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"Die Aprikosenbäume gibt es." Mit diesem Satz beginnt Inger Christensen die Benennung der Welt, die Inventarisierung des Vorhandenen. Und setzt nochmals nach: "Die Aprikosenbäume gibt es." Wer in so klaren, einfachen Sätzen spricht, der ist, so Peter Waterhouse einmal, in die Komplexität der Welt verwoben - und vielleicht ihrer Unlesbarkeit am nächsten. Unter den Texten Christensens liegt ein präziser Grundriß, darüber wachsen sie, gleichsam organisch. Berühren einander, wie die Dinge einander berühren und die verschiedenen Weisen, um sie zu wissen; die Grenzen zwischen Poesie, Religion,…mehr

Produktbeschreibung
"Die Aprikosenbäume gibt es." Mit diesem Satz beginnt Inger Christensen die Benennung der Welt, die Inventarisierung des Vorhandenen. Und setzt nochmals nach: "Die Aprikosenbäume gibt es." Wer in so klaren, einfachen Sätzen spricht, der ist, so Peter Waterhouse einmal, in die Komplexität der Welt verwoben - und vielleicht ihrer Unlesbarkeit am nächsten. Unter den Texten Christensens liegt ein präziser Grundriß, darüber wachsen sie, gleichsam organisch. Berühren einander, wie die Dinge einander berühren und die verschiedenen Weisen, um sie zu wissen; die Grenzen zwischen Poesie, Religion, Philosophie sind durchlässig geworden. Es ist eine Dichtung über weite Zeiträume hinweg, unabschließbar, eine der Euphorie, die mit leiser Trauer grundiert ist, eine, die das Lebensrätsel berührt und begreiflich machen will, "wie unfaßbar und einfach in einem es ist".
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.1997

Elixier gegen die Angst
Inger Christensens Hauspostille / Von Hans-Herbert Räkel

Unveröffentlichtes findet sich zwar nicht in dieser "Auswahl ohne Anfang ohne Ende" aus dem poetischen und kritischen Werk der dänischen Dichterin Inger Christensen. Aber dank dem Geschick des Herausgebers Peter Waterhouse ist diese Blütenlese doch beinahe ein neues Werk geworden, welches das poetische Programm der Autorin interpretierend fortschreibt. Dabei tritt genau jener Zug deutlicher hervor, der in früheren Kritiken nur etwas verschämt zur Sprache kam, der aber beim Erscheinen ihres Sonettenkranzes "Das Schmetterlingstal" (1996) von Joachim Sartorius in den prägnanten Satz gefaßt worden ist: "Wir erfahren beim Lesen, im Lesen, daß die Kunst in der Tat das Verlorene zu retten vermag."

Mit zwei Dutzend Fragen umkreist der Herausgeber in seinem Nachwort das dialektische Mysterium von Anfang und Ende. Der Zyklus "Alphabet" von 1981 (auf deutsch zuerst 1988 veröffentlicht) beginnt mit einem Gedicht aus einem einzigen Vers ("die Aprikosenbäume gibt es, die Aprikosenbäume gibt es") und symbolisiert Unendlichkeit durch die kräftig steigenden Verszahlen der nach dem Alphabet gereihten Gedichte. Die Dichterin selber bricht den Zyklus mitten im Buchstaben N ab - in dieser Auswahl versiegt er schon im Buchstaben K. Das "Alphabet" ist also hier ganz besonders "unvollzählig", was den Herausgeber zu der tiefsinnigen Frage inspiriert: "Oder ist ein besseres Wort als unvollzählig unsterblich?" Er zögert nicht, diese Frage positiv zu beantworten: "Das ist eine Religion, eine Re-membrierung."

Auch die Anthologie selber ist eine Re-membrierung, bei der die früher von Hanns Grössel ins Deutsche übertragenen und im Verlag Kleinheinrich in Münster veröffentlichten poetischen Texte wie "Brief im April" (1990), "Alphabet" (1988), "Es" (1995, gedichtet 1969) und das "Gedicht vom Tod"(1991) als Glieder in einen neuen Organismus eingehen, wo sie durch poetologische und kritische Fragmente - die meisten aus "Teil des Labyrinths" von 1993 - wie durch Gelenke verbunden werden.

Unter der kräftigen Führung des Herausgebers kann man den Sinn nicht verfehlen: Diese Poesie ist ein Elixier gegen die Angst. So steht es gleich auf der ersten Seite, und als Erbin Kierkegaards philosophiert Inger Christensen im evangelischen Predigtton manchmal auch, wenn sie dichtet, jedenfalls in der deutschen Übersetzung: "Worte könnten es sein / die der Welt / Gnade brächten / die Angst formulierten / so daß jeder einzelne / in seiner Angst / wüßte daß er zwar / allein in der Welt ist / zwar allein ist / mit seiner Angst / aber nie allein / mit seinem eignen Bewußtsein / von der Angst". Im "Brief im April" wird die Angst sofort transzendiert durch die Frage: "Wer weiß, / ob nicht der Tod / bei sich selbst weiß / daß er / anders heißt." Wenn wir also dem Tod und allem auf die Spur kommen wollen, gibt es nur den Weg der wahren Wörter: "alles zurück / in sich selbst / zu übersetzen", denn die "ungeteilte Ganzheit des Universums" verbürgt, "daß die Dinge / ihre eigene / deutliche / Sprache / sprechen."

In dem poetologischen Essay "Die Seide, der Raum, die Sprache, das Herz" wird das Mysterium dieser Ding-Sprache beim Namen genannt: die Rückkehr zum scholastischen Realismus des frühen Mittelalters, der davon überzeugt war, daß nicht den Dingen, sondern den Ideen Realität zukomme und daß die Ideen vor den Dingen waren: "Welches Mysterium? Vielleicht dies, daß die Formen vorher in der Welt existieren." Darum läßt sich von den Wörtern sagen: "eigentlich sind sie immer in Ordnung, sozusagen bei ihren Phänomenen zu Hause". Ist es dieses Sprachvertrauen, das in den kritischen "5 25 winterlichen Notizen für ein Sommerprojekt" neben ironischen Zitaten des Gesetzbuches und Aphorismen à la Brecht ("Warum sollen wir für die Nachfahrn etwas tun, sie haben nichts für uns getan") auch ganz pastorale Losungen produziert: "Man kann sich so lange an das Böse gewöhnen, daß man findet, das Böse sei gut."

Dichter und Dichterinnen lesen in fremden Gedichten gern ihr eigenes poetisches Programm. Auch Inger Christensen findet auf subtile Weise das ihre in ihrer erinnernden Wiedergabe von Johannes Ewalds Ode an die Seele. Die siebzehn reimlosen alkäischen Strophen des 1781 gestorbenen Dichters, ganz nach der Art, die Klopstock nur wenige Jahre vorher in die deutsche Literatur eingeführt hatte, versieht sie paarweise mit einer kurzen Betrachtung. In den so entstehenden acht kleinen Skizzen hat der Übersetzer den dänischen Originaltext nicht getilgt, sondern seine genaue Prosaübersetzung danebengestellt. Im klopstockischen Pathos der metrisch gebändigten Verse spürt Inger Christensen, daß Ewalds "Sprache - jetzt, zweihundert Jahre danach - weiterhin Kräfte träumt". Hat er nicht beinahe geleistet, was sie sich immer wieder vornimmt: in Worten das Bild einer Seele zu zeichnen, "die sich tatsächlich selbst an den Haaren hochzieht"? Er glaubte freilich ganz einfach an Gott, während Inger Christensen ihn am liebsten beweisen würde.

Inger Christensen: "Ein chemisches Gedicht zu Ehren der Erde. Auswahl ohne Anfang ohne Ende". Hrsg. von Peter Waterhouse. Aus dem Dänischen übertragen von Hanns Grössel. Residenz Verlag, Salzburg und Wien 1997. 160 S., geb., 40,80 DM.

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