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Durch die Insolvenz des traditionsreichen Versandunternehmens Neckermann rückt der Großbau der Versandhauszentrale seit 2012 wieder in den Blick des öffentlichen Interesses. In Fachkreisen ist das Gebäude hinter den weit -bekannteren Werken des Architekten Egon Eiermann weitgehend verblasst, obwohl es bei seiner Fertigstellung 1960 als einer der ersten bundesrepublikanischen Nachkriegsbauten eine große internationale Aufmerksamkeit erregt hatte.Mit der vorliegenden Gebäudemonografie sind die ursprünglichen architektonischen Qualitäten des inzwischen deutlich veränderten Gebäudes in einer…mehr

Produktbeschreibung
Durch die Insolvenz des traditionsreichen Versandunternehmens Neckermann rückt der Großbau der Versandhauszentrale seit 2012 wieder in den Blick des öffentlichen Interesses. In Fachkreisen ist das Gebäude hinter den weit -bekannteren Werken des Architekten Egon Eiermann weitgehend verblasst, obwohl es bei seiner Fertigstellung 1960 als einer der ersten bundesrepublikanischen Nachkriegsbauten eine große internationale Aufmerksamkeit erregt hatte.Mit der vorliegenden Gebäudemonografie sind die ursprünglichen architektonischen Qualitäten des inzwischen deutlich veränderten Gebäudes in einer detaillierten Tiefenschärfe wieder herausgearbeitet. Als ¬Kulturdenkmal erfährt der Bau damit eine differenziertere Bewertung als 1986, dem Jahr seiner Unterschutzstellung mit der ersten Auflage der Frankfurter Denkmalliste.In dem Gebäude manifestiert sich geradezu räumlich der Arbeitsbegriff der jungen Bundesrepublik. In Teamworkarbeiten Verwaltungsangestellte wie Versandarbeiter buchstäblich unter einem Dach. Die hochkomplexen Informations- und Logistikprozesse werden dabei erstmals von einer transistorbasierten Großrechnenanlage bewältigt, die alle Arbeitsbereiche miteinander vernetzt: Der Bau markiert damit den Beginn der Computerisierung im industriellen Prozess.Das Gebäude steht zeichenhaft für das Schlagwort der Erhard'schen Wirtschaftswunderjahre, das Wohlstand für alle versprach. Mit dem Ziel, alle mit allem zu versorgen, sollte die gebaute Maschine das Versprechen im Sinne einer Demokratisierung des Konsums einlösen. Im Zentrum der nüchternen Klarheit und disziplinierten Strenge dieses gewaltigen Bauwerks steht der Mensch mit seinen elementarsten Bedürfnissen.Das Frankfurter Versandhaus greift in seiner Bedeutung als Zeitdokument seiner Epoche, als innovativer ¬Impulsgeber in der Entwicklung von Architektur und Baukunst sowie als wegweisendes Werk im künstlerischen Werdegang des Architekten über den bisher bekannten Rahmen hina
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.11.2020

Der Architekt, sein Bau und dessen Liebhaber

Als Paris einmal nach Frankfurt schaute: Ard Christian Bosenius weiß alles über Egon Eiermanns Neckermann-Zentrale.

Die Wette gilt: Ließe man heute alle deutschen Architekten darüber abstimmen, wer von ihnen denn der Größte seit 1945 gewesen sei, Egon Eiermann würde mit einigem Abstand auf dem ersten Rang landen. Das hat zwei Gründe: die Qualität seiner Bauten und das Charisma des Hochschullehrers, das in der treuen Bewunderung der zahlreichen Karlsruher Schüler bis heute nachwirkt, 50 Jahre nach Eiermanns Tod im Juli 1970 naturgemäß mit schwindender Kraft.

Das Schicksal seiner Bauten findet jedenfalls immer noch besondere Aufmerksamkeit. Heimliche Eiermann-Kapitale ist nicht Berlin, auch nicht Bonn, sondern Frankfurt, wo der Meister der streng-leichten Spätmoderne drei Unternehmenszentralen errichtet hat, mehr als in jeder anderen Stadt. Und wie es mit Großbauten für Firmen so ist, sie sind akut abrissgefährdet, sobald der Bauherr in die ewigen Jagdgründe der Wirtschaftsgeschichte eingegangen oder das Gebäude abgeschrieben ist. Der Denkmalschutz ist in solchen Fällen ein schwacher Schild.

Das Hochhaus des Baukonzerns Hochtief im Westend, ein Verwandter des "Langen Eugen" in Bonn, ist denn auch längst abgerissen und durch einen neuen Turm ersetzt worden. Mit der genialen, weil mit einem Schuss Übermut gestalteten früheren Zentrale des Büromaschinenherstellers Olivetti in der Bürostadt Niederrad hat es das Schicksal besser gemeint. Sie ist schon vor etlichen Jahren mustergültig saniert worden, nachdem sich ein Käufer mit Sinn für gestalterische Qualität und mit architekturhistorischem Verantwortungsbewusstsein gefunden hatte.

Und nun sieht es so aus, als könnte es auch für das dritte Frankfurter und überhaupt größte Bauwerk Eiermanns ein Happy End geben: Die einstige Zentrale des verblichenen Versandhauses Neckermann an der Hanauer Landstraße tief im Osten der Stadt, die 1960 eröffnet wurde und seit 2012 - von einer kurzen Zwischennutzung als Flüchtlingsunterkunft abgesehen - leer steht, hat ein finanziell überaus potenter Käufer erworben, nämlich der Rechenzentrenbetreiber Interxion (sprich: Interaction). Er verspricht, zumindest die Fassade zu erhalten, außerdem das dazugehörige Kesselhaus und das Pförtnerhaus. Im Inneren soll allerdings tief in die Gebäudestruktur eingegriffen werden, die neue Nutzung macht das notwendig.

Eiermann, der in diesen Dingen sehr pragmatisch war, würde es mit Fassung tragen. Mehr noch, er könnte sich in seiner Entwurfsidee bestätigt fühlen. Um die Nutzung der Etagen möglichst flexibel zu gestalten, hatte Eiermann die Erschließung samt Waschräumen, die Fluchttreppenhäuser und die Klimatechnik nach außen verlagert und zu Gestaltungselementen der beinahe skulpturalen Fassade des 257 Meter langen und 65 Meter breiten Gebäudes gemacht.

Die neue Nutzung entbehrt insofern nicht einer gewissen Pointe, als der Neckermann-Bau seinerzeit für modernste Logistik stand. Die Sendungen wurden mittels eines IBM-Computers konfektioniert. Die Ursprünge der Digitalisierung im europäischen Warenhandel waren hier zu finden, etwa 35 Jahre vor der Gründung von Amazon. Man könnte angesichts der Frage, wie dieser Vorsprung verspielt wurde, wehmütig werden. Der Querbezüge nicht genug - für IBM baute Eiermann in Stuttgart später die Deutschland-Zentrale, die, 2009 aufgegeben, immer noch auf eine Nachnutzung wartet. Aber das ist eine andere Geschichte, hoffentlich dereinst auch mit Happy End.

Ein glücklicher Zufall will es, dass wenige Monate nach dem Besitzerwechsel eine Monographie zum Neckermann-Bau erschienen ist. Der Architekt Ard Christian Bosenius behandelt sein Thema so umfassend, wie bisher wohl noch kein Gewerbebau der Nachkriegszeit gewürdigt wurde. Von der Entwicklung der Versandhäuser in der Nachkriegszeit über Entstehung und Verwirklichung des Entwurfs samt feinsten technischen Verästelungen bis hin zum Verhältnis von Bauherr und Architekt sind alle nur denkbaren Aspekte abgehandelt. Das Werk, bei dem es sich um die Druckfassung einer kunsthistorischen Dissertation an der TU Berlin handelt, ist zudem üppigst bebildert. Darüber, dass für Lektorat und Korrektorat offenbar kein Geld mehr zur Verfügung stand, sollte der Leser deshalb hinwegsehen.

Falls der neue Besitzer des Gebäudes Anregungen braucht, wie dem Gebäude gerecht zu werden ist, findet er in diesem Buch alle nötigen Informationen. Und zu Hoffnung besteht durchaus Anlass: Erste Ansichten des geplanten Umbaus deuten darauf hin, dass das nachträglich noch von Eiermanns Büro geplante siebte Geschoss, das die Wirkung der Fassade erheblich beeinträchtigt, weil ihm die auskragende Decke fehlt, entfernt werden soll. Eine Nachfrage im Frankfurter Planungsdezernat ergab, dass Investor und Denkmalamt darüber und zu anderen Details derzeit intensive Gespräche führen.

Es wäre schön, wenn das auch für die gelben und orangenen Sonnensegel gälte, die bei Bedarf die Bürogeschosse verschatteten, später aber entfernt wurden. Eiermann konnte ein ausgesprochen farbenfreudiger Architekt sein, und im Fall der Neckermann-Zentrale hat er seine bunte Seite auch an den Brüstungen ausgelebt, wovon heute nur noch wenig zu sehen ist. Das war Teil eines menschenfreundlichen, in gewisser Weise demokratischen Bauprogramms: Eiermann hat darauf geachtet, die Arbeitsplätze der nach Tausenden zählenden Mitarbeiter angenehm zu gestalten. Für einen Versandhauskonzern tätig zu werden, hielt er auch insofern für eine soziale Tat, als es um die Versorgung breiter Bevölkerungskreise mit günstigen, aber hochwertigen Produkten ging. Später bezweifelte er allerdings, dass dieses Versprechen eingehalten wurde.

Die Neckermann-Zentrale ist auf enorme Resonanz auch im Ausland gestoßen, weshalb Bosenius' Hinweis auf Ähnlichkeiten mit dem Centre Pompidou in Paris keineswegs weit hergeholt ist. Man führe sich nur die Gliederung der Fassade mit ihrem Umlauf und dem Stahlgeflecht sowie die Gestalt der außenliegenden Treppen vor Augen. Ein Seitenkanal verbindet das Werk Eiermanns mit der Postmoderne.

MATTHIAS ALEXANDER

Ard Christian Bosenius: "Versandhaus Neckermann." Architektur der Arbeit im Zeichen einer Demokratisierung des Konsums.

Michael Imhof Verlag, Petersberg 2020. 304 S., Abb., geb., 59,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Matthias Alexander kann verstehen, dass der Architekt Ard Christian Bosenius Egon Eiermann und sein Frankfurter Neckermann-Haus in einem Atemzug mit dem Centre Pompidou nennt. Die absolute Modernität des Baus wird für Alexander bei der Lektüre und bei der Betrachtung des reichen Bildmaterials im Band offenbar. Die Monografie findet er so umfassend wie bis in die kleinsten technischen Details genau und erschöpfend. Dass das Buch offenbar kein Lektorat gesehen hat, kann der Rezensent da verschmerzen.

© Perlentaucher Medien GmbH