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Aus maßgeschneiderten Anzügen, Kleidern und Kostümen schlüpfen mit spielerischer Leichtigkeit die Figuren in Magdalena Tullis neuem Roman, der zugleich eine Parabel auf den schöpferischen Akt des Schreibens ist. Dieses Mal lässt ein Reichsstädtchen kurz vor dem kommunistischen Umsturz entstehen. Bevölkert wird es von dem Schneider, dem Notar nebst Gattin und Kindern, dem Polizisten, dem Dienstmädchen und seinen Liebhabern, umfahren von einer Ringstraßenbahn, umgeben von abgründigen Hinterzimmern, die sich manchmal als Rückräume eines Theaters erweisen. Auch die Erzählerfigur wechselt die…mehr

Produktbeschreibung
Aus maßgeschneiderten Anzügen, Kleidern und Kostümen schlüpfen mit spielerischer Leichtigkeit die Figuren in Magdalena Tullis neuem Roman, der zugleich eine Parabel auf den schöpferischen Akt des Schreibens ist. Dieses Mal lässt ein Reichsstädtchen kurz vor dem kommunistischen Umsturz entstehen. Bevölkert wird es von dem Schneider, dem Notar nebst Gattin und Kindern, dem Polizisten, dem Dienstmädchen und seinen Liebhabern, umfahren von einer Ringstraßenbahn, umgeben von abgründigen Hinterzimmern, die sich manchmal als Rückräume eines Theaters erweisen. Auch die Erzählerfigur wechselt die Rollen und probiert mit den Kleidern verschiedene Haltungen aus.
In diese bunte, böse Miniaturwelt dringen Störenfriede, die ständig alles sabotieren, zum Einsturz bringen und nach Kräften schiefgehen lassen. Börsenkrach, Studentenunruhen, Attentate und Flüchtlingselend geben dem Roman eine dramatische Wendung und einen hoch aktuellen Bezug.
Autorenporträt
Magdalena Tulli, geboren 1955, ist in Warschau und Mailand aufgewachsen. Sie absolvierte ein Studium der Biologie und promovierte. 1995 debütierte sie mit ihrem Buch "Steine und Träume" (deutsch 1998). Neben ihrer eigenen schriftstellerischen Arbeit übersetzt sie aus dem Italienischen. "In Rot" ist ihr zweiter veröffentlichter Roman. Magdalena Tulli lebt in Warschau.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.10.2011

Dieses eine Mal
Magdalena Tulli erzählt vom Anfang der Gewalt

Vor sechs Jahren erregte in Polen ein Buch großes Aufsehen, das die fremdenfeindliche und diskriminierende Sprache in den Zeitungen der polnischen Rechten untersuchte. "Statt eines Prozesses", so der Titel, war eine Gemeinschaftsarbeit des Soziologen Sergiusz Kowalski und der Schriftstellerin Magdalena Tulli. Überzeugend an ihrer Bestandsaufnahme war, dass allein durch die bloße Dokumentation und sorgfältige Analyse von Artikeln aus fünf einschlägigen Blättern Grundzüge und Herkunft einer spezifisch polnischen Sprache des Hasses sichtbar wurden. Worte, ob gedruckt oder gesprochen, sind - so war hier einmal mehr zu lernen - bereits Taten. Sie können die Gemeinschaft gefährden.

Nicht lange nach dieser Studie erschien Magdalena Tullis Roman "Dieses Mal". Man kann ihn als literarischen Versuch über dasselbe Thema lesen: Er handelt vom Hass auf das Fremde. Minutiös, in zeitlupenhafter Geschwindigkeit, schildert Tulli den Alltag in einem Stadtviertel am Vorabend eines Massenverbrechens. Es ist der Moment, da sich etwas zusammenbraut, die Ruhe vor dem Sturm kollektiver Gewalt. Die Figuren in diesem Roman tragen keine Namen; es gibt den Schneider, den Bäcker, den General, den Flieger, den Notar, den Amtsrichter, den Apotheker, das Dienstmädchen und den Korps-Studenten. Schließlich die Verfolgten, die als "Flüchtlinge" umschrieben werden: "Man sieht sogleich, dass sie nicht zur Geschichte des Ortes gehören."

Der Schauplatz erweist sich gleich zu Anfang als Kulisse. Jenseits des innerstädtischen Platzes, der mit seinem Straßenbahnring das Zentrum der Handlung bildet, beginnt eine Hinterbühne, ein "Manövrierraum", von dem aus das Geschehen gesteuert wird. Während die Ortsansässigen in maßgeschneiderter Kleidung auftreten, gehen die Obdachlosen alle im selben grauen Mantel von schlechter Qualität: "Fremdheit sticht immer schon von weitem in die Augen, obwohl sich kaum sagen lässt, woran man sie erkennt, allenfalls an kaum definierbaren Eigenschaften von Schnitt und Stoff." Im Verlauf der Handlung werden die Fremden zuerst von den Einheimischen eingekesselt und anschließend in den Keller eines alten Kinos getrieben.

Wenn man wie Magdalena Tulli das Handwerk des Erzählers mit dem des Schneiders vergleicht, dann ähnelt dieser schmale Roman einem auf links gezogenen Kleidungsstück, mit frei liegenden Nähten und losen Fadenenden. Wie schon in ihren früheren Büchern betreibt die 1955 geborene Autorin, deren präzise, hochpoetische Sprache einige Konzentration bei der Lektüre erfordert, auch hier ein fortwährendes Spiel mit den Möglichkeiten und Grenzen der Erzählbarkeit traumatischer Ereignisse. Obwohl Tulli das Buch als universelle Parabel verstanden wissen möchte, erkennen wir darin doch zuallererst das Trauma des Holocaust. In der Realgeschichte gab es kein Entkommen, doch in diesem Roman gelingt dank eines klugen erzählerischen Einfalls die wundersame Flucht.

STEFANIE PETER

Magdalena Tulli: "Dieses Mal". Roman.

Aus dem Polnischen von Esther Kinsky. Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2010. 203 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Rezensent Jörg Plath hat ein bisschen Angst, dass Magdalena Tulli den prekären Status ihres Erzählens noch auf die Spitze treibt. Hieße: Schluss mit Romanen. Zum Glück für den Rezensenten liegt nun aber erst einmal ein neuer Roman der polnischen Autorin auf Deutsch vor. Die potemkinschen Dörfer und Figuren, die Tulli ihren Erzähler darin entwerfen lässt, erscheinen Plath besser als von ihrem ursprünglichen Erfinder selbst, künstlicher, bröckelnder. Wie die Autorin auf diese Weise das Trauma des Zivilisationsbruchs, hier: den nationalsozialistischen Judenmord, verhandelt, berührt den Rezensenten nicht zuletzt, weil die Trauer hinter der Sprödheit und Strenge der Aporien, wie dem "realistischen" Erzählen, immer erfahrbar bleibt. Auch dank der deutschen Übersetzerin Esther Kinsky, meint Plath.

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