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Produktdetails
  • Verlag: Aufbau-Verlag
  • Originaltitel: And Speaking of Love
  • Seitenzahl: 283
  • Abmessung: 220mm
  • Gewicht: 428g
  • ISBN-13: 9783351029036
  • ISBN-10: 3351029039
  • Artikelnr.: 24400379
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.05.2001

Schiffbruch mit acht Segeln
Leider nur Touristenklasse: Pamela Katz erdichtet Lotte Lenya

Lotte Lenyas Ruhm hat ein zweifaches Fundament: ihre Theaterrolle der Jenny in der legendären "Dreigroschenoper"-Uraufführung von 1928 und ihre Lebensrolle als Frau und Erbin des Komponisten Kurt Weill, mit dem sie 1935, von der ersten Exilstation Paris aus, in die Vereinigten Staaten emigrierte und den sie um drei Jahrzehnte überlebte. An ihre Fersen geheftet hat sich nun die amerikanische Schriftstellerin Pamela Katz mit einem Roman, dessen deutscher Titel "Die Seeräuberin" an das Lied der "Seeräuber-Jenny" anknüpft.

Niemand kann der Autorin den Vorwurf machen, sie spiele nicht mit offenen Karten. In ihrem Nachwort verweist sie alle Leser, die "Einblicke in Lotte Lenyas wirkliches Leben gewinnen" wollen, auf deren Briefwechsel mit Kurt Weill und auf eine Autobiographie in Bildern. Damit reklamiert Pamela Katz zugleich für sich die Freiheiten der Romanfiktion. Je mehr sich aber die Autorin aus der Bindung an den Lebensstoff löst, desto entschiedener fragt man nach der Schlüssigkeit des erzählerischen Werks. Wie steht es damit in diesem Roman?

Erzählt werden drei Geschichten: die Fahndung einer Journalistin nach Geheimnissen im Leben des Stars, die Kümmernisse der Mutter Lotte Lenyas, mit der die Journalistin auf der Überfahrt von Le Havre nach New York im August 1950 zusammentrifft, und Episoden aus dem Leben, vor allem der Kindheit und Jugend, Lotte Lenyas. Die Autorin verzichtet auf lineares Erzählen, wählt Techniken des modernen Romans. Lebensszenen werden durch den inneren Monolog, durch Gespräche, Interviews und fiktive Dialoge, durch Berichte über das Geschehen an Bord der "Liberté" gegenwärtig. Denn der Roman ist im wesentlichen in das Zeitkorsett der sechs- bis siebentägigen Atlantik-Überquerung gespannt.

Daß die Ich-Erzählerin Alison Ritchie Journalistin ist (bei der New Yorker "Saturday Evening Post"), signalisieren schon die ersten Seiten. Der Roman beginnt wie eine Reportage. Das Besteigen des Schiffes über die schwankende Landungsbrücke, die Angst der schweißgebadeten Reisenden, der erste Gang aufs Deck über bedrohliche Treppen, die Begegnung mit einer versteinerten Erscheinung, die sich als Johanna Blamauer, die Mutter Lotte Lenyas, entpuppen wird, später ein Sturm und die Ohnmacht der immer den Schiffsuntergang befürchtenden Erzählerin - all dies sind Merkmale einer effektvollen Dramatisierung. Manchmal verselbständigen sich Tischgespräche und anekdotische Randgeschichten der Passagiere. Wer auf den Fortgang des Lotte-Lenya-Romans begierig ist, den narren diese retardierenden Kunstgriffe.

Johanna Blamauer ist von ihrer Tochter, die schon früh den Künstlernamen Lenya angenommen hatte, zu einem Besuch nach New York eingeladen worden. Sie reist mit einer Schiffskarte erster Klasse, aber einer Restaurantkarte der Touristenklasse, denn sie ist eine einfache Frau, Wäscherin in der Wiener Ameisgasse. Sie läßt sich "Auskünfte" nur schwer entlocken, hadert mit ihrer Tochter, war mit deren Lebensentscheidungen nie einverstanden, spricht gar von hurenhaftem Verhalten. Lotte Lenya selbst hat bekanntlich über ihre amourösen Leidenschaften nicht den Mantel, ja nicht einmal das Mäntelchen des Schweigens gebreitet; darin blieb sie ihrer Theaterrolle in der "Dreigroschenoper", der Spelunken-Jenny, auch in der Öffentlichkeit treu. Aber im Roman ist die Journalistin Alison nun einem sexuellen Delikt auf der Spur, das sich allenfalls Andeutungen der Lenya selbst entnehmen läßt. Man muß nicht zunächst das Nachwort von Pamela Katz gelesen haben, um bald zu erraten, worauf der Verdacht der Erzählerin zielt: auf sexuellen Mißbrauch der Tochter durch den Vater, einen Fiaker-Kutscher.

Der Leser des biographischen Romans wäre gegenüber dieser Deutung weniger skeptisch, wenn das Thema der Gewalt gegen Kinder und des sexuellen Mißbrauchs zur Zeit nicht so wohlfeil wäre. Vor allem aber: Die Erzählerin schürt beim Leser Verdacht und Spannung mit einer Technik, die sich am Ende als bloßer Trick enthüllt. Denn in dem Brief an ihre Mutter, dem eine so ominöse Bedeutung beigelegt wird, dringt Lotte Lenya auf die Klärung einer Frage, deren Antwort sie längst kannte - das beweist ihr späteres Interview mit der Journalistin.

So wäre denn die besondere Nuance dieses Lenya-Romans eine Erkenntnis, wie sie Alison am Schluß im Brief an ihren Vater formuliert: daß Lotte Lenya und ihre Mutter "eine psychotische Neigung zu Gewalttätern hatten". Sollte hier für eine beifallsichere These das Beispiel der irritierenden Künstlerin Lotte Lenya willkommen gewesen sein?

Unbestreitbar ist Pamela Katz' Bemühen um Lebendigkeit und Variantenreichtum der Darstellung. Sie meidet jeden Anschein von Starkult, bevorzugt eher den verfremdenden Blick. So wird die Berliner Uraufführung der "Dreigroschenoper" aus der Perspektive der naiven, theaterfremden und nörgelnden Wiener Wäscherin geschildert. Aber hier offenbart sich auch die Kehrseite einer vor allem an psychotischen Befunden interessierten Erzählung. Die Sprache macht nicht anschaulich, wie der Welterfolg der "Dreigroschenoper" zustande kam, worin das Schockierende und zugleich Faszinierende der Brechtschen Songs bestand. Genausowenig anschaulich wird die subversive Frechheit, mit der Lotte Lenya auch nach dem Zweiten Weltkrieg wieder ihr Publikum hinriß, nicht die Zündkraft der Weillschen Musik. Die Erzählerin hat kein Organ für die Magie der Kunst, des Theaters. Und das fiktive Porträt der Schauspielerin, das sich im "New York Times Magazine" findet, ist in einem hölzernen Stil geschrieben ("Lenyas Weg zum Erfolg war stets ein sehr schwieriger gewesen"), den auch die deutsche Übersetzung nicht geschmeidiger macht.

WALTER HINCK

Pamela Katz: "Die Seeräuberin". Ein Lotte-Lenya-Roman. Aus dem Amerikanischen von Oliver Wolfskehl. Aufbau-Verlag, Berlin 2001. 283 S., geb., 36,90 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Hölzern sei dies "fiktive Porträt" geschrieben, meint Rezensent Walter Hinck, und auch in der Übersetzung werde dieser Stil nicht "geschmeidiger". Die Autorin habe "kein Organ für die Magie der Kunst", lesen wir und spüren, Hinck hätte liebend gern ein wunderbares Buch über Lotte Lenya gelesen. Aber dies hier hat ihn ziemlich enttäuscht. Zweifelhaft wurde das Unternehmen schon deshalb, weil Autorin Pamela Katz den "Lebensstoff" wie einen Romanstoff behandelt hat, und sich im Nachwort wohl relativ selbstbewusst auf die "Freiheiten der Romanfiktion" beruft. Was für den Rezensenten Fragen nach der Schlüssigkeit der Fakten aufwirft. Denn die präsentierten Fakten sind ziemlich drastisch. Höhepunkt: der Wiener Kutscher, der seine Tochter Lotte als Kind missbrauchte. Dieser Deutung steht Walter Hinck doch einigermaßen skeptisch gegenüber. Auch, weil dass Thema Kindesmissbrauch gerade so "wohlfeil" sei. Und weil diese "Erzählung" sich zu offensichtlich nur für die "psychotischen Befunde" der Lenya-Biografie interessiert, der Autorin aber dann schon die sprachlichen Möglichkeiten fehlten, wenigstens den Welterfolg der Dreigroschenoper anschaulich zu machen.

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