Marktplatzangebote
3 Angebote ab € 9,20 €
Produktdetails
  • Reclams Universal-Bibliothek
  • Verlag: Reclam, Ditzingen
  • Gewicht: 115g
  • ISBN-13: 9783150096505
  • Artikelnr.: 24339017
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.1997

Mit dem Atomdezimator philosophieren
Der beflissene Allzermalmer: Blumenbergs Welt zerfällt in kleinste Teilchen / Von Konrad Adam

Hans Blumenberg hatte die Absicht, zu der bekannten Reclam-Reihe über

die deutsche Gegenwartsphilosophie einen weiteren Band beizutragen. Nach seinem Tod im Frühling letzten Jahres ist daraus zwangsläufig eine Sammlung von Parerga und Paralipomena geworden, angereichert durch einige Essays, die schon vorher in verschiedenen Zeitungen erschienen waren. Die Stichworte im Inhaltsverzeichnis reichen von Endzeittümelei über Begriffsversagen zu den Schrecknissen der reinen Theorie, ein ziemlich weites Feld also. Thematische Zentren sind da nur schwer auszumachen, was eine Rezension, die ja doch instinktiv nach einem Ariadnefaden sucht, nicht eben leichter macht.

Will man ein solches Thema trotzdem nennen, kommt man auf so etwas wie lauter letzte Dinge, Fragen nach Gott und der Schöpfung, nach Raum und Zeit, nach Selbstverständnis und Unsterblichkeit. Die Großen der abendländischen Philosophie, allen voran Husserl mit seiner Phänomenologie, geben die Stichworte, an die Blumenberg mit seinen Zuspitzungen und Überbietungen anknüpft. Denn Blumenberg will weiter, weiter um jeden Preis. Letzte Antworten sind ihm schon deshalb suspekt, weil sie einen Ruhepunkt anbieten, wo für ihn die Bewegung erst losgeht. Fragen abzuschneiden, das sei die wahre Funktion von Letztbegründungen, heißt es in einem der Aufsätze. Und so etwas ist ihm von ganzem Herzen zuwider.

In der Tat, Letztbegründungen haben zwangsläufig etwas Tautologisches an sich. Blumenberg macht das am Beispiel Augustins deutlich, der auf die Frage, warum Gott Himmel und Erde geschaffen habe, die Antwort gab: Weil er es wollte. Blumenberg fährt fort: "Die fällige Frage: Warum gibt es überhaupt Gott? hat er nicht gestellt, aber darauf nur dieselbe Antwort geben können: Weil er wollte." Eine andere Auskunft ist auch gar nicht möglich; sich mit ihr zufriedenzugeben setzt allerdings metaphysische Neigungen oder die Fähigkeit zum Glauben voraus. Im einen Fall bescheidet man sich beim unbewegten Beweger, im anderen bei Gott als Ursprung seiner selbst: zwei Antworten, die gar nicht weit auseinander liegen. Aber Blumenberg genügen sie nicht. Er will keine Ruhe, schon gar nicht da, wo sie die gläubigen und die spekulativen Geister jahrhundertelang gesucht haben. Den Schutz, den die "Aura des Absoluten" zu bieten scheint, weist er selbstbewußt von sich. Was nicht bis an die Grenze geht, "aufs Äußerste also", kommt ihm wie eine halbe "und der Urheberschaft unwürdige Sache" vor. Weiter also, immer auf die Grenze zu. Nur daß auch Blumenberg die Grenze nie erreicht, ihr nicht einmal näherkommt, weil er es mit Fragen zu tun hat, die immer neue Fragen aus sich hervorbringen. Theologen und Metaphysiker haben das gewußt und deshalb, aus Einsicht also und nicht aus schierem Unvermögen, irgendwo Schluß gemacht. Wer das nicht will, dem bleibt nur die Flucht ins Gedankenspiel, ins Paradoxe und Absurde.

Etwa so: Für den paradiesischen Zustand des himmlischen Friedens hatte die Tradition das Bild von der Wiese bereitgestellt, auf der Wolf und Schaf zusammen weiden. Daß der Wolf in dieser Lage Gras fressen muß, stört Blumenberg. Um dem absehbaren Hungertod der Wölfe vorzubeugen, imaginiert er eine Bürgerinitiative von Tierschützern, die ihre Aufgabe darin sieht, Lämmer zur Fütterung der Wölfe herbeizuschaffen - "Lämmer von anderen Weiden", wie er mit einer weiteren Pirouette hinzufügt.

Solche Passagen, in denen die phantastische Logik von der Leine gelassen und die eine Originalität nur geäußert wird, um sie sogleich durch eine andere zu überbieten, finden sich überall. Es dauert dann nicht lange, bis man die Methode kennt und ihrer langsam überdrüssig wird. Je schneller Blumenberg sein Kaleidoskop vor den Augen des Lesers dreht und ihm immer neue Bilder vor Augen zaubert, desto deutlicher wird einem bewußt, daß man ja doch nur einem Spiel beiwohnt. Einem Spiel, das immer originell, gelegentlich auch unterhaltsam, aber wie alle Spiele ganz und gar unverbindlich ist.

"Was aus diesen Überlegungen oder Widerlegungen folgt, ist vor allem, daß wir zu nichts verpflichtet sind", heißt es in Blmenbergs persönlicher Futurologie. Seine Philosophie vermag anzuregen oder aufzuregen; allerdings nur durch die eiserne Konsequenz, mit der sie auf alles verzichtet, was nach Wirklichkeitskontakt aussehen könnte. Gewißheiten hat das Fach noch nie geboten, aber eben doch Regeln, Hinweise und Maßstäbe. Der Gott der Philosophen war der delphische Apoll, der nichts sagt und nichts verbirgt, sondern andeutet und Zeichen gibt. Und jedenfalls damit weiterhilft.

Hans Blumenberg ist auch das noch zuviel. Keine Hinweise zu geben, die Maßstäbe zu verweigern und alle Regeln als brüchig zu erweisen, ist seine eigentliche Kunst. Abgesehen vom selbstbewußten oder auch bloß selbstgefälligen Ich, das es in der sophistischen Kunst des In utramque partem disserere bis zur Perfektion gebracht hat, gibt es nichts, "kein Evoe, kein Requiem", und das Stichwort, das Gottfried Benn sich immerhin noch borgen wollte, natürlich auch nicht. Die Hoffnung, aus der Welt etwa Rechtes zu machen, hat Blumenberg längst aufgegeben. Aber zu Mephistos Konsequenz - drum besser wär's, das nichts entstünde - mag er sich auch nicht verstehen. Noch bevor der am anderen Ufer Halt suchen kann, schärft er dem Irrfahrer ein, die unverdiente Existenz dieser Welt bedeute keinesfalls, daß sie die Vernichtung verdiene. Nicht einmal das.

Blumenberg will sich heraushalten. Oder besser: Er mischt sich ein in der Absicht und mit der Empfehlung, sich herauszuhalten. Er möchte Zuschauer sein, am liebsten Zuschauer des Zuschauers: Das ist für ihn der wahre Platz des Philosophen, der die anderen in ihrem seltsam-befremdlichen Gebaren beobachtet. Dem Zuschauer der ersten Ordnung bleibt darauf nur die Antwort, daß er den Philosophen als bloßen Zuschauer nicht braucht und er auch ohne ihn recht gut fertig wird, vielleicht sogar noch etwas besser. Konsequent bis zum Letzten, würde Blumenberg dem Zuschauer darin beipflichten, denn der Beruf zur Philosophie erweist sich seiner Ansicht nach gerade in der Fähigkeit, auch ohne Philosophie auszukommen: "Wer ohne Philosophie nicht leben kann, ist kein Philosoph." Immerhin ein Ansatz, mit dem man es versuchen könnte.

Nietzsche wollte mit dem Hammer philosophieren und hat das ja auf seine Weise auch getan. Blumenberg arbeitet nicht mit dem Hammer, sondern mit dem Mikrotom, jenem technisch anspruchsvollen Präzisionsinstrument, das es erlaubt, aus vorbehandelten Präparaten allerfeinste Gewebeproben zu entnehmen. Die Welt zerfällt dabei in immer kleinere Partikel, die immer weniger über das verraten, um was es in der Philosophie doch eigentlich geht: das Leben. Aber die Eitelkeit des Philosophen ist befriedigt.

Hans Blumenberg: "Ein mögliches Selbstverständnis". Aus dem Nachlaß. Philipp Reclam Verlag, Stuttgart 1997. 219 S., br., 9,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr