Klimaneutralität bis 2045 lässt sich nur mit Hilfe von grünem Wasserstoff erreichen. Er ist der Schlüssel zur Energiewende und wird durch die Spaltung von Wasser via Ökostrom erzeugt. Was technisch und wirtschaftlich bereits machbar ist, zeigt Monika Rößiger in diesem hochaktuellen Buch.Wasserstoff kann Energieträger und Speichermedium zugleich sein. Er gibt uns die Chance, auf Erdöl, Kohle und Erdgas zu verzichten. Die Wissenschaftsjournalistin Monika Rößiger beschreibt diese revolutionäre Technologie und ist überzeugt: Die kommenden Jahre stellen die Weichen für unsere Zukunft. Unter dem Druck drohender Energieknappheit sollten wir uns nicht erneut in zweifelhafte Abhängigkeiten begeben.Rößiger porträtiert Pilotprojekte und die Menschen dahinter: In der Energieversorgung, Stahlindustrie und Hafenlogistik, beim Antrieb von Lkw, Zügen, Schiffen und Flugzeugen - überall wird die Nutzung erprobt. Und auch für die rentable Produktion grünen Wasserstoffs gibt es interessante Ansätze.Politik, Wirtschaft und Gesellschaft müssen nun an einem Strang ziehen: Mit Hilfe von Wasserstoff können wir die Energiewende schaffen und dabei Wohlstand und Arbeitsplätze in Deutschland sichern.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.04.2023Der grüne Wasserstoff
Ein optimistischer Weckruf
Welche Rolle Wasserstoff bei der Energiewende spielen könnte, blieb zu lange ein Thema nur für Fachkreise. Das hat sich angesichts der Turbulenzen um die Energieversorgung Europas in den vergangenen Monaten geändert. Grüner Wasserstoff gilt mittlerweile als Hoffnungsträger für ein Gelingen der Energiewende, denn klimafreundlich erzeugter Wasserstoff bietet die Chance, auf Erdöl, Kohle und Erdgas zu verzichten und sich damit auch aus der mehr als zweifelhaften Abhängigkeit von nicht berechenbaren Lieferländern zu befreien. Diese Chance darf nicht verspielt werden, meint die Biologin und Wissenschaftsjournalistin Monika Rößiger. Der breite Einsatz von grünem Wasserstoff ist nach ihrer Auffassung der Schlüssel zur Klimaneutralität bis 2050.
Wasserstoff lässt sich gewinnen, indem Wasser mittels Elektrolyse in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt wird. Wenn dieser elektrochemische Prozess mit Strom aus erneuerbaren Energien abläuft, spricht man von grünem Wasserstoff. Mit dem vorliegenden Buch, das für die breite Öffentlichkeit und nicht für wissenschaftliche Zirkel bestimmt ist, wirbt die Autorin für die grüne Energiewende. Sie ist überzeugt davon, dass sich grüner Wasserstoff schon in naher Zukunft in vielen Bereichen einsetzen lässt, etwa in der Energiewirtschaft, der Industrie (hier vor allem Stahlindustrie und chemischer Industrie) sowie beim Antrieb von Lastwagen, Zügen, Schiffen und Flugzeugen. Um dies zu unterstreichen, skizziert sie anschaulich Pilotprojekte und widmet den genannten Segmenten jeweils ein Buchkapitel. Jedes für sich kann man mit Gewinn lesen.
Die Autorin hat ihren durchaus ins Grundsätzliche gehenden Ausführungen keine repräsentative empirische Untersuchung zugrunde gelegt; vielmehr hat sie Beispiele aus der Praxis ausgewählt und dabei ohne Anspruch auf Vollständigkeit eine Serie von Reportagen verfasst. Sie erklärt auch für Laien verständlich, wie mithilfe der Brennstoffzelle aus Wasserstoff Strom und Wärme entsteht. Ihre mit Anekdoten angereicherten Reportagen über ihre Vorortbesuche lesen sich spannend. Sie porträtiert darin auch die Menschen, die hinter den Projekten stehen.
Das mit 20 Euro als sehr preiswert einzustufende handliche Buch macht deutlich, dass grüner Wasserstoff für die Erreichung der Klimaneutralität der Industrie eminent wichtig ist - etwa für die Stahlherstellung. Allein die Erzeugung dieses unverzichtbaren Werkstoffs verursacht sieben Prozent der globalen CO2-Emissionen. Die Autorin umreißt, wie Stahlhersteller ihre Produktion durch den Einsatz von Wasserstoff "grüner" machen können. Sie weist in diesem Zusammenhang aber auch darauf hin, dass "grüner" Stahl zurzeit rund 200 Euro mehr pro Tonne kostet und deutsche Hersteller ohne staatliche Unterstützung nicht mehr wettbewerbsfähig wären. Gleichwohl haben die deutschen Stahlkocher die Herausforderung angenommen. Das gilt auch für die deutsche chemische Industrie. In jüngster Zeit machten Branchenvertreter deutlich, dass der internationale Wettlauf um grünen Wasserstoff, der aus der ganzen Welt unter anderem aus Australien, Chile, Namibia bezogen werden müsse, an Brisanz gewonnen habe, denn grüner Wasserstoff bleibe noch auf längere Sicht knapp. Langfristige Liefervereinbarungen über große Volumina seien jetzt schon heiß umkämpft.
Die Autorin erläutert, wie mit Wasserstoff betriebene Lastwagen, Bahnen und Schiffe nachhaltiger werden können. Ein schwieriges Feld dürfte allerdings - so ihre Einschätzung - die Luftfahrt werden. Dennoch: Airbus hat angekündigt, bis 2035 ein marktreifes, mit Wasserstoff angetriebenes Flugzeug anzubieten.
Insgesamt ist Monika Rößiger optimistisch, dass die von ihr propagierte Wasserstoffwende gelingen kann. Ohne Zweifel ist der Handlungsdruck angesichts der aktuellen politischen Situation in Europa und der daraus resultierenden Probleme der Energieversorgung sehr groß. Rößigers Buch erhält somit durch den Ukrainekrieg eine neue, über den Klimaschutz hinausgehende Bedeutung. So heißt es, der Krieg habe Industrie und Verbrauchern "vor Augen geführt, wie riskant und unklug die Abhängigkeit von fossilen Energien ist". Spätestens seit Kriegsausbruch sei - so die Autorin - die Wasserstofftechnologie ein bestimmendes Thema, in das viele Hoffnungen gesetzt würden. Gleichwohl muss man der Autorin aber auch zurufen, dass die breite Nutzung der Wasserstofftechnologie in den von ihr genannten Wirtschaftssegmenten alles andere als ein Spaziergang wird. Es sind Megainvestitionen nicht zuletzt auch in die Transportkapazitäten für einen globalen Wasserstoffmarkt erforderlich. Die damit zusammenhängenden Fragen müssen noch intensiv von Ökonomen recherchiert werden, und auch die Politik muss sich ihrer mehr als bisher geschehen bewusst werden.
Das vorliegende Buch ist ein Weckruf zur rechten Zeit. Durch aufmerksame Lektüre gewinnen auch Normalbürger ein besseres Verständnis der Hintergründe und der nicht gerade geringen Herausforderungen, die mit der Wasserstoff-Wende verbunden sind. Die Autorin macht Mut, dass mithilfe von Wasserstoff die Energiewende hin zur Klimaneutralität zu schaffen ist und dass mit der neuen revolutionären Technologie Wohlstand und Arbeitsplätze in Deutschland gesichert werden können. Die Weichen müssten aber jetzt richtig gestellt werden. ROBERT FIETEN
Monika Rößiger: Die Wasserstoff-Wende. So funktioniert die Energie der Zukunft. Edition Körber, Hamburg 2022, 256 Seiten, 20 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein optimistischer Weckruf
Welche Rolle Wasserstoff bei der Energiewende spielen könnte, blieb zu lange ein Thema nur für Fachkreise. Das hat sich angesichts der Turbulenzen um die Energieversorgung Europas in den vergangenen Monaten geändert. Grüner Wasserstoff gilt mittlerweile als Hoffnungsträger für ein Gelingen der Energiewende, denn klimafreundlich erzeugter Wasserstoff bietet die Chance, auf Erdöl, Kohle und Erdgas zu verzichten und sich damit auch aus der mehr als zweifelhaften Abhängigkeit von nicht berechenbaren Lieferländern zu befreien. Diese Chance darf nicht verspielt werden, meint die Biologin und Wissenschaftsjournalistin Monika Rößiger. Der breite Einsatz von grünem Wasserstoff ist nach ihrer Auffassung der Schlüssel zur Klimaneutralität bis 2050.
Wasserstoff lässt sich gewinnen, indem Wasser mittels Elektrolyse in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt wird. Wenn dieser elektrochemische Prozess mit Strom aus erneuerbaren Energien abläuft, spricht man von grünem Wasserstoff. Mit dem vorliegenden Buch, das für die breite Öffentlichkeit und nicht für wissenschaftliche Zirkel bestimmt ist, wirbt die Autorin für die grüne Energiewende. Sie ist überzeugt davon, dass sich grüner Wasserstoff schon in naher Zukunft in vielen Bereichen einsetzen lässt, etwa in der Energiewirtschaft, der Industrie (hier vor allem Stahlindustrie und chemischer Industrie) sowie beim Antrieb von Lastwagen, Zügen, Schiffen und Flugzeugen. Um dies zu unterstreichen, skizziert sie anschaulich Pilotprojekte und widmet den genannten Segmenten jeweils ein Buchkapitel. Jedes für sich kann man mit Gewinn lesen.
Die Autorin hat ihren durchaus ins Grundsätzliche gehenden Ausführungen keine repräsentative empirische Untersuchung zugrunde gelegt; vielmehr hat sie Beispiele aus der Praxis ausgewählt und dabei ohne Anspruch auf Vollständigkeit eine Serie von Reportagen verfasst. Sie erklärt auch für Laien verständlich, wie mithilfe der Brennstoffzelle aus Wasserstoff Strom und Wärme entsteht. Ihre mit Anekdoten angereicherten Reportagen über ihre Vorortbesuche lesen sich spannend. Sie porträtiert darin auch die Menschen, die hinter den Projekten stehen.
Das mit 20 Euro als sehr preiswert einzustufende handliche Buch macht deutlich, dass grüner Wasserstoff für die Erreichung der Klimaneutralität der Industrie eminent wichtig ist - etwa für die Stahlherstellung. Allein die Erzeugung dieses unverzichtbaren Werkstoffs verursacht sieben Prozent der globalen CO2-Emissionen. Die Autorin umreißt, wie Stahlhersteller ihre Produktion durch den Einsatz von Wasserstoff "grüner" machen können. Sie weist in diesem Zusammenhang aber auch darauf hin, dass "grüner" Stahl zurzeit rund 200 Euro mehr pro Tonne kostet und deutsche Hersteller ohne staatliche Unterstützung nicht mehr wettbewerbsfähig wären. Gleichwohl haben die deutschen Stahlkocher die Herausforderung angenommen. Das gilt auch für die deutsche chemische Industrie. In jüngster Zeit machten Branchenvertreter deutlich, dass der internationale Wettlauf um grünen Wasserstoff, der aus der ganzen Welt unter anderem aus Australien, Chile, Namibia bezogen werden müsse, an Brisanz gewonnen habe, denn grüner Wasserstoff bleibe noch auf längere Sicht knapp. Langfristige Liefervereinbarungen über große Volumina seien jetzt schon heiß umkämpft.
Die Autorin erläutert, wie mit Wasserstoff betriebene Lastwagen, Bahnen und Schiffe nachhaltiger werden können. Ein schwieriges Feld dürfte allerdings - so ihre Einschätzung - die Luftfahrt werden. Dennoch: Airbus hat angekündigt, bis 2035 ein marktreifes, mit Wasserstoff angetriebenes Flugzeug anzubieten.
Insgesamt ist Monika Rößiger optimistisch, dass die von ihr propagierte Wasserstoffwende gelingen kann. Ohne Zweifel ist der Handlungsdruck angesichts der aktuellen politischen Situation in Europa und der daraus resultierenden Probleme der Energieversorgung sehr groß. Rößigers Buch erhält somit durch den Ukrainekrieg eine neue, über den Klimaschutz hinausgehende Bedeutung. So heißt es, der Krieg habe Industrie und Verbrauchern "vor Augen geführt, wie riskant und unklug die Abhängigkeit von fossilen Energien ist". Spätestens seit Kriegsausbruch sei - so die Autorin - die Wasserstofftechnologie ein bestimmendes Thema, in das viele Hoffnungen gesetzt würden. Gleichwohl muss man der Autorin aber auch zurufen, dass die breite Nutzung der Wasserstofftechnologie in den von ihr genannten Wirtschaftssegmenten alles andere als ein Spaziergang wird. Es sind Megainvestitionen nicht zuletzt auch in die Transportkapazitäten für einen globalen Wasserstoffmarkt erforderlich. Die damit zusammenhängenden Fragen müssen noch intensiv von Ökonomen recherchiert werden, und auch die Politik muss sich ihrer mehr als bisher geschehen bewusst werden.
Das vorliegende Buch ist ein Weckruf zur rechten Zeit. Durch aufmerksame Lektüre gewinnen auch Normalbürger ein besseres Verständnis der Hintergründe und der nicht gerade geringen Herausforderungen, die mit der Wasserstoff-Wende verbunden sind. Die Autorin macht Mut, dass mithilfe von Wasserstoff die Energiewende hin zur Klimaneutralität zu schaffen ist und dass mit der neuen revolutionären Technologie Wohlstand und Arbeitsplätze in Deutschland gesichert werden können. Die Weichen müssten aber jetzt richtig gestellt werden. ROBERT FIETEN
Monika Rößiger: Die Wasserstoff-Wende. So funktioniert die Energie der Zukunft. Edition Körber, Hamburg 2022, 256 Seiten, 20 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Grüner Wasserstoff wird mit Strom aus erneuerbaren Quellen via Elektrolyse hergestellt, erfährt Rezensent Robert Fieten in Monika Rößigers eingängiger, für Laien und Einsteiger geeigneten Einlassung zu dem, was für sie der "Schlüssel zur Klimaneutralität" ist. Fieten lässt sich gern auf ihr aus mehreren Reportagen über exemplarische Wasserstoffprojekte verfasstes Buch ein, auch wenn er nicht ganz so optimistisch ist wie die Autorin und nachdrücklich darauf hinweist, dass eine komplette Umstellung auf Öko-Wasserstoff aufgrund von Kosten und Verfügbarkeiten "alles andere als ein Spaziergang" wird. Das Buch liest er so auch als Handlungsmotivation, die er dem Lesepublikum gerne ans Herz legt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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