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Produktdetails
  • Verlag: Psychosozial Verlag
  • Deutsch
  • ISBN-13: 9783898062367
  • ISBN-10: 3898062368
  • Artikelnr.: 24807092
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.06.1997

Sich mit Händen und Füßen gegen die Verführung wehren
Eine harte Fügung korrigiert die windelweichen Übersetzungen: Jean Laplanche zieht Freuds Theorie eine neue Sprache über

In der Frage, wie mit Freuds Texten umzugehen sei, haben sich zwei grundsätzlich verschiedene Lesarten herauskristallisiert: die hermeneutische, der Autorenintention nachspürende Sinnauslegung, und die an der Wortgestalt, am Signifikanten, orientierte Arbeit am Text. Jean Laplanche, der vor dreißig Jahren zusammen mit J. B. Pontalis das "Vokabular der Psychoanalyse" herausgegeben hat, gehört der zweiten Richtung an. Obwohl Laplanche sich an Lacans Schulgründung nicht beteiligte und sich in zwei gewichtigen Studien zur "Urphantasie" und dem "Unbewußten" von Lacan eher vorsichtig distanzierte, ist er ihm in der grundsätzlichen Orientierung an der Beschäftigung mit Freuds Texten treu geblieben.

Dies hat über die Jahre hinweg zu einem der interessantesten und heftig diskutierten Editionsprojekte in Frankreich geführt: die unter der Federführung Laplanches in Angriff genommene Neuübersetzung der Werke Freuds. Ihre Besonderheit besteht darin, daß die beteiligten Übersetzer auf ein umfangreiches Glossar verpflichtet sind, das die Einheitlichkeit der Übersetzungen garantieren wird; obendrein hat Laplanche schon eingeführte, aber ungenaue, wenn nicht verfälschende Begriffsübersetzungen durch treffendere ausgetauscht oder gleich ganz neue Wortschöpfungen an ihre Stelle gesetzt.

Leitlinie ist dabei die möglichst wortgetreue Übersetzung, eine Praxis, für die es das schöne, der antiken Rhetorik entlehnte Wort der "harten Fügung" gibt, die von der Leserschaft jedoch meist nicht besonders geschätzt wird, da sie die Fremdsprache in der Übersetzung nicht vergessen macht, sondern genau gegenläufig durch die harte Wort-für-Wort-Übersetzung die Muttersprache selbst verfremdet (ebendieses Verfahren hat ja auch der deutschen Lacan-Übersetzung einige Vorwürfe eingetragen).

Aus den Jahren dieser Editions- und Übersetzungsarbeit ist nun eine Auswahl von Aufsätzen, Vorträgen und Interventionen erschienen, die eine andere Auswahl früherer Texte ("Die allgemeine Verführungstheorie") glücklich ergänzt. Die Spuren der Übersetzungsarbeit sind in den vorliegenden Beiträgen naturgemäß unübersehbar. Augenfällig ist aber auch, welch eigenen Weg Laplanche im Verhältnis zu Freud einschlägt. Denn im Gegensatz zu Lacan versteht sich Laplanche als Postfreudianer. Nicht daß er damit die freudianische Gewißheit opfern würde, daß, wer Psychoanalyse sagt, auch Sexualität sagen müsse, eher umgekehrt: Laplanche versucht, theoretische Schwächen und "ptolemäische Rückfälle" zu korrigieren, um Freud gerade in seinen avanciertesten Annahmen zu stärken und diese möglicherweise in eine neue, von Freud selbst nicht wahrgenommene Konfiguration zu bringen.

Als einen der folgenschwersten dieser Irrwege nennt er die "unvollendete kopernikanische Revolution der Psychoanalyse", Freud habe mit seiner operationalisierten Entdeckung des Unbewußten das menschliche Subjekt zwar sich selbst entfremdet, es dezentriert, gleichwohl relativiere er diese Entdeckung immer wieder, zeige die "konstante Tendenz einer Rückkehr zur Selbstzentrierung" und falle also auf eine "ipsozentrische Position" zurück.

Laplanche ist souveräner Praktiker genug, um in Erwägung zu ziehen, daß diese theoretischen Rückfälle ihre Parallele in der "Sache selbst" haben könnten, da auf jede Öffnung des Unbewußten unvermeidlich ein narzißtisches Wiederverschließen des Seelenapparats folge. Gleichwohl konstatiert er bei Freud die mangelnde Ausarbeitung einer Übersetzungstheorie, vor allem das Fehlen der Kategorie der "verführerischen" Botschaft: Denn was sich als elterliches Verhalten zeigt und beim Kind als traumatisches Schauspiel ankommt, das von ihm erst symbolisiert werden muß, geschieht für Laplanche nie ohne einen, sicherlich meist unbewußten, sexuellen Hintersinn.

Dieses "Eingreifen des Sexuellen" orientiere das kleine Subjekt und sein Unbewußtes von Anfang an auf den anderen. Mit dieser "allgemeinen Verführungstheorie" geht Laplanche zwar, wie er selbst einräumt, über Freud hinaus, gerade dadurch gelingt es ihm jedoch, dieser höchst umstrittenen Theorie Aspekte abzugewinnen, von denen die Entlarvungsliteratur, die zu diesem Reizthema im Umlauf ist, noch nicht einmal eine Ahnung hat.

Interessant ist auch Laplanches Parallelisierung von Übersetzen und psychoanalytischer Deutung. Beispiel dafür ist die hochgerühmte Bibelübersetzung von André Chouraki (zu der es im übrigen ein deutsches Gegenstück gibt: die vor Jahren aus dem Nachlaß herausgegebene Übersetzung des Neuen Testaments von Fridolin Stier), der es geglückt ist, den aus der griechischen Vorlage verdrängten hebräischen Sprachhintergrund ins Französische wieder hineinzunehmen, "das Verdrängte, das heißt das ins Griechische Nicht-Übersetzte zu reinjizieren". Ganz ähnlich versteht Laplanche das psychoanalytische Deuten als "Entübersetzung" einer existierenden, möglicherweise symptomatischen Übersetzung, um "eine ,bessere' Übersetzung zu ermöglichen, eine vollständigere, umfassendere und weniger verdrängende". Das übergeordnete Ziel bleibt in jedem Fall, die Beständigkeit des Unbewußten, den Vorrang der Anrede des anderen aufrechtzuerhalten, das heißt, der narzißtischen Selbstverschließung entgegenzuarbeiten.

Das sind vielversprechende Ansätze, die freilich in ihrer Präsentation etwas enttäuschen, da der Band insgesamt mehr den Eindruck einer Sammlung von Arbeitspapieren als den einer auch stilistisch beeindruckenden Theorie macht. Sujets wie das Verhältnis von Sprache und nicht linguistisch verstandener Übersetzungstheorie oder die Problematik der Anwendung des Schriftmodells auf den psychischen Apparat (die der Autor abweist) würden zudem eine wesentlich ausführlichere Behandlung verdienen. Manches, was widersprüchlich erscheint, verdankt sich wahrscheinlich nur der Kürze der Darstellung. Deshalb ist es wünschenswert, daß eine größere zusammenhängende Publikation des Autors ins Deutsche übersetzt werde. EDITH SEIFERT

Jean Laplanche: "Die unvollendete kopernikanische Revolution in der Psychoanalyse". Aus dem Französischen von Udo Hock. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1996. 220 S., br., 24,90 DM.

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