Versandkostenfrei!
Nicht lieferbar
Geschichten aus der Nacht. Clemens Meyer ist ein Meister der Kurzgeschichte.Ein Lokführer, der die Nachtfahrten liebt, bis ein lachender Mann auf den Schienen steht. Ein Wachmann, der seine Runden um das Ausländerwohnheim dreht und sich in die Frau hinter dem Zaun verliebt. Ein Imbissbudenbesitzer, der am Hochhausfenster steht und auf die leuchtenden Trabanten der Nacht schaut. Souverän, rauschhaft und traumwandlerisch sicher erzählt Clemens Meyer von verlorenen Schlachten und überwältigenden Wünschen. Es sind Geschichten aus unserer Zeit, so zerrissen wie unser Leben, so düster wie di...
Geschichten aus der Nacht. Clemens Meyer ist ein Meister der Kurzgeschichte.Ein Lokführer, der die Nachtfahrten liebt, bis ein lachender Mann auf den Schienen steht. Ein Wachmann, der seine Runden um das Ausländerwohnheim dreht und sich in die Frau hinter dem Zaun verliebt. Ein Imbissbudenbesitzer, der am Hochhausfenster steht und auf die leuchtenden Trabanten der Nacht schaut. Souverän, rauschhaft und traumwandlerisch sicher erzählt Clemens Meyer von verlorenen Schlachten und überwältigenden Wünschen. Es sind Geschichten aus unserer Zeit, so zerrissen wie unser Leben, so düster wie die Welt, so schön wie die schönsten Hoffnungen.
Meyer, Clemens§
Clemens Meyer, geboren 1977 in Halle / Saale, lebt in Leipzig. 2006 erschien sein Debütroman 'Als wir träumten', es folgten 'Die Nacht, die Lichter. Stories' (2008), 'Gewalten. Ein Tagebuch' (2010), der Roman 'Im Stein' (2013) sowie die Frankfurter Poetikvorlesungen 'Der Untergang der Äkschn GmbH' (2016). Für sein Werk erhielt Clemens Meyer zahlreiche Preise, darunter den Preis der Leipziger Buchmesse. 'Im Stein' stand auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis, wurde mit dem Bremer Literaturpreis ausgezeichnet und für den Man Booker International Prize 2017 nominiert. 'Als wir träumten' wurde für das Kino verfilmt sowie 'In den Gängen' nach einer Erzählung von Clemens Meyer, beide Filme liefen im Wettbewerb der Berlinale. Im Frühjahr 2017 erschienen die Erzählungen 'Die stillen Trabanten'.
Literaturpreise:
Klopstock-Preis für neue Literatur 2020
Stadtschreiber von Bergen-Enkheim 2018/2019
Premio Salerno Libro d'Europa 2017
Finalist Premio Gregor von Rezzori 2017
Longlist Man Booker International Prize 2017
Mainzer Stadtschreiber 2016
Bremer Literaturpreis 2013
Shortlist Deutscher Buchpreis 2013
Stahl-Literaturpreis, 2010
TAGEWERK-Stipendium der Guntram und Irene Rinke-Stiftung, 2009
Preis der Leipziger Buchmesse, 2008
Clemens-Brentano-Preis der Stadt Heidelberg, 2007
Märkisches Stipendium für Literatur, 2007
Förderpreis zum Lessing-Preis des Freistaates Sachsen, 2007
Mara-Cassens-Preis, 2006
Rheingau-Literatur-Preis, 2006
Einladung zum Ingeborg Bachmann-Wettbewerb, 2006
Nominierung zum Preis der Leipziger Buchmesse, 2006
2. Platz MDR-Literaturwettbewerb, 2003
Literatur-Stipendium des Sächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst, 2002
1. Platz MDR-Literaturwettbewerb, 2001
Clemens Meyer, geboren 1977 in Halle / Saale, lebt in Leipzig. 2006 erschien sein Debütroman 'Als wir träumten', es folgten 'Die Nacht, die Lichter. Stories' (2008), 'Gewalten. Ein Tagebuch' (2010), der Roman 'Im Stein' (2013) sowie die Frankfurter Poetikvorlesungen 'Der Untergang der Äkschn GmbH' (2016). Für sein Werk erhielt Clemens Meyer zahlreiche Preise, darunter den Preis der Leipziger Buchmesse. 'Im Stein' stand auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis, wurde mit dem Bremer Literaturpreis ausgezeichnet und für den Man Booker International Prize 2017 nominiert. 'Als wir träumten' wurde für das Kino verfilmt sowie 'In den Gängen' nach einer Erzählung von Clemens Meyer, beide Filme liefen im Wettbewerb der Berlinale. Im Frühjahr 2017 erschienen die Erzählungen 'Die stillen Trabanten'.
Literaturpreise:
Klopstock-Preis für neue Literatur 2020
Stadtschreiber von Bergen-Enkheim 2018/2019
Premio Salerno Libro d'Europa 2017
Finalist Premio Gregor von Rezzori 2017
Longlist Man Booker International Prize 2017
Mainzer Stadtschreiber 2016
Bremer Literaturpreis 2013
Shortlist Deutscher Buchpreis 2013
Stahl-Literaturpreis, 2010
TAGEWERK-Stipendium der Guntram und Irene Rinke-Stiftung, 2009
Preis der Leipziger Buchmesse, 2008
Clemens-Brentano-Preis der Stadt Heidelberg, 2007
Märkisches Stipendium für Literatur, 2007
Förderpreis zum Lessing-Preis des Freistaates Sachsen, 2007
Mara-Cassens-Preis, 2006
Rheingau-Literatur-Preis, 2006
Einladung zum Ingeborg Bachmann-Wettbewerb, 2006
Nominierung zum Preis der Leipziger Buchmesse, 2006
2. Platz MDR-Literaturwettbewerb, 2003
Literatur-Stipendium des Sächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst, 2002
1. Platz MDR-Literaturwettbewerb, 2001
Produktdetails
- Verlag: S. Fischer Verlag GmbH
- Artikelnr. des Verlages: 23982
- 3. Aufl.
- Seitenzahl: 272
- Erscheinungstermin: 14. März 2017
- Deutsch
- Abmessung: 210mm x 132mm x 26mm
- Gewicht: 363g
- ISBN-13: 9783103972641
- ISBN-10: 3103972644
- Artikelnr.: 46831406
Herstellerkennzeichnung
Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Dreck reicht nicht
Clemens Meyers Erzählungen "Die stillen Trabanten"
Eigentlich will Clemens Meyer so schreiben, dass es richtig wehtut. Er will von den Abgehängten und Versehrten, den vergessenen Männern und Frauen in unseren Kleinstädten und Vororten so erzählen, dass kein Zweifel an der echten Schicksalsschwere bleibt, von der ihr Leben niedergedrückt wird. Wie wenig Aussicht sie haben, woher der Frust kommt, der ihren Alltag bestimmt, und warum ein paar warme Worte aus den politischen Vorstandsetagen nicht helfen werden, um ihre Wunden zu heilen - davon will Meyer mit poetischen Mitteln berichten.
Wie dringend nötig nicht nur die Literatur, sondern unsere ganze Gesellschaft einen solchen Blick im
Clemens Meyers Erzählungen "Die stillen Trabanten"
Eigentlich will Clemens Meyer so schreiben, dass es richtig wehtut. Er will von den Abgehängten und Versehrten, den vergessenen Männern und Frauen in unseren Kleinstädten und Vororten so erzählen, dass kein Zweifel an der echten Schicksalsschwere bleibt, von der ihr Leben niedergedrückt wird. Wie wenig Aussicht sie haben, woher der Frust kommt, der ihren Alltag bestimmt, und warum ein paar warme Worte aus den politischen Vorstandsetagen nicht helfen werden, um ihre Wunden zu heilen - davon will Meyer mit poetischen Mitteln berichten.
Wie dringend nötig nicht nur die Literatur, sondern unsere ganze Gesellschaft einen solchen Blick im
Mehr anzeigen
Moment hat, das muss nicht extra betont werden. Die Gefühlskluft zwischen Hauptstädten und Provinz, zwischen progressiven Weltbürgern und vermeintlich engstirnigen Landbewohnern wird gerade immer größer. Und die politisch-soziale Unruhe, die aus der fehlenden Verständigung dieser beiden Lebenswelten resultiert, wächst rasant. Aufrüttelnde Erzählungen von den "stillen Trabanten" - so der lyrische Titel von Meyers neuer Prosaanthologie -, also den vagabundierenden, das Zentrum umkreisenden Körpern und Biographien, wären also hochwillkommen. Wären. Denn leider helfen Meyers Erzählungen auch nicht weiter. Und das liegt nicht am guten Willen, sondern an der literarischen Umsetzung, vor allem an einer Überanstrengung, mit der hier versucht wird, uns das hässliche Milieu der Außenseiter so drastisch wie möglich vor Augen zu führen.
Schon die ersten Seiten protzen nur so mit Vokabeln der Abweisung: verwilderte Grünfläche, harter Beton, herausgerissene Wurzeln, zerkratzte Gesichter, erbrochenes Blut. Ein Sicherheitsmann bewacht eine alte Russenkaserne, die jetzt zum Ausländerwohnheim umfunktioniert ist. Unter seinen Schuhen knirschen Glasscherben, und durch den Zaun knutscht er mit einer jungen Russin. Dann steht ein "Bullenwagen" vor der Tür, und die Flüchtlinge werden verlegt. Schluss. Eine Putzfrau und eine Friseurin sitzen nach Schichtende in der Bahnhofskneipe, teilen eine Prosecco-Flasche und machen Witze über alte DDR-Politiker. Dass sie beide hart arbeiten und "noch aus einer Zeit des Rauchens" kommen, ist so ungefähr das Einzige, was man über sie erfährt. Darüber hinaus werden nur Äußerlichkeiten beschrieben, Belanglosigkeiten ausgetauscht.
Ein Imbissbudenbesitzer verguckt sich in seine kopftuchtragende Nachbarin und dreht ihr im Treppenhaus Zigaretten. Eines Nachts liegt sie volltrunken und nackt in seinem Bett - und er wird "fast verrückt, weil ich sie so wollte, obwohl sie so betrunken war". Dann zieht sie um, und auch diese Erzählung endet, ohne dass man versteht, warum sie überhaupt begonnen hat.
Clemens Meyer, der sich mit Büchern wie "Als wir träumten" oder "Die Nacht, die Lichter" in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur den Ruf eines sensiblen Proletenverstehers erarbeitet hat und großen Wert darauf legt, aus eigenem Erleben zu schreiben, macht sich in seiner neuen Erzählsammlung nicht die Mühe, ins Innere seiner "Trabanten" vorzudringen. Er schildert nur den Dreck, in dem sie leben, nicht das Gefühl, mit dem sie auf ihn schauen.
Die Stimmung des Buchs wird allein von der Umgebung dominiert, nicht einmal Anflüge einer Seelenschau sind zu erkennen. Ganz so, als ob der Autor der Überzeugung sei, das Prekariat könne sich ein Innenleben nicht leisten.
Die Handlung wird auf diese Weise bald langweilig und gewinnt auch dadurch nicht an Fahrt, dass sich ab und zu ein ostalgischer Unterton in die Erzählerstimme mischt, von "Thälmannjacken" und Flachmännern mit KGB-Emblem die Rede ist. Am Ende sitzen doch nur wieder zwei Männer auf einer Bank, trinken Korn und erzählen vom Krieg. Das bisschen Alibi-Romantik, mit der Meyer den Himmel "rosarot" leuchten und die dunklen Winterabende nach Glühwein riechen lässt, hilft da auch nicht weiter. Zu einer Poesie der Randständigen und Ausgesonderten dringt man mit einer solchen Erzählhaltung nicht vor.
Über weite Strecken dominieren allein grobe Milieustudien das Buch. Nur im dritten und letzten Teil wendet sich der Erzählstil, wird ruhiger und weniger oberflächlich.
In einer Kneipe am Flughafen erzählt ein ausgeschiedener Jockey von seinem Leben und nimmt den Erzähler mit zu einem Rennen in St. Moritz (hier ist Meyer als leidenschaftlicher Pferderennenbesucher in seinem Metier). In der Lenin-Bibliothek in Moskau sitzt in den 1940er Jahren der Schriftsteller und spätere DDR-Kunstakademiepräsident Willi Bredel und träumt von einem "neuen Deutschland". An der Stalingrader Front versucht er die deutschen Soldaten von der Sinnlosigkeit des Krieges zu überzeugen, indem er ihnen von Störtebecker erzählt. Aber die "Menschheitsdämmerung" findet trotzdem statt. Und Bredel schreibt später Erbauungsromane für die Jugend.
Die eindrucksvollste Geschichte ist allerdings die ebenso einfache wie bedrückende Schilderung eines Schienensuizids. An einem klaren Abend, kurz bevor es ganz dunkel wird, springt dem Lokführer ein lachender Mann vor den Zug. Ein halber Atemzug, und das Gesicht des Selbstmörders zerfließt in einem "Brei aus fauligem Obst". Und jetzt steht er da, der Lokführer, geschlagen für immer: "Die Hände auf dem Schalter und dem Rad. Eine Hand verbrüht. Tonnen aus Stahl und Gütern in Kesselwagen hinter ihm. Der Strahl seiner Taschenlampe auf den Achsen. Und zwischen den Achsen der Mann." Später findet er heraus, dass der Totgefahrene ein entfernter Schulfreund war. Und die Witwe wiederholt immer wieder: "Er war doch so fröhlich, als er ging."
"Die Entfernung" heißt diese Kurzgeschichte, und hier gelingt Meyer einmal, was ihm in diesem Band ansonsten nicht gelingen will: schlicht und berührend von der verzweifelten Hilflosigkeit einer gedemütigten Unterschicht zu erzählen, die alle Hoffnung auf eine bessere Zukunft aufgegeben hat. Die lapidare Prosa wirkt hier einmal nicht sorglos und unbestimmt, sondern gerade wegen der Grausamkeit des beschriebenen Vorgangs provozierend.
Abgesehen von wenigen Ausnahmen ist Meyers "Die stillen Trabanten" im Ganzen aber ein enttäuschendes Buch. Das liegt gar nicht daran, dass sich der Autor hier präpotent als "Urgroßenkel von Hemingway" aufspielt, wie man Meyer oft vorgeworfen hat, sondern hat vielmehr damit zu tun, dass er der Wirklichkeit als oberflächlichem Stichwortgeber zu sehr verpflichtet ist: Scherben auf dem Kopfsteinpflaster gibt es in seinen Erzählungen genug, Empfindungen viel zu wenig. Das Prekariat redet eben nicht über Gefühle, würde Meyer diese Kritik vermutlich zurückweisen. Selbst wenn es stimmte und realistisch wäre - poetisch wirkungsvoll ist es nicht.
SIMON STRAUSS
Clemens Meyer: "Die stillen Trabanten". S. Fischer, 272 Seiten, 20 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Schon die ersten Seiten protzen nur so mit Vokabeln der Abweisung: verwilderte Grünfläche, harter Beton, herausgerissene Wurzeln, zerkratzte Gesichter, erbrochenes Blut. Ein Sicherheitsmann bewacht eine alte Russenkaserne, die jetzt zum Ausländerwohnheim umfunktioniert ist. Unter seinen Schuhen knirschen Glasscherben, und durch den Zaun knutscht er mit einer jungen Russin. Dann steht ein "Bullenwagen" vor der Tür, und die Flüchtlinge werden verlegt. Schluss. Eine Putzfrau und eine Friseurin sitzen nach Schichtende in der Bahnhofskneipe, teilen eine Prosecco-Flasche und machen Witze über alte DDR-Politiker. Dass sie beide hart arbeiten und "noch aus einer Zeit des Rauchens" kommen, ist so ungefähr das Einzige, was man über sie erfährt. Darüber hinaus werden nur Äußerlichkeiten beschrieben, Belanglosigkeiten ausgetauscht.
Ein Imbissbudenbesitzer verguckt sich in seine kopftuchtragende Nachbarin und dreht ihr im Treppenhaus Zigaretten. Eines Nachts liegt sie volltrunken und nackt in seinem Bett - und er wird "fast verrückt, weil ich sie so wollte, obwohl sie so betrunken war". Dann zieht sie um, und auch diese Erzählung endet, ohne dass man versteht, warum sie überhaupt begonnen hat.
Clemens Meyer, der sich mit Büchern wie "Als wir träumten" oder "Die Nacht, die Lichter" in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur den Ruf eines sensiblen Proletenverstehers erarbeitet hat und großen Wert darauf legt, aus eigenem Erleben zu schreiben, macht sich in seiner neuen Erzählsammlung nicht die Mühe, ins Innere seiner "Trabanten" vorzudringen. Er schildert nur den Dreck, in dem sie leben, nicht das Gefühl, mit dem sie auf ihn schauen.
Die Stimmung des Buchs wird allein von der Umgebung dominiert, nicht einmal Anflüge einer Seelenschau sind zu erkennen. Ganz so, als ob der Autor der Überzeugung sei, das Prekariat könne sich ein Innenleben nicht leisten.
Die Handlung wird auf diese Weise bald langweilig und gewinnt auch dadurch nicht an Fahrt, dass sich ab und zu ein ostalgischer Unterton in die Erzählerstimme mischt, von "Thälmannjacken" und Flachmännern mit KGB-Emblem die Rede ist. Am Ende sitzen doch nur wieder zwei Männer auf einer Bank, trinken Korn und erzählen vom Krieg. Das bisschen Alibi-Romantik, mit der Meyer den Himmel "rosarot" leuchten und die dunklen Winterabende nach Glühwein riechen lässt, hilft da auch nicht weiter. Zu einer Poesie der Randständigen und Ausgesonderten dringt man mit einer solchen Erzählhaltung nicht vor.
Über weite Strecken dominieren allein grobe Milieustudien das Buch. Nur im dritten und letzten Teil wendet sich der Erzählstil, wird ruhiger und weniger oberflächlich.
In einer Kneipe am Flughafen erzählt ein ausgeschiedener Jockey von seinem Leben und nimmt den Erzähler mit zu einem Rennen in St. Moritz (hier ist Meyer als leidenschaftlicher Pferderennenbesucher in seinem Metier). In der Lenin-Bibliothek in Moskau sitzt in den 1940er Jahren der Schriftsteller und spätere DDR-Kunstakademiepräsident Willi Bredel und träumt von einem "neuen Deutschland". An der Stalingrader Front versucht er die deutschen Soldaten von der Sinnlosigkeit des Krieges zu überzeugen, indem er ihnen von Störtebecker erzählt. Aber die "Menschheitsdämmerung" findet trotzdem statt. Und Bredel schreibt später Erbauungsromane für die Jugend.
Die eindrucksvollste Geschichte ist allerdings die ebenso einfache wie bedrückende Schilderung eines Schienensuizids. An einem klaren Abend, kurz bevor es ganz dunkel wird, springt dem Lokführer ein lachender Mann vor den Zug. Ein halber Atemzug, und das Gesicht des Selbstmörders zerfließt in einem "Brei aus fauligem Obst". Und jetzt steht er da, der Lokführer, geschlagen für immer: "Die Hände auf dem Schalter und dem Rad. Eine Hand verbrüht. Tonnen aus Stahl und Gütern in Kesselwagen hinter ihm. Der Strahl seiner Taschenlampe auf den Achsen. Und zwischen den Achsen der Mann." Später findet er heraus, dass der Totgefahrene ein entfernter Schulfreund war. Und die Witwe wiederholt immer wieder: "Er war doch so fröhlich, als er ging."
"Die Entfernung" heißt diese Kurzgeschichte, und hier gelingt Meyer einmal, was ihm in diesem Band ansonsten nicht gelingen will: schlicht und berührend von der verzweifelten Hilflosigkeit einer gedemütigten Unterschicht zu erzählen, die alle Hoffnung auf eine bessere Zukunft aufgegeben hat. Die lapidare Prosa wirkt hier einmal nicht sorglos und unbestimmt, sondern gerade wegen der Grausamkeit des beschriebenen Vorgangs provozierend.
Abgesehen von wenigen Ausnahmen ist Meyers "Die stillen Trabanten" im Ganzen aber ein enttäuschendes Buch. Das liegt gar nicht daran, dass sich der Autor hier präpotent als "Urgroßenkel von Hemingway" aufspielt, wie man Meyer oft vorgeworfen hat, sondern hat vielmehr damit zu tun, dass er der Wirklichkeit als oberflächlichem Stichwortgeber zu sehr verpflichtet ist: Scherben auf dem Kopfsteinpflaster gibt es in seinen Erzählungen genug, Empfindungen viel zu wenig. Das Prekariat redet eben nicht über Gefühle, würde Meyer diese Kritik vermutlich zurückweisen. Selbst wenn es stimmte und realistisch wäre - poetisch wirkungsvoll ist es nicht.
SIMON STRAUSS
Clemens Meyer: "Die stillen Trabanten". S. Fischer, 272 Seiten, 20 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Schließen
'Die stillen Trabanten' zeigen einmal mehr, welche Bandbreite an Ausdrucksmöglichkeiten ihm auf begrenztem Raum zur Verfügung steht. Jörg Magenau Süddeutsche Zeitung 20170320
Melancholische Erzählwelt
Dass Clemens Meyer erzählen kann wie kaum ein zweiter Schriftsteller im deutschen Sprachraum, wird durch sein neues Buch «Die stillen Trabanten» eindrucksvoll bestätigt. Und wie schon in seinem letzten Roman «Im Stein» erschafft er …
Mehr
Melancholische Erzählwelt
Dass Clemens Meyer erzählen kann wie kaum ein zweiter Schriftsteller im deutschen Sprachraum, wird durch sein neues Buch «Die stillen Trabanten» eindrucksvoll bestätigt. Und wie schon in seinem letzten Roman «Im Stein» erschafft er auch in dieser Sammlung von Erzählungen ein düsteres, zerrissenes, melancholisches Bild unserer Gegenwart, in dem die autobiografischen Bezüge den Ton angeben und einen sehr eigenen Blickwinkel zur Folge haben. So liefert die Eisenbahn als meyersches Faszinosum gleich mehrfach den Hintergrund seiner allesamt im deutschen Osten angesiedelten Geschichten. Es fehlt dabei natürlich ebenso nicht das Pferderennen als weitere Leidenschaft Meyers wie auch das spezielle Milieu der Kneipen und Imbissbuden, der Gelegenheitsjobs und prekären Verhältnisse, und es herrscht auch hier die Nacht als geheimnisvoll dunkle Erzählzeit vor. Thematisch wird Verlust in diesen Erzählungen als Leitmotiv ebenso eingesetzt wie die Vergeblichkeit menschlichen Bemühens, - und Humor findet sich natürlich nicht mal ansatzweise.
Der Band ist in drei durch jeweils eine prologartige Szene eingeleitete Teile gegliedert, die ihrerseits wiederum drei Erzählungen enthalten. Es beginnt im Teil «Eins» mit der zarten Liebesgeschichte eines jungen Wachmannes und einer russischen Emigrantin am Zaun eines Ausländer-Wohnheims, die zaghafte gegenseitige Annäherung einer Wagonputzfrau der Eisenbahn und einer Angestellten beim Bahnhofsfriseur, schließlich eine wehleidige Reminiszenz an die ehemalige Strandbahn einer kleinen Stadt an der Ostsee, die nach dem Zweiten Weltkrieg stillgelegt und abgebaut wurde. Der Teil «Zwei» erzählt von einem Wohnungseinbruch und einer verwirrten alten Frau in einem Abbruchhaus, vom Besitzer einer Imbissbude, der vom 14ten Stock seines Hochhauses nächtens auf die Lichter der Trabantenstadt schaut und beim Rauchen im Treppenhaus seiner ebenfalls dort rauchenden, muslimischen Nachbarin allmählich näher kommt. Sodann wird von einem heruntergekommenen ehemaligen Jockey erzählt, der sich mit Gelegenheitsjobs durchschlägt und unbedingt einmal das exklusive Pferderennen auf Eis in St. Moritz miterleben möchte. Im letzten Teil ist zuerst von der Geschichte eines Lokführers zu lesen, der mit seinem Güterzug nachts einen lachenden Mann auf den Schienen überfährt und den dieser Schienensuizid psychisch derart belastet, dass er die Witwe des Selbstmörders aufsucht. Unter dem Titel «Die Rückkehr der Argonauten» beschreibt der Autor in der nächsten Geschichte den Besuch eines Mannes bei seiner Mutter im trostlosen ehemaligen «Kohlenviertel» der Stadt, wo er auch seine Kumpels von früher trifft, und in der letzten Geschichte wird von einem Schriftsteller berichtet, der sich im Exil in Moskau während des Zweiten Weltkrieges mit der Störtebeker-Sage beschäftigt, wobei interessante Bezüge bis in die spätere DDR hergestellt werden.
Aus all dem, was wir da lesen, spricht eine äußerst genaue Beobachtungsgabe des Autors, der die tiefsten menschlichen Befindlichkeiten akribisch ausleuchtet, der narrativ einfühlsam auch die allerfeinsten Regungen und Sehnsüchte atmosphärisch dicht erfasst. Sprachlich gekonnt setzt er dabei oft Zartes unmittelbar neben Härte, bildet stilistisch die raue Realität ebenso ab wie den schönen Traum. Wobei häufig beides ineinander geht bei seiner Erzählweise, was erhöhte Aufmerksamkeit des Lesers erfordert und zudem abrupte Stimmungswechsel bewirkt. Die Erzählperspektiven bei den neun Geschichten wechseln zwischen erster und dritter Person, vieles ist auch in Form des inneren Monologs erzählt.
Diese Geschichten aus den Randbezirken der ostdeutschen Gesellschaft sind mit ihren vielen Andeutungen und unvermittelten Zeitsprüngen wahrlich keine leichte Lesekost. Clemens Meyer findet allerdings für seine sorgsam ausgewählten Themen wunderbar einprägsame Bilder und zieht damit den Leser stimmungsmäßig tief hinein in seine sehr spezielle, melancholische Erzählwelt.
Weniger
Antworten 1 von 1 finden diese Rezension hilfreich
Antworten 1 von 1 finden diese Rezension hilfreich