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Der Ungar Peter Esterhazy legt einen Roman vor, der aus 97 Kapiteln besteht, einen Roman "voller heidnischer Heiterkeit", geschrieben "dreist, spöttisch, sanft und liebevoll". Er erzählt von 97 ganz unterschiedlichen Frauen. Der Leser ahnt natürlich, und kann das auch dem Buchtitel entnehmen, daß es sich hier um nur eine einzige Frau handelt, die der Autor, der sich nicht als Frauenkenner, sondern als Frauenliebhaber sieht, aus 97 Perspektiven betrachtet.

Produktbeschreibung
Der Ungar Peter Esterhazy legt einen Roman vor, der aus 97 Kapiteln besteht, einen Roman "voller heidnischer Heiterkeit", geschrieben "dreist, spöttisch, sanft und liebevoll". Er erzählt von 97 ganz unterschiedlichen Frauen. Der Leser ahnt natürlich, und kann das auch dem Buchtitel entnehmen, daß es sich hier um nur eine einzige Frau handelt, die der Autor, der sich nicht als Frauenkenner, sondern als Frauenliebhaber sieht, aus 97 Perspektiven betrachtet.
Autorenporträt
Péter Esterházy wurde 1950 in Budapest geboren, wo er auch heute lebt, seit 1978 als freier Schriftsteller. Für seinen Roman »Harmonia Cælestis« (BV 2001; BvT 2003) erhielt er unter anderem den Ungarischen Literaturpreis und den Grinzane-Cavour-Preis. 2004 wurde er mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.05.1996

Groß wie ein Mietshaus
Oder ein Büffel: Péter Esterházy weiß, wie Männer Frauen sehen

In siebenundneunzig Variationen handelt der ungarische Autor Péter Esterházy das Thema ab, das er sich mit dem Titel seines neuen Prosabandes gestellt hat: "Eine Frau". Die durchnumerierten kurzen bis sehr kurzen Texte sind wie das Buch selbst übertitelt und beginnen in der Regel mit demselben Satz: "Es gibt eine Frau." Dann folgt (meist) der Satz "Sie liebt mich" oder der Satz "Sie haßt mich" oder beide, in wechselnder Abfolge. Es handelt sich also um eine musikalische Idee, ein Thema mit Variationen, wobei der Autor einer Art von automatischem Schreiben frönt.

Obgleich er also immer von neuem mit entschieden kräftigen Feststellungen ("Sie liebt mich. Sie haßt mich.") konfrontiert wird, erkennt der Leser rasch, daß Esterházy hier kein im weitesten Sinn realistisches Erzählprojekt verfolgt. Er hat nicht eine Frau vor Augen, auch nicht mehrere oder viele, etwa 97 nacheinander, sondern strebt nach der Darstellung von etwas wie der Essenz der Frau, zusammengetragen und gemischt aus dem Wahrnehmungs- und Assoziationsschutt eines ganzen Lebens, der beschriebenen seriellen Kompositionsregel unterworfen (die in der unmittelbaren Lese-Wahrnehmung wie eine Anordnung zur Zerstreuung von Aufmerksamkeit funktioniert) und abgemischt mit milden Dosen von etwas, was der Klappentext als Humor bezeichnet. "Unsere Geschichte begann mit ihren Brüsten, deren Bekanntschaft ich unter Kádár gemacht habe. Uns drei verbindet eine Freundschaft."

Je näher man hinsieht (auch in dem Bemühen, gegen die vom Text produzierte Zerstreuung anzukämpfen), desto mehr weicht das, was man hier "Humor" nennen könnte, ins Allgemeine zurück, versteckt sich sozusagen hinter den einander unablässig relativierenden Sätzen. Die Folge 46 etwa lautet: "Es gibt eine Frau. In den Wochen mit geraden Zahlen (2, 4, 6 . . .) liebt sie mich, in denen mit ungeraden (1, 3, 5 . . .) haßt sie mich, aber jede Woche möchte sie mein Leben ändern. In einer der Wochen, ich könnte nicht sagen, ob das eine gerade oder ungerade ist, redet sie von der Hochzeit, einer glänzenden Hochzeit, bei der ,niemand' fehlen darf, gleich darauf spricht sie mich mit Vor- und Nachnamen an und sagt Sie zu mir. Ihre Haut riecht wie ein neuer Fußball. Wenn ich meine Hand zwischen ihre Schenkel lege, wird sie blau vor Kälte. Es ist, als sei sie aus Moskau, Moskau, Moskau, Moskau! Frühlingsschöße riechen gut."

Passagen wie diese wirken wie Cartoons, bei denen auf den ersten Blick klar wird, was gesagt werden soll und wo der Witz liegt - nur daß sie nicht witzig sind. Neben die Vermutung, der Autor habe mit dieser und vielen anderen derartigen Stellen für sein Buch das schmückende Beiwort "sinnlich" erarbeiten wollen, tritt eine weitere, daß er, ob er das nun so wollte oder nicht, jedenfalls eines erreicht hat: eine Abstraktion aus männlichen Blicken auf das weibliche Geschlecht, eine Anthologie von reflektierenden Passagen aus vielen verschiedenen realistischen Romanen (dazu noch ein wenig zerschnitten und neu montiert), eine Prosa leichter, fast beschwingter Folgenlosigkeit, mit einer immer eingehaltenen deutlichen Distanz zur Wirklichkeit.

"Ich bring' dich um, wenn du mich verläßt, sage ich und drücke ihr den Kopf ins Kissen. Das ist ein guter Satz, wimmert sie, meistens bewahrheitet er sich, aber selbst wenn du mich umbringst, wäre es nur eine Vorstellung." Solche Sätze durchwirken den Text, um uns, gleichsam unter ablenkendem Zwinkern und Pfeifen, zu beruhigen: Dies ist nur ein Text. Doch es ist einer, bei dem solche Art von Beruhigung ins Leere geht, weil er ohnehin nie daran zweifeln läßt, daß er nur ein Text ist. Man könnte ja sagen, daß das Aufbrechen der realistischen (täuschenden, mimetischen) Oberfläche eines Kunstwerks dort ästhetischen Gewinn verspricht, wo das Publikum in Gefahr steht, den Text für die Wirklichkeit zu nehmen, also, um bei Dr. Johnsons Beispiel zu bleiben, beim Betrachten von "Antonius und Kleopatra" zu glauben, es sei tatsächlich in Ägypten gelandet.

Diese Gefahr droht aber bei Esterházy nicht, und so ist der Gewinn aus der erkenntnistheoretischen Operation "Zerstörung der Illusion" gleich null. Man weiß in jedem Moment, wo man sich befindet: an einem akademischen Stammtisch, der sich die Aufgabe gestellt hat, die Idee von sich als der über Sein und Schein der Frau befindenden Institution herauszuarbeiten: "Es gibt eine Frau. Ich liebe sie. Sie ist groß wie ein Kasten. Wie ein Mietshaus. Ein Berg. Ein Büffel. Wenn sie mir eine runterhauen würde, würde ich zum Fenster hinausfliegen, aber warum sollte sie das. Fortwährend hat sie Dinge zu erledigen, sie telefoniert, organisiert, faxt herum, gründet KGs oder so was, und irgendwie hat sie auch mit der Mehrwertsteuer zu tun." WALTER KLIER

Péter Esterházy: "Eine Frau". Aus dem Ungarischen übersetzt von Zsuzsanna Gahse. Residenz Verlag, Salzburg 1996. 192 S., geb., 39,- DM.

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