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  • Buch mit Leinen-Einband

Produktdetails
  • Verlag: Hirmer
  • Seitenzahl: 270
  • Abmessung: 30mm x 259mm x 339mm
  • Gewicht: 2160g
  • ISBN-13: 9783777479200
  • ISBN-10: 3777479209
  • Artikelnr.: 07647004
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.04.2004

Junge Wilde aus Holland
Der Faksimile-Verlag hat die „Belles Heures” des Johann von Berry reproduziert
Obwohl sie im 16. Jahrhundert abgerissen wurde, wissen wir genau, wie die Festung des spätmittelalterliche Louvre in Paris aussah. Dieses Wissen verdanken wir einer Darstellung im letzten der berühmten Stundenbücher Johanns, des Herzogs von Berry. Die heute in Chantilly lagernden „Très Riches Heures” enthalten, als Ergänzung zu den gängigen liturgischen Abteilungen, ein Kalendarium mit bukolischen Darstellungen aus dem Jahreszyklus. Auf dem Oktoberblatt bestellen Bauern ein Feld vor den Toren von Paris; im Hintergrund erhebt sich der Louvre, wie er zu Zeiten der Könige Karl V. und Karl VI. aussah. Lange schrieb man diese architektonisch präzise Illumination den genialen Gebrüdern Limburg zu; wahrscheinlicher ist jedoch, dass sie von Barthélemy d’Eyck fertiggestellt wurde, einem Verwandten Jan van Eycks. Die Brüder Limburg selbst waren zu diesem Zeitpunkt bereits tot.
Das militärische Desaster der französischen Niederlage 1415 bei Azincourt und das dadurch erzwungene Troyes-Abkommen mit den Engländern bedeutete einen harten Einschnitt in der Entwicklung der blühenden französischen Buchmalerei. Die Hälfte des französischen Adels, der die Pariser Künstler finanzierte, war nach Azincourt tot oder in Gefangenschaft. Johann von Berry, Onkel des manisch-depressiven Königs Karl VI., überlebte die Demütigung nur ein Jahr, die Brüder Limburg wurden, ebenfalls 1416, von einer Seuche dahingerafft.
Umso größer ist daher die Bedeutung des einzigen, noch in Friedenszeiten entstandenen Stundenbuches des bibliophilen Mäzens Berry, das die Limburgs ganz ausmalten: die „Belles Heures” von 1409. Sie sind in jeder Hinsicht kostbar: In keinem anderen Berry-Horarium, auch nicht den ungefähr zur selben Zeit entstandenen „Très Belles Heures de Notre Dame” des Jacquemart de Hesdin oder den „Grandes Heures”, ist so viel Blattgold verarbeitet. Und in keinem bricht sich eine so furiose innovative Energie Bahn wie die der Brüder Paul, Herman und Johann Limburg aus Nimwegen.
Der größte Teil der „Belles Heures” befindet sich seit 1996 in den Restaurationswerkstätten des New Yorker Metropolitan Museum of Art; viele ihrer Seiten sind von Verfall bedroht. Den Umstand, dass das Stundenbuch zur Restaurierung ohnehin auseinander genommen werden musste, hat der Luzerner Faksimile-Verlag genutzt, um eine makellose Kopie des illuminatorischen Kleinods herzustellen. Wer das Stundenbuch gleichsam selbst durchblättern will, kann dies nun also tun – vorausgesetzt, er bringt die notwendigen 9 980 Euro (Subskriptionspreis: 8 980 Euro) für das Faksimile auf. Preiswerter und zugleich noch beeindruckender ist allerdings die Betrachtung der neun restauratorisch gesicherten originalen Doppelblätter aus den „Belles Heures”, die der Louvre im Rahmen seiner großartigen Ausstellung „Paris 1400” zeigt (siehe auch Seite 13).
Schon der Vergleich mit den harten, typisierten Grisaillen in Stundenbüchern, die eine Generation zuvor entstanden, zeigt, welche Neuerung die freie, naturalistische Gestaltung der Limburgs bedeutete. Zugleich zeichnen sich die „Belles Heures” durch eine ästhetische Durchformung aus, mit der höchstens noch die „Très Riches Heures” zu konkurrieren vermögen: Die Rankenbordüren sind auf jeder Seite durch das Pergament hindurchgepaust, so dass sich recto und verso eine korrelierende, spiegelbildliche Verzierung ergibt.
Paul Limburg kam vom Tafelbild, seine beiden Brüder waren Goldschmiede. Das pralle Körperideal zeitgenössischer Emaille-Skulpturen diente ihnen wohl als Vorbild für ihre bis dahin unerreicht dreidimensionale Figurenmalerei, wie sie zum Beispiel die Illustration des Endes der römischen Pestepidemie (folio 74) aufweist. Eine der Pestleichen, die hier zu Grabe getragen werden, ist zudem in kühner Verkürzung dargestellt. Der Kopf fällt in den Nacken, dessen Muskulatur bis zur Verkrampfung angespannt erscheint. Neben solch aufwühlenden Darstellungen bieten die „Belles Heures” Szenen tiefer Intimität. Die vielleicht rührendste Darstellung dieser Art ist die Illustration des letzten Textes im Marienoffizium, die Flucht nach Ägypten (folio 63). Maria, die im Damensitz auf einem für die Zeit ungewöhnlich gut getroffenen Esel reitet, hat ihr Gesicht vom Betrachter weg- und dem besorgt über ihre Schulter blickenden Jesuskind zugewandt. So vermittelt sich inmitten spektakulär zusammenbrechender Götzenbilder, die der Gegenwart des Erlösers nicht stand zu halten vermögen, ein Augenblick inniger Verbundenheit zwischen Mutter und Kind.
Form, Farbe, Motivbehandlung – in allen Bereichen der Buchmalerei setzten die Gebrüder Limburg Maßstäbe. Mit welch „jugendlicher Respektlosigkeit” sie dabei zu Werke gingen, so bemerkt der Berliner Kunsthistoriker Eberhard König im Begleitband zum Luzerner „Belles Heures”-Faksimile, sei schon daran zu erkennen, wie sie mit ihrem Auftraggeber und Förderer umgegangen seien: In seinem prächtigesten Stundenbuch findet sich kein einziges verlässliches Stifterportrait des Herzogs Johann von Berry.
ALEXANDER MENDEN
Seenothelfer St. Nikolaus: Nie zuvor toste ein Stundenbuch-Sturm so pastos wie bei den Brüdern Limburg.
Foto: Katalog
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