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Das Modell «Schweiz» ist in Gefahr. Der Druck von aussen, sich den üblichen Standards anzupassen, steigt. Und die Bereitschaft im Innern, Eigenverantwortung zu übernehmen, lässt nach. Was bedeutet das? Es könnte auf das Ende der historischen Mission der Schweiz hinauslaufen. Voltaire staunte, dass die Schweiz einen Platz in der Weltgeschichte ergattern konnte, obschon sie nichts als ein paar Felsbrocken anzubieten habe. Warum nehme man überhaupt von ihr Notiz? Seine Antwort: weil sie mehr Freiheit biete. Immer wieder schaffte es die Schweiz, sich mit ihrer Demokratie, dem Föderalismus, der…mehr

Produktbeschreibung
Das Modell «Schweiz» ist in Gefahr. Der Druck von aussen, sich den üblichen Standards anzupassen, steigt. Und die Bereitschaft im Innern, Eigenverantwortung zu übernehmen, lässt nach. Was bedeutet das? Es könnte auf das Ende der historischen Mission der Schweiz hinauslaufen. Voltaire staunte, dass die Schweiz einen Platz in der Weltgeschichte ergattern konnte, obschon sie nichts als ein paar Felsbrocken anzubieten habe. Warum nehme man überhaupt von ihr Notiz? Seine Antwort: weil sie mehr Freiheit biete. Immer wieder schaffte es die Schweiz, sich mit ihrer Demokratie, dem Föderalismus, der Neutralität und der Mehrsprachigkeit von den vorherrschenden Trends abzuheben. Sie war eine Alternative.Die Schweiz muss ihre Eigenart bewahren. Entweder hat sie etwas Spezielles zu bieten, oder sie geht im Mainstream auf. Auf Voltaires Frage gäbe es dann keine Antwort mehr. Die Schweiz würde zwar dem Namen nach noch existieren, aber das wäre auch alles. Als Alternative hätte sie abgedankt.
Autorenporträt
Paul Widmer (1949), alt Botschafter, Diplomat von 1977¿2014, mit Posten u. a. in New York Washington, Berlin, Zagreb und beim Heiligen Stuhl, Dozent für internationale Beziehungen an der Uni St. Gallen (2011¿2018), Gastkolumnist der NZZ am Sonntag (2016¿2021).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.10.2023

Für eine Schweiz, die sich selbst genügt
Laut einem früheren Diplomaten vernachlässigt die Eidgenossenschaft die Tugenden, die sie stark machten

Was macht die Schweiz so besonders? Für Paul Widmer ist es die Kombination aus direkter Demokratie, Föderalismus, Mehrsprachigkeit und Neutralität. Genau diese Eigenheit sieht der frühere Diplomat, der von 1992 bis 1999 die Schweizer Vertretung in Deutschland leitete, in Gefahr. Der Druck von außen, sich den "üblichen" Standards anzupassen, steige. Und in Bern sei man leider immer mehr gewillt, dem nachzugeben.

Glasklar ist damit der Standpunkt, den der frühere Diplomat vertritt. Er wird auch im Buchtitel "Die Schweiz ist anders - oder sie ist keine Schweiz mehr" deutlich. Widmer kritisiert nicht nur die Politiker von heute, sondern leitet seine Positionen auch aus der Geschichte her. Oft beginnen diese Ausführungen anekdotisch. So erfährt der Leser etwa, dass es die Schweizer nicht so mit einheitlicher Namensgebung haben. So heißt das gewöhnlich "Schweiz" genannte Land offiziell "Schweizerische Eidgenossenschaft". Dagegen steht auf Briefmarken "Helvetia". Widmer zieht daraus den Schluss: "Wo viele mitreden, ist es schwieriger, eine einheitliche Namensgebung zu finden als in zentralistisch oder autoritär organisierten Staaten."

Noch stärker verwebt der Autor die Vergangenheit mit seinen politischen Ansichten, wenn er darüber schreibt, wie die Schweiz zu dem wurde, was sie heute ist. Für ihn greift die im Mitte-links-Spektrum verbreitete Berufung hauptsächlich auf den Bundesstaat von 1848 zu kurz. Entgegen der "Mode", die Gründungsgeschichte zu "entmystifizieren", hätten sich schon seit 1291 in der Alten Eidgenossenschaft "höchst erstaunliche" Dinge abgespielt. Statt dass Fürsten von oben herab dynastische Staaten bildeten, hätten sich hier Bauern mit dem Ziel zusammengetan, um ihre Freiheiten zu verteidigen.

Vor Größenwahn waren offenbar auch die Schweizer nicht gefeit. Widmer schreibt über den Versuch der großen Hauptorte, das lockere Bündnis durch einen straffen Bund zu ersetzen. Doch die Peripherie wehrte sich im 15. Jahrhundert erfolgreich. Noch stärker beklagt der Autor das Sendungsbewusstsein von Schweizern, die ihre Heimat zum Vorbild für die ganze Welt erklärten. Der in Heidelberg lehrende Jurist Johann Caspar Bluntschli habe schon 1867 die Schweiz als leuchtendes Vorbild für eine "künftige" Einigung Europas dargestellt. Wie heutige Befürworter eines Schweizer EU-Beitritts sei er davon überzeugt gewesen, dass die Schweiz in einem verschweizerten Europa aufgehen sollte.

Stattdessen propagiert der Autor eine Schweiz, die sich selbst genügt. Die Regierung in Bern solle sich nach Jahren einer verhältnismäßig "aktiven Neutralität" (eine Formulierung, die auf die frühere Außenministerin Micheline Calmy-Rey zurückgeht) auf eine traditionelle Neutralitätspolitik zurückziehen. Wenn russische Staatsmedien wie freie amerikanische Medien erklärten, die Schweiz sei nicht mehr neutral, dann sei etwas schiefgelaufen, schreibt Widmer über das Agieren Berns angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine.

Geradezu erratisch wäre in der Konsequenz aber die Außenpolitik, die dem früheren Diplomaten vorschwebt. Die Übernahme der Sanktionen der Europäischen Union gegen Russland: ein Sündenfall. Überlegungen im Verteidigungsministerium, dass die Schweizer Armee an NATO-Übungen teilnimmt: ebenso nicht mit der Neutralität vereinbar. Einen wunden Punkt trifft der Autor aber in seinen Ausführungen zur Waffenweitergabe. Eine direkte Lieferung an die Ukraine kommt für ihn nicht infrage. Doch man könnte die erst vor wenigen Jahren eingeführte Erklärung über die Nicht-Wiederausfuhr im Kriegsmaterialgesetz schlicht streichen. Für direkte Ausfuhren übernehme die Schweiz die Verantwortung. Doch was Abnehmer von Rüstungsgütern später damit machten, sei dann deren Sache.

Leider wirft der Autor nicht die Frage auf, ob die erstmals 1674 zur Staatsräson erhobene und 1815 vom Wiener Kongress bestätigte Neutralität noch zeitgemäß ist. Für eine Revision spräche die immer häufiger geäußerte Einsicht, die Schweiz könne sich im Ernstfall nicht selbst verteidigen. Zudem deutet Widmer selbst an, dass die Sympathien in der Schweiz überwiegend auf der Seite der angegriffenen Ukraine liegen.

Man könnte sich bei der Lektüre auch bei einem Gedankenexperiment ertappt fühlen: Was wäre, wenn die Schweiz die vom Autor skizzierten Stärken als EU-Mitglied einbrächte? Ob ein funktionierender subsidiärer Staat oder eine weitgehend problemlose Integration vieler Migranten: Auch im Praktischen, jenseits der hehren Grundprinzipien, können die Schweizer Vorbild sein. Man muss ja nicht gleich die Eidgenossenschaft nachbauen. NIKLAS ZIMMERMANN

Paul Widmer: Die Schweiz ist anders - oder sie ist keine Schweiz mehr.

NZZ Libro, Basel 2023. 128 S., 24,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Nicht ganz überzeugt ist Rezensent Niklas Zimmermann von Paul Widmers Überlegungen zur politischen Positionierung seines Heimatlandes. Die Grundthese des einstigen Schweizer Botschafters in Berlin ist, erfahren wir, dass die Schweiz sich nicht an die Erwartungen aus dem Ausland anpassen und eigenständig, neutral vor allem, bleiben soll. Anekdotisch schreibt Widmer, so Zimmermann, und unter anderem möchte er an die Frühgeschichte der Eidgenossenschaft erinnern, an den vom Freiheitsgedanken ausgehenden Zusammenschluss der Bauern im 13. Jahrhundert. Wenig hält der Autor dagegen von der Idee, heißt es weiter, die Schweiz zum Vorbild für die ganze Welt zu erklären. Stattdessen will Widmer laut Rezensent, dass die Schweiz die Schweiz bleibt und so neutral wie möglich bleibt, zum Beispiel auch im Ukrainekonflikt. Zimmermann wendet ein: Das wäre eine ziemlich eigenartige Außenpolitik, die dabei herauskommen würde. Nicht zuletzt könne sich die Schweiz nunmal im Zweifelsfall nicht selbst verteidigen. Vielmehr fragt sich der Rezensent, ob die Schweiz ihre zweifellos vorhandenen Stärken zum Beispiel in der Integrationspolitik nicht gewinnbringend in die EU einbringen könnte.

© Perlentaucher Medien GmbH