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Produktdetails
  • Verlag: Zytglogge-Verlag
  • 1999.
  • Seitenzahl: 152
  • Deutsch
  • Abmessung: 130mm x 210mm
  • Gewicht: 293g
  • ISBN-13: 9783729605879
  • ISBN-10: 3729605879
  • Artikelnr.: 22908678
Autorenporträt
Alexandra Lavizzari, geb. in Basel, studierte Ethnologie und Islamwissenschaft. Aufenthalte in Nepal, Pakistan und Thailand. Sie lebt mit ihrem Mann und drei Kindern in Rom. Alexandra Lavizzari schreibt für die NZZ und den "Bund" und ist Autorin kunstgeschichtlicher und literaturkritischer Werke, so u.a. von Gwen John: Rodins kleine Muse (Zytglogge/dtv)
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.09.1999

Beckmesser im Leibe
Alexandra Lavizzari verlebt einen blutigen Sommer

Verlage neigen dazu, um kleine literarische Formen einen Bogen zu machen. Erzählungen verkaufen sich nur, wenn ihr Verfasser sich schon nahe an den Nobelpreis herangeschrieben hat. Deshalb verblüfft es ein bisschen, auf einem Buch aus dem Schweizer Zytglogge Verlag die Bezeichnung Novelle prangen zu sehen und die Autorin dennoch nicht zu kennen. Sie heißt Alexandra Lavizzari, wurde 1953 in Basel geboren und fertigte bislang eher kritische als schöpferische Beiträge zur Literatur. Die Novelle ist offensichtlich ihre erste Prosaarbeit. Wir begleiten darin zwei Sommerwochen lang eine Zwölfjährige namens Sophie, die in einem Dorf unweit von Basel wohnt und ihr ländliches Dasein unbedingt dem Stadtleben vorzieht. Das klingt nach Glück im Winkel, in Wahrheit aber wird uns ein finsteres Drama vorgeführt.

Die Geschichte beginnt mit einer Mordattacke: Sophie beobachtet, wie ein Bauernbursche seinem Bruder die Mistforke in den Leib stößt. Die Zuschauerin bezeugt das Gesehene freilich nicht, zu sehr wird sie von eigenen Sorgen in Anspruch genommen. Ihr Elternhaus nämlich ist eine Zumutung. Die Mutter, von einer Fehlgeburt um ihr Gleichgewicht gebracht, säuft und geht fremd. Dem ständig maulenden Vater ist der Fernseher interessanter als sein Kind. Sophie hält sich an eine literarisch bewanderte Nachbarin, die Interesse zeigt für die Versuche des Mädchens, sich in Gedichten auszudrücken. Als Ersatzmutter jedoch taugt die Frau nicht. Sie beckmessert an Sophies Versen herum, Sophies Gefühle weist sie zurück.

Das Ganze gibt sich als Schlaglicht auf einen beliebigen Alltag unter Egomanen. Ein jeder sieht vor allem sich, die eigenen Wünsche, die eigenen Enttäuschungen. Wenn es um Beziehungen zu anderen geht, so hält man sich an Sitte und Brauch. Aber Beziehungen, die nicht aus dem Herzen wachsen, halten Belastungen nur schlecht stand. Ein Kind, auf Liebe angewiesen, weil es noch nicht aus eigener Kraft lebt, verarbeitet solche Erfahrungen schlecht. Doppelt schlecht, wenn es, wie Sophie, eben pubertiert, also in einen Bereich neuer Unsicherheit eintritt.

Lavizzari nutzt das Element Pubertät auch, um den Mutter-Tochter-Konflikt noch zu verschärfen. Den jungen Mann nämlich, um dessentwillen die Mutter den Vater verlassen möchte, hatte Sophie für ihren eigenen Anbeter gehalten. Zur Angst um den endgültigen Verlust der Kindheitswelt kommt also eine schlimme Demütigung. Kann eine Zwölfjährige schon einen derartigen Weibchenzorn empfinden? Sie kann es sicher, wenn auch die Folgen, die das in der Novelle zeitigt, ein wenig überzogen scheinen. Sophie rastet so gründlich aus, dass es einem den Atem verschlägt: Sie rammt ein Messer in ihre betrunken dösende Mutter. Die Geschichte endet, wie sie begann, in einem Meer von Blut.

Vielleicht hätte die Autorin statt der Novelle doch lieber einen Roman schreiben sollen. Wenn etwas derartig Ungeheuerliches passiert, wünscht man sich umfassendere Aufklärung. Was, zum Beispiel, hat diese Mutter geformt, was diesen Vater? Waren sie, war die gesamte Dorfbevölkerung von jeher so stumpf, oder welche Einflüsse wirkten hier? Das Büchlein verrät darüber kaum mehr, als es ein Zeitungsbericht getan hätte.

SABINE BRANDT.

Alexandra Lavizzari: "Ein Sommer". Novelle. Zytglogge Verlag, Bern 1999. 151 S., geb., 35,- DM.

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