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1962 erschien Strukturwandel der Öffentlichkeit, Jürgen Habermas' erstes Buch. In sozialhistorischer und begriffsgeschichtlicher Perspektive profiliert er darin einen Begriff von Öffentlichkeit, der dieser einen Platz zwischen Zivilgesellschaft und politischem System zuweist. Der Strukturwandel reihte sich alsbald ein unter die großen Klassiker der Soziologie des 20. Jahrhunderts und hat eine breite Forschung in den Geschichts- und Sozialwissenschaften angeregt. Und auch Habermas selbst hat sich in späteren Arbeiten immer wieder mit der Rolle der Öffentlichkeit für die Bestandssicherung des…mehr

Produktbeschreibung
1962 erschien Strukturwandel der Öffentlichkeit, Jürgen Habermas' erstes Buch. In sozialhistorischer und begriffsgeschichtlicher Perspektive profiliert er darin einen Begriff von Öffentlichkeit, der dieser einen Platz zwischen Zivilgesellschaft und politischem System zuweist. Der Strukturwandel reihte sich alsbald ein unter die großen Klassiker der Soziologie des 20. Jahrhunderts und hat eine breite Forschung in den Geschichts- und Sozialwissenschaften angeregt. Und auch Habermas selbst hat sich in späteren Arbeiten immer wieder mit der Rolle der Öffentlichkeit für die Bestandssicherung des demokratischen Gemeinwesens beschäftigt. Angesichts einer durch die Digitalisierung veränderten Medienstruktur und der Krise der Demokratie kehrt er nun erneut zu diesem Thema zurück.

Kernstück des Buches ist ein Essay, in dem er sich ausführlich mit den neuen Medien und ihrem Plattformcharakter beschäftigt, die traditionelle Massenmedien - maßgebliche Antreiber des »alten« Strukturwandels - zunehmend in den Hintergrund drängen. Fluchtpunkt seiner Überlegungen ist die Vermutung, dass die neuen Formen der Kommunikation die Selbstwahrnehmung der politischen Öffentlichkeit als solcher beschädigen. Das wäre ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit, mit gravierenden Konsequenzen für den deliberativen Prozess demokratischer Meinungs- und Willensbildung.
Autorenporträt
Jürgen Habermas wurde am 18. Juni 1929 in Düsseldorf geboren. Von 1949 bis 1954 studierte er in Göttingen, Zürich und Bonn die Fächer Philosophie, Geschichte, Psychologie, Deutsche Literatur und Ökonomie. Er lehrte unter anderem an den Universitäten Heidelberg und Frankfurt am Main sowie der University of California in Berkeley und war Direktor des Max-Planck-Instituts zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt in Starnberg. Jürgen Habermas erhielt zahlreiche Ehrendoktorwürden und Preise, darunter den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels (2001) und den Kyoto-Preis (2004).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Rezensent Peter Neumann hält das neue Buch von Jürgen Habermas für ein Ereignis. Der bereits veröffentlichte Aufsatz zusammen mit einem Interview und einem weiteren Essay lässt sich laut Neumann an Habermas' 60 Jahre alte Einlassungen zum Strukturwandel anschließen. Dass sich inzwischen allerhand verändert hat, ist Neumann klar. Ort des neuen Strukturwandels, erkennt er gemeinsam mit dem Autor, sind die digitalen Plattformen; durch sie sieht Habermas die Demokratie gefährdet. Für Neumann ein "theoriepolitisches Ereignis" insofern, als der Autor jetzt genau jene Institutionen als Trutzburgen der demokratischen Öffentlichkeit erkennt, gegen die er und die Frankfurter Schule dereinst ideologiekritisch zu Felde zogen. Wer Habermas einmal mehr in seiner liebsten Rolle als "Mahner und Warner" erleben möchte, ist hier richtig, meint Neumann.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.09.2022

Arbeit am Phantomschmerz

Jürgen Habermas diagnostiziert Folgen von Internet und sozialen Medien für die Demokratie und vermeidet dabei die Frage nach der tatsächlichen Aufgeklärtheit des politischen Publikums.

Jürgen Habermas hält einen neuerlichen Strukturwandel der Öffentlichkeit fest. 1962 hatte er seine Habilitationsschrift unter diesem Titel vorgelegt und damit auch schon sein auflagenstärkstes Buch geschrieben. 1990 hat er in einem Vorwort kommentiert, was inzwischen an Forschung zu seinem Thema vorgelegt worden war: zum Verfall der ursprünglich aufklärerisch gemeinten, bürgerlichen Öffentlichkeit durch die Dominanz von Privatinteressen an Massenmedien. Jetzt buchstabiert er in einem langen Aufsatz die politischen Folgen aus, die das Internet und seine Plattformen für die Demokratie haben sollen. Keine guten.

Für Habermas ist es die wichtigste Aufgabe der Öffentlichkeit, zur demokratischen Willensbildung in Verfassungsstaaten beizutragen. Dem kann etwas abgewinnen, wer den politischen Teil einer Tageszeitung liest oder von den Talkshows im Fernsehen nicht loskommt. Kunden eines Bahnhofskiosks hingegen würde auffallen, wie gering hier der Umfang der zum politischen Nachdenken einladenden Publikationen ist, etwa im Vergleich zu den Ratgebern (Essen, Wohnen, Kleidung, Finanzen, Freizeitsport) und der bloßen Unterhaltung (True Crime, Krankheiten und Heiraten der Stars oder des Adels). Im Fernsehen haben die Abteilungen für Spaß und Spannung jeden Niveaus das Heft ebenfalls in der Hand. Die Talkshow ist keine ideale Sprechsituation.

Insofern müsste die Funktion der Öffentlichkeit allgemeiner gefasst werden, sollen durch sie nicht nur der Leser und Autor Habermas sowie seinesgleichen, sondern auch die Angehörigen des Otto Normalpublikums angesprochen sein. Habermas konzediert das, zieht aber keine Folgerungen daraus.

Er hält fest, der "Konsum" von gedruckten Zeitungen sei drastisch eingebrochen. Damit geht er darüber hinweg, dass auch ein Großteil der mittels des Internets gelesenen Texte aus jenen Zeitungen stammt. Ohne die Lage schönzureden, wird man also zwischen Papierlesern, Lesern überhaupt und den jungen Lesern unterscheiden müssen, die sich vor allem in dem bewegen, was Habermas die "halböffentliche, fragmentierte und in sich kreisende Kommunikation" der sogenannten sozialen Medien nennt.

Habermas stellt sich vor, dass Politik in der Verwirklichung von moralisch gerechtfertigten Ansprüchen besteht. Etwas ist menschen- oder verfassungsrechtlich versprochen, die Realisierung solcher Versprechen wird eingeklagt. Das Debattieren über politische Fragen macht dabei die Unterschiedlichkeit der Teilnehmer an solchen Debatten wett. Sie können sich auf wenig einigen, aber immerhin darauf, dass diskutiert werden muss. Insofern gibt es zwei Bedingungen für die Annehmbarkeit politischer Entscheidungen in einer säkularen Demokratie: Einbeziehung aller in die Verfahren (Wahlen, Verwaltungsgerichtsprozesse) und der Entscheidung vorausliegende Beratung, in der die "Kraft der Gründe" um rationaler Ergebnisse willen vorgeschaltet ist. Sie soll unter anderem in der Öffentlichkeit stattfinden, in den Massenmedien.

Wie es empirisch um die Aufgeklärtheit des politischen Publikums bestellt ist, dem geht Habermas nicht nach. Die Öffentlichkeit ist für Habermas die gedachte Arena, in der nicht Entscheidungen getroffen, sondern Gründe für Entscheidungen artikuliert werden. Sie eröffnet im besten Fall ein Spektrum möglicher Gesichtspunkte zu einer Frage, das Bürgern ermöglicht, sich ihre Meinung zu bilden. Die Öffentlichkeit bereitet, so verstanden, Wahlen und Parlamentsdebatten vor. Der Diskurs verbessert dabei die Meinungen, weil er sie argumentativem Druck aussetzt. Die Bürger wiederum fassen Vertrauen in diesen Prozess, wenn sie sehen, dass die Politik berücksichtigt, was im Diskurs vorgetragen wurde.

Doch dem ist nicht so, Habermas sagt es selbst. Die Bürger sind nach Habermas nicht nur Staatsbürger, sondern auch - fast meint man, Hannah Arendt zu hören - Gesellschaftsbürger, die sich für Politik nur in zweiter Linie oder gar nicht interessieren. Die Bürgerschaft ist nur begrenzt "aktiv". Dem entspricht das erwähnte Angebot des Bahnhofskiosks, aber auch jenes im Internet. Öffentlichkeit heißt hier viel Musik, Tutorials für Kochen und Sexualität (Pornographie) und Heimwerkertum, heißt Influencer, Prominenzbeobachtung, Vorträge über Aktien, Hafermilch und Heidegger. Ein großes Durcheinander also, das nur zufällig eine Überschneidungszone mit gerade anstehenden politischen Fragen besitzt.

Habermas ist fast gezwungen, hierin die "Entpolitisierung" einer anfangs und in ihrem Wesenskern politisch gemeinten Öffentlichkeit zu erkennen. Das ist ein wenig so, als definiere man Fußball historisch als Arbeitersport und werfe dem gegenwärtig praktizierten dann vor, er sei "entproletarisiert". Für das Verständnis der Massenmedien ist dieser Phantomschmerz nicht ergiebig. Er führt Habermas in anderen Beiträgen auch ganz folgerichtig zu Forderungen wie der nach einer staatlichen Subvention von Zeitungen und eventuell sogar, da wir eine europäische Demokratie haben, ihrer Übersetzung in fremde Sprachen. Denn nur so könnte es zu einer entsprechend europäischen Öffentlichkeit kommen. Allerdings ist der Zeitpunkt gerade ungünstig, sich von einer öffentlich-rechtlichen Einrichtung der gesamten Öffentlichkeit größere Aufklärungsgewinne zu versprechen.

Die Sorge, die Habermas artikuliert, ist die über eine Medienwelt, in der überwiegend halbprivate, unprofessionelle Mitteilungen eine Rolle spielen, in der also der Diskurs über kollektiv bedeutungsvolle Fragen formlos geworden ist und keine Zentren mehr besitzt, die Qualität kontrollieren würden. In einer schönen Wendung hält Habermas fest, der Buchdruck habe alle zu potentiellen Lesern gemacht, aber wie lange habe es gedauert, bis alle lesen gelernt hätten? Das Internet gibt es seit 1991, Google seit 1998, Twitter seit 2006 und Instagram seit 2010. Es ist also für die Erwartung, dass alle schreiben können, noch zu früh. JÜRGEN KAUBE

Jürgen Habermas: "Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit und die deliberative Politik".

Suhrkamp Verlag, Berlin 2022. 108 S., br., 18,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.09.2022

Geschlossene Systeme
„Der inklusive Sinn von Öffentlichkeit verblasst“: Angesichts der sozialen Medien
lernt Jürgen Habermas das lineare Fernsehen ganz neu schätzen
VON ANDREAS BERNARD
In der medien- und sozialwissenschaftlichen Forschung zur digitalen Kultur ist die Wendung vom „Strukturwandel der Öffentlichkeit“, jenem Titel der 1962 erschienenen Habilitation von Jürgen Habermas, seit einigen Jahren eine wiederkehrende Formel; die gegenwärtige Umbildung der publizistischen Sphäre durch Suchmaschinen, Plattformen und soziale Medien erscheint als Zäsur, die in ihrer historischen Bedeutung mit der Entstehung bürgerlicher Öffentlichkeit im 18. Jahrhundert verglichen werden kann.
Sachlich ist es deshalb konsequent, dass Habermas im vorigen Jahr einen Aufsatz mit „Überlegungen und Hypothesen zu einem erneuten Strukturwandel der politischen Öffentlichkeit“ veröffentlicht hat, der nun, ergänzt um ein Interview und einen Essay zu verwandten Themen, bei Suhrkamp als schmaler Band erscheint. Biografisch aber löst die wohlinformierte Beschäftigung des nunmehr 93-jährigen Philosophen mit diesen vergleichsweise neuen Technologien Erstaunen aus, denn die zahlreichen Referenzen und Lektürespuren machen deutlich, dass Jürgen Habermas sich in aller Sorgfalt in das von ihm behandelte Material eingearbeitet hat.
Zentrale Frage des Aufsatzes ist es, inwiefern die Krise der Demokratien in den vergangenen zwanzig Jahren mit den gleichzeitig aufkommenden medientechnischen Entwicklungen zusammenhängt. Habermas referiert daher in der ersten Hälfte des Textes noch einmal die Bedeutung der Kategorie „Öffentlichkeit“ für die Etablierung der demokratischen Staatsform in Europa, die er in seiner Habilitation umfassend untersucht hat. Auch der Übergang von der höfischen zur bürgerlichen Gesellschaft ist an einen Medienwandel gebunden, an das Entstehen von Zeitungen, Zeitschriften und eigenständigen Verlagen, die zu den Agenten der „öffentlichen Meinung“ werden und jenes Verfahren der politischen Willensbildung organisieren, das Habermas „deliberativ“ nennt, aushandelnd, beratend.
Diese demokratiestützende Funktion der öffentlichen Sphäre ist in vielerlei Hinsicht an die „Glaubwürdigkeit der Institutionen“ gebunden, wie es in dem Aufsatz heißt, an ein allgemein anerkanntes System der Stellvertreterschaft, das sich im Politischen als Parlamentarismus darstellt und im Nachrichtenwesen als Journalismus und Verlagsarbeit. Öffentlichkeitsbildung ist also seit dem 18. Jahrhundert an professionelle Repräsentanten gekoppelt, an die „politische Halbdistanz“ zwischen gewähltem Stellvertreter und Wahlvolk und die „informationelle Halbdistanz“ zwischen Nachrichtenerzeugern und Nachrichtenempfängern über die Filter der Massenmedien, wie es Albrecht Koschorke einmal formuliert hat.
Genau diese Repräsentationsweisen haben sich seit Beginn des Jahrhunderts, seit der Etablierung digitaler Kommunikationstechnologien aufgelöst. Ein amerikanischer Präsident, ausgestattet mit einer Heerschar von Mitarbeitern und Pressesprechern, konnte bekanntlich vier Jahre lang mit seinem Smartphone in der Hand vom heimischen Badezimmer aus regieren.
Jürgen Habermas fasst die maßgeblichen medienwissenschaftlichen Hypothesen zur Fragmentierung und Entgrenzung von Öffentlichkeit mit großer Kenntnis zusammen, spricht von der Erosion journalistischer „Gatekeeper“, von den „Filterblasen“ und „Echokammern“ der um sich selbst kreisenden Diskurse in den sozialen Medien und dem fatalen Umschlagen einer ursprünglich partizipativen Idee in reine Profitmaximierung: „Die Lava dieses zugleich antiautoritären und egalitären Potentials, die im kalifornischen Gründergeist der frühen Jahre noch zu spüren war, ist im Silicon Valley alsbald zur libertären Grimasse weltbeherrschender Digitalkonzerne erstarrt.“
Als eine Hauptthese des Buches „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ erschien die Herausbildung einer klaren Grenze zwischen den Kategorien „privat“ und „öffentlich“ im Lauf des 18. Jahrhunderts. Die jüngsten medientechnischen Entwicklungen sorgen dafür, dass diese rund 250 Jahre lang bestehende Schwelle wieder schrumpft. (Nicht umsonst sind in den vergangenen Jahren einige kulturwissenschaftliche Studien publiziert worden, die in der digitalen Gegenwart, mit ihren privatmäzenatischen Strukturen, eine Rückkehr zur feudalen Öffentlichkeit erkennen.)
Habermas schreibt in einem Fazit seines Aufsatzes, dass „im Zuge einer mehr oder weniger exklusiven Nutzung sozialer Medien in Teilen der Bevölkerung“ der „inklusive Sinn von Öffentlichkeit verblasst“. Diese neue Kommunikationssphäre könne „weder als öffentlich noch privat, sondern am ehesten als eine zur Öffentlichkeit aufgeblähte Sphäre einer bis dahin dem brieflichen Privatverkehr vorbehaltenen Kommunikation begriffen werden“; ihre Akteure seinen besonders anfällig für „Fake News und Verschwörungstheorien“.
Wenn man die berühmt gewordene Habilitation mit dem neuen Aufsatz vergleicht, fällt eine bestimmte Verschiebung auf. In „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ gibt es gegen Ende ein bissiges Kapitel, in dem sich Habermas im Tonfall Adornos und Horkheimers den Medien Fernsehen, Kino und Radio widmet, denen „eines gemeinsam ist: die Abstinenz vom literarischen und politischen Räsonnement“.
Habermas betont ihren „penetranten“ und „konsumistischen“ Charakter und schreibt: „Die durch Massenmedien erzeugte Welt ist Öffentlichkeit nur noch dem Scheine nach.“ Sechzig Jahre später, nach der Verdrängung der Massen- durch die sozialen Medien, hat sich das Urteil stark gemildert. Nun steht die professionelle Filterung der Informationen in den TV- und Radionachrichten als Gütesiegel im Zentrum; die Unidirektionalität der Massenmedien, von der es in der Habilitation noch hieß, sie nehme dem Publikum „die Distanz der ,Mündigkeit'“, erscheint im Vergleich zum richtungslosen Meinungsstakkato der sozialen Medien nun als stabilisierend. Überdies beklagt Habermas 2022 „die bedauernswerte Auszehrung des Kinos“. Doch diese Verschiebung, die Rehabilitation der seinerzeit kritisierten neuen Medien im Angesicht der neuesten, ist ein Standardelement jeder Kulturkritik, in der die Diagnose des aktuellen Verfalls das Vergangene zwangsläufig nobilitiert.
Die Schreibweise und das wissenschaftliche Verfahren von Habermas haben sich dagegen (was man von einem über 90-jährigen hocharrivierten Autor auch kaum erwarten dürfte) im Lauf eines halben Jahrhunderts nicht geändert. Und doch verstärkt das Sujet seiner Untersuchungen in dem vorliegenden Band noch einmal das Unbehagen, das sein Beharren auf normativer Regulierung von Kommunikation und seine bis ins Formelhafte begriffsgesättigte Sprache schon in den Wissenschaftsdebatten der 1980er-Jahre auslöste.
Habermas’ Standort ist von einer, wie man in der erzählenden Literatur sagen würde, ungehinderten Auktorialität geprägt; er überblickt das Geschehen als Souverän, verfügt über ein geschlossenes System von großteils selbstgeprägter Terminologie und zitiert sich in den Fußnoten meistens selbst. Er spricht in seinen sozialwissenschaftlichen Diagnosen gerne vom „Wir“ und versieht fast jeden seiner Sätze mit Kursivsetzungen einzelner Wörter, um die Lektüre zu leiten.
In den Auseinandersetzungen mit Theoretikern wie Foucault und Derrida wurde die Fragwürdigkeit einer solchen souveränen und, wenn man so will, herrschaftlichen Schreibweise, die dem Inhalt des Gesagten widerspricht und über ein Begriffssystem gebietet wie ein Lehnsherr über seine Ländereien, bereits vor vierzig Jahren diskutiert. Mit Blick auf die verzweigten und hierarchiearmen Kommunikationsweisen der digitalen Kultur von heute ist diese Position vielleicht noch etwas prekärer geworden. Auch wenn es zweifellos Bewunderung hervorruft, wenn sich ein Philosoph an diesem Punkt seines Lebens noch einmal in eine völlig neue, komplexe Gedankenwelt begibt.
Studien erkennen in der digitalen
Gegenwart eine Rückkehr
zur feudalen Öffentlichkeit
Großteils selbstgeprägte Terminologie: Jürgen Habermas in seinem Haus im Jahr 2009.
Foto: Regina Schmeken
Jürgen Habermas: Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit und die deliberative Politik. Suhrkamp, Berlin 2022. 108 Seiten, 18 Euro.
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»Man muss diesen medialen Blickrichtungswechsel bei Habermas als theoriepolitisches Ereignis betrachten ...« Peter Neumann DIE ZEIT 20220922