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Es war eine Tragödie, die ein ganzes Land erschütterte
Welche Spuren hinterlässt ein Terrorangriff in der Seele von Menschen? Wie verändert er das Innenleben einer Gemeinschaft?
Es war eine unvorstellbare Tat, die ein ganzes Land erschütterte: Als die kleine norwegische Insel Utøya am 22. Juli 2011 vom Terror getroffen wurde, stand die Welt für einen Moment still. 77 Menschen fielen einem unbeschreiblichen Massaker zum Opfer. Es waren vor allem Jugendliche, die ihr Leben ließen. Jungen und Mädchen, Mitglieder der sozialistischen Arbeiterjugend, die ihr alljährliches Sommercamp auf der…mehr

Produktbeschreibung
Es war eine Tragödie, die ein ganzes Land erschütterte

Welche Spuren hinterlässt ein Terrorangriff in der Seele von Menschen? Wie verändert er das Innenleben einer Gemeinschaft?

Es war eine unvorstellbare Tat, die ein ganzes Land erschütterte: Als die kleine norwegische Insel Utøya am 22. Juli 2011 vom Terror getroffen wurde, stand die Welt für einen Moment still. 77 Menschen fielen einem unbeschreiblichen Massaker zum Opfer. Es waren vor allem Jugendliche, die ihr Leben ließen. Jungen und Mädchen, Mitglieder der sozialistischen Arbeiterjugend, die ihr alljährliches Sommercamp auf der Insel abhielten. Die Opfer kamen aus ganz Norwegen, aus allen Teilen eines Landes, das in geografischer Hinsicht groß und abwechslungsreich ist, zugleich aber eine kleine Nation beherbergt, in denen sich die Menschen ungewöhnlich nahe sind. Erika Fatland reiste durch ein gezeichnetes Land, von Longyearbyen (Spitzbergen) im Norden bis nach Mandal im Süden, um mit Überlebenden, Angehörigen, Betroffenen und Hinterbliebenen zu sprechen. In ihren Porträts lässt sie die Menschen vom 22. Juli und all den Tagen danach erzählen und zeichnet ein umfassendes Bild dieses friedlichen Landes, das plötzlich und unerwartet mit seiner größten nationalen Krise und Tragödie seit dem Zweiten Weltkrieg konfrontiert wurde. Gleichzeitig stellt sie die Geschehnisse in einen größeren Zusammenhang, denn unbändigen Hass und mörderische Wut gibt es überall - in Oklahoma ebenso wie in Beslan, in Winnenden wie auf Malta.
Autorenporträt
Fatland, Erika
Erika Fatland, geboren 1983, ist eine norwegische Autorin und Sozialanthropologin. Sie studierte in Lyon, Helsinki, Kopenhagen und Oslo, spricht sieben Sprachen und verbringt einen Großteil ihrer Zeit auf Reisen. Ihr Interesse gilt den Opfern und Überlebenden von Terrorangriffen und anderen Tragödien, denen sie in ihren hoch gelobten und in vielen Sprachen übersetzten Büchern eine Stimme gibt. Erika Fatland lebt mit ihrem Lebensgefährten Erik Fosnes Hansen in Oslo.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.04.2013

So treibt man dem Leser Tränen in die Augen
Die gesellschaftspolitischen Folgen des Massenmords werden ausgeblendet: Erika Fatland berichtet in "Die Tage danach" von den Opfern des Mörders von Utøya

In den norwegischen Buchhandlungen liegen stapelweise Bücher, die sich mit den Anschlägen von Oslo und Utøya befassen - feuilletonistische Notizen aus dem Gerichtssaal, Aufgeblasenes zu Breiviks E-Mails, Biographisches zu seinem Anwalt, Pikantes aus den Jugendamtsakten über Breiviks Mutter. Dann gibt es da noch den Bildband von Andrea Gjestvang, in dem dreiundvierzig Überlebende des 22. Juli 2011 porträtiert werden. Das Titelfoto, ein Mädchen mit großen Halsnarben, wurde vom Klub der Pressefotografen zum "Bild des Jahres" gewählt. Es treibt dem Betrachter die Tränen in die Augen.

Ähnlich ist es bei der nun ins Deutsche übersetzten Reportage "Die Tage danach", die im Original unter dem poetischen Titel "Das Jahr ohne Sommer" verkauft wird. Auch hier wird der Leser gezwungen, sich in die traumatischen Erlebnisse des 22. Juli hineinzuversetzen. Er kann nicht wegsehen. Er rennt und versteckt sich. Er liegt bei blutenden Opfern, sitzt bei schweigenden Familien, hockt im Gerichtssaal. Und merkt, Station für Station, wie klein und vernetzt doch dieses Land ist.

Erika Fatland schildert nahezu romanhaft, was ihr die Überlebenden und Opferfamilien über das Grauen und die Stille danach erzählten. Auch wenn es den von Fatland besuchten Familien bedeutsam erscheinen mag, den Albtraum ihrer Kinder aufgeschrieben zu wissen, liegt das Ergebnis hart am Rande des Voyeurismus. Bei einer Tat wie dieser muss man nicht alle Details wissen, um die Opfer in die Gebete einschließen zu können.

Vor Jahren reiste Fatland für eine Masterarbeit in Sozialanthropologie in die nordossetische Stadt Beslan, in der Terroristen im Herbst 2004 eine Schule überfielen; am Ende der Geiselnahme waren 333 Menschen tot. Sie wollte wissen, wie eine "relativ kleine Lokalbevölkerung" mit einem solchen Schock umgeht. Ihr Buch über Beslan erschien in den Wochen der Anschläge von Oslo und gewann 2012 den renommierten Brage-Preis.

Nun verknüpft sie die norwegischen mit den russischen Beobachtungen, um zugleich über Anders Behring Breivik hinweg auf den Amokläufer von Winnenden, amerikanische Terroristen wie Ted Kaczynski und Timothy McVeigh zu blicken. Im Falle Beslans bringt das nicht viel; das Ergebnis gleicht der Feststellung von Fatlands Lebensgefährten Erik Fosnes Hansen, der den 22. Juli 2011 als "eine Lektion" dafür bezeichnete, "was jeder Gesellschaft in einer Zeit widerfahren kann, da extremes Gedankengut und Gewaltphantasien in Subkulturen legitim geworden sind."

Auch Norwegen ist Teil dieser fiebernden Welt. Das wird den Überlebenden des sozialdemokratischen Ferienlagers, aus denen eine neue Politikergeneration hervorwachsen wird, schmerzhafter bewusst sein als der Generation ihrer Eltern, die sich bis zum Anschlag von Staat und Wohlstand geschützt glaubte.

Interessanter ist Fatlands Annäherung an einen Täter, den das Gericht erst nach heftigen Diskussionen für zurechnungsfähig erklärte. Weshalb wollte Breivik nicht bloß die Bombe, sondern das serielle Morden? Weil das Morden, wie es der Täter von Winnenden kurz vor der Festnahme sagte, einfach "Spaß macht?"

Fatland beschreibt Breivik als einen "Tempelritter auf anabolen Steroiden", und fast meint man, Breivik sei in den politischen Mantel bloß hineingeschlüpft wie zur Tarnung eines verletzten Ichs. Natürlich setzt sie sich mit der kulturkonservativen Ideologie von Breivik und islamophoben Bloggern auseinander - darunter der Brite "Lionheart", den sie auf Malta besuchte, um mit ihm über Breivik, die English Defense League und den dunklen Tempelritter-Pop zu sprechen: "Dort draußen existiert eine ganze Unterwelt voller hasserfüllter Männer."

Und die Gewaltbereitschaft von Breivik? Verwundert fragt sich die Autorin, weshalb in den Prozessmonaten nicht mehr von Breiviks Kindheit die Rede war. "Es ist ganz klar", murmelte Breiviks Anwalt einmal, "dass in seiner Kindheit, um es vorsichtig auszudrücken, nicht alles optimal verlaufen ist." Auch hält sie es für "zumindest bemerkenswert", dass Breiviks abwesender Vater einst in der Arbeiterjugend aktiv war und eine Zeitlang im Handelsministerium arbeitete, das durch die Bombenexplosion in Oslo stark beschädigt wurde. Nicht minder erstaunlich findet sie, dass das Gericht nicht den Freund befragen mochte, mit dem sich Breivik, früher Musterschüler, in der achten Klasse geprügelt hat.

Der Kumpel rutschte in die kriminelle Szene ab, ging zur Erziehung nach Pakistan. Als er zurück war, erzählte ein Klassenkamerad, habe der Pakistaner den Kontaktversuch Breiviks abgeblockt, "weil Anders in seinen Augen ein Ungläubiger war. Er ist bestimmt einer von denen, die mit Vollbart und Kaftan herumlaufen." Das könnte der erzählerische Hebel sein, um auf die gesellschaftspolitische Ebene zu gelangen und das Norwegen hinter den Trauerbekundungen zu zeigen. Nur weicht die Autorin der Frage aus, wie verwirrt ein Teil der norwegischen Bevölkerung auf den Zuzug von Fremden reagiert, wie der Blick auf Konflikte in der Ferne den Blick auf die Heimat verzerrt. Sie interessiert sich mehr für die Kette der Zurückweisungen in Breiviks Leben, zu denen die Missachtung in der Lokalpolitik, gescheiterte Projekte und eine unglückliche Liebe zählen, gestützt auf die Feststellung einer amerikanischen Profilerin, viele Täter schlügen in einem Moment zu, in denen sich ihre Altersgenossen "ein Leben mit Eigenheim, Partner und gutem Job aufbauen". Breivik war zweiunddreißig, als er auf Utøya durchlud. Die nordische Kultur als Wohlstandsgarant, das Fremde als Bedrohung: Dass in Oslo ein stickiges politisches Klima entstanden ist, in dem man von der neuen muslimischen Kulturministerin unter verstohlenem Beifall ein Bekenntnis zum Norwegischen an sich einfordert, muss man sich bei der Lektüre hinzudenken.

MATTHIAS HANNEMANN

Erika Fatland: "Die Tage danach". Erzählungen aus Utøya.

Aus dem Norwegischen von Ina Kronenberger und Stephanie Elisabeth Baur. btb Verlag, München 2013. 513 S., geb., 21,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Diese Reportage treibt dem Rezensenten die Tränen in die Augen. Wenn Erika Fatland das norwegische Trauma vom 22. Juli 2011 aufrollt, Opfer und Hinterbliebene erzählen lässt, plagen Matthias Hannemann allerdings auch Zweifel, ob das nicht schon Voyeurismus ist. Fatland befasst sich weiterhin mit dem Attentäter Breivik und seiner Sozialisation. Hier vermisst Hannemann den Schritt auf die gesellschaftspolitische Ebene. Leider, erklärt er, weicht die Autorin an diesem Punkt aus und versäumt eine Auseinandersetzung mit der Islamfeindlichkeit in ihrem Land.

© Perlentaucher Medien GmbH