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Erstmals seit achtzig Jahren liegt mit Günther Schiwys Buch wieder eine umfassende Eichendorff-Biographie vor. Sie beschreibt das Leben des bekanntesten deutschen Romantikers im Kontext von Gesellschaft und Kultur der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der Autor frisch-fröhlicher Wanderlieder und scheinbar weltferner Novellen und Romane erweist sich hier als Schöpfer eines anspruchsvollen, weitgespannten literarischen Werkes, in dem sich nicht zuletzt Eichendorffs Leben und seine Zeit spiegeln. Die Beschwingtheit des "?Taugenichts"? und der berühmten Wanderlieder läßt nicht ahnen, wie mühsam…mehr

Produktbeschreibung
Erstmals seit achtzig Jahren liegt mit Günther Schiwys Buch wieder eine umfassende Eichendorff-Biographie vor. Sie beschreibt das Leben des bekanntesten deutschen Romantikers im Kontext von Gesellschaft und Kultur der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der Autor frisch-fröhlicher Wanderlieder und scheinbar weltferner Novellen und Romane erweist sich hier als Schöpfer eines anspruchsvollen, weitgespannten literarischen Werkes, in dem sich nicht zuletzt Eichendorffs Leben und seine Zeit spiegeln. Die Beschwingtheit des "?Taugenichts"? und der berühmten Wanderlieder läßt nicht ahnen, wie mühsam das Leben des Freiherrn Joseph von Eichendorff (1788-1857) in Wirklichkeit gewesen ist. Die Kindheit in Schlesien war überschattet vom elterlichen Bankrott. Die Studienjahre in Breslau, Halle, Heidelberg und Wien waren Hungerjahre. Eine Militärkarriere in den Befreiungskriegen scheiterte an fehlender Ausrüstung. Der preußische Beamte Eichendorff wurde zum Spielball politischer Intrigen und mußte sich über ein Jahrzehnt als ministerieller "Hilfsarbeiter" verdingen. Enttäuscht ließ er sich vorzeitig pensionieren und kehrte, resigniert, nach Schlesien zurück. Ein "?Zu spät"? scheint dieses Leben wie ein roter Faden zu durchziehen. Doch trotz der widrigen Lebensumstände gelang es Eichendorff, Novellen, Romane und Gedichte zu schaffen, die ihn bis heute zum bekanntesten Dichter der deutschen Romantik machen. Günther Schiwys Werk zeigt Eichendorff in neuem Licht: Der katholisch-konservative Biedermann erscheint als kämpferische Persönlichkeit, die mit dem "Säbel-" und "?Pöbelregiment" der Zeit scharf ins Gericht ging und in religiösen wie politischen Fragen durchaus progressive Ansichten vertrat. Eindringlich und quellennah schildert es den Dichter Eichendorff in seiner Zeit und zeichnet zugleich das Bild eines Schriftstellers, den es für unser Jahrhundert neu zu entdecken gilt.

Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.11.2000

Verliebt in die jungfräuliche Schöne des reichen Lebens
Günther Schiwys große Biografie des Poeten, Beamten und Zeitgeist-Kritikers Joseph Freiherr von Eichendorff
„Was gewesen ist”, hielt der oft schlecht gelaunte Arthur Schopenhauer einmal fest, „das ist nicht mehr; ist ebensowenig wie das, was nie gewesen ist. Aber alles, was ist, ist im nächsten Augenblick schon gewesen. Daher hat vor der bedeutendsten Vergangenheit die unbedeutendste Gegenwart die Wirklichkeit voraus. ” Die Wirklichkeit aber, das hatte sich der im selben Jahr (1788) wie der Philosoph Schopenhauer geborene Dichter Joseph von Eichendorff, den es als Poet in den Öffentlichen Dienst verschlug, oft genug klarmachen müssen, kann kein Wert an sich sein: Sie ist unzulänglich, sie bedarf der Auskleidung durch unsere höheren Gedanken und Träume. Und mit Schopenhauer, aber gläubiger als dieser, der weltanschaulich nicht über die Rolle eines mit allen Wissenswassern gewaschenen Berufspessimisten hinauskam, hielt sich Eichendorff an eine Einsicht, die der Philosoph so formuliert hat: „Wir würden vielleicht beim Anblick dieses Ablaufens unserer kurzen Zeitspanne rasend werden; wenn nicht im tiefsten Grunde eines Wesens ein heimliches Bewußtsein läge, daß uns der nie zu erschöpfende Born der Ewigkeit gehört, um immerdar die Zeit des Lebens daraus erneuern zu können. ”
Diese Erkenntnis, die eigentlich ja nicht mehr als eine wohltuende Vermutung ist, passte zu Eichendorff; er bezog daraus ein Selbstwertgefühl, das dem eigenen Ich zwar weniger zutraute als göttlicher Amtshilfe, sich unter Fehlschlägen aber auch nicht kleiner machte als unbedingt nötig. Er wusste, dass er, wie sein „Taugenichts” fast immer „zu spät” kam; die gewöhnlichen Erfolgsgeschichten waren da längst geschrieben, die Ruhmesblätter verteilt, und für das große Wort, das im Umkreis von Erfolg und Ruhm geführt wird, taugte er ohnehin nicht. Vielleicht hat es damit, mit einer von allen Überheblichkeiten freigehaltenen Existenz zu tun, dass Eichendorff erst nach seinem Tode jene Wertschätzung erfuhr, die man ihm heute – da er vor allem der geheime oder gar nicht mehr so geheime Liebling seiner Kollegen, der Dichter, ist – gerne zugesteht.
Dass ein solches unspektakuläres Leben dennoch ergreifende Ergebnisse zeitigen kann, davon berichtet Günther Schiwys Eichendorff-Biografie, die das schließt, was Verlagsstrategen lieb und teuer ist: die Marktlücke, in die, im Idealfall, ein mit Bedacht konzipiertes Buch passt. Diese Eichendorff-Biografie, in die der Autor viel Arbeit und beträchtliche Zuneigungen investiert hat, ist mit Bedacht, mit Blick auf eine tatsächlich vorhandene Lücke konzipiert: Lange Zeit nämlich hat es keine Lebensbeschreibung von Eichendorff gegeben, schon gar keine, die dem Porträtierten auf mehr als 700 Seiten in bester Absicht nachzusteigen vermag; der letzte Versuch mutete vergleichsweise asketisch an: eine sehr lesbare rororo-Monografie von Paul Stöcklein (1963).
Schiwys Verdienst ist es, dass er Eichendorff als Gesamtpersönlichkeit vor uns erstehen lässt. Nicht nur der sogenannte Romantiker, der Autor so vieler wunderbar einfacher, zu Herzen gehender Gedichte und Prosastücke, wird vorgestellt, sondern auch der Essayist, der Romancier, der Zeitgeist-Kritiker Eichendorff, der den Gefühlsüberschuss der deutschen Romantik, die von Anfang an Gefahr lief, sich zu ihrer eigenen Kultveranstaltung aufzubauen, schon frühzeitig mit feinem Spott bedachte. Überdies tritt der Brotberufler und Familienvater Eichendorff auf, ein genau arbeitender, maßvoll unglücklicher Beamter, dem eine anständige Karriere verwehrt wurde und der dafür allerlei administrative Zuträgerdienste und Begutachtungen erledigen durfte. Was der Beamte Eichendorff, der träumerisch veranlagte Jurist, sich in sein sparsam ausgestattetes Dasein holte, war Leuchtkraft von außen: Er hielt sich an die „versunknen schönen Tage”, die in seiner Kindheit ausgestreut wurden, aber wiederverwendbar blieben für ein ganzes Leben.
Hauptsitz der dazugehörigen wehmütigen Bilder war das elterliche Schloss Lubowitz (Lubowice), in der Fantasie ein herrlich verwunschenes Anwesen inmitten großzügiger Gärten und scheinbar unberührter Natur, in Wirklichkeit jedoch eines der Pleite-Güter, die Eichendorffs Vater, ein Großgrundbesitzer mit Begabung zu stilvoller Misswirtschaft, immer wieder an den Rand des Ruins brachten. Aus Lubowitz wehten die alten Klänge herüber, auch wenn der, der sie zu hören verstand, längst ganz woanders war: Lieder der Ferne, Stimmen der Nacht und der Träume – so als sei das Leben bemessen vor allem als heitere Andacht und zur Bestätigung einer einzigen, unwiderlegbaren Ahnung. Im Herbst 1839 notierte Eichendorff, was sich ihm als unauslöschliches Bild seiner Kindertage eingeprägt hatte: „Kindisch lag ich im Lubowitzer Garten im Schatten in der Mittagsschwüle und sehe die Wolken über mir und denke mir dort Gebirge und Inseln mit Schluchten (oder im Frühling im Garten und sehe ins Tal hinab, es ist so ein wunderlicher Abend, die Sonne ist schon untergegangen, aber der Strom leuchtet noch). Da geht unsichtbar ein leises Rauschen durch den Garten (oder durch die Felder), die Blumen und Ähren neigen sich leise; mich schauert – es war die Muse, die lächelnd vorüberging, Garten und Täler beleuchtend, ich war ihr noch zu kindisch , und ich schlummerte ein, träumend von künftigen Liedern. ”
Das Alte war eingerissen . . .
Die künftigen Lieder kamen dann, flogen ihm zu, und er gab ihnen, leicht, wie es schien, aber fast immer unter erschwerten Bedingungen, ihren unverwechselbaren Klang. Der Versuchung, seinen sorgsam gehegten Kindertraum, dieses „idyllische Faktum”, als poetisch-ergiebige Endlosvariation durchzuspielen, ist Eichendorff dennoch nur selten erlegen, dazu war er, der fantastische Beamte, zu sehr Realist. Er wusste, dass die selbstherrlich bewachte Welt seiner Jugend zum Untergang verurteilt war; sie ließ sich nicht halten, stand nur noch bereit zur Erinnerung, Verdammung oder Verklärung. „Die Revolution”, schrieb der alte Eichendorff später, „da sie die materialistischen und humanistischen Ideen bis zu ihren letzten Konsequenzen auf die äußerste Spitze trieb, verachtete sich selbst. Es war der toll gewordene Materialismus. Das Alte war eingerissen Es mußte also notwendig etwas ganz Neues hervorgebracht werden. Aber woher sollte das kommen? Daher das verzweifelte Experimentieren bis auf den heutigen Tag. ”
Auch ihn bringt uns Schiwy näher: den kritischen, wirklichkeitsnahen Eichendorff, einen hellsichtigen Dichter und Denker, der Abstand hielt zu den Philosophen seiner Zeit, im besonderen zu den Herren Fichte, Hegel und Schelling, die sich als Hochseilartisten des Geistes so geistreich gaben, dass der Geist, den sie riefen, schließlich sein eigenes, kopflastiges Reich ausrufen musste. Ihnen hält er vor, dass sie, in ihrem „Vornehmtun gegen Gott”, alles „besser wissen wollen” und dabei nicht einmal sagen können, „woher und wohin. Elende Ignoranten!”
Ja, die Gottesfrage: Sie hat Eichendorff nicht losgelassen, und sie ist, bis auf den heutigen Tag, das Unzeitgemäße an einem wieder zeitgemäßen Dichter Eichendorff geblieben. Auch von ihr spricht Schiwys Biografie, und sie tut es respektvoll und einfühlsam. Überhaupt geht der Autor liebevoll mit seinem Dichter um, ohne sich deshalb zur Kameraderie hinreißen zu lassen, die ja eine Art Schreibvirus ist, der gern aus der Biografie auf den Biografen überspringt, sofern sich der nicht resistent zeigt. Schiwy gibt dem Freiherrn von Eichendorff Raum, lässt ihn zu Wort kommen, bietet Fakten und Deutungen an, die bekannten ebenso wie die weniger bekannten, und er erzählt ein Leben, das auch im fortgeschrittenen Alter noch wahrhaft jugendbewegt war. „Das Herz weit und hoffnungsreich”, schrieb der alte Eichendorff und hätte doch ausufernde Notizen zur fatalen Unergiebigkeit des Daseins aufs Papier werfen können, „das Auge weit und fröhlich, ernste Treue erfrischend über mein ganzes Wesen, so ist mein Sein, ich möchte fast sagen, mein Verliebtsein in die unvergänglich jungfräuliche Schöne des reichen Lebens. ”
Dass wir uns an Eichendorff nicht nur erinnern, sondern ihn wieder lesen sollten, auch das ist aus Günther Schiwys kenntnisreichem Buch zu lernen. Der Freiherr von Eichendorff nämlich, der ein nahezu unvergleichlicher Dichter war, kann uns auch heute noch, in eher amüsierträchtiger denn freudiger Zeit, „die tiefsten Seiten unseres Lebens erschließen” (Theodor Fontane); in ihrer „kristallhaften Wahrheit” (Heinrich Heine) sprechen sie zeitloses Befinden des Menschen an, seine Sehnsüchte und Erwartungen, sein Glück, seine Wehmütigkeit und namenlose Trauer, die ihn immer wieder davontreiben und heimkehren lassen, so wie „die Wandervögel in der Nacht über den Garten ziehn , durch den ungewissen, unermeßlichen Himmelsgrund fort nach den fernen, seligen Inseln”.
OTTO A. BÖHMER
GÜNTHER SCHIWY: Eichendorff. Eine Biographie. Verlag C. H. Beck, München 2000. 736 Seiten, Abb. , 68,50 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.10.2000

Das freudige Wedeln der Bewußtlosigkeit
Das Leben des Freiherrn von Eichendorff / Von Hermann Kurzke

Eichendorff war Beamter, Familienvater, Kirchgänger. Aber er träumte von Freiheit und Faulheit, von Mädchen und hüteschwenkenden Studenten in der Morgensonne. Er verspottete die Seßhaften und schwärmte von den Taugenichtsen. Aber war er nicht in Wirklichkeit ein Philister? Er dichtete das Lied von den zwei Gesellen, deren einer ein Liebchen fand und ein Haus bezog; er "wiegte bald ein Bübchen, / Und sah aus dem heimlichen Stübchen / behaglich ins Feld hinaus". Dem zweiten Gesellen aber "sangen und logen / die tausend Stimmen im Grund, / verlockend' Sirenen, und zogen / ihn in der buhlenden Wogen / farbig klingenden Schlund". Eichendorff hatte seine Entscheidung getroffen. Er ist drei Jahre verheiratet, als er das schreibt, und hat zwei Kinder. Er hat sich gegen die Romantik entschieden und vor dem farbig klingenden Schlund gehütet.

Günther Schiwy verzichtet darauf, das Leben kritisch gegen das Werk zu wenden. Seine überaus sorgfältige Biographie stellt die Eichendorff-Legende zwar in vieler Hinsicht in Frage. Sie zerstört viele Mythen durch penible Genauigkeit, aber sie stellt sich dem nicht, was sie damit anrichtet. Sie ist von Liebe zu Eichendorff erfüllt und will einen großen Deutschen zeigen, eine Vorbildfigur; aber etwas ähnlich Starkes wie die frühere Glorifizierung vermag sie nicht zu entwickeln, der wissenschaftlich geprüfte Eichendorff gerät ziemlich gewöhnlich. Das alte deutschnationale Bild vom fröhlich dahinsprengenden Lützower Jäger, vom idealistischen Taugenichts mit seiner Violine, dem deutschen Menschen par excellence, wie noch Thomas Mann ihn sah - die Gegenfigur zum französischen Rationalismus und zum britischen Ökonomismus; dieses Bild will Schiwy zwar bekämpfen, aber indem er uns statt dessen einen bemühten Beamten, guten Familienvater und gemäßigten Liberalen präsentiert, geht die Romantik zugrunde. Mit Erschrecken fast nimmt man wahr, wie viele Gedichte Eichendorffs sich autobiographisch lesen lassen und wie banal sie dann werden. Diese Biographie erklärt uns den Philister Eichendorff, nicht den Romantiker.

So genau wie nie können wir nun seine unauffällige Juristenausbildung, seine ruhmlose Offizierskarriere und seine bescheidene Beamtenlaufbahn verfolgen. So genau wie nie werden wir auch über die Vermögensverhältnisse der Familie informiert. Wer noch glaubte, es seien Folgen der Revolution gewesen, die das Kindheitsparadies Schloß Lubowitz verlorengehen ließen, der hat zur Kenntnis zu nehmen, daß die Spekulationssucht des Vaters dafür verantwortlich ist, daß eine ursprünglich reiche Familie durch ungeschickte Finanzoperationen zugrunde gerichtet wurde. Der Vorgang währte Jahrzehnte; bis 1818 konnte das Konkursverfahren hinausgezögert werden. Eichendorff mußte den preußischen Staatsdienst wählen, weil er seine Familie sonst nicht hätte ernähren können.

Eine wirklich einflußreiche, gutbesoldete Stellung hat er jedoch nie erreicht. Die Lubowitz-Nostalgie seines dichterischen Werkes entsteht vor dem Hintergrund eines frustrierenden Brotberufs. Zwar gestattete man dem Beamten, sich mit "romantischen" Themen zu befassen, mit der Geschichte der Marienburg oder mit dem Kölner Dombau, doch waren das Ämter jenseits der wirklichen Macht. Eichendorff war nie ein Machtmensch. Bereits mit 56 Jahren verlor er das Interesse an seinem Beruf und ging in Pension.

Carl Schmitt meinte 1919, daß der Romantiker der Wirklichkeit ausweiche, sie durch seine Träume paralysierte. Er male sich tausend Möglichkeiten aus, scheue aber die eine Wirklichkeit. Das Dichten Eichendorffs ist ein träumerischer Ersatz für jenes große Leben, das zu finden ihm nicht gelang. Nicht Ausbildung und Intelligenz fehlten ihm dazu, sondern Wille, diplomatisches Geschick und Durchsetzungskraft. Bei Fichte hatte er den steilen Satz exzerpiert: "Jeder Mensch kann, was er soll, und wenn er sagt: ich kann nicht, so will er nicht." Eichendorff aber konnte nicht. Er war weich, gutmütig, wollte niemandem weh tun. Er liebte nicht zu streiten. Er mochte weder Herwegh noch Heine, weder Hegel noch Marx, aber sich mit ihnen ins intellektuelle Getümmel zu stürzen war seine Sache nicht. Die Hegelianer waren frech zu ihm - als "erkenntnisloses Herumtappen" verspotteten sie den "Taugenichts" und stichelten etwas vom "freudigen Wedeln der thierischen Bewusstlosigkeit". Eichendorff schluckte das hinunter, wehrte sich allenfalls mit vieldeutigen Anspielungen in seinen Dichtungen. Wir haben zwar von ihm allerlei gut geschriebene Stellungnahmen, etwa zu Kirchenfragen oder zur Revolution von 1848, aber die meisten verlassen entweder den Amtsstubenbereich nicht oder nicht den des Hauses, bleiben privat und werden erst postum veröffentlicht. Zu vielen drängenden Fragen - zur Industrialisierung, zum Proletarierelend, zum Weberaufstand - schwieg er überhaupt. Den vielen Besserwissern seiner Zeit antwortete er still: "Es steht in Gottes Hand, die niemand wendet." Das genügte ihm.

Auch der "Lützower Jäger" ist ein von vorne strahlender Mythos mit schäbiger Rückseite. Eichendorff gelang es nicht, zum Krieger zu werden. Er war zwar eine Weile dabei, erlebte das Freikorps aber nur auf dem Rückzug, bemüht, die Berührung mit dem Feind zu vermeiden. Seine Dichtungen zeigen den Krieg als ein fröhliches Jagen mit Hörnerklang und Pulverblitz und Heldentod. Eichendorff lief ihm nach, diesem Krieg, aber verfehlte ihn ständig auf eine fast tragikomische Weise. Nicht eine Schlacht hat er mitgemacht von 1813 bis 1815, wo es doch so viele Gelegenheiten gab. Nur der Kasernenhof war ihm beschieden und einige anstrengende Märsche zu Truppenverlegungszwecken.

Die nächste Legende ist die vom Romantiker der Liebe. Der das Lied vom zerbrochenen Ringlein dichtete, der sollte doch wohl Erfahrungen mit Untreue haben? Schiwy hat sich viel Mühe gegeben, die vielen kleinen Äugeleien des jungen Barons zu rekonstruieren. Wir lernen das Carolindel kennen, das den Sechzehnjährigen bezauberte, dann eine Philippine, ein Käthchen und schließlich die schlimme Madame Hahmann, mit der es so weit kommt, daß er sie gar in seinen Handschuhen findet, daß er mit ihr auf dem Canapé Tabak raucht, ja, daß er sie schaukelt im Garten "hinten mit guten Ansichten". Harmlosigkeiten dieser Art reichen aus, um die Entscheidung zwischen der leichtlebigen Hahmann und der treuen Verlobten Louise von Larisch als eine Entscheidung "gegen Venus für Maria" erscheinen zu lassen. Boten die dämonischen Frauenfiguren des dichterischen Werks der Phantasie reichen Raum, in den jeder Leser seine eigene Erfahrungen mit dämonischen Frauen eintragen konnte, so erbringt die biographische Recherche nun eine nüchterne Realität. Offenbar war Eichendorff ein ziemlich braver Junge, der sehr vorsichtig mit kleinen Feuerchen spielte, wenn er Gelegenheit dazu hatte, aber sich mit einundzwanzig bereits mit seiner Louise verlobte. "Wecke nicht die Zauberlieder / in des Venusberges Schoß", ruft er sich zu. Und gehorcht.

Eine große, vielleicht auch leise homoerotisch getönte Versuchung ging von einem Freunde aus, dem Grafen Otto Heinrich von Loeben, dem Meister eines wenig geerdeten Jüngerkreises, der das Programm des Novalis, die Poetisierung der Welt, umzusetzen sich vorgenommen hatte. Als Dichter nannte Loeben sich hochtrabend "Isidorus Orientalis". Dem Freunde verlieh er den Namen "Florens", und zeitweise standen sie so eng zueinander, daß Clemens Brentano spottete, sie hätten zu zweit nur einen Rock. Gegen Loeben wie gegen die übrigen begabten Exzentriker der romantischen Bewegung mußte Eichendorff sich, nach Jahren schwärmerischer Bewunderung, irgendwie behaupten. Das gelang ihm schließlich, weil er, anders als sie, geerdet war, kein Mystiker, sondern ein bodenständiger Landbaron. Hatte er sich als Student noch die eine oder andere Verrücktheit geleistet - er pflegte eine zahme Schlange in der Brusttasche zu tragen -, so distanziert er sich auf die Dauer fast vollständig von den Verstiegenheiten der intellektuellen Romantik, um sich statt dessen der katholischen Bewegung zur Verfügung zu stellen. Die Romantik, wird er im Alter pointiert behaupten, sei ohnehin nichts als Heimweh nach der katholischen Kirche gewesen.

Daß er seinen Stil nicht ändert, auch als draußen die Luft des Vormärz weht, und man seinen Gedichten nicht ansehen kann, ob sie von 1808 oder von 1838 sind, das gehört zu den großen Rätseln, die auch nach der Lektüre dieser Biographie ungelöst bleiben. Freilich ist die Quellenlage mager, perforiert durch Verluste, Fremdzensur und Selbstzensur. Eichendorff war zu demütig, um sein Leben zu dokumentieren. Er nahm sich selbst nicht wichtig genug dazu. Er war ein Wegwerfer, kein Aufheber. Für einige Zeiträume stehen Tagebuchnotizen zur Verfügung, für einige hat man Briefe (ganze zweihundert aus fünfzig Jahren). Dazu kommen Erinnerungen von Zeitgenossen, wenige autobiographische Aufzeichnungen und das dichterische Werk. Schiwy hat alles Erreichbare zusammengetragen und mit imponierender Detailkenntnis um das angereichert, was die Geschichtswissenschaft zu ergänzen weiß. Er hat eine seriöse Arbeit geliefert, ohne Zweifel. Aber etwas schwer Definierbares fehlt. Er weckt die Zauberlieder nicht. Er behauptet, Eichendorff sei von Natur aus Romantiker, als ob es derlei gäbe. In Wirklichkeit bleibt er uns genau dieses schuldig, die Erklärung, warum der gutherzige Baron Eichendorff ein Romantiker wurde, und ein bedeutender dazu.

Die wichtigsten Erlebnisse der Menschen hinterlassen oft die wenigsten Dokumente. Was diesen Mann geformt hat, ihn befähigt hat zu einem literarischen Werk von erstem Rang und unergründlicher Seelentiefe, das geht offenbar aus den erhaltenen Quellen nicht hervor. Man muß es zwischen den Zeilen suchen. Man kommt nicht aus ohne Vermutung, Hypothesen, Konstruktionen - nicht aus ohne Phantasie. Schiwy breitet zuverlässig alle Quellen aus, ob wichtig oder nicht, illustriert manche Monate minutiös und andere, wo es an Zeugnissen fehlt, überhaupt nicht. Für die zehn Jahre von 1805 bis 1815 (die interessantesten, zugegeben) verbraucht er rund dreihundert Seiten, während er für die nächsten vierzig Jahre zusammen mit gut 250 auskommt. Aber muß nicht der Biograph auch ergänzen? Das Leben Eichendorffs ist ein Puzzle, von dem vier Fünftel der Steine verlorengegangen sind. Schiwy setzt das letzte Fünftel zusammen und beschreibt sorgfältig die einzelnen Steinchen, ist aber zu gewissenhaft, um die vier fehlenden Fünftel zu imaginieren. Prähistoriker pflegen aus ein paar Knochen ganze Kulturen zu rekonstruieren. Schiwy zeigt uns nur die Knochen und verzichtet darauf, eine ganze und runde Gestalt zu entwerfen. Man kann auch sagen, er verzichtet auf einen neuen Eichendorff-Mythos. Je nach Standpunkt kann man ihn dafür loben oder tadeln.

Eine synthetische Perspektive besteht am ehesten noch im Hinblick auf das Thema Religion. Daß Eichendorff ein frommer Mann war, ist bekannt. Schiwy verfolgt genau und mit Sympathie, wie der junge Baron nach kurzer studentischer Freigeisterei festen Halt in der katholischen Kirche findet. Er mußte dazu nicht konvertieren wie Friedrich Schlegel, er mußte keine neue Mythologie postulieren wie Novalis, nicht den Propheten spielen wie Isidorus Orientalis, nicht advokatisch debattieren wie der Graf Joseph de Maistre, der ein Buch vom Papste schrieb. Er mußte nur zu den Erfahrungen seiner Kindheit zurückkehren. Sein Glaube war stabil und unaufgeregt und führte ihn sicher durch die philosophischen und theologischen Kämpfe seiner Zeit. "Elende Ignoranten!" fällt er den Gescheiten ins Wort. "Der einfachste Mönch mit seinem Köhlerglauben ahnt sicherlich mehr vom drüben und von dem großen Zusammenhange der Welt als Eure Schulweisheit." Sein Glaube verließ ihn auch am Ende nicht, als es darauf ankam. Er starb sanft und gottergeben im Kreise der Seinen.

Günther Schiwy: "Eichendorff". Der Dichter in seiner Zeit. Eine Biographie. Verlag C. H. Beck, München 2000. 734 S., geb., 68,50 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Gabriele Killert hat zwei Biografien des Spätromantikers Joseph von Eichendorff gelesen, wobei sie die eine ärgerlich, die andere reichlich mühsam fand. In Günther Schiwys Lebensbeschreibung tritt ihr ein lebendiges und scharf umrissenes Bild des Schriftstellers entgegen, wie sie positiv vermerkt. Was sie an dieser Biografie aber sehr stört, ist der durch extensive Werkzitate unnötig aufgeblasene Umfang des Buches, zudem es keine Fußnoten enthält und so jede noch so nebensächliche Information aus dem Umkreis von Eichendorffs Leben im laufenden Text ausbreitet wird, wie sie angestrengt feststellt.

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