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Produktdetails
  • Verlag: Rowohlt, Reinbek
  • Seitenzahl: 282
  • Abmessung: 220mm
  • Gewicht: 526g
  • ISBN-13: 9783498062880
  • ISBN-10: 3498062883
  • Artikelnr.: 23964688
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.12.1995

Strafrechtlich nicht faßbar
Die Erstürmung der Post von Danzig und die Folgen

Dieter Schenk: Die Post von Danzig. Geschichte eines deutschen Justizmords. Mit einem Vorwort von Horst Ehmke. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1995. 285 Seiten, Abbildungen, 45,- Mark.

In Danzig wurde am 1. September 1939 von den Deutschen nicht nur die aufgrund des Versailler Vertrages von Polen besetzte Westerplatte beschossen, sondern auch die polnische Post gestürmt. Nach erbitterter Gegenwehr ergaben sich 28 Verteidiger, überwiegend Postbeamte; sechzehn Schwerverletzte wurden in das Gestapo-Gefängniskrankenhaus gebracht. Die 38 Überlebenden wurden kurz darauf vom Feldkriegsgericht wegen Freischärlerei zum Tode verurteilt und einen Monat später auf einem Schießstand erschossen.

Diesen Vorfall hat ein ehemaliger Kriminaldirektor des Bundeskriminalamts zum Gegenstand eines Forschungsvorhabens gemacht. Mit eindrucksvoller Gründlichkeit hat er viele Details zusammengetragen, die die damaligen Ereignisse plastisch werden lassen. Er hat die Nachkommen der Opfer in Polen und Deutschland aufgespürt und interviewt. Allerdings gibt der Vorfall in seiner nackten Brutalität kaum ausreichend Stoff für umfangreiche Forschungen. Die Erörterung der komplizierten Rechtsprobleme bleibt an der Oberfläche. Daher wendet sich Schenk anderen Themen zu, die mit dem Hauptthema in Verbindung stehen. Eingehend beschreibt er - vor allem anhand des Tagebuchs eines Obermusikmeisters des Panzerschiffs "Schleswig-Holstein" - die Eroberung der Westerplatte. Er rekonstruiert die Hinrichtung und nennt die Nummern der Straßenbahnlinien, mit denen man zu dem Grab gelangen kann.

Die ganze zweite Hälfte des Buches widmet sich dem Lebenslauf von zwei beteiligten Juristen, nämlich dem die Anklage vertretenden Kriegsgerichtsrat und dem Vorsitzenden des Kriegsgerichts. Schenk schildert ihre Karriere bis zum Kriegsende und spürt den Gründen dafür nach, wie es dazu kommen konnte, daß der eine 1954 Landgerichtsdirektor in Frankfurt und der andere 1957 gar Vizepräsident des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen wurde. Auch hier läßt jedoch die Freude am Detail die große Linie aus dem Blick geraten. Geschildert werden dienstliche Beurteilungen von 1920 und 1937, ein Antrag auf Unterhaltszuschuß aus dem Jahre 1931, die gesellschaftliche Herkunft der Ehefrauen und Daten über die Festsetzung des Besoldungsdienstalters. Auch beeinträchtigt Schenk die Objektivität seiner Darstellung durch die unnötige fortgesetzte und kleinliche Schlechtmachung der Titelfiguren. Sie waren dienstbeflissen und unehrlich und entzogen sich nicht dem Richterstammtisch; aus der Tatsache, daß seine Geschäftsstelle und Protokollführung immer männlich besetzt gewesen seien, wird auf die Frauenfeindlichkeit eines von ihnen geschlossen. 1960 erstattete der Sohn eines der hingerichteten Postverteidiger Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Hamburg. Das Verfahren wurde mehrfach eingestellt und wiederaufgenommen; inzwischen sind die Verdächtigen verstorben. Schenks Fazit: "Die Machenschaften des (?) Repräsentanten des bundesrepublikanischen Rechtsstaats stellen eine besondere Form von ,Rechtsbeugung' dar, die leider strafrechtlich nicht faßbar ist."

In seinem Vorwort weist Horst Ehmke, offensichtlich wegen seiner Herkunft aus Danzig mit dieser Aufgabe betraut, bemerkenswerterweise darauf hin, daß die westdeutsche Demokratie mit der Belastung durch die Übernahme der NS-Eliten in die Verwaltung und Justiz, in die Medien und die Wirtschaft relativ gut fertig geworden sei. Durch das Buch wenig veranlaßt, appelliert er an den Gesetzgeber, die strafrechtliche Verfolgung von SED-Unrecht "endlich" auf die schweren Fälle zu beschränken. Welche Fälle der Verfolgung von leichtem SED-Unrecht er im Auge hat, bleibt offen.

FRIEDRICH-CHRISTIAN SCHROEDER

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