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Die Studie vergleicht alltägliche Diskriminierungserfahrungen in unterschiedlichen Lebensbereichen sowie Reaktionsstrategien der Betroffenen entlang von Geschlecht, Rassismus, Behinderung, sexueller Orientierung, Gewicht und weiteren Merkmalen. Zusätzlich werden Einstellungen zu Antidiskriminierungspolitik dargestellt. Dabei zeigen sich starke Ähnlichkeiten zwischen Sachsen und anderen Bundesländern. Die Studie verweist auf rechtliche Schutzlücken sowie mangelnde Unterstützungsstrukturen für Betroffene und basiert auf einer Betroffenen- sowie einer sachsen- und bundesweiten…mehr

Produktbeschreibung
Die Studie vergleicht alltägliche Diskriminierungserfahrungen in unterschiedlichen Lebensbereichen sowie Reaktionsstrategien der Betroffenen entlang von Geschlecht, Rassismus, Behinderung, sexueller Orientierung, Gewicht und weiteren Merkmalen. Zusätzlich werden Einstellungen zu Antidiskriminierungspolitik dargestellt. Dabei zeigen sich starke Ähnlichkeiten zwischen Sachsen und anderen Bundesländern. Die Studie verweist auf rechtliche Schutzlücken sowie mangelnde Unterstützungsstrukturen für Betroffene und basiert auf einer Betroffenen- sowie einer sachsen- und bundesweiten Bevölkerungsbefragung. Das Buch richtet sich sowohl an Wissenschaftler:innen als auch an interessierte Praktiker:innen der Antidiskriminierungsarbeit.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ehrenwert ist der Kampf gegen Diskriminierung ja, meint Rezensent Stefan Locke, aber bitte nicht so. Der vom Sächsischen Staatsministerium der Justiz herausgegebene Band, der auf einer von der Sächsischen Justizministerin Katja Meier beauftragten Studie basiert, geht laut Rezensent deutlich zu weit. Die Ergebnisse überraschen Locke wenig: Die meisten Befragten berichten von Diskriminierung, in Sachsen und auch anderswo. Freilich wird nicht geklärt, was eine berichtete Diskriminierungserfahrung zu einer tatsächlichen Diskriminierung macht, kritisiert Locke, der darauf verweist, dass ein großer Teil der Befragten, sich aufgrund ihres Erscheinungsbilds diskriminiert fühlen. Ob etwa das "Anstarren" einer Person schon Diskriminierung sei: Locke hat da seine Zweifel. Auch dass laut Studie viele Betroffene Hilfe nicht bei staatlichen Stellen sondern im privaten Umfeld suchen, wundert den Rezensenten nicht. Deshalb sieht er auch die Schlussfolgerung der Studie, derzufolge ein Ausbau des öffentlichen Antidiskriminierungsnetzwerks notwendig ist, kritisch: Sinnvoller wären Investitionen in Bildungsinstitutionen, um  "Anstand und Zivilcourage als besten Schutz" gegen jegliche Form der Diskriminierung zu stärken.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.09.2023

Die Lebenswirklichkeit verfehlt

Ist "Anstarren" schon eine Form der Diskriminierung? Ein Buch aus dem Dresdner Justizministerium hinterlässt mehr Fragen als Antworten.

Diskriminierung zu bekämpfen ist ein zweifellos wichtiges Anliegen. Seit 2006 gilt in der Bundesrepublik das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das Benachteiligungen aufgrund von Lebensalter, Behinderung, ethnischer Herkunft, Geschlecht, Religion sowie sexueller Orientierung verhindern soll. Seitdem sind zahlreiche Studien darüber erschienen, ob das Ziel erreicht wird. Die neueste legt nun Sachsens Justizministerin Katja Meier (Grüne) vor, die auch für die Bereiche Demokratie, Europa und Gleichstellung verantwortlich zeichnet. Unter dem Titel "Diskriminierung erlebt?! Diskriminierungserfahrungen in Sachsen" hat ein Forscherkollektiv des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) jeweils rund 2150 Menschen in Sachsen sowie bundesweit zu ihren Diskriminierungserfahrungen befragt.

Die wenig überraschende Erkenntnis ist, dass sich Diskriminierungserfahrungen in Sachsen "häufig nicht oder nur in geringem Ausmaß von bundesweiten Erfahrungen unterscheiden". In beiden Befragungen gab rund jede zweite Person an, in den vergangenen zwei Jahren Diskriminierung erlebt zu haben. Das führt zu dem banalen Schluss, "dass Diskriminierungserfahrungen ein gesamtgesellschaftliches Phänomen darstellen, dass sich nicht nur auf einzelne Bundesländer beschränkt". Was war denn diesbezüglich bitte die Erwartung?

Viel erhellender wird es leider auch im weiteren Verlauf nicht. So erfährt der Leser zwar, dass die mit Abstand meisten Diskriminierungserfahrungen in den Bereichen Bildung, Justiz und Arbeitsleben gemacht wurden, doch bleibt offen, welche Art von Diskriminierung es dort gab. Zu Recht wenden die Autoren selbst ein, dass nicht jede geschilderte Diskriminierungserfahrung auch eine solche sein muss, es umgekehrt aber auch Diskriminierungen gibt, die die Befragten womöglich gar nicht als solche erkannt haben. Etwas genauer würde man es aber schon gern wissen, ist doch durchaus vorstellbar, dass auch jemand, der vor Gericht verurteilt wurde oder im Beruf tatsächlich schlechte Leistungen erbracht hat, sich deshalb von der Justiz oder dem Arbeitgeber diskriminiert fühlt.

Überhaupt ergab die Befragung, dass die sechs im AGG genannten Diskriminierungsgründe eher eine untergeordnete Rolle spielen. Stattdessen fühlten sich Befragte durch ihren sozioökonomischen Status, die eigene Art, Gestik und Mimik oder ihre Art zu sprechen diskriminiert. Fast die Hälfte aller befragten Personen gab an, dass ihre Diskriminierungserfahrungen im Zusammenhang mit ihrem äußeren Erscheinungsbild stehen, von denen wiederum fast zwei Drittel vermuten, dass sie wegen ihres Körpergewichts oder ihrer Körperform diskriminiert worden seien. Letztere Zahlen ergeben sich aus einer zusätzlichen Umfrage unter rund 1500 von Diskriminierung betroffenen Sachsen.

Die Frage ist freilich, ob diese Gründe überhaupt noch unter Diskriminierung im eigentlichen Sinne fallen. So ordnen die Autoren selbst das "Anstarren" als "sehr subtile Form der sozialen Herabwürdigung" unter Diskriminierung ein. Dass Anstarren unangenehm ist, ist völlig nachvollziehbar, aber ist es deshalb auch bewusst diskriminierend? Ein in der Studie zitierter Rollstuhlfahrer sagt, dass er es zwar schön fände, wenn die Menschen ihm Fragen stellten statt einfach nur zu gucken oder stehen zu bleiben und sich umzudrehen. "Vielleicht ist es aber nur ein menschlicher Reflex, dass wir Dinge anstarren, die nicht gewöhnlich sind in unseren Leben."

Damit liegt er deutlich näher am wirklichen Leben als die Studienmacher, die im weiteren Verlauf sogar eine schlechte Behandlung in Geschäften oder Restaurants unter Diskriminierung verbuchen. Beides ist Alltag in Deutschland, doch haben schlecht behandelte Kunden zwei harte Sanktionen selbst in der Hand: Sie meiden künftig den Laden und hinterlassen im Internet eine entsprechende Bewertung. Niemand braucht hier den Gesetzgeber oder gar den Staat, um einzugreifen. Im Gegenteil, die schier unendliche Ausweitung von vermeintlichen Diskriminierungsgründen verwässert die Konzentration auf tatsächliche Diskriminierungen, die unbedingt weiter abzubauen sind.

Die Masse an Diskriminierungsgründen führt am Ende der Studie zwangsläufig zu dem Schluss, dass es "dringenden Handlungsbedarf" gebe, denn der gesellschaftliche Zusammenhalt sei "maßgeblich beschädigt und bedroht". Das "Bild einer gleichberechtigten Gesellschaft" könne, man ahnt es, nicht aufrechterhalten werden, wenn nicht "Diversity Mainstreaming als Gesamtstrategie umfassend umgesetzt" wird. Konkret heißt das, und auch das überrascht nicht: mehr Antidiskriminierungsbeauftragte und Beschwerdestellen, ja gar der "flächendeckende Ausbau von Beratungs- und Unterstützungsnetzwerken in den zehn Landkreisen", inklusive Dolmetscher.

Dabei stellen die Autoren selbst konsterniert fest, dass zwei Drittel der Betroffenen gar keinen Bedarf für Beratung haben und ihre Erfahrungen einfach im Gespräch mit Freunden, Partnern und Familie bewältigten, sie also "vordergründig individuelle Wege finden beziehungsweise finden müssen, um mit dem Erlebten umzugehen". Fast schon komisch liest sich dann, welche Gründe die Autoren konstruieren, warum die Menschen diese völlig plausible Art der Verarbeitung jenseits offizieller Institutionen wählen. Mal soll es am fehlenden Wissen, mal an Resignation oder hohen Hürden liegen. Kaum verwunderlich, dass sie schließlich auch noch ein Landesantidiskriminierungsgesetz fordern, in dem neben den sechs im Bundesgesetz genannten Gründen auch das äußere Erscheinungsbild und der sozioökonomische Status enthalten sind.

So lässt dieses 400 Seiten lange Werk am Ende leider vor allem den Schluss zu, hier den Wunsch des beauftragenden Ministeriums nach erheblich mehr Geld und Personal wissenschaftlich zu untermauern. Das aber schießt völlig über das Ziel hinaus. Nicht jede Unbill des Lebens lässt sich staatlich sanktionieren. Viel wirksamer wäre mehr Geld dagegen in Schulen und Bildung investiert, um Anstand und Zivilcourage als besten Schutz gegen jede Art von Diskriminierung zu lehren. STEFAN LOCKE

Sächsisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.): Diskriminierung erlebt?! Diskriminierungserfahrungen in Sachsen.

Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2023. 404 S., 69,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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