Produktdetails
- Verlag: WBG Academic
- Seitenzahl: 434
- Abmessung: 220mm x 146mm x 21mm
- Gewicht: 576g
- ISBN-13: 9783534109944
- ISBN-10: 3534109945
- Artikelnr.: 24614855
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.06.2002Gefangener des SPD-Milieus
Franz Walter ist die Partei-Festschrift zur Gedenkschrift geworden
Franz Walter: Die SPD. Vom Proletariat zur Neuen Mitte. Alexander Fest Verlag, Berlin 2002. 283 Seiten, 24,90 Euro.
So gehört es sich. Wenn eine Epoche zur Neige geht, wird sie auf schöne Bilder gebannt und auf dicken, glatten Seiten beschrieben. Die sozialdemokratische Epoche geht zur Neige, und Franz Walter, Fachmann für Parteien aller Art, legt - knallrot eingebunden - eine Festschrift vor, die ihm unter der Hand zur Gedenkschrift geraten ist. Anfangs teilt er noch mit, Gerhard Schröder führe das von Bebel begonnene Werk fort. Gegen Ende aber überwiegen die Zweifel, ob noch etwas fortzuführen ist.
Was zwischen Proletariat und Neuer Mitte abgelaufen ist, erzählt und erklärt Franz Walter mit Distanz und Einfühlung, ohne Häme, auch ohne Bewunderung, mit leichter, bisweilen spitzer Feder. Walter läßt wissen: Wo große Stärken, sind große Schwächen selten weit. Die Aufgabe, eine Geschichte hinter der Ereignisgeschichte der SPD zu schreiben und anhand von Personalstudien anschaulich zu machen, ist versucht und gelöst worden, allerdings zu einem hohen Preis. Der SPD widerfährt Gerechtigkeit, obwohl - oder gerade weil? - wesentliche Elemente fehlen und wesentliche Einwände gemacht werden müssen.
Walter hat sich seinem Gegenstand auf kulturellem Wege genähert und die Mentalität des sozialdemokratischen Milieus verfaßt. Auf die Einbettung in die größeren nationalen Zusammenhänge wird ebenso verzichtet wie auf die Darlegung der technisch-industriellen Grundlagen. Sozialer Wandel? Der findet, wenn überhaupt, nur als Beiwerk statt. So schildert er die SPD der sechziger Jahre als die "beste CDU" und macht glauben, es habe im Ermessen der Partei und ihrer Führer gelegen, das konstitutive Spannungsverhältnis "zwischen dem, was war, und dem, wie es eigentlich sein sollte", ad acta zu legen und sich von den eigenen Wurzeln zu lösen. Den Anfängen der Mediengesellschaft in den sechziger Jahren spürt Walter nach. Aber muß deshalb die ganze SPD über diesen einzigen Leisten geschlagen werden? 1965 habe Willy Brandt, "ein Mann ohne Fortune, trotz Zugewinnen der ewige Verlierer", der Medienliebling nicht mehr sein wollen und erst dadurch zu späterer Größe gefunden. Über die wüste Wahlkampfhetze wird kein Wort verloren. Auch nicht über Brandts resignative Einsicht, daß er seinem Volk den eigenen Lebensweg nicht nahebringen könne.
In Walters "Milieumentalitäten", die mal gegen die Mediengesellschaft abgesetzt werden und mal auch wieder nicht, zieht das antinazistische Erbe keine Spur. Und hat das über die Zeit gerettete Bild von dem einen und freien Deutschland keinen Platz. Was nicht ins Milieu paßt, findet nicht statt. Auch das Nachkriegs-Berlin fällt aus. Die SPD in der Ostzone und die Zwangsvereinigung zur SED werden abgehandelt. Doch um die alles beherrschende Idee vom Milieu zu untermauern, wird ihr die Wirklichkeit angepaßt und grob verfälscht. Daß die Delegierten der Parteitage "geschlossen für die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands" votierten, ist eben nur mit dem Zusatz richtig, daß nirgendwo in der Ostzone die SPD ihre Delegierten hatte frei wählen können; sie waren von den Sowjets bestimmt! Die Linie zieht sich durch. Bis hin zur deutschen Einheit, die von postmateriellem Schnickschnack zugedeckt wird.
Die Deutschland- und Ostpolitik fällt vom Himmel und entpuppt sich als jener zündende Funke, der die SPD wieder etwas Besonderes und Unterscheidbares sein läßt und das inzwischen aufgefächerte Milieu zusammenhält. Die "Teilkulturen" und "Lebenswelten", von denen Walter nun abwechselnd spricht, finden in der berühmten Troika ihre personelle Repräsentanz. Wehner, von dem Walter treffend sagt, daß er mit menschlichen Schwächen, aber nicht mit menschlichen Stärken umzugehen gewußt habe, ordnet er doch tatsächlich "die proletarische Tradition der Partei" zu. Wenn das Milieu à tout prix gerettet werden muß, kommt nicht nur dieser Unsinn heraus.
Walter kann feinsinnige Porträts beisteuern, bringt es aber auch fertig, den kurzlebigen Parteivorsitzenden Vogel mit dem gestandenen Ollenhauer zu vergleichen. Und zu unterstellen, daß nach dem Zustrom junger Mitglieder und deren "Re-Ideologisierung" wieder eine bürokratische Hand nötig gewesen sei. Es gibt aber kein Milieu, das sich selbst steuert und aller Auffächerung zum Trotz bei sich selbst bleibt. Die sogenannte marxistische "Re-Ideologisierung" hat doch nur deshalb Furore machen können, weil die proletarischen Nachfahren Kampfkraft und Gestaltungslust verloren hatten. Und weil ein zeitgemäßes Spiel aufgeführt wurde, inszeniert von Leuten, die noch ganz andere Spiele darbieten sollten.
Tapfer unterdrückt Walter seine Zweifel an der Tragfähigkeit des Milieus und der Kontinuität dazugehöriger Mentalitäten. Er beschreibt "die stillgestellte Partei" und glaubt, Schröder habe deshalb stark sein können. Walter hat sich zum Gefangenen des Milieus und damit auch des Augenblicks gemacht. Kaum erscheint ein solches Buch, ist sein Ende auch schon überholt. Milieu und Mentalitäten sind viel, aber nicht alles.
BRIGITTE SEEBACHER-BRANDT
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Franz Walter ist die Partei-Festschrift zur Gedenkschrift geworden
Franz Walter: Die SPD. Vom Proletariat zur Neuen Mitte. Alexander Fest Verlag, Berlin 2002. 283 Seiten, 24,90 Euro.
So gehört es sich. Wenn eine Epoche zur Neige geht, wird sie auf schöne Bilder gebannt und auf dicken, glatten Seiten beschrieben. Die sozialdemokratische Epoche geht zur Neige, und Franz Walter, Fachmann für Parteien aller Art, legt - knallrot eingebunden - eine Festschrift vor, die ihm unter der Hand zur Gedenkschrift geraten ist. Anfangs teilt er noch mit, Gerhard Schröder führe das von Bebel begonnene Werk fort. Gegen Ende aber überwiegen die Zweifel, ob noch etwas fortzuführen ist.
Was zwischen Proletariat und Neuer Mitte abgelaufen ist, erzählt und erklärt Franz Walter mit Distanz und Einfühlung, ohne Häme, auch ohne Bewunderung, mit leichter, bisweilen spitzer Feder. Walter läßt wissen: Wo große Stärken, sind große Schwächen selten weit. Die Aufgabe, eine Geschichte hinter der Ereignisgeschichte der SPD zu schreiben und anhand von Personalstudien anschaulich zu machen, ist versucht und gelöst worden, allerdings zu einem hohen Preis. Der SPD widerfährt Gerechtigkeit, obwohl - oder gerade weil? - wesentliche Elemente fehlen und wesentliche Einwände gemacht werden müssen.
Walter hat sich seinem Gegenstand auf kulturellem Wege genähert und die Mentalität des sozialdemokratischen Milieus verfaßt. Auf die Einbettung in die größeren nationalen Zusammenhänge wird ebenso verzichtet wie auf die Darlegung der technisch-industriellen Grundlagen. Sozialer Wandel? Der findet, wenn überhaupt, nur als Beiwerk statt. So schildert er die SPD der sechziger Jahre als die "beste CDU" und macht glauben, es habe im Ermessen der Partei und ihrer Führer gelegen, das konstitutive Spannungsverhältnis "zwischen dem, was war, und dem, wie es eigentlich sein sollte", ad acta zu legen und sich von den eigenen Wurzeln zu lösen. Den Anfängen der Mediengesellschaft in den sechziger Jahren spürt Walter nach. Aber muß deshalb die ganze SPD über diesen einzigen Leisten geschlagen werden? 1965 habe Willy Brandt, "ein Mann ohne Fortune, trotz Zugewinnen der ewige Verlierer", der Medienliebling nicht mehr sein wollen und erst dadurch zu späterer Größe gefunden. Über die wüste Wahlkampfhetze wird kein Wort verloren. Auch nicht über Brandts resignative Einsicht, daß er seinem Volk den eigenen Lebensweg nicht nahebringen könne.
In Walters "Milieumentalitäten", die mal gegen die Mediengesellschaft abgesetzt werden und mal auch wieder nicht, zieht das antinazistische Erbe keine Spur. Und hat das über die Zeit gerettete Bild von dem einen und freien Deutschland keinen Platz. Was nicht ins Milieu paßt, findet nicht statt. Auch das Nachkriegs-Berlin fällt aus. Die SPD in der Ostzone und die Zwangsvereinigung zur SED werden abgehandelt. Doch um die alles beherrschende Idee vom Milieu zu untermauern, wird ihr die Wirklichkeit angepaßt und grob verfälscht. Daß die Delegierten der Parteitage "geschlossen für die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands" votierten, ist eben nur mit dem Zusatz richtig, daß nirgendwo in der Ostzone die SPD ihre Delegierten hatte frei wählen können; sie waren von den Sowjets bestimmt! Die Linie zieht sich durch. Bis hin zur deutschen Einheit, die von postmateriellem Schnickschnack zugedeckt wird.
Die Deutschland- und Ostpolitik fällt vom Himmel und entpuppt sich als jener zündende Funke, der die SPD wieder etwas Besonderes und Unterscheidbares sein läßt und das inzwischen aufgefächerte Milieu zusammenhält. Die "Teilkulturen" und "Lebenswelten", von denen Walter nun abwechselnd spricht, finden in der berühmten Troika ihre personelle Repräsentanz. Wehner, von dem Walter treffend sagt, daß er mit menschlichen Schwächen, aber nicht mit menschlichen Stärken umzugehen gewußt habe, ordnet er doch tatsächlich "die proletarische Tradition der Partei" zu. Wenn das Milieu à tout prix gerettet werden muß, kommt nicht nur dieser Unsinn heraus.
Walter kann feinsinnige Porträts beisteuern, bringt es aber auch fertig, den kurzlebigen Parteivorsitzenden Vogel mit dem gestandenen Ollenhauer zu vergleichen. Und zu unterstellen, daß nach dem Zustrom junger Mitglieder und deren "Re-Ideologisierung" wieder eine bürokratische Hand nötig gewesen sei. Es gibt aber kein Milieu, das sich selbst steuert und aller Auffächerung zum Trotz bei sich selbst bleibt. Die sogenannte marxistische "Re-Ideologisierung" hat doch nur deshalb Furore machen können, weil die proletarischen Nachfahren Kampfkraft und Gestaltungslust verloren hatten. Und weil ein zeitgemäßes Spiel aufgeführt wurde, inszeniert von Leuten, die noch ganz andere Spiele darbieten sollten.
Tapfer unterdrückt Walter seine Zweifel an der Tragfähigkeit des Milieus und der Kontinuität dazugehöriger Mentalitäten. Er beschreibt "die stillgestellte Partei" und glaubt, Schröder habe deshalb stark sein können. Walter hat sich zum Gefangenen des Milieus und damit auch des Augenblicks gemacht. Kaum erscheint ein solches Buch, ist sein Ende auch schon überholt. Milieu und Mentalitäten sind viel, aber nicht alles.
BRIGITTE SEEBACHER-BRANDT
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