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Norbert Gstrein auf der Höhe seiner Kunst
Auf dem Bahnhof in einer Provinzstadt wird eine Bombe gefunden. Ein Lehrer glaubt auf einem Fahndungsfoto seinen Lieblingsschüler Daniel zu erkennen, der sich nach einer Israel-Reise in religiöse und politische Phantastereien verrennt. Ist Daniel dem amerikanischen Endzeitprediger verfallen, der eines Tages in ihrem Ort aufgetaucht war und dann nach Jerusalem ging? Oder hat ein gemeinsamer Sommer den Jungen auf Abwege geführt, als der Lehrer und Daniel ganze Tage außerhalb der Zeit verbrachten?
Auf dem Bahnhof in einer Provinzstadt wird eine Bombe gefunden. Ein Lehrer glaubt auf einem Fahndungsfoto seinen Lieblingsschüler Daniel zu erkennen, der sich nach einer Israel-Reise in religiöse und politische Phantastereien verrennt. Ist Daniel dem amerikanischen Endzeitprediger verfallen, der eines Tages in ihrem Ort aufgetaucht war und dann nach Jerusalem ging? Oder hat ein gemeinsamer Sommer den Jungen auf Abwege geführt, als der Lehrer und Daniel ganze Tage außerhalb der Zeit verbrachten?
Gstrein, Norbert
Norbert Gstrein, geboren 1961, lebt zur Zeit in Hamburg. Er veröffentlichte u.a. die Erzählungen 'Andertags', 'Einer', den Bericht 'Der Kommerzialrat', die Novelle 'O2', die Romane 'Das Register' sowie 'Das Handwerk des Tötens' und gemeinsam mit Jorge Semprun die Reden 'Was war und was ist'. Eng verbunden mit dem Roman 'Die englischen Jahre' ist sein Buch 'Selbstportrait mit einer Toten'. Er erhielt unter anderem den Berliner Literaturpreis, den Alfred-Döblin-Preis, den Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung und den Uwe-Johnson-Preis.
Norbert Gstrein, geboren 1961, lebt zur Zeit in Hamburg. Er veröffentlichte u.a. die Erzählungen 'Andertags', 'Einer', den Bericht 'Der Kommerzialrat', die Novelle 'O2', die Romane 'Das Register' sowie 'Das Handwerk des Tötens' und gemeinsam mit Jorge Semprun die Reden 'Was war und was ist'. Eng verbunden mit dem Roman 'Die englischen Jahre' ist sein Buch 'Selbstportrait mit einer Toten'. Er erhielt unter anderem den Berliner Literaturpreis, den Alfred-Döblin-Preis, den Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung und den Uwe-Johnson-Preis.
Produktdetails
- dtv Literatur
- Verlag: DTV
- Seitenzahl: 360
- Erscheinungstermin: 20. April 2015
- Deutsch
- Abmessung: 191mm x 121mm x 20mm
- Gewicht: 296g
- ISBN-13: 9783423144049
- ISBN-10: 3423144041
- Artikelnr.: 41771370
Herstellerkennzeichnung
Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
"Norbert Gstrein erzählt bezwingend von den großen Entscheidungen am Anfang eines Lebens und dem bleibenden Fluchtpunkt der Kindheit."
Bernd Kielmann, Buch-Magazin Juni 2015
Bernd Kielmann, Buch-Magazin Juni 2015
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Rezensentin Marie Schmidt kann sich gut vorstellten, welchen Grundprinzipien Norbert Gstrein mit seinem Roman "Eine Ahnung vom Anfang" folgt: die Sprache hat ihre Grenzen, wobei sie nicht nur ausschließt, sondern auch zuweilen ihre eigenen Gegenstände erst erschafft, die sprachliche Deutung der Wirklichkeit ist also ebenso begrenzt, wie die Lebensentwürfe, die wir an sie koppeln, fasst Schmidt zusammen. Abgehandelt wird dieses Programm aus der Perspektive eines Lehrers, der befürchtet, ein ehemaliger Schüler könnte die Bombenattrappe gelegt haben, die am Bahnhof entdeckt wurde, so Schmidt. Das Ergebnis wirkt auf die Rezensentin - bei allem Respekt für die feine Konstruktion, wie die sie betont - ein wenig ostentativ und eitel.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Der Roman über die Gefährlichkeit von empfehlenswerten Romanen
Norbert Gstrein entfaltet in "Eine Ahnung vom Anfang" ein hochvirtuoses Spiel der Erinnerungen, Zeitebenen und Schuldgefühle.
Von Ernst Osterkamp
Trostlos zerstörte Idyllen bilden seit dem neunzehnten Jahrhundert eine Spezialität der deutschsprachigen Literatur. Eine andere ihrer Spezialitäten ist der Sonderling, an dessen Außenseiterexistenz sich der Zustand einer Gesellschaft besonders gut ablesen lässt. Am Ende von Norbert Gstreins neuem Roman sitzt der Erzähler, der Gymnasiallehrer Anton, in seiner zerfallenen und nur notdürftig restaurierten Mühle - auch sie ein Vorzugsort der vormodernen deutschen Literatur - und ist sich sicher, dass ihn
Norbert Gstrein entfaltet in "Eine Ahnung vom Anfang" ein hochvirtuoses Spiel der Erinnerungen, Zeitebenen und Schuldgefühle.
Von Ernst Osterkamp
Trostlos zerstörte Idyllen bilden seit dem neunzehnten Jahrhundert eine Spezialität der deutschsprachigen Literatur. Eine andere ihrer Spezialitäten ist der Sonderling, an dessen Außenseiterexistenz sich der Zustand einer Gesellschaft besonders gut ablesen lässt. Am Ende von Norbert Gstreins neuem Roman sitzt der Erzähler, der Gymnasiallehrer Anton, in seiner zerfallenen und nur notdürftig restaurierten Mühle - auch sie ein Vorzugsort der vormodernen deutschen Literatur - und ist sich sicher, dass ihn
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jeder, der ihn dort sitzen sieht, für einen "Kauz" und "Sonderling" halten muss.
Dass sein idyllischer Rückzugsort ein Gelände von besonderer Trostlosigkeit markiert, bezeugen bereits die familiären Gründe, die ihn zum Kauf und zur Erhaltung der Mühle veranlasst haben: "Vom Haus ist es nur ein längerer Spaziergang bis zu der Stelle, an der mein Großvater noch vor meiner Geburt, von einem Motorrad erfasst, zu Tode kam, weiter unten am Fluss, durch die Schlucht bei Niedrigwasser erreichbar, befindet sich die Höhle, in der Robert, mein Bruder, seinem Leben ein Ende gesetzt hat, und obwohl niemand genau weiß, wo es gewesen sein mag, muss irgendwo hier mein Onkel ins Wasser gegangen sein." Das ist ein bisschen viel, und so ist es denn kein Wunder, dass bei solcher Bindung an eine tödliche Familiengeschichte den Erzähler die Frage nach seiner persönlichen Schuld und Verantwortung auch in seinem Refugium, wo er im Grunde nur den Anstrengungen des Lehrerdaseins entfliehen will, nicht zur Ruhe kommen lässt.
Die Art freilich, in der Norbert Gstrein die Konventionen der Antiidylle und der Sonderlingserzählung in seinem in den Tiroler Bergen spielenden Roman aufgreift und variiert, verleiht ihnen eine verblüffende Modernität. Dies gelingt ihm durch die erzählerische Kombination von zwei Sonderlingsbiographien aus unterschiedlichen Generationen und durch die Konzentration auf einen Problemgehalt von besonderer Aktualität: die Frage nach den lebensgeschichtlichen Konsequenzen und den zerstörerischen Wirkungen religiöser Selbstüberhöhungen, Erlösungssehnsüchte und Absolutheitsansprüche in einer säkularen Welt.
Es hat in der Stadt, in der Anton unterrichtet, eine Bombendrohung gegeben, und er glaubt nun, in dem von einer Überwachungskamera aufgenommenen Bild des vermutlichen Täters seinen früheren Schüler Daniel zu erkennen. Mit Daniel, der bald nach seiner vor zehn Jahren absolvierten Matura die Stadt verließ, hat ihn lange eine intensive Beziehung verbunden, die weit über den Aufgabenkreis eines passionierten Lehrers hinausging. Sie begann damit, dass der hochbegabte Schüler eines Tages den Lehrer in einer Mischung aus Aggression und Schüchternheit mit der Feststellung "Sie mögen mich nicht" aus dessen Distanz zu locken versucht und ihn dann bittet: "Vielleicht sagen Sie mir einfach, was ich lesen soll." Tatsächlich ist dies auch ein kluger Roman über Risiken und Nebenwirkungen des Lesens.
Anton gibt Daniel von nun an immer wieder Bücher, und der liest sie sorgfältig. Es sind sehr gute Bücher; der Erzähler nennt seinen Lesern nach und nach viele Titel, und keiner von uns würde Bedenken tragen, diese auch unseren Freunden oder Kindern zu empfehlen. Das Problem im Roman ist nur, dass es genau die Bücher sind, die Anton lange zuvor auch seinem jüngeren Bruder Robert zur Lektüre empfohlen hatte, und der hat sich nach seiner Rückkehr von einem Jahr als Austauschschüler in den Vereinigten Staaten in einer merkwürdig sakralisierenden Inszenierung erschossen. Anton sucht dafür die Schuld bei sich.
Umso merkwürdiger und auch für ihn selbst unerklärlich ist es, dass Anton in einer Art von psychologischer Übersprunghandlung die gleichen intellektuellen Prägungen, die er auf seinen Bruder ausgeübt hat, auf seinen Schüler Daniel überträgt. Ein seelisch hochkomplexes Beziehungsdreieck entfaltet sich: Während der vaterlos aufgewachsene Daniel in Anton einen Vater sucht, macht dieser ihn unbewusst zu einem Wiedergänger seines Bruders. Kein Wunder also, dass er zehn Jahre später, als die Möglichkeit aufscheint, sein Schüler sei in den Terrorismus abgeglitten, wiederum die Verantwortung bei sich zu suchen gezwungen ist.
In einer komplexen Verschränkung der Zeitebenen, in der der Leser aber mühelos die Übersicht behält, lässt Gstrein den Erzähler sich an den Sommer vor zehn Jahren erinnern, den er mit Daniel und dessen Freund Christoph auf der Mühle verbracht hat. Die drei lesen, schwimmen, tändeln, reparieren gemeinsam das Haus, und da die erotischen Wünsche eines jeden von ihnen derzeit ins Leere laufen, legen sie sich auch wohl einmal die Hand auf die Schulter oder auf die Brust, was von neugierigen Wanderern auf vorhersehbare Weise kommentiert wird. Das alles wird von Gstrein mit einer hohen Kunst atmosphärischer Verdichtung und mit seelischer Behutsamkeit erzählt: als irisierendes Beziehungsgeflecht, in dem Ansprüche und Erwartungen, die die Personen miteinander verbinden, offen und unausgesprochen bleiben.
Daniel wird dann nach dem Sommer am Fluss immer wieder die Nähe seines früheren Lehrers suchen, so dass Anton die Stadien seiner wachsenden inneren Unzugänglichkeit und irrlichternden religiösen Ansprüche vor Augen hat. Aber ist Daniel tatsächlich der potentielle Bombenleger, für den die Öffentlichkeit ihn nun hält, wie sie in Anton, der sich mit seinem Gestus überlegener Intellektualität und eines desillusionierten Nonkonformismus längst in seinem Kollegium isoliert hat, den geistigen Brandstifter vermutet, der ihn zu seinem Irrweg motiviert hat? Antons im Unterricht vorgetragene These jedenfalls, "es sei manchmal gerade die Sehnsucht nach Unschuld und Reinheit, die einen dazu bringe, Schuld auf sich zu nehmen", erfüllt sich in diesem Roman nicht. Am Ende, als doch noch eine Bombe hochgeht, ist alles ganz anders; niemand, "der wusste, in welchem Land wir lebten", kann von dem Profil des Täters überrascht sein.
Der Roman erzählt, wie Anton sich Daniel und das, was ihn umtreibt, begreiflich zu machen versucht: in bildintensiven und psychologisch sensiblen Erinnerungen an den gemeinsamen Sommer und an die späteren komplizierten Begegnungen und dann wiederum in Gesprächen mit weiteren Beteiligten. Im Zuge von Antons Nachdenken über Daniel und seiner Spurensuche löst sich dessen Gestalt vor seinem inneren Auge immer mehr auf, wobei ihn "dieses buchstäbliche Verschwimmen der Geschichte im trüb Religiösen, dieses Verdampfen und Vernebeln in müden Weihrauchschwaden" besonders bedrückt. Es gehört zu den besonderen Vorzügen von Gstreins Erzählen, dass es sich dem Willen zur Eindeutigkeit widersetzt und den Figuren schon deshalb ihr Geheimnis lässt, weil sie sich selbst ein Rätsel bleiben.
Aber die große Kunst dieses beeindruckend lebensklugen Romans besteht nicht allein darin, dass er eine Figur durch die Suche nach ihr zum Verschwinden bringt, sondern mehr noch darin, dass er den Erzähler auf dieser vergeblichen Suche nach einem anderen sich selbst finden lässt. Dieser von diffusen Schuldgefühlen gequälte und vergangenheitsfixierte, beziehungsgestörte und hochmütig sich von seiner Umgebung isolierende Einzelgänger bricht, indem er seine Geschichte mit Daniel erzählt, am Ende die seelische Verschlossenheit und Isolation, die ihn jede andere Figur des Romans nur schemenhaft wahrnehmen lässt, auf so überraschend schöne Weise auf, dass hiervon an dieser Stelle nichts verraten werden darf.
Norbert Gstrein: "Eine Ahnung vom Anfang". Roman.
Carl Hanser Verlag, München 2013. 351 S., geb., 21,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dass sein idyllischer Rückzugsort ein Gelände von besonderer Trostlosigkeit markiert, bezeugen bereits die familiären Gründe, die ihn zum Kauf und zur Erhaltung der Mühle veranlasst haben: "Vom Haus ist es nur ein längerer Spaziergang bis zu der Stelle, an der mein Großvater noch vor meiner Geburt, von einem Motorrad erfasst, zu Tode kam, weiter unten am Fluss, durch die Schlucht bei Niedrigwasser erreichbar, befindet sich die Höhle, in der Robert, mein Bruder, seinem Leben ein Ende gesetzt hat, und obwohl niemand genau weiß, wo es gewesen sein mag, muss irgendwo hier mein Onkel ins Wasser gegangen sein." Das ist ein bisschen viel, und so ist es denn kein Wunder, dass bei solcher Bindung an eine tödliche Familiengeschichte den Erzähler die Frage nach seiner persönlichen Schuld und Verantwortung auch in seinem Refugium, wo er im Grunde nur den Anstrengungen des Lehrerdaseins entfliehen will, nicht zur Ruhe kommen lässt.
Die Art freilich, in der Norbert Gstrein die Konventionen der Antiidylle und der Sonderlingserzählung in seinem in den Tiroler Bergen spielenden Roman aufgreift und variiert, verleiht ihnen eine verblüffende Modernität. Dies gelingt ihm durch die erzählerische Kombination von zwei Sonderlingsbiographien aus unterschiedlichen Generationen und durch die Konzentration auf einen Problemgehalt von besonderer Aktualität: die Frage nach den lebensgeschichtlichen Konsequenzen und den zerstörerischen Wirkungen religiöser Selbstüberhöhungen, Erlösungssehnsüchte und Absolutheitsansprüche in einer säkularen Welt.
Es hat in der Stadt, in der Anton unterrichtet, eine Bombendrohung gegeben, und er glaubt nun, in dem von einer Überwachungskamera aufgenommenen Bild des vermutlichen Täters seinen früheren Schüler Daniel zu erkennen. Mit Daniel, der bald nach seiner vor zehn Jahren absolvierten Matura die Stadt verließ, hat ihn lange eine intensive Beziehung verbunden, die weit über den Aufgabenkreis eines passionierten Lehrers hinausging. Sie begann damit, dass der hochbegabte Schüler eines Tages den Lehrer in einer Mischung aus Aggression und Schüchternheit mit der Feststellung "Sie mögen mich nicht" aus dessen Distanz zu locken versucht und ihn dann bittet: "Vielleicht sagen Sie mir einfach, was ich lesen soll." Tatsächlich ist dies auch ein kluger Roman über Risiken und Nebenwirkungen des Lesens.
Anton gibt Daniel von nun an immer wieder Bücher, und der liest sie sorgfältig. Es sind sehr gute Bücher; der Erzähler nennt seinen Lesern nach und nach viele Titel, und keiner von uns würde Bedenken tragen, diese auch unseren Freunden oder Kindern zu empfehlen. Das Problem im Roman ist nur, dass es genau die Bücher sind, die Anton lange zuvor auch seinem jüngeren Bruder Robert zur Lektüre empfohlen hatte, und der hat sich nach seiner Rückkehr von einem Jahr als Austauschschüler in den Vereinigten Staaten in einer merkwürdig sakralisierenden Inszenierung erschossen. Anton sucht dafür die Schuld bei sich.
Umso merkwürdiger und auch für ihn selbst unerklärlich ist es, dass Anton in einer Art von psychologischer Übersprunghandlung die gleichen intellektuellen Prägungen, die er auf seinen Bruder ausgeübt hat, auf seinen Schüler Daniel überträgt. Ein seelisch hochkomplexes Beziehungsdreieck entfaltet sich: Während der vaterlos aufgewachsene Daniel in Anton einen Vater sucht, macht dieser ihn unbewusst zu einem Wiedergänger seines Bruders. Kein Wunder also, dass er zehn Jahre später, als die Möglichkeit aufscheint, sein Schüler sei in den Terrorismus abgeglitten, wiederum die Verantwortung bei sich zu suchen gezwungen ist.
In einer komplexen Verschränkung der Zeitebenen, in der der Leser aber mühelos die Übersicht behält, lässt Gstrein den Erzähler sich an den Sommer vor zehn Jahren erinnern, den er mit Daniel und dessen Freund Christoph auf der Mühle verbracht hat. Die drei lesen, schwimmen, tändeln, reparieren gemeinsam das Haus, und da die erotischen Wünsche eines jeden von ihnen derzeit ins Leere laufen, legen sie sich auch wohl einmal die Hand auf die Schulter oder auf die Brust, was von neugierigen Wanderern auf vorhersehbare Weise kommentiert wird. Das alles wird von Gstrein mit einer hohen Kunst atmosphärischer Verdichtung und mit seelischer Behutsamkeit erzählt: als irisierendes Beziehungsgeflecht, in dem Ansprüche und Erwartungen, die die Personen miteinander verbinden, offen und unausgesprochen bleiben.
Daniel wird dann nach dem Sommer am Fluss immer wieder die Nähe seines früheren Lehrers suchen, so dass Anton die Stadien seiner wachsenden inneren Unzugänglichkeit und irrlichternden religiösen Ansprüche vor Augen hat. Aber ist Daniel tatsächlich der potentielle Bombenleger, für den die Öffentlichkeit ihn nun hält, wie sie in Anton, der sich mit seinem Gestus überlegener Intellektualität und eines desillusionierten Nonkonformismus längst in seinem Kollegium isoliert hat, den geistigen Brandstifter vermutet, der ihn zu seinem Irrweg motiviert hat? Antons im Unterricht vorgetragene These jedenfalls, "es sei manchmal gerade die Sehnsucht nach Unschuld und Reinheit, die einen dazu bringe, Schuld auf sich zu nehmen", erfüllt sich in diesem Roman nicht. Am Ende, als doch noch eine Bombe hochgeht, ist alles ganz anders; niemand, "der wusste, in welchem Land wir lebten", kann von dem Profil des Täters überrascht sein.
Der Roman erzählt, wie Anton sich Daniel und das, was ihn umtreibt, begreiflich zu machen versucht: in bildintensiven und psychologisch sensiblen Erinnerungen an den gemeinsamen Sommer und an die späteren komplizierten Begegnungen und dann wiederum in Gesprächen mit weiteren Beteiligten. Im Zuge von Antons Nachdenken über Daniel und seiner Spurensuche löst sich dessen Gestalt vor seinem inneren Auge immer mehr auf, wobei ihn "dieses buchstäbliche Verschwimmen der Geschichte im trüb Religiösen, dieses Verdampfen und Vernebeln in müden Weihrauchschwaden" besonders bedrückt. Es gehört zu den besonderen Vorzügen von Gstreins Erzählen, dass es sich dem Willen zur Eindeutigkeit widersetzt und den Figuren schon deshalb ihr Geheimnis lässt, weil sie sich selbst ein Rätsel bleiben.
Aber die große Kunst dieses beeindruckend lebensklugen Romans besteht nicht allein darin, dass er eine Figur durch die Suche nach ihr zum Verschwinden bringt, sondern mehr noch darin, dass er den Erzähler auf dieser vergeblichen Suche nach einem anderen sich selbst finden lässt. Dieser von diffusen Schuldgefühlen gequälte und vergangenheitsfixierte, beziehungsgestörte und hochmütig sich von seiner Umgebung isolierende Einzelgänger bricht, indem er seine Geschichte mit Daniel erzählt, am Ende die seelische Verschlossenheit und Isolation, die ihn jede andere Figur des Romans nur schemenhaft wahrnehmen lässt, auf so überraschend schöne Weise auf, dass hiervon an dieser Stelle nichts verraten werden darf.
Norbert Gstrein: "Eine Ahnung vom Anfang". Roman.
Carl Hanser Verlag, München 2013. 351 S., geb., 21,90 [Euro].
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Büchern scheint in Norbert Gstreins Roman mit seinem bedeutungsschweren Titel eine geradezu magische Rolle zuzukommen, immer wieder liegen sie zufällig irgendwo herum, Dutzende von ihnen werden erwähnt oder es wird darüber gesprochen, ja es werden sogar …
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Büchern scheint in Norbert Gstreins Roman mit seinem bedeutungsschweren Titel eine geradezu magische Rolle zuzukommen, immer wieder liegen sie zufällig irgendwo herum, Dutzende von ihnen werden erwähnt oder es wird darüber gesprochen, ja es werden sogar zwei Romane geschrieben in diesem Plot, einer vom Protagonisten und einer vom Ich-Erzähler. Letzteren Text halten die Leser gerade in den Händen, erklärt uns der Autor. Gefahren drohen, weil manche dieser Bücher so machtvoll werden, dass sie jugendliche Leser auf falsche Fährten führen, ihr Leben unheilvoll beeinflussen. Lädt also ein Deutschlehrer Schuld auf sich, so ist zu fragen, wenn er seinen Schülern gewisse Bücher empfiehlt, sie ihnen sogar aus seiner eigenen Bibliothek zur Verfügung stellt? Und damit dann womöglich Entwicklungen heraufbeschwört, die sich im Nachhinein als durchaus unheilvoll erweisen können? Es ist seine «Ahnung vom Anfang», die auf ihn wartende typisch bürgerliche Biografie nämlich, die den jungen Helden dieses Romans zu seiner Flucht ins Irreale treibt.
In der Rolle eines Zauberlehrlings, der die Geister, die er rief, nicht mehr zu bändigen weiß, glaubt sich der personale Erzähler zu befinden mit seinem hochintelligenten Schüler Daniel. Zwischen beiden besteht eine vermutlich nicht ausgelebte homoerotische Verbindung, der Autor lässt den Leser da im Dunkeln in bester Thomas-Mann-Tradition, und das ist gut so, um mit Klaus Wowereit zu sprechen, denn es gehört einfach nicht zum Thema. Daniel nämlich mit seiner angelesenen skeptischen Weltsicht gerät in die Fänge zweier Seelenretter. Zunächst ist da ein missionarischer Religionslehrer, der ihn während einer Israel-Reise zu einer naiven Religiosität bekehren will, später wird er dann auch noch von einem fanatischen amerikanischen Endzeitprediger quasi einer Gehirnwäsche unterzogen. Er wandelt sich zum nicht mehr ernst zu nehmenden Sonderling, ist von der Vernunft her kaum noch ansprechbar, bricht sein Mathematik-Studium ab, seine Handlungen werden immer unverständlicher, er verschwindet monatelang, ohne zu sagen wohin. Man traut ihm schließlich sogar eine Bombendrohung zu, die beschauliche Tiroler Kleinstadt ist in heller Aufregung deswegen. Sogar sein ehemaliger Deutschlehrer wird scheel angesehen, gerät in den Verdacht der Komplizenschaft. Der psychologisch bewanderte Polizist des Ortes erweist sich als erstaunlich kompetent in terroristischen Denkweisen, die in der Zerstörung einen Weg suchen, ihre Ideen bekanntzumachen, ihre Ideale durchzusetzen.
Auch der Ich-Erzähler driftet in diesem tiefsinnigen Roman immer weiter aus der Realität hinaus, erzählt, am Schüler Daniel gespiegelt, seine eigene Geschichte, die kaum weniger realitätsfern erscheint. Die zwei Handlungsstränge sind eng miteinander verwoben, in beiden gibt es Selbstmorde, Bedrohliches, Trennungen, Scheitern. Die Zusammenhänge bleiben aber mehr oder weniger undeutlich, sind teilweise nur zu ahnen, eine recht unscharfe Erzähllinie des Autors, die nicht jedermanns Sache sein dürfte, auch wenn es, in Maßen, spannend bleibt. Die überaus ambitionierte Thematik wird sprachlich perfekt umgesetzt in diesem Roman, seine Figuren sind klar gezeichnet, allzu viel Empathie können sie allerdings nicht wecken beim Leser.
Der skeptische, eher distanzierte und völlig humorfreie Erzählstil des Autors lässt leider keine wirkliche Lesefreude aufkommen. Dafür erfreut die Lektüre durch ihren geistigen Tiefgang umso mehr, regt zum Nach- und Weiterdenken an mit einer Thematik, die schließlich jeden von uns ganz persönlich betrifft. Unwillkürlich ist man zum Vergleich mit dem eigenen Lebensweg gedrängt und mit den Umständen, die an seinem Anfang vorlagen, und dass wir vielleicht sogar schon so etwas wie eine Ahnung davon hatten.
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