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Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.06.2009

Reisebuch
Linzer Worte
Drei Neuerscheinungen erkunden die Kulturhauptstadt
Linz ist nicht zum ersten Mal Kulturhauptstadt. Die Rolle hatte ihr bereits Adolf Hitler zugedacht, er wollte dem Zentrum Oberösterreichs diesen Titel sogar dauerhaft verleihen. Es ehrt die Bewohner, dass sie offen mit dieser Vergangenheit umgehen. Ein weiterer Beleg für das wache Geschichtsbewusstsein ist der von Alfred Pittertschatscher herausgegebene Band „Linz. Randgeschichten”, erschienen im Picus Verlag in Kooperation mit dem ORF Oberösterreich als ein offizielles Projekt von „Linz 2009”.
Acht Randgeschichten hat Pittertschatscher versammelt. Randgeschichten insofern, als der nationalsozialistische Terror im Gedächtnis der Stadt präsent bleiben, aber nicht eine alles Übrige dominierende Macht erlangen soll. Randgeschichten auch, weil die Autoren die Schauseiten von Linz umgehen und sich stattdessen in den Außenbezirken umtun. Sie alle sind zwischen 1944 und 1960 geboren, und doch sind die Unterschiede ihrer Sozialisation frappierend. Robert Schindel eröffnet den Sammelband mit einer kurzen Geschichte seiner ersten Lebenswochen. Seine Eltern, beide Kommunisten, die Mutter Jüdin, wurden 1943 von der Auslands-KPÖ nach Österreich zurückbeordert, um eine Widerstandsgruppe aufzubauen. In Linz kam Robert auf die Welt. „Weder kenne ich die Stadt Linz, noch gehört sie mir an . . .”, erklärt Schindel. Dennoch ist sie Teil seiner Familienbiographie. Das letzte Kapitel ist ein Gespräch zwischen ihm und Martin Pollack. Dessen Stiefvater war SS-Sturmbannführer in Linz, theoretisch hätte er es gewesen sein können, der Gerty Schindel nach ihrer Verhaftung verhört hat.
Anna Mitgutsch schließt an Schindels Entree an, berichtet von den Nachkriegsjahren und arbeitet sich in die Gegenwart vor – bleibt aber bei ihrem Thema, den Randfiguren und Außenseitern. Die Stadt selbst sei Außenseiter: „Linz wird überflogen, umfahren, durchquert.”
Es gibt auch lebenslängliche Linzer. Etwa Franz Kain und Karl Wiesinger, zwei wenig bekannte kommunistische Schriftsteller. Walter Wippersberg porträtiert sie und wägt ab, ob ihre Erfolglosigkeit der politischen Haltung oder mangelndem Talent geschuldet ist. Erich Hackl berichtet vom Widerstand der Gisela Tschofenig gegen die Nationalsozialisten, Ludwig Laher führt den Dichter der oberösterreichischen Hymne, Franz Stelzhamer, als den Antisemiten vor, der er war.
Zwei Texte fallen aus dem Rahmen – der von Margit Schreiner, weil er in seiner Egozentrik wenig über Linz erzählt. Sowie der von Eugenie Kain, weil es der einzige erkennbar fiktionale Text in der Sammlung ist. Eine Frau zählt Vögel, überhaupt erkundet sie die Stadt auf langen Straßenbahnfahrten. „Seit in ihrem Körper Zellen begonnen hatten, aus der Reihe zu tanzen, um unkontrolliert zu wachsen und nicht vorgesehene Absiedlungen zu bilden, wollte sie zumindest das Wachstum der Stadt unter Kontrolle haben.” Ordnung und Wildwuchs, Zwänge und Freigeisterei – Linzer Themen.
In einer zweiten Textsammlung für die Reihe „Europa erlesen” des Wieser Verlags hat Ludwig Laher zusammengetragen, was je über Linz geschrieben worden ist. Zehn Dutzend Fragmente zitiert der Band, jede zweite Seite drängt ein neuer Gedanke nach vorne. Etliches ist banal oder beiläufig. Anderes gewitzt oder beleidigend, also unterhaltsam.
Schließlich hat noch der Wiener René Freund ein Linz-Buch geschrieben: „Donau, Stahl und Wolkenklang” hat einen starken touristischen Impetus. Was ist zu sehen, was gilt es zu meiden? Darauf weiß Freund Antworten. Die Würstelbude „Warmer Hans” und das Kunstmuseum Lentos haben es ihm angetan, auf Bruckner und Linzertorte kann er verzichten. Auf den Grund geht Freund den Dingen aber kaum, lieber kokettiert er mit seiner Laienhaftigkeit oder verweist auf Wikipedia. Überhaupt kommt Freunds Band ein wenig pflichtschuldig daher. Obwohl er selbst kritisiert, der Titel Kulturhauptstadt impliziere Defizite, die es durch hochsubventionierte Anstrengungen auszugleichen gelte. STEFAN FISCHER
ALFRED PITTERTSCHATSCHER (Hrsg.): Linz. Randgeschichten. Picus Verlag, Wien 2009. 318 Seiten, 19,90 Euro.
RENE FREUND: Donau, Stahl und Wolkenklang. Linzer Augenblicke. Picus Verlag, Wien 2008. 132 Seiten, 14,90 Euro.
LUDWIG LAHER (Hrsg.): Europa erlesen. Linz. Wieser Verlag, Klagenfurt 2008. 291 Seiten, 12,95 Euro.
Wer spätabends noch Hunger hat, landet meist beim „Warmen Hans”
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