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Dreimal hat Thomas Mann dieses Werk gelesen, Gershom Scholem hielt es für eines der einflussreichsten, aber auch bekämpfenswertesten: Oskar Goldbergs Die Wirklichkeit der Hebräer. Es ist das erstaunliche Werk eines jungen, orthodox-jüdisch erzogenen Mannes, der in den expressionistischen Kreisen Berlins vor dem Ersten Weltkrieg seine Erkenntnisse diskutierte, veröffentlicht wurden sie aber erst 1925. Goldberg glaubte an die Urkräfte seines Volkes, für ihn waren die Wunder der mythischen Zeit nur reale Folgen des Verhältnisses des auserwählten Volkes zu seinem Gott, der sich mit Hilfe seines…mehr

Produktbeschreibung
Dreimal hat Thomas Mann dieses Werk gelesen, Gershom Scholem hielt es für eines der einflussreichsten, aber auch bekämpfenswertesten: Oskar Goldbergs Die Wirklichkeit der Hebräer. Es ist das erstaunliche Werk eines jungen, orthodox-jüdisch erzogenen Mannes, der in den expressionistischen Kreisen Berlins vor dem Ersten Weltkrieg seine Erkenntnisse diskutierte, veröffentlicht wurden sie aber erst 1925. Goldberg glaubte an die Urkräfte seines Volkes, für ihn waren die Wunder der mythischen Zeit nur reale Folgen des Verhältnisses des auserwählten Volkes zu seinem Gott, der sich mit Hilfe seines Volkes gegen die anderen Götter der Erde realisieren wolle. Die Kausalität der Natur sei überwindbar zu einer göttlich-schöpferischen Wirklichkeit hin - noch heute. Dieses Werk ist nicht nur das Zeugnis einer ungewöhnlichen Persönlichkeit, sondern auch einer Zeit, in der die Fesseln der Wilhelminischen Kultur zerbrochen wurden und das Neue und Revolutionäre oftmals im Ältesten gefunden wurde. Zusätzlich zur Wirklichkeit der Hebräer wird erstmalig der noch erhaltene Teil des ursprünglich geplanten Fortsetzungsbandes abgedruckt, für dessen Erscheinen sich Thomas Mann eingesetzt hatte.
Autorenporträt
Prof. Dr. Manfred Voigts lehrt am Kollegium Jüdische Studien an der Universität Potsdam.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.11.2007

Im Himmel keine faulen Kompromisse mehr
Radikale Lehre von metaphysischen Kriegen und Revolutionen: Oskar Goldbergs "Wirklichkeit der Hebräer"

Ist eine politische Lektüre geheimwissenschaftlicher Werke statthaft? Der in Wien geborene, in Jerusalem lebende Rabbiner und Dichter Elasar Benyoëtz hat dem von Manfred Voigts besorgten Neudruck von Oskar Goldbergs "Wirklichkeit der Hebräer" (Wiesbaden 2005) ein Geleitwort vorangeschickt, dessen Formulierungen in diesem Punkt besonders triftig sind. Benyoëtz bejaht die Frage. Er nennt Goldberg einen "göttlichen Terroristen" und das Werk selbst "ein mythologisches Kriegsbuch". Tatsächlich kann der zunächst ganz zeitenthoben anmutende Charakter des Werks nicht verbergen, dass es sich bei ihm um eine Kriegslehre handelt. Sicher spielt dabei die katastrophische Entstehungszeit in und nach dem Ersten Weltkrieg - und nach der Balfour-Deklaration - mit: "Die Wirklichkeit der Hebräer" erschien 1925.

Aber es geht um mehr als solche Echos und Reflexe. Goldberg liest und deutet die Heilige Schrift am Leitfaden einer und nur einer Frage: Wie muss die Beziehung zwischen Gott und seinem auserwählten Volk gedacht werden, um diesem Volk die Durchsetzung im Kampf gegen andere Völker zu sichern? Mit dieser grundsätzlich politischen Lektüre grenzt sich Goldberg vom "Esoterischen" im herkömmlichen Verständnis ab: Esoterik betrifft prinzipiell nur den Einzelnen, den Virtuosen der Erkenntnis - der Mythos, um den es Goldberg geht, hat dagegen als sein Subjekt ein Volk.

Oskar Goldberg gehörte zu jenen Denkern, die, wie René Guenon, Julius Evola und noch Mircea Eliade, eine verkannte Wahrheit des Mythos wieder ins Bewusstsein rufen wollten. "Mythologie", schreibt er, "ist somit keine Altertumswissenschaft, sondern aktuelle transzendente Realitätsforschung - die Völker selbst werden Gegenstand des wissenschaftlichen Versuchs: es ist eine ethnologische Experimentalwissenschaft." Damit ist eine wesentliche Umdeutung der Heiligen Schrift verbunden. Sie wird nicht "theologisch", sondern fast technisch gelesen, Goldberg spricht von der "unpathetischen Sachlichkeit" der Schrift. Ein "lieber" Gott ist eine, wie der Verfasser vielleicht gesagt hätte, liberale Illusion. Und alles, was sich im Kraftfeld des auserwählten Volkes ereignet, ist weniger moralisch bedeutend, als dass es einer Art von mythologischer Gesetzlichkeit folgt.

"Völker = Götter = Welten" - so lautet die Gleichung, von der die "Wirklichkeit der Hebräer" ausgeht. Man könnte Goldbergs Idee (er hatte Medizin studiert und praktizierte später als Arzt) als eine Bio-Theo-Polemo-Politik bezeichnen, in ihr sind die Götter die biologischen Kraftzentren ihrer Gläubigen. Nur vom Mythos aus erschließen sich ihm die "eigentlichen ,Weltmächte', deren Handlungen die wahre ,Weltpolitik' bedeuten". Die religiöse Weltgeschichte, die Goldberg nachzeichnen will, erkennt er als einen Prozess der Götter- und Völker-Entmischungen, der Aufkündigung von Kompromissen unter den Völker-Göttern. Goldberg ist in diesem Sinne auch kein "Monotheist"; der eine Gott ist nicht mehr als ein transzendenter Akteur unter vielen, wenn auch ein besonders mächtiger - und auch deshalb ist der Krieg für seine Religionslehre konstitutiv: "Der ganze Auszug aus Ägypten ist überhaupt nichts anderes als der Kampf des Elohim IHWH mit den Elohim der Ägypter, ein Kampf, aus welchem der Elohim IHWH siegreich hervorgeht."

Im Umkehrschluss gilt für Goldberg, dass von "echten Völkern" nur dann die Rede sein kann, wenn sie mit ihren Göttern verbunden sind und "noch kein Loslösungsprozess von ihrem biologischen Zentrum stattgefunden hat". Indes gebe es auch die Unterbrechung der Kommunikation zwischen Volk und Gott, eine "Zersetzung" und metaphysische Lähmung, die das Volk auf eine "dauernde Normalität" festlege. Oswald Spengler sprach in diesem Fall von "Fellachisierung". Zu der Gleichung von Volk und Gott tritt als drittes Glied das "Land". Länder sind Göttern zugeordnet. Man könne deshalb, so Goldberg, auch nicht "in einem Land beliebig wohnen, ohne den mischpat, das heißt ,die Art und Weise', die ,Manier' des betreffenden Elohim zu kennen."

Schlägt man das Begriffsregister der "Wirklichkeit der Hebräer" auf, dann bemerkt man, dass das Wort "Krieg" eines der wichtigsten schon nach der Häufigkeit seiner Erwähnungen ist. Goldberg kennt den "metaphysischen Krieg", den "Völkerkrieg als Krieg der Elohim", schließlich das "Kriegslager Gottes". Weil der rein militärische Krieg im Weltbild des Mythos nicht existiert, muss das gegnerische Volk auch und vor allem "metaphysisch" besiegt werden, in seinen Göttern.

So deutet Goldberg die Einsetzung des Stammes Levi zum Hüter der Bundeslade vor allem als metaphysisch-militärische Maßnahme. Dafür spreche schon der Stammvater Levi, der mit seinem Bruder Simon die Bewohner Sichems erschlug. Die Leviten seien "ihrem Charakter nach rücksichtslos, jähzornig und gewalttätig"; Goldberg spricht von einem spezifischen "Radikalismus" gerade dieser Gruppe, der sich auch beim Vorfall mit dem Goldenen Kalb erwiesen habe, "indem sie rücksichtslos Vater, Mutter, Söhne und Brüder niederschlagen, sofern sie an dem Dienst des goldenen Kalbes beteiligt sind".

Die Einsetzung der Leviten in ihr herausgehobenes Amt sieht er als Disziplinierung der natürlichen Gewalttendenz des Stammes, mit der die "Konstituierung eines metaphysischen Kriegsheeres" gelungen sei. Das Zelt mit der Bundeslade sei als das vom Levitenheer bediente "kriegerische Zentrum anzusehen, wo das angefertigt wird, was man in der Technik unter ,Kriegsmitteln' versteht".

Indes ist Goldberg nicht, wie man vermuten könnte, ein Rassist. Vom bloß stammesmäßigen Urvater Sem trenne sich das Volk der Hebräer gerade durch einen originär politischen Akt, eine Unterbrechung. Das Buch spricht deshalb von einer "Gegenrichtung gegen die Fundamente oder Grundprinzipien der biologischen Naturordnung". Eine der Pointen von Goldbergs Werk ist die Idee einer die genealogische Linie des Volkes durchbrechenden, "eruptiven" Gründung am Sinai. Die "hebräische Metaphysik" sei deshalb die "eigentliche revolutionäre Metaphysik". Es geht ein Strom von Radikalismus und Revolution, überhaupt von aggressiver, ja destruktiver Sprache durch dieses Werk.

Wenn Goldberg die Wirkungsmacht der Religion verdeutlichen will, spricht er gern von "transzendenten Sprengstoffen" oder "Explosionen". Sehr zu Recht weist Manfred Voigts in seinem Kommentar auf die engen Beziehungen Goldbergs zum modernsten Berliner Expressionismus der Zeit vor 1914 hin, einem Kreis, in dem die in der bürgerlichen Gesellschaft angehäuften Explosivstoffe erstmals gemustert wurden. Es war dieser Kreis, in dem das Epochengedicht des Jakob van Hoddis entstand: "Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut." Van Hoddis und Goldberg kannten sich. Der Garten Eden war, nach einer kuriosen, aber bezeichnenden Formulierung Goldbergs, "ein verfehlter Kompromiss". Denn noch waren an diesem "ganzen ,Paradies'unternehmen" alle Elohim ohne die spätere Unterscheidung beteiligt - Adam war noch kein "Hebräer".

"Die Wirklichkeit der Hebräer" wurde nur einer kleinen Schar von Adepten bekannt - zu denen allerdings Thomas Mann zählte, auch der Dichter (und Nichtjude) Peter Huchel, der, wie Gershom Scholem überlieferte, als "Schabbes-Goj" zum Goldberg-Kreis zählte. Elasar Benyoëtz hat für die fast klandestine, aber umso deutlichere Wirkung, die von Goldberg ausging, die passenden Worte gefunden: "Mit einem metaphysischen Aufwand und vielseitigem wissenschaftlichen Anspruch auftretend, durch keine dichterische Eigenschaft ausgezeichnet, hinterließ das Buch eine kleine, unverkennbare Spur; einen großen, nicht zu entzaubernden Eindruck."

LORENZ JÄGER

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