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Diesem Buch liegt das überarbeitete und erweiterte Manuskript der Sendereihe zugrunde die in mehreren Rundfunkanstalten als 26-teilige Reihe ausgestrahlt wurde.Nicht um Wagners Werk und seiner Zeit geht es dem Autor offenbar, sondern vielmehr um die Beantwortung offener und brisanter Fragen der Wagner-Literatur einerseits und der Klärung von Mißverständnissen und Vorurteilen andererseits, immer mit Seitenblick auf Politik, Psychologie und Menschlich-Allzumenschliches als Ergänzung zu seiner (Scholz) erschienenen früheren Publikation, ein essayistisches Fazit der bisherigen Wagnerforschung…mehr

Produktbeschreibung
Diesem Buch liegt das überarbeitete und erweiterte Manuskript der Sendereihe zugrunde die in mehreren Rundfunkanstalten als 26-teilige Reihe ausgestrahlt wurde.Nicht um Wagners Werk und seiner Zeit geht es dem Autor offenbar, sondern vielmehr um die Beantwortung offener und brisanter Fragen der Wagner-Literatur einerseits und der Klärung von Mißverständnissen und Vorurteilen andererseits, immer mit Seitenblick auf Politik, Psychologie und Menschlich-Allzumenschliches als Ergänzung zu seiner (Scholz) erschienenen früheren Publikation, ein essayistisches Fazit der bisherigen Wagnerforschung (Zit.) der er sich verpflichtet fühlt, wie er im Vorwort ausführt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.1997

In fernem Land, unnahbar euren Schritten
Dieter David Scholz verschiebt Wagners Utopie vom Feld der Politik ins Reich der Kultur / Von Eleonore Büning

Dieses Wagnerbuch, eines aus dem jährlich fälligen Halbdutzend neuer Wagnerbücher, ist fast vierhundert Seiten stark, weil ihm, wie der Autor im Vorwort tönt, "meine erfolgreiche 26teilige Sendereihe zugrunde" liegt. Man blättert ergeben weiter, stolpert bald über kurzgehackte Sätze ohne Verben, über bekannte Adjektive ("brünstig") und allzubekannte Zitate ("Wer sich mit Richard Wagner abgibt, muß sich auf das Ganze einlassen", Hans Mayer). Denkt bei sich: typisch windige Funkware, klappt das Buch von Dieter David Scholz zu, legt es weg, ungelesen. Und schon hat man einen Fehler gemacht.

Manchmal trügt nämlich der Schein. Die anhaltende Aktualität Wagners ist ja auch nicht nur darauf zurückzuführen, daß allsommers zur Zeit der Hitzewelle ein fränkischer Familienclan den Frontverlauf seiner Erbfolgestreitigkeiten bekanntgibt. Vielmehr haften daran, verstrickt in Vita und Werk des Komponisten, zwei noch nicht abgegoltene Grundfragen dieses Jahrhunderts: die nach den gescheiterten Sozialutopien und die nach der Ungeheuerlichkeit des Holocaust. "Noch ist die Persönlichkeit nicht hinter das Werk zurückgetreten", bemerkte Pierre Boulez im Bayreuther Programmheft zum "Rheingold" anno 1976 - es fragt sich, ob sie das überhaupt sollte. Zwei Jahre nach dem als utopisch-politische Parabel aufgefaßten, spektakulären "Jahrhundertring" von Boulez und Chereau wies die Zeitschrift "Musikkonzepte" darauf hin, daß das eine vom anderen denn doch nicht zu trennen sei: "Daß Wagner Antisemit war, ist stets bekannt gewesen, so daß sich jeder ,Nachweis' erübrigen sollte", hieß es dort im Editorial, nun aber gelte es zu zeigen, daß "von Wagners Wahnsystem zur systematischen Mörderherrschaft und ihrem grausigsten Ergebnis, der Ausrottung des europäischen Judentums, eine beweisbare Linie führt."

Diese Linie zog die Zeitschrift in einer polemischen Debatte und neun Beiträgen nach, deren umstrittenster zweifellos Hartmut Zelinskys Aufsatz über den angeblich im "Parsifal" verborgenen Aufruf zur Endlösung war. Zelinsky wurde dann zwar widerlegt, und das alles ist bald zwanzig Jahre her. Trotzdem scheint es, als sei die Beweislage seither nicht besser geworden. Auch 1997 arbeiten wieder mindestens zwei neue Wagnerpublikationen - von Annette Hein über die "Bayreuther Blätter" und von Joachim Köhler über Wagner und Hitler - auf eben diesem schwankenden Terrain, mit Vermutungen, interessanten Assoziationen und schönen Zitaten. Das schönste, meistzitierte von Thomas Mann, es sei "viel Hitler in Wagner", ist in der Tat eine gute Schlagzeile. Was fehlt, ist das Kleingedruckte: der Nachweis, wo genau und wieviel.

Vor vier Jahren hat Dieter David Scholz eine Dissertation zum Thema "Richard Wagners Antisemitismus" vorgelegt. Er klärt darin erstens die Gerüchte über die angeblich jüdische Abstammung Wagners, widerlegt zweitens in Einzelanalysen zum "Fliegenden Holländer", zu "Parsifal", "Ring" und "Meistersingern" die von Paul Bekker bis zu Theodor W. Adorno tradierten Mutmaßungen über Judenkarikaturen in Wagners Musikdramen und untersucht drittens Wagners Schriften. Scholz kommt zu dem Ergebnis, daß "Wagners Antisemitismus sich grundlegend unterscheidet vom Rassenantisemitismus eines de Lagarde, Dühring oder gar Hitler". Angefangen bei gewissen jungdeutschen Sympathien für die Judenemanzipation über das infame Pamphlet gegen Meyerbeer und Mendelssohn bis hin zu den unter Einfluß Cosimas entstandenen Spätschriften sei Wagners Judenhaß ein Teil der Wagnerschen Kulturkritik und somit nur Kehrseite seines ästhetischen Programms: des Entwurfs des Gesamtkunstwerks. Wagners Antisemitismus stehe in engem Bezug zu seinen utopisch-sozialistischen Kunstschriften und sei, so Scholz, "zu einem Gutteil vorgefundener Marxscher Antikapitalismus". Im übrigen weist er darauf hin, daß die Losung, es führe ein gerader Weg von Wagner zu Hitler, zuallererst von den Nationalsozialisten selbst ausgegeben worden war.

Das ist kein Befund, mit dem man sich Freunde unter den eingeschworenen Antiwagnerianern machen könnte, ja, möglicherweise findet man damit sogar falsche Feinde unter den Wagnerianern. Allerdings wurde Scholzens Dissertation, in kleiner Auflage in einem Würzburger Wissenschaftsverlag erschienen, so gut wie nicht zur Kenntnis genommen, sie ist auch längst vergriffen. Da kommt es nun zur rechten Zeit, daß er seine Untersuchungen noch einmal vorlegt: um einiges erweitert und ins Panorama einer kritischen Wagnerbiographie gebettet, gefälliger und floskelreicher formuliert.

Scholz liebt Wagners Musik, er hat all seine sechsundzwanzig Rundfunkreden mit dem Furor eines Wagnerianers gehalten. Schriftlich nimmt sich das wunderlich aus: Die Seiten sind übersät mit Ausrufezeichen, der Stil ist superlativisch. Jedes Argument wird mehrfach gewendet und zwei- oder dreimal in immer noch stärkere Worte gefaßt. Zur Ermüdung der Leser: Schließlich ist eine Radiomoderation kein Essay und ein O-Ton kein Schriftdeutsch. Das zeigt sich in den letzten Kapiteln, die dem Bayreuth von heute gewidmet sind. Da kommt etwa Wolfgang Wagner, der "rüstige, hellwache und kerngesunde Wagnerenkel", zu Wort, lobt sich selbst über den grünen Klee und redet, wie ihm der Schnabel nun einmal gewachsen ist. Mündlich ist das, wie jeder weiß, der den Bayreuther Prinzipal einmal so richtig hat ausholen hören, erquickende Realsatire. Schwarz auf weiß bekommt es einen unguten Schatten von Hofberichterstattung.

Neue, über die Dissertation hinausgehende Ergebnisse gibt es nicht, nur Verschiebungen und Ergänzungen. Die gestrenge Cosima, die zu ihres sinnenfrohen Gatten Ärger an manchen Tagen ihr "katholisches Gesicht" trug, kommt schlechter weg bei ihrer unseligen Rolle als Begründerin des christlich-germanischen Wagnerkults. Neu geschrieben sind Kapitel über die Bayreuther Spätschriften, über die Beziehungen Wagners zu Schopenhauer, zu Nietzsche, Ludwig II., und die Werkrevue ist ergänzt durch "Tristan" und "Rienzi".

Das pompöse, Meyerbeers "Grande Opéra" in den Schatten stellende Spektakel des "Rienzi" hatte bekanntlich für den siebzehnjährigen Hitler, als er es zum ersten Mal in Linz hörte, Initialfunktion. Hitler identifizierte sich mit dem charismatischen Volkstribun, und zwar in "Blindheit gegenüber Wagners Botschaft" (Scholz). Denn Rienzi, der vom Volk an die Spitze des Staates katapultierte Sozialrevolutionär, erliegt den Verlockungen der Macht und scheitert schließlich - eine "Utopie als Illusion mit zerstörerischen, selbst- und volksmörderischen Folgen". Man kann dagegenhalten, daß jede Identifikation sich nur holt, was sie braucht. Eindrücklicher als die Moral von der Geschicht' mag für den jungen Mann der diffuse Aufruhr der Gefühle gewesen sein angesichts des brennenden Kapitols, unter dem der Held - denn als Held geht Rienzi zugrunde - mit Getöse begraben wird. Überhaupt ist die Gemütserweichung durch Musik allemal stärker als der dürre Buchstabe von Textbüchern oder musikästhetischen Schriften. An diesem Punkt, zeigt sich, klebt auch bei diesem wichtigen Wagnerbuch wieder das Lindenblatt.

David Scholz: "Ein deutsches Mißverständnis". Richard Wagner zwischen Barrikade und Walhalla. Parthas Verlag, Berlin 1997. 384 S., 27 Abb., geb., 59,80 DM.

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