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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.1998

Bomben auf friedliche Pendler
Martin van Creveld proklamiert die Schlacht am U-Bahn-Schacht / Von Wolfgang Sofsky

Wir haben dem Tod ins Gesicht gesehen und er hat die Augen gesenkt", bemerkte ein israelischer Panzerkommandeur nach dem Sechstagekrieg. Für den siegreichen Heros ist der Krieg ein Duell mit höchstem Einsatz, eine mutwillige Kraftprobe mit dem Tod, die jede Berechnung von Aufwand und Ertrag vergessen läßt. Der Krieg gehorcht weder dem Geist der Buchhaltung noch der politischen Strategie. Er beginnt nicht mit dem Angriff, sondern mit der Verteidigung, mit der Bereitschaft, zu widerstehen und das eigene Leben aufs Spiel zu setzen.

Es gibt nicht viele Bücher über den Krieg, welche das Sichtfeld aufklären und zugleich zu entschiedenem Widerspruch herausfordern. Martin van Crevelds Streitschrift muß auf manchen deutschen Leser wie eine Provokation wirken. Denn Creveld, international renommierter Militärhistoriker, Berater des Pentagon und Dozent an der Hebrew-Universität in Jerusalem, räumt mit lapidarem Ton und universalhistorischer Geste festgefügte Vorstellungen beiseite, die in den Generalstäben, Denkfabriken und an Stammtischen im Umlauf sind.

Reguläre Streitkräfte, die gegen einen unterlegenen Gegner Sieg an Sieg reihen, erleben früher oder später einen Niedergang ihrer Moral. Wer jedes Mal über den Schwächeren triumphiert, verliert zuerst das Gefühl für Gerechtigkeit, dann die Selbstachtung, schließlich den Feldzug. Creveld hat sich für den Federkrieg daher den stärksten Widersacher auserkoren, der unter den Theoretikern des Krieges zu finden ist. Wie eine Art "Anti-Clausewitz" liest sich seine Invektive gegen die Doktrin des politischen Krieges. Kenner der kulturanthropologischen Dimension des Clausewitzschen OEuvres mögen Crevelds Feindbild mit guten Gründen für einen Pappkameraden halten. Klammert man jedoch die exegetischen Bedenken ein, eröffnet sein historischer Streifzug eine Reihe erhellender Einsichten über die Natur und die Zukunft des Krieges.

Daß Kriege von Staaten geführt werden, ist eine ganz und gar neuzeitliche Vorstellung. Sie setzt ein stehendes, diszipliniertes Heer sowie die rechtliche Trennung von Regierung, Militär und Bevölkerung voraus. Andere Formen kollektiver Gewalt, die nicht diesem "trinitarischen" Denkmuster entsprechen, gelten demzufolge nicht als echte Kriege, sondern als Aufstände oder Revolten. Die Mehrzahl der früheren wie der gegenwärtigen Kriege wurde indes nicht zwischen Staaten oder Nationen ausgefochten. Ihre Akteure waren Stämme und Horden, in militärische Tracht gehüllte Gefolgsleute hoher Herren, zusammengewürfelte Söldnertrupps, Gesindelbanden oder Bürgerwehren, die sich aus der Mitte der Gesellschaft rekrutierten.

Territoriale Eroberungen, Profite oder staatspolitische Machtexpansion waren keineswegs die vorrangigen Kriegsziele. Das europäische Mittelalter kannte den Krieg als Strafaktion im Namen der Ehre, des Vergeltungsrechts oder des Kreuzes. Die Azteken unternahmen ihre Feldzüge, um möglichst viele Gefangene zu erbeuten, welche sie ihren Göttern opfern konnten. Damals wie heute ist der Heilige Krieg für den Glaubenskämpfer nicht die Fortsetzung der Politik, sondern der Religion.

Die bei weitem wichtigste Kriegsform jedoch ist der Kampf um die Existenz einer Gemeinschaft. Geht es um Sein oder Nichtsein, zeigt sich der Krieg in seiner reinen Form, jenseits strategischer Berechnung und jenseits aller Selbsterhaltung. Der Existenzkampf nivelliert den Unterschied von Mittel und Zweck, ein Gedanke, der, wie man weiß, bereits in dem von Clausewitz vorgetragenen Konzept des "absoluten Krieges" enthalten ist. Die Kombattanten geraten in einen Selbstlauf der Gewalt, ohne recht zu wissen, warum und wofür. Und je größer Leid und Zerstörung sind, desto entschlossener ist der Kampfeswille, damit keiner der vielen Toten umsonst gefallen sei.

Auch nichtpolitischen Kriegen fehlt es nicht an Regeln und Konventionen. Zu jeder Zeit, so Creveld, gab es Vorschriften, wie mit Kriegsgefangenen und Zivilisten umzugehen sei. Fernwaffen wurden stets als heimtückisch und feige geächtet, sei es die Schleuder des armen Mannes, der Bogen, die Armbrust, die Muskete oder die ferngelenkte Rakete. Kein Krieg ohne Regeln, betont der Autor; aber auch kein Krieg ohne Überschreitung und Aufhebung der Regeln, muß man hinzufügen. Konventionen wären überflüssig, drohte die Kriegsgewalt nicht fortwährend zu eskalieren, trüge der Waffengang nicht die Tendenz in sich, in ein Gemetzel umzuschlagen.

Crevelds Beharren auf der Konvention hat einen einfachen Grund. Wider alles historische Wissen, über das er souverän verfügt, hält er normativ an einem agonalen Begriff des Krieges fest. Der Krieg: ein kollektives Duell zweier nahezu gleichstarker Kombattanten, ein todernstes Spiel mit ungewissem Ausgang, das die Krieger in seinen Bann zieht. Der Kämpfer sucht die Gefahr, weil sie ihm ein Lebensgefühl verspricht, das im Zivilleben niemals zu haben ist, auch im Boudoir nicht. Das Gefühl von Freiheit und Abenteuer, der Nervenkitzel, die Streitlust, ja die Begeisterung des Kämpfens, all dies sind Erfahrungen des Kriegssports, in denen die Lasten der Wirklichkeit aufgehoben scheinen.

Es ist nicht zu bestreiten, daß solche Motive und Gefühle bei vielen Kriegen eine Rolle spielen, zumindest vor dem ersten verlorenen Gefecht. Daß extreme Gefahren Menschen zu allen Zeiten fasziniert haben, ist eine vielfach übersehene Tatsache. Aber diese Beobachtung taugt kaum für die Analyse dessen, was im Verlauf eines Krieges tatsächlich vor sich geht. Nur die wenigsten Soldaten sind vom Schlage eines Ernst Jünger oder Siegfried Sassoon. Der Sportsgeist britischer Offiziere, die im Ersten Weltkrieg lediglich mit einem Stöckchen bewaffnet das Niemandsland zwischen den Schützengräben zu überqueren versuchten, ist nicht jedermanns Sache. Und für den gemeinen Söldner oder Soldaten war der Übergang vom Kampf zum Massaker, vom Wettstreit der Kräfte zum Blutrausch ohnehin immer nur kurz.

Triftiger als die Motivanalyse fällt Crevelds Prognose aus. Die aktuellen Weltnachrichten bestätigen sie Tag für Tag. Im Krieg der Zukunft werden nicht hochgerüstete Nationalstaaten aufeinander losgehen. Es werden Kriege mit "geringer Intensität" sein, angezettelt von Gruppierungen, die heute noch als Terroristen, Guerrillas, Milizen, Banditen oder Räuber gelten. Sie folgen dem Charisma eines Anführers und sind getrieben von religiösem Fanatismus, Beutegier, manchmal auch pubertärer Abenteuerlust. Die Opferbereitschaft der Gesinnungskrieger reicht bis zur freiwilligen Meldung für das Himmelfahrtskommando.

Nicht auf offenem Feld werden die Schlachten geschlagen, sondern in den Wäldern und Dörfern, an Straßenecken, auf Plätzen, in Botschaftseinfahrten und U-Bahn-Schächten. Überfälle, Attentate, Scharmützel oder Massaker sind die Erscheinungsformen dieses Kleinkriegs ohne Fronten. Die Trennung zwischen Militär und Zivil ist aufgehoben. Stützpunkte sind durch heimliche Schlupfwinkel ersetzt. Statt hochtechnisierter Systeme benutzen die Krieger handliche Waffen: Autobomben, Maschinenpistolen, Messer, Gas.

Die Streitkräfte der Staatsmacht, die vergeblich das Gewaltmonopol zu wahren trachten, vermögen dagegen nur wenig auszurichten, am wenigsten mit programmierten Raketen, deren Zielgenauigkeit allenfalls Mittelmaß ist. Das Militär degeneriert zu Polizeikräften, Killerkommandos oder bewaffneten Banden. Die Reichen und Mächtigen verschanzen sich in Festungen, die Differenz von Krieg und Kriminalität verschwindet. Wie früher holen sich die Kämpfer ihren Sold beim Feind, sie plündern, brandschatzen, vergewaltigen. Die Kriege der Zukunft werden langwierig und grausam sein. Die staatliche Ordnung, wie man sie in der westlichen Hemisphäre noch für selbstverständlich hält, wird zusammenbrechen. In diesem Szenario des Schreckens wird das Leben nur mehr armselig und kurz sein.

Martin van Creveld: "Die Zukunft des Krieges". Mit einem Vorwort von Peter Waldmann. Aus dem Amerikanischen von Klaus Fritz und Norbert Juraschitz. Gerling Akademie Verlag, München 1998. 352 S., geb., 58,- DM.

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