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Erscheint vorauss. Juli 2024
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Cesenatico, Romagna, 1920er Jahre. Der größte Fischhändler des Ortes, gebürtig aus Chioggia, der Perle der Adria, ist tot. Andreana, seine Angetraute, sitzt auf einem Berg Schulden. Sie will zur Trauer Rot tragen. Tochter Anita, nach Garibaldis Genossin benannt, züchtig in Schwarz gekleidet, ist eine »Studierte«, doch ohne Ambitionen, als Volksschullehrerin zu arbeiten. Fortunato, der angebetete Sohn, macht sich rasch aus dem Staub. »Mondo«, der jetzt amtierende größte Fischhändler wittert sein Glück, ehelicht die Witwe, gerät aber bald in die Fänge von Mascha, einer rachsüchtigen Tänzerin,…mehr

Produktbeschreibung
Cesenatico, Romagna, 1920er Jahre. Der größte Fischhändler des Ortes, gebürtig aus Chioggia, der Perle der Adria, ist tot. Andreana, seine Angetraute, sitzt auf einem Berg Schulden. Sie will zur Trauer Rot tragen. Tochter Anita, nach Garibaldis Genossin benannt, züchtig in Schwarz gekleidet, ist eine »Studierte«, doch ohne Ambitionen, als Volksschullehrerin zu arbeiten. Fortunato, der angebetete Sohn, macht sich rasch aus dem Staub. »Mondo«, der jetzt amtierende größte Fischhändler wittert sein Glück, ehelicht die Witwe, gerät aber bald in die Fänge von Mascha, einer rachsüchtigen Tänzerin, die ihre Herkunft aus den stinkenden Fischergassen vergessen will. Mit viel List jubelt sie dem erstrangigen Fischhändler die Idee mit der Fischsuppen-Konservenfabrik unter. Das bringt die Fischereizunft in Rage und jenem Großprotz den Untergang. Das Unglück schlägt hohe Wellen über Andreana; die Sprösslinge haben sich vollends von ihr abgewandt. Soziale Kälte in Reinform. Mit viel Verstand und weiblicher Urgewalt nimmt Andreana, schwanger mit Mitte vierzig, ihr Schicksal in die eigene Hand. Sie bietet der gnadenlosen und ewig zerstrittenen Gesellschaft die Stirn und behauptet sich alla grande in der absoluten Männerdomäne der Fischhändler. Ist die zum Schimpfwort mutierte pescivendola / das Fischweib gar ein nachhaltiger Racheakt der entmachteten Männer? Ein opulentes, an Fellini-Filme erinnerndes Panorama der Region Romagna, jenseits aller Klischees. Ein sprachliches Feuerwerk - die Übertragungen des romagnolischen und venetischen Soziolekts - einfach köstlich! Melancholischer Humor voll Tragisch-Komischem durchzieht die Geschichte, funkelnde Ironie bildet das perfekte Gegenstück zu jedem Pathos. Mit teils zynischem Naturalismus schildert Moretti die einzigartige Welt der Fischerei, in der Fischer und Fischhändler sich wie feindliche Lager gegenüberstehen, dennoch alle an einem Strang ziehen. Die Welt der Arbeit ist ihr einziges Identitätsgerüst, was das »Mehr Scheinen als Sein« miteinschließt. Arbeit als die wahre menschliche Substanz. Bis die Industriemoderne alles ins Wanken bringt. Hier kann nur die Frau helfen, die stärker ist als jeder Mann. Zu lesen auch als Blaupause für die heutige Gesellschaft, in der die soziale Schere weit geöffnet und der Identitätsfaktor Arbeit und Handwerk ausgehöhlt wird. Wo die vielen Egos sich in immer krasseren Abgrenzungs- und Identitätskämpfen verstricken. Und rein menschliche Gemeinschaften keinen Zulauf mehr haben.
Autorenporträt
Marino Moretti wurde 1885 in Cesenatico geboren, wo er 1979 auch verstarb; sein Haus ist heute ein Museum, wo Menschen und Bücher zusammentreffen sollen. Seine Schildkröte Cunigonda aus Neapel segnete 2003 das Zeitliche. Moretti wurde zunächst als Dichter im Kreis des crepularismo bekannt, der sich radikal vom Schwulst des Fin de siècles abkehrte. 'Bleistiftgedichte' (was an Robert Walser erinnert) und seine Selbstauskunft 'Ich habe nichts zu sagen' sind eine herrliche, programmatische Überspitzung. Ab 1913 schreibt er mit beachtlichem Publikumserfolg insgesamt 20 Romane, zahlreiche Erzählungen, Reiseberichte. Infolge der Veröffentlichung seines Erstlings Il sole del sabato (Die Samstagssonne), ab 1913 als Fortsetzung in einer Tageszeitung, entstand eine enge Freundschaft mit der seinerzeit bekanntesten weiblichen Figur der italienischen Literaturlandschaft: Grazia Deledda, aus Núoro, zukünftige Nobelpreisträgerin, mit Sommerhaus in Cervia: 'Ich denke, mit Ihnen ist tatsächlich die Sonne über unseren literarischen Landen aufgegangen'1, verkündet Deledda im ersten Brief. Da hatte sie bereits ihre bekanntesten Romane Efeu und Schilf im Wind veröffentlicht. Ihr Interesse galt nicht nur dem feschen Moretti, wohl auch seinen außerordentlich lebendigen, sozialpsychologisch prägnanten Frauenfiguren, Erzählnukleus aller seiner Romane; Deledda fieberte mit deren Romanschicksalen mit. Auf den Punkt gebracht von Cristiano Cavina: 'Bei Moretti haben die weiblichen Figuren, auch die bösen, tausendmal mehr Charakter als die Männer. Sie halten den Laden am Laufen.' 'Ach, hört doch auf!', sagte Mascha fuchsig. 'Wo wären denn die großen Männer, die Businessmen, wenn sie sich so aufgeführt hätten, wenn sie gesagt hätten: Ich hatte mal einen Traum, den Traum vom Brodetto in der Dose, aber lassen wir's gut sein?' 'In Comacchio haben sie mich betrogen', ächzte Mondo mit leerem Blick. 'Das Holz ... die Bottiche taugen nichts ...' 'Und das ist alles? Meint Ihr nicht, dass Ihr jetzt etwas Neues erfinden solltet, eine Dose, genial und praktisch, ganz anders als die Konserven sonst? Aus Blech, zum Beispiel ...' Im Gegensatz zur Deledda war Marino Moretti unter den Unterzeichnern des 'Manifests der antifaschistischen Intellektuellen', verfasst von Benedetto Croce, abge- druckt am 1. Mai 1925 in den Tageszeitungen Il Mondo und Il Popolo als Replik auf das Manifest der faschistischen Intellektuellen, federführend Giovanni Gentile, aktiver Unterstützer Mussolinis. Neben Moretti und vielen anderen: Luigi Einaudi, Eugenio Montale, Matilde Serao und Giuseppe Levi, Vater von Natalia Ginzburg.