Marktplatzangebote
6 Angebote ab € 2,90 €
  • Gebundenes Buch

Europa, kurz vor der letzten Jahrtausendwende: Ben Atar, der jüdische Kaufmann aus Tanger, hat eine ungewöhnliche Mission: Er muß die Frau seines Neffen, die grünäugige Esther-Minna aus dem fernen Worms, davon überzeugen, daß das Glück in der Bigamie liegt. Zwei Welten prallen aufeinander: der sinnenfrohe, tolerante Süden und der strenge, rationale Norden.

Produktbeschreibung
Europa, kurz vor der letzten Jahrtausendwende: Ben Atar, der jüdische Kaufmann aus Tanger, hat eine ungewöhnliche Mission: Er muß die Frau seines Neffen, die grünäugige Esther-Minna aus dem fernen Worms, davon überzeugen, daß das Glück in der Bigamie liegt. Zwei Welten prallen aufeinander: der sinnenfrohe, tolerante Süden und der strenge, rationale Norden.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.10.2000

Handel und Lustwandel
Ein Vielweiberroman: Abraham B. Jehoschuas Mittelalterreise

Die Sage über den Grafen von Gleichen und seine zwei Frauen nährte vor allem romantische Phantasien. In verschiedenen Variationen erzählte man die Geschichte des Kreuzritters, der im Morgenland in äußerste Gefahr gerät und von einer holden Orientalin gerettet wird. Die Folgen der guten Tat sind spektakulär, denn aus Dankbarkeit heiratet der Graf seine Retterin und nimmt sie mit zurück in seine nördliche Heimat, wo es bereits eine Gräfin von Gleichen gibt; diese und auch der Papst als oberste Autorität in allen Glaubens- und Lebensfragen stimmen der Ehe zu dritt zu. Es ist gewiß kein Zufall, daß diese Unterwanderung des christlichen Dogmas von der unauflöslichen Einehe eng mit der geographischen Ferne verknüpft ist. Denn die Orientalen - so glaubt es zumindest eine lange europäische Erzähltradition - nehmen es mit den Fragen der Moral nicht so genau, sind sinnenfroh und mit beneidenswerter Potenz ausgestattet.

Auch Abraham B. Jehoschua, einer der bekanntesten Schriftsteller Israels, versieht den orientalischen Helden seines jüngsten Romans mit zwei rechtmäßigen Ehefrauen. Der tüchtige Kaufmann Ben Atar stammt aus der nordafrikanischen Metropole Tanger, und dort ist Vielweiberei im Jahr 999 nichts Anstößiges. Das wohlaustarierte multiple Eheleben - der agile Händler versucht nach bestem Gewissen, seine Kräfte zwischen den beiden Frauen aufzuteilen - gerät allerdings in Gefahr, als der junge Handelspartner Abulafia Anstoß an den Familienverhältnissen seines Onkels nimmt. Abulafia, der die europäischen Absatzmärkte für orientalische Handelswaren bestens kennt, lebt seit langem im Norden und ist dort mit einer blonden Jüdin verheiratet, für die das rabbinische Gebot der Einehe unbedingte Geltung hat. Deshalb lehnt sie den vermeintlich sittenlosen Lebenswandel des afrikanischen Partners vehement ab und fordert die Auflösung der lukrativen Geschäftsverbindung.

Ben Atar bleibt nichts anderes übrig, als sich auf die beschwerliche Reise nach Norden zu machen, um das Prinzip der Doppelehe zu verteidigen und zugleich den lohnenden Nord-Süd-Handel zu retten. Also rüstet er zusammen mit dem dritten Handelspartner, dem muslimischen Kaufmann Abu Lutfi, ein großes Segelschiff mit verlockenden Waren aus und begibt sich auf seine heikle Missionsreise. Begleitet wird Ben Atar von seinen beiden verschleierten dunkelhäutigen Frauen, die allmählich innige Freundschaft schließen. Mit von der Partie ist auch ein spanischer Rabbiner, der den Kaufmann im bevorstehenden Rechtsstreit unterstützen soll, aber zunächst seine Seekrankheit überwinden muß.

Für Jehoschua wird die abenteuerliche Expedition in den Norden zu einer versöhnlichen Parabel über das multikulturelle Leben im heutigen Israel. Denn die zwar spannungsvolle, aber letztlich doch harmonische Gemeinschaft zwischen Juden und Muslimen an Bord des ehemaligen Kriegsschiffes ist ein engagiertes Plädoyer für friedliche Nachbarschaft, ja Kooperation zwischen Angehörigen unterschiedlicher Religionen. Auch die Begegnung zwischen orientalischen und europäischen Juden gehört zum Alltag im Einwanderungsland Israel. Jehoschua verschweigt in seinem märchenhaften Reisebericht keinesfalls die Konflikte, die aus dem Zusammenprall verschiedener Traditionen entstehen können, aber er deutet zugleich Möglichkeiten für ihre Überwindung an. Denn wenn auch die afrikanischen Juden die heiligen Gebete mit anderen Melodien als ihre europäischen Gastgeber singen, stellt sich doch nach und nach das Bewußtsein einer gemeinsamen jüdischen Identität ein, die eine Verständigung über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg möglich macht.

Und die umstrittene Doppelehe? Zweimal wird über sie vor verschiedenen Gerichten verhandelt, und zwei einander widersprechende Urteile werden dabei gefällt. Für Jehoschua, der weitersieht als jede der von ihm geschaffenen Gestalten, sind Recht und Unrecht zutiefst relative Begriffe; denn menschliche Sehnsüchte und Ängste bestimmen die jeweils geltenden Gesetze mehr, als man es sich oft eingestehen mag. Das sind Einsichten eines reifen, fast schon weise zu nennenden Erzählers, der dennoch die Lust am Fabulieren nicht verloren hat.

Mit der Reise von Afrika nach Paris, Verdun und Worms entfaltet sich zugleich ein bunter Bilderbogen mittelalterlichen Lebens. Von den vielfältigen Traditionen der Juden in Nord und Süd weiß Jehoschua zu erzählen, von listigen Zöllnern und noch listigeren Kaufleuten, von geheimnisvollen Verkleidungen und starken Leidenschaften. Über alledem weht aber der aromatische Duft der afrikanischen Gewürze, der selbst in nüchternen Europäern Sehnsucht nach dem farbenprächtigen Orient weckt. Der Euphorie angesichts des bevorstehenden Jahres 1000 begegnen die jüdischen und muslimischen Handlungsreisenden allerdings mit Gelassenheit, ist ihnen doch die begrenzte Reichweite des christlichen Kalenders deutlich bewußt. Die Millenniumsbegeisterung kann diesen Pionieren einer unchristlichen Seefahrt nichts anhaben.

SABINE DOERING

Abraham B. Jehoschua: "Die Reise ins Jahr Tausend". Roman in drei Teilen. Aus dem Hebräischen übersetzt von Ruth Achlama. Piper Verlag, München und Zürich 1999. 416 S., geb., 44,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Sabine Doering stellt ziemlich kommentarlos einfach die bewegte Geschichte des Romanhelden Ben Atar selbst in den Mittelpunkt ihrer Kritik.. Sie überlässt es ganz dem Leser, ob er diese vielschichtige Parabel aus dem mittelalterlichen Orient, die scheinbar so bunt und realistisch daher kommt, mögen will. Oder ob er am Ende dann vielleicht doch der Meinung ist, hier wird zu viel und zu konventionell erzählt. Ganz deutlich wird auch, dass Parallelen der Geschichte zu Lessings "Nathan" oder Goethes "Stella" mehr als nur Zufälle sind. Aber selbst diese Erkenntnis muß dem Leser der Rezension selber kommen. Sabine Doering hält sich nur an Jehoshua und seinen Roman, ausgenommen ein Anfangsexkurs über den Kreuzritter-Grafen von Gleichen und seine zwei Frauen, dessen Geschichte schon Goethe bewegte.

© Perlentaucher Medien GmbH