittlungen bald eingestellt, Trauer und Schuldgefühle drohen die Familie zu zerbrechen. Joshs Vater Ethan ist zusehends von der Idee besessen, den Mörder seines Sohnes selbst aufzuspüren. Und tatsächlich stehen sich Dwight und Ethan eines Tages gegenüber...
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.06.1999

Hiob auf Amerikas Asphalt
Lautstark: John Burnham Schwartz' Roman "Eine Sekunde nur"

Es könnte irgendwo in Brandenburg sein. Eine Allee mit verzogenem Belag, die Bäume im Schwarz der schlafenden Provinz versunken, der Himmel über den Bäumen "wie ein gigantischer Bluterguß". Man ahnt, was kommt. Und es kommt - obwohl diese düstere Geschichte dann doch nicht in Brandenburg spielt, sondern auf der waldgesäumten Reservation Road, im Niemansland von Connecticut. Eben noch hat ein Erzähler im Stil von Edward Hopper eine triste Tankstelle mit kleiner Reparaturwerkstatt an den Straßenrand skizziert, da schlittert ein dunkler Ford Taunus um die Kurve, drückt die Brust des zehnjährigen Jungen ein, der traumverloren auf der Fahrbahn steht, schleudert den zerbrochenen Körper durch die Luft - und rast weiter. Unerkannt.

Acht Seiten Amerika zwischen Arthur Miller und Tennessee Williams, am Ende dieses Jahrtausends. Klirrend birst der American Dream noch einmal, leise singt die Wehmut ihr Lied, schlagen die Einsamkeiten in der Zweikindfamilie ihren harten Rhythmus, bis der Tod seine uralten Witze macht, über die keiner lachen kann. Diese ersten acht Seiten - fast unangreifbar in ihrer Stille, ihrer Strenge, ihrer schroffen Gewaltsamkeit - sind vielleicht die besten in John Burnham Schwartz' drittem Roman "Reservation Road" (1998), der nun unter dem etwas reißerischen Titel "Eine Sekunde nur" auf deutsch veröffentlicht wurde. Mit wenigen, sicheren Strichen zeichnet Schwartz das Bild vor dieser Sekunde: Das sonntägliche family outing mit Picknick, Konzert, Sommersonne und viel, viel Nachsicht - Dad unterrichtet als Literatur-Professor am College, Mom arbeitet als Gartenarchitektin - ist eine Zitterpartie der Gefühle. Denn wenn das eigene Fleisch und Blut quengelnd oder wortkarg vor sich hinstolpert, könnte es oft fremder nicht wirken. Nach der fatalen Sekunde hängen die Erinnerungen in diesen Mißtönen fest wie die Plattennadel im Kratzer.

In einer einzigen Sekunde wird die Chance zur Versöhnung ein für allemal zunichte gemacht, wird "ein Leben voller unermeßlicher Möglichkeiten" ("a life trumming with possibilities" klingt denn doch weniger steif) ausgelöscht, wird ein ganz normaler Versager zum Mörder. Und es bleibt die Schuld, mit der sich der Vater des getöteten Jungen herumquält: Warum habe ich nicht aufgepaßt, wieso habe ich seine Verärgerung nicht riskiert und ihn einfach vom Straßenrand weggeholt wie ein kleines Kind? Die Schuld, unter der die zwei Jahre jüngere Schwester leidet: Konnte ich es wirklich nicht mehr aushalten bis nach Hause? Mußte ich unbedingt sofort aufs Klo? Und die Schuld, die der fahrerflüchtige Feld-Wald-und-Wiesen-Anwalt zu verdrängen sucht.

"Es war bloß ein Hund", beruhigt er seinen eigenen zehnjährigen Sohn, der hinten im Fond nach einem aufregenden Baseball-Match vor sich hindöste und nichts gesehen hat. Selbst die mißtrauische Ex-Frau, bei der Dwight seinen Sohn jeden Sonntagmorgen abholt und Schlag sieben wieder abliefern muß, kauft ihm die Geschichte mit dem Hunde ab. Da ein Unfall mit Todesfolge das Ende des Besuchsrechts bedeuten könnte, zählt für Dwight nichts anderes. Noch eine Zitterpartie.

"Josh!" schreit der eine Vater, als es passiert, "Sam!" der andere. Beide haben sie einen Sohn zu verlieren: Ethan, der Gerechte, der disziplinierte Professor, und Dwight, der Ungerechte, der seinem Sohn einst in einem Wutanfall den Kiefer zersplitterte. Der Gerechte verliert ihn - als Motto hat Schwartz ein paar Zeilen aus dem Buch Hiob gewählt. Und auf den folgenden 340 Seiten verbeißt Ethan sich Tag für Tag mehr in seine neue "einzig wahre Religion": die Jagd nach dem Verbrecher und seine Bestrafung. "Justice must be done." Zwei Väter, zwei Söhne, zwei Missionen: amerikanischer geht es kaum; finales Showdown an symbolschwangeren Örtlichkeiten inbegriffen. Genauso versteht es sich leider von selbst, daß Dwight schlußendlich bereit ist, sich der Polizei zu stellen, und ausgerechnet Ethan ihn mit den Worten zurückhält: "Gehen Sie zu Ihrem Sohn zurück." Die haarfeinen atmosphärischen Bilder verblassen als Kulisse für ein Hollywood-Drama der - zugegebenermaßen - ambitionierten Sorte.

Dabei hat der 1965 geborene Autor es schon in seinem autobiographisch geprägten Erstling "Bicycle Days" (1989) gezeigt: Stark ist er im Zarten, in der Beobachtung unauffälliger Gesten und der Beschreibung unterschwelliger Stimmungen. In Harvard studierte Schwartz Ostasienwissenschaften, in Japan arbeitete er für einen Konzern, und wenn er seinen hilflosen Helden im Land der aufgehenden Sonne schier untergehen läßt, fesseln weniger die Donquichotterien als etwa das Ohr für Satzmelodie und das Auge für Körpersprache.

Diesmal, in "Reservation Road", hat Schwartz sich nicht an den komisch-exotischen, sondern an den bedrohlich-vertrauten Fremdheiten versucht; und irgendwer scheint ihm gesagt zu haben, daß ohne große Worte wie "Wahrheit" und wahnsinnig spannende Thriller-Szenen nichts läuft. So reibt sich Kitsch an kühler Kunst in den rund sechzig Schnappschüssen der Seele, in denen abwechselnd die Ich-Erzähler Ethan und Dwight und - aus der personalen Erzählsituation - Joshs Mutter Grace ihre Verzweiflungen und Überlebenstaktiken schildern.

"Der Raum war gefliest und kühl, immer kühl, und er roch nach Mehl und Dosensuppen und trockenem Hundefutter. Der sichere Geruch von Vorräten." Schön. Schade, daß das Ganze ein paar Sätze später in Abriß-, Explosionsund Selbstmordphantasien aufgeht; etwas subtiler hätte der Kontrast schon ausfallen dürfen. Aber "Reservation Road" ist eben ein rechtes Männerbuch - sprechen wir lieber nicht über die Innensicht von Grace -, und Männer mögen's hart. Leser allerdings mögen's vielleicht doch lieber behutsam wie etwa in den Randgeschichten und Retrospektiven des Romans. Mit dem Titel "Eine Sekunde nur" hat der Verlag die grellen Seiten plakatiert, die "hektisch pulsierenden Blinklichter" am Unfallort und im Text. In die tätsächlich spannungsreichen Winkel, in die Dunkelheiten und Dämmerungen von Menschen führt der andere Roman: "Reservation Road".

ALEXANDRA M. KEDVES.

John Burnham Schwartz: "Eine Sekunde nur". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Klaus Berr. Limes Verlag, München 1999. 342 S., geb., 39,80 DM.

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