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Bei ihrem ersten Erscheinen (1949-1959) wirkte diese ursprünglich mehr als 2000 Seiten umfassende Romantrilogie mit ihrer Figurenvielfalt und ihrer weitverzweigten Handlung wie ein Fremdkörper in einer literarischen Nachkriegslandschaft, die von kurzen, in einfachem Duktus geschriebenen Erzählungen beherrscht war: Während des Krieges als allegorische Darstellung der NS-Herrschaft begonnen, hatte sich dieses Werk, an dem Stefan Andres fast zwanzig Jahre lang gearbeitet hatte, schon bald zu einer Generalabrechnung mit jeder Art von totalitärer Herrschaft, Massenkult und diktatorischem Größenwahn…mehr

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Produktbeschreibung
Bei ihrem ersten Erscheinen (1949-1959) wirkte diese ursprünglich mehr als 2000 Seiten umfassende Romantrilogie mit ihrer Figurenvielfalt und ihrer weitverzweigten Handlung wie ein Fremdkörper in einer literarischen Nachkriegslandschaft, die von kurzen, in einfachem Duktus geschriebenen Erzählungen beherrscht war: Während des Krieges als allegorische Darstellung der NS-Herrschaft begonnen, hatte sich dieses Werk, an dem Stefan Andres fast zwanzig Jahre lang gearbeitet hatte, schon bald zu einer Generalabrechnung mit jeder Art von totalitärer Herrschaft, Massenkult und diktatorischem Größenwahn ausgewachsen. »Die Sintflut« ist eines der Hauptwerke, wenn nicht sogar das bedeutendste Buch von Stefan Andres. Die letzte, vom Autor selbst stark gekürzte Fassung wird mit dieser Edition zum ersten Mal einem breiten Lesepublikum zugänglich gemacht - die Chance, ein mit brillanter barocker Erzählkraft gestaltetes Welttheater neu zu entdecken.Der Anhang bietet ein ausführliches Nachwort, indem die komplexe Entstehungsgeschichte der Trilogie geschildert wird, eine Detailinterpretation des Werkes und ein umfassendes Figurenregister.
Autorenporträt
Stefan Andres (1906-1970) gilt als einer der wichtigsten Vertreter der inneren Emigration und war nach dem Zweiten Weltkrieg ein vielgelesener Autor. Zu seinen bekanntesten Werken zählen, neben der Sintflut-Trilogie, »El Greco malt den Großinquisitor« (1936), »Wir sind Utopia« (1943) und »Der Knabe im Brunnen« (1953).

John Klapper, geb. 1958, ist Professor am Centre for Modern Languages und am Department of German Studies, University of Birmingham. Er veröffentlichte zu Andres und zur Nachkriegsliteratur, zur angewandten Linguistik sowie zur Fremdsprachenmethodik. Veröffentlichung u.a.: »Stefan Andres. Der christliche Humanist als Kritiker seiner Zeit« (1998).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.08.2008

Die Heilung der Triebe, während die Gläser gefüllt werden
Auch eine Form der Faschismus-Theorie: Stefan Andres’ Monument der Exilliteratur, seine Trilogie „Die Sintflut”, erstmals in einer Ausgabe
In drei Gruppen sah Stefan Andres die Menschheit zerfallen, in Täter, in Opfer und, beide verbindend, in Zeugen. Sein eigenes Leben und Schreiben war ein Versuch, vom Opfer zum Zeugen zu werden, ohne in die Täterschaft überzugleiten. Er mied die Nationalsozialisten, er floh vor ihnen nach Italien, er kehrte zurück, und stets, fast zwanzig Jahre lang, von 1939 bis 1958, wuchs dieses Gigantenwerk: die Romantrilogie „Die Sintflut”. Hier sollten Zeitzeugenschaft und Parabel aufgehoben sein, Geschichtsdeutung und Metaphysik. In den gelungensten Momenten rührt „Die Sintflut” an jene Grenzfragen, die aller Vergesellschaftung vorausgehen: Welches politische Handeln ist dem Menschen gemäß? Welche Freiheiten hält er aus?
Am Anfang war ein „lauwarmer Schirokkoregen”, der anschwoll zur Flut und das kleine Küstenstädtchen Città morta zu verschlingen drohte. Siebzig Menschen ließen ihr Leben in der Nacht vor Alois Moosthalers Ankunft. Zehn katastrophale Minuten genügten für das sommerliche Menschenopfer. Die „Woge aus der Höhe” wirkte wie „ein einziger weicher, großer Muskel, der gegen die Tür drückte, bis sie knackte, stöhnte und endlich aus dem Rahmen brach.” Dem Ineinander von Mensch und Natur gilt Andres’ größte poetische Phantasie. Am Ende des ersten Romans, „Abwässer” betitelt, wird es herbstmild heißen: „Die Luft, die Hügel, das Meer, die Ölbäume, sie sangen die Strophe, da der menschliche Mund bereits schwieg, weiter, aber nicht in mechanischem Widerhall. Das Schweigen selber war’s, das sich dehnte und bewegte wie das Meer in einer leisen Dünung; Felsen und Bäume und Wolken hatten Augen bekommen, und alles sah einander an.”
Der Schlamm der Flut spült den abgehalfterten Theologieprofessor Moosthaler geradewegs an den Bahnhof von Città morta, wo seit acht Jahren der kriegsversehrte Morphinist und Nietzscheaner Leo Olch einen Zuchtherrn herbei schreibt. Mit ihm träumt die „Olchgemeinde” von der Heiligung der Triebe, wie sie im „Hochofen des neuen Menschenmaterials” sich vollziehen soll. Moosthaler füllt die Lücke. Der „speckige Koloss” mit dem Fischmund gefällt sich als „Anführer einer fanatisierten Horde”: „Ich bringe euch das große Fest! Ich liebe die Verzückten! Die Gläser gefüllt, wir wollen die Welt erneuern! Die Genormten werden der Welt zeigen, wie man sie schöner macht!”
Die Sippschaft der Rohstoffler
Ein zweiter Bacchus wollte der Vegetarier Adolf Hitler bekanntlich nicht werden. Andres betonte, Moosthaler sei „mehr als eine bloße Analogie zu einem bestimmten Diktator”, ja „Namen, Geschehnisse und Handlungsträger haben nichts mit der aktuellen Geschichte der letzten Jahre zu tun. Es ging mir vielmehr darum, unserer Zeit auf den Grund zu kommen.” Eine völlige Abstraktion aber wäre bei einem Exilroman undenkbar. Aus der Gestapo wird so die O.W., die Oberste Wachmannschaft, der Begrüßungsruf lautet „Normheil!”. Die Nürnberger Gesetze kehren wieder als „Gesetz zum Schutz des japhetitischen Blutes”. Abramiten heißen die Hassobjekte der Japhetiten genannten Germanen.
Wie entsteht also und was ist Faschismus, wenn man ihn der „aktuellen Geschichte” entkleidet? Wenig weiß Andres zu den Entstehungsbedingungen, weit mehr zu den Techniken der Macht zu sagen. Der Aufstieg der „Olchgemeinde” zur Normpartei, die rasch in Deutschland regiert und die Welt in einen Krieg stürzt, wird eher behauptet als erzählt. Keinen Zweifel lässt Andres jedoch an der Mitwirkung der Großindustrie. Die „Sippschaft der Rohstoffler, Stahlveränderer und Geldvermittler” spendet fleißig. Auch die „Abramitenfrage” erhöht, so der Waffenminister, als „Stimulans” und als „das kleine Bedürfnis der Deutschen” die gesellschaftliche Akzeptanz. Läuft ein triebhaftes Bürgertum demnach Amok, wird es rassistisch, wenn man es nur lässt? Die Widerständler um die Brüder Clemens und den Maler Ignaz Natters sind sich einig, dass „nicht der Normer, nicht die Genormten, sondern die Deutschen an ihrer kommenden Höllenfahrt allein die Schuld haben”. Diese Sintflut sei „höchst gerecht”.
Das kann natürlich nur die halbe Wahrheit sein, nimmt man Andres’ parabolischen Ehrgeiz ernst. Deutschland unter der Norm, Deutschland im Zeichen jener mörderischen „Luft von Luxus, Optimismus und Kraft”, die Moosthaler geschickt verbreitet, steht pars pro toto für „unsere Zeit” – für eine unvollendete Moderne, die die Ratio zu ganz unrationalen Zwecken anbetet und die Triebe entriegelt. Kaum herrscht der abgefallene Priester, der sich nun plump „Jörg Retter” rufen lässt, unumschränkt, erhebt anstelle der Überwältigung im Rausch und in der bindungslosen Masse die Technik ihr Haupt. „Mit Geld und Pillen nach meinem Willen”, verkündet Moosthaler alias Retter im kleinen Kreis. Der Waffenminister prophezeit: „Die Chemie behält das letzte Wort. Eines Tages sitzen um den Normer herum statt der Minister nur noch Ingenieure und statt der Generäle nur noch Chemiker.”
Die Kritik an einer einseitigen, instrumentellen Vernunft und an einer Naturwissenschaft, die zur bloßen Technik herabsinkt, bildet den Refrain in Andres’ vielgestaltigem Werk, von der „Unsichtbaren Mauer” (1934) und „Wir sind Utopia” (1943) zum „Mann im Fisch” (1963) und der „Versuchung des Syneisos” (1971). Hinzu tritt eine unerbittliche Selbstbefragung, ja ein Prozess wider sich selbst, wie ihn hier das Alter ego des Autors durchführt, Lorenz Gutmann, Student der katholischen Theologie. Lorenz formuliert Andres’ eigene Zweifel an der Möglichkeit eines richtigen Lebens im falschen. Ist das Exil, das Überleben in einem erst italienischen, dann Schweizer Refugium namens „Arche”, weitab von der Normdiktatur, nicht die allzu bequeme Wahl? Lorenz bleibt schließlich „dieses unerklärliche Schuldgefühl: das Wort nicht gefunden, das Feuer nicht entzündet, das Brot nicht gesegnet, die Geister der Schwermut nicht vertrieben, die Grenzen nicht durchwirkt, sondern – versagt zu haben.”
Lorenz Gutmann führt die Sinn- und die Gottesfrage zusammen, wie es für Andres typisch ist. Nach dem Ende der Sintflut und Moosthalers Tod stellt sich partout kein Vergehen ein. Unverändert erhofft „unsere Zeit” sich das Heil von einem politisch nur oberflächlich gewandelten Staat, in der die Norm als „einzige noch intakte politische Gruppe” den Takt vorgibt. Lorenz Gutmann räsoniert: „Was haben wir noch von Menschen zu erwarten, die ihre bösen Taten wie der Leib den Kot bei sich behalten? Die große rettende Möglichkeit hängt über uns, aber die allermeisten Menschen blicken nicht mehr suchend in die Höhe, es wäre denn zu einem Düsenflugzeug, – sie glauben an die Wissenschaft.”
Die gewaltige, schroffe, zerklüftete „Sintflut” ist kein Meisterwerk, aber ein singuläres Monument der Exilliteratur. Zuweilen knarzt es laut im Gebälk der Fabel, gegen Ende hin dominiert das Angedeutete, Unausgegorene, stoßen sich Traum, Tagebuch und Realismus hart aneinander. Die nun zum ersten Mal in einem Band vorliegende Trilogie, vom Autor 1968/69 auf rund 40 Prozent des Ursprungstextes gekürzt, hat ihre bleibende Bedeutung in dieser Genese, in der zwanzigjährigen Zeugenschaft wider die Zeit – und in einer taufrischen Warnung vor jeglicher Staatsvergottung und jedem rational sich dünkenden Irrationalismus: Wird das Hohelied auf Schönheit, Optimismus, Kraft durch Technik und Chemie, durch Glückspille und normierende Politik nicht weiterhin gesungen? ALEXANDER KISSLER
STEFAN ANDRES: Die Sintflut. Herausgegeben von John Klapper. Wallstein Verlag, Göttingen 2008. 950 S., 49 Euro.
Stefan Andres (1906 - 1970) Foto: Stefan-Andres-Gesellschaft
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Mit viel Respekt bespricht Alexander Kissler die Neuauflage von Stefan Andres' Romantriologie "Die Sintflut", eine Allegorie auf die NS-Herschaft, an der Andres fast zwei Jahrzehnte (1939-1958) geschrieben hat. Darin arbeitet er sich an den Funktionsweisen des Faschismus ab. Seine Parabel, in der die (Nazi-) "Norm-Diktatur" regiert, vereint laut Rezensent gekonnt Geschichtsdeutung und Metaphysik. Besonderes Augenmerk lege der Autor dabei auf die Techniken der Macht sowie auf den Einfluss der Großindustrie, informiert Kissler. "Gewaltig" und zugleich "schroff" findet er das Buch, das seiner Ansicht nach, vor allem gegen Ende, wo das "Angedeutete" zu sehr überwiege, einige Schwächen aufweist. Bedeutungsvoll findet er das Werk dennoch, insbesondere im Lichte der zwanzigjährigen Zeugenschaft des Autor und als "Warnung vor Staatsvergottung". Sein Fazit: "Kein Meisterwerk, aber ein singuläres Monument der Exilliteratur".

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