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Edward W. Saids Essays führen eine Form der Literaturkritik vor Augen, die sich als politische Stellungnahme versteht: Nicht um die Bestätigung eines literarischen Kanons geht es, sondern um die Analyse der Kriterien und Kategorien, auf welche sich Literaturkritik stützt. Einsichtig zu machen sind die politisch-kulturellen Kontexte, auf welche die literarischen Werke ebenso wie die mit ihnen beschäftigte Literaturkritik reagieren.

Produktbeschreibung
Edward W. Saids Essays führen eine Form der Literaturkritik vor Augen, die sich als politische Stellungnahme versteht: Nicht um die Bestätigung eines literarischen Kanons geht es, sondern um die Analyse der Kriterien und Kategorien, auf welche sich Literaturkritik stützt. Einsichtig zu machen sind die politisch-kulturellen Kontexte, auf welche die literarischen Werke ebenso wie die mit ihnen beschäftigte Literaturkritik reagieren.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.02.1998

Das Schwert im Wintermärchen
Theorien auf Wanderschaft: Die frühen Aufsätze von Edward Said

"Traveling Theory" nennt Edward Said einen seiner Essays, von der deutschen Übersetzung etwas altbacken als "Theorien auf Wanderschaft" wiedergegeben. Der eine, homogene Raum von Wissenschaft und Kultur ist nur noch Legende. Literatur und Literaturkritik sind gefordert, auf die "Globalisierung" zu reagieren. Für die Mobilität der Theoriebildungen und die Statusveränderungen des Intellektuellen zwischen den Kulturen gilt Edward Said nach seinem Buch "Orientalism" von 1978 als Experte. "Orientalismus" als westliche Imagination über den "Orient" und als Machtdiskurs im Sinne Foucaults ist mehr als nur der Exotismus in der Literatur. "Orientalismus" meint die Organisation des Wissens im Interesse der Kolonialmächte. Von "Einbildungskraft und Politik" handelte Saids nachfolgende Aufsatzsammlung "Kultur und Imperialismus" (deutsch 1994), der nun der frühere Band "Die Welt, der Text und der Kritiker" mit Aufsätzen aus den Jahren 1969 bis 1981 hinterhergeschickt wird.

Diese ungleichmäßige deutsche Rezeptionsgeschichte dokumentiert Ratlosigkeit, aber auch eine wachsende Aufmerksamkeit für das, was Saids Autorität als "literary critic" zwischen den Kulturen in den Vereinigten Staaten ausmacht: seine doppelte Kompetenz als politischer Autor und Anwalt der palästinensischen Befreiungsbewegung ("Zionismus und palästinensische Selbstbestimmung", 1981) einerseits und als Theoretiker des angloamerikanisch geprägten Literaturkanons andererseits.

Westliches Kanonwissen der Theorien von Marx, Freud und Lukács bis zu Foucault, Lacan und Derrida sowie der Literaturgeschichte von Jane Austen, den englischen Literaturkritikern des neunzehnten Jahrhunderts und Joseph Conrad bis hin zu Yeats, Camus und Beckett: Said unterwandert den Besitzstand des Wissens durch die Kritik des Exilanten und Außenseiters, der, wie Heine im "Wintermärchen", vom engen Zusammenhang zwischen Gedanke und Tat, Wort und Schwert nicht absehen kann. Es ist interessant zu beobachten, welche deutschen Autoren in Saids Weltliteratur vorkommen: Ferdinand Tönnies und Georg Simmel, Rilke und Thomas Mann, immer wieder Walter Benjamin und, keineswegs überraschend, Erich Auerbach, dessen "Mimesis"-Buch von 1946 für den Exil-Autor Said einen hohen Identifikationswert hat.

Die vorliegende Essaysammlung kommt verspätet und ist doch nicht veraltet. Was Anfang der achtziger Jahre als "rettende Kritik" gegenüber dem Dekonstruktivismus der Derrida-Schule und dem an Herrschaftsverhältnissen allzu wenig interessierten Machtbegriff Foucaults gelten konnte, gewinnt heute, nach der offensichtlichen Erschöpfung von "reiner" Texttheorie und "absoluter" Repräsentationskritik, wieder an Bedeutung. Der seit damals erfolgte rasante Aufschwung von Ethnologie, Anthropologie und "new historicism" ist wie die aktuelle Abwendung von der "vertexteten" zugunsten der "performativen" Kultur in Saids Kritik bereits angelegt. Vor allem für die "post-colonial studies" wirkte Said als Vorbild, weniger für die diversen, meist gruppenspezifischen Interessen verbundenen "cultural studies". Seine Reith-Lectures für die BBC ("Representations of the Intellectual", 1994) halten sich - in kritischer Brechung - sogar verstärkt an die Macht des Kanons.

Die deutsche Ausgabe der frühen Essays ist um drei Kapitel über Raymond Schwab, Ernest Renan, Louis Massignon und die "linke" Literaturdebatte in den Vereinigten Staaten gekürzt. Sie enthält Saids grundlegende Bestimmungen der Begriffe "Text", "Kultur" und "Repräsentation" sowie seine Überlegungen zur Kategorie der Originalität und - mit Blick auf Giambattista Vico - zum Prinzip der Wiederholung als zivilisatorischem Akt. Hinzu kommen Rückblicke auf die Naturgeschichte bei Maupertius und Buffon, Exerzitien zur Frage des "organischen Intellektuellen" nach Gramsci und - als Probe aufs Exempel - Interpretationen seiner Lieblingsautoren Jonathan Swift und Joseph Conrad.

Ein Schlüsselwort Saids ist das Adjektiv "worldly". Mit "weltzugewandt", "säkular" oder gar "in der Welt sein" ist es nur in einer Dimension erfaßt, derjenigen der "Entheiligung" der marktgerechten Segnungen der Theorie. "Worldly" meint gegenüber der "religiösen Wende der Kritik", von der das Schlußstück des Buches handelt, ein Verfahren, das die Situation, in die Sprecher und Zuhörer einbezogen sind, im Text selbst sichtbar macht. "Weltliche Textualität" ist ein programmatischer Begriff zur Aufwertung der gesellschaftlich motivierten Schreibtätigkeit gegenüber dem geschriebenen Text. Obwohl Said sich Anfang der achtziger Jahre hauptsächlich auf Raymond Williams beruft, wird der deutsche Leser an die lebensphilosophische Zivilisationskritik der Jahrhundertwende zurückdenken. Auf die Entfremdungskritik des frühen Marx und des vormarxistischen Georg Lukács kommt Said nicht von ungefähr immer wieder zurück.

Saids Literaturinterpretationen spüren der "Präsenz" von Bedeutungen im Repräsentierten nach. In Joseph Conrads Romanen beobachtet er die Überlegenheit des Erzählens über das Erzählte, ein Sprachbewußtsein, das im "Sehen durch Sprache" die Versprachlichung überflüssig machen möchte. Man gewinnt den Eindruck, daß Said den Rousseauisten in sich nicht ohne Anstrengung, aber erfolgreich durch den Foucault-Leser bekämpft, der er auch ist. Swifts "Dramatisierung" der eigenen Schreibweise wird als durchtriebene Strategie erkannt. Der parodistische Schreibgestus folgt den institutionalisierten Handlungs- und Verhaltensweisen; die Schöpfungs- und Ursprungsmythen der Literaturgeschichtsschreibung werden zur Rede gestellt; "Originalität" ist weder in der Sprache noch in der Natur beheimatet, und die Unfähigkeit, das Wahre von der Kopie zu unterscheiden, zeigt sich im "anorganischen" Kunstprinzip, das Said an Thomas Manns "Doktor Faustus" demonstriert.

Saids Literaturkritik ist in ihrem Kern Zivilisationskritik der (westlichen) Moderne. Mit Wittgenstein ist sie als Reflexion von Sprache organisiert. Sie gilt nicht etwa nur der Sphäre, die innerhalb des angelsächsischen "literary criticism" gern mit dem deutschen Wort "Weltanschauung" bezeichnet wird. Saids Sensibilität für das verdeckte Sprechen ist gleich weit entfernt von einer der Realgeschichte entrückten Symbol- und Formgeschichte (Northrop Frye, Hayden White) wie von den Entlarvungen einer Ideologiekritik marxistischer Provenienz, die immer noch an der "Totalität" festhält. Doch profitiert er von deren Versuchen, einen in sich stimmigen Begründungszusammenhang für die Literatur- und Kulturgeschichte zu gewinnen.

Wie die "Textualität" gehört auch die "Übertheoretisierung" zu Saids Feinden. Damit meint er die unendliche, im Faktischen nur zirkulierende Machttheorie Foucaults, dem er gleichwohl viel verdankt. Saids emphatischer Kritik- und Subjektbegriff dagegen will die Stimme artikulieren, die von der "Textualität" des Textes unterdrückt wird, und dies darf man durchaus gradlinig und politisch verstehen.

Said beherrscht das bei uns eher unbekannte Genre "literary criticism", das trotz theoretischer Ambitionen mit wenig Anmerkungen auskommt und die subjektive Wertung nicht scheut, perfekt. Das Begriffs-, Sach- und Namensregister der amerikanischen Originalausgabe erschließt die Gedankenfülle und den Detailreichtum des Buches. Es ist mehr als dreist, daß unsere großen Verlage im Zeitalter von Internet oft noch glauben, den deutschen Leser um diese Serviceleistung betrügen zu können. KLAUS SCHERPE

Edward W. Said: "Die Welt, der Text und der Kritiker". Aus dem Amerikanischen übersetzt von Brigitte Flickinger. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1997. 320 S., geb., 48,- DM.

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