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Auf einer Schiffpassage kommt es zu der überraschenden Begegnung der ehemaligen KZ-Aufseherin Lisa mit ihrem "bevorzugten" Häftling. Die Erzählerin nimmt die Perspektive der ehemaligen Aufseherin ein, die im Zustand der inneren Blockade nicht die Chance der persönlichen Konfrontation nutzt und sich stattdessen in ihre Erinnerungen an Auschwitz zurückzieht, sich möglichst rechtfertigend - nicht zuletzt deshalb, weil ihr Mann Walter über ihre Vergangenheit bisher nichts wusste. Parallel dazu bestürmt diesen der mitreisende Amerikaner Bradley mit seinen Fragen über die Deutschen, ihre Psyche und…mehr

Produktbeschreibung
Auf einer Schiffpassage kommt es zu der überraschenden Begegnung der ehemaligen KZ-Aufseherin Lisa mit ihrem "bevorzugten" Häftling. Die Erzählerin nimmt die Perspektive der ehemaligen Aufseherin ein, die im Zustand der inneren Blockade nicht die Chance der persönlichen Konfrontation nutzt und sich stattdessen in ihre Erinnerungen an Auschwitz zurückzieht, sich möglichst rechtfertigend - nicht zuletzt deshalb, weil ihr Mann Walter über ihre Vergangenheit bisher nichts wusste. Parallel dazu bestürmt diesen der mitreisende Amerikaner Bradley mit seinen Fragen über die Deutschen, ihre Psyche und Rolle in der Welt. Marta, der ehemalige Häftling kommt nicht zu Wort, nur anhand einiger Signale wird deutlich, dass auch sie die andere erkannte, die Konfrontation herausfordert, letztlich aber ebenfalls unter der Wiederbegegnung leidet - bis sie das Schiff verlässt.
Autorenporträt
Zofia Posmysz, geb. am 23.08.1923 in Krakau, wurde 1942 wegen des Verteilens von Flugblättern des polnischen Widerstands verhaftet und Ende Mai des Jahres nach Auschwitz deportiert. Im Januar 1945 auf einen der Todesmärsche geschickt, gelangte sie nach Ravensbrück und Neustadt-Glewe, wo am sie am 2. Mai die Befreiung erlebte. Nach dem Kriegsende zieht sie nach Warschau und bekommt eine Stellung in der Literaturabteilung des polnischen Rundfunks. In dem Hörspiel ¿Die Passagierin", aus dem später ein erfolgreicher Roman und ein Film entstanden, verarbeitet sie fünfzehn Jahre nach Kriegsende erstmals ihre Zeit in Auschwitz und folgt dabei einem neuen Ansatz, indem sie sich in die Perspektive ihrer früheren Aufseherin hineinversetzt. Weitere Werke, darunter viele mit ganz anderen Thematiken, entstehen in den nächsten Jahrzehnten. Auf deutsch sind von Zofia Posmysz, die ihre Stellung beim Rundfunk beibehielt, aber, unter Hinweis auf ihren Glauben an Gott, nie der kommunistischen Partei beigetreten war, außerdem der Roman ¿Ein Urlaub an der Adria", einige kürzere Texte und Hörspiele sowie der Bericht von ihrer ¿Befreiung und Heimkehr" nach drei Jahren in deutschen Konzentrationslagern erschienen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.07.2010

Ich bin eine alte Nummer
Zofia Posmysz hat 42 Jahre lang warten müssen auf die Uraufführung der Oper "Die Passagierin"

Sie lässt ausrichten, sie sei müde, sie habe auch nicht viel Zeit. Doch dann steht sie in der offenen Wohnungstür, und es geht eine so klare Willkommensfreundlichkeit von ihr aus, dass sie selbst wie eine Lichtquelle wirkt in dem dunklen Flur. Ja, alles Licht bündelt sich in dieser Zofia Posmysz, ganz so, als stünde sie mitten in einem Caravaggiogemälde: Ein Mensch mit Aura.

Im August wird Zofia Posmysz 87 Jahre alt werden, doch ist anzunehmen, dass sie diese stille, sonnige zuversichtliche Energie schon als junges Mädchen ausgestrahlt hat, vielleicht hat ihr das sogar damals im Lager das Leben gerettet. Mit Sicherheit sagen kann man aber nur, dass es ein paar banale Ereignisse gab, die zu ihrem Überleben unmittelbar beigetragen haben, Glück und Zufall, gute Deutschkenntnisse und, wenn auch nicht absichtsvoll, die ausgeprägte Ordnungsliebe der KZ-Aufseherin Anneliese Franz, der Posmysz ein literarisches Denkmal gesetzt hat, zuerst in einem Hörspiel, dem folgten ein Kinofilm und ein Roman, schließlich eine Oper.

Die wird jetzt in Bregenz bei den Festspielen uraufgeführt werden, mit 42 Jahren Verspätung. Sie heißt "Pasazerka" - "Die Passagierin"; die Regie führt David Pountney, der das Stück "authentisch" nennt und die "erste Auschwitzoper". Gehen das Thema und das Genre denn überhaupt zusammen? Posmysz ist da immer noch voller Skepsis. Jedenfalls: Ein großes Ereignis für die Opernwelt kündigt sich an.

Der Komponist, Mieczyslaw Weinberg, wird seine Wiederentdeckung nicht mehr erleben können, er starb, vergessen und vereinsamt, 1996 in Moskau. Und da man ihn nicht dazu befragen kann, ist Zofia Posmysz nun doch etwas interviewmüde mittlerweile, sie hat schon so viel erklären müssen in jüngster Zeit - teils auf Polnisch, teils auf Französisch, teils auf Deutsch, wobei ihr als Übersetzer und als Stichwortgeber der junge Literatur- und Musikwissenschaftler Aleksandr Laskowski zur Seite steht, der gerade eine Ausstellung über Posmysz, "Pasazerka" und das autobiographische Wurzelwerk der Oper vorbereitet.

Ein Wunder, dass es immer noch Schubladen voll mit Material gibt, das nicht ausgewertet wurde. Aus einem Sekretär zieht Posmysz die Deutschlandkarte von 1938 heraus, mehrfach gefaltet, die sie benutzt hat, als sie mit 38 weiteren Mädchen zurückgelaufen ist nach Polen, zu Fuß, von Neustadt-Glewe bei Ravensburg, wohin sie zwangsverlegt und wo sie schließlich befreit worden waren, heim nach Krakau. Ein Akkordeon hatten sie damals dabei, viel Zuversicht zeigen die verwackelten Fotos, drei Wochen waren sie unterwegs. Seit vielen Jahren wohnt Posmysz nun schon in Warschau, in dieser winzigen, verwinkelten, mit Büchern, Bildern und schönen Möbeln vollgestopften Wohnung in einem der soliden Neubaublocks, die, in fußläufiger Nähe zur Altstadt, nach dem letzten Krieg rasch errichtet wurden. Sie hat in der Literaturabteilung des polnischen Rundfunks gearbeitet, durfte ab und zu Auslandsreisen unternehmen. Und sie hat oft öffentlich über Auschwitz gesprochen. Regelmäßig geht Posmysz heute noch ins Lager, um mit Schülern und Studenten zu reden über das, was sie dort erlebte, als sie selbst 18, 19, 20 Jahre alt war. "Ich bin eine alte Nummer", sagt Zofia Posmysz trocken. "Alte Nummern" hießen im Lager die aus den frühen Transporten, die länger überlebt hatten als die meisten. Die Nummer steht immer noch auf ihrem Unterarm, sie lautet 7566, das kann jeder ruhig wissen. Anders als andere Überlebende verbirgt Posmysz sie nicht schamhaft unter langen Ärmeln. Sie hat längst das Schweigen verlernt. "Natürlich ist es wichtig für die jungen Leute, dass sie hören, wie es war", sagt Posmysz später, als wir uns verabschieden wollen, in ihrem förmlichen, seltsam singenden Deutsch. Doch sei es für sie selbst mindestens ebenso wichtig, zu reden.

Das Schweigen der Opfer

Irgendwann in den Fünfzigern, als sie nach Paris geschickt wird für ein Feature, hört sie plötzlich auf der Place de la Concorde eine hohe, schnelle, spitze Stimme: eindeutig die Stimme von Aufseherin Franz. "Mein Herz blieb stehen. Aber sie war es dann doch nicht." Seither lässt sie der Gedanke nicht los, was sie wohl täte, wenn sie es gewesen wäre. Schließlich schreibt sie ein kurzes Hörspiel darüber: "Pasazerka", darin tritt Anneliese Franz auf als Anneliese Franz, hat auch einen guten Ehemann gefunden, Walter, der zunächst nichts weiß von der Vergangenheit seiner Frau, bis die beiden auf einem Ozeanliner zufällig auf einen ehemaligen Häftling treffen: Marta. Auch dies ein Klarname, Zofia Posmysz hat damit einer ihrer Freundinnen aus dem Lager ein Denkmal gesetzt. Und noch einem anderen Toten: Tadeusz Paulone, der ein junger polnischer Offizier war, abkommandiert aus dem Männerblock von Anneliese Franz, damit er der kleinen Posmysz innerhalb von drei Tagen Buchführung beibringen sollte. Franz war aus Ravensbrück gekommen, sie hatte sich vorgenommen, deutsche Zucht und Ordnung einzuführen im polnischen Lager, und Posmysz sollte ihr bei der Büroarbeit helfen. Tadeusz wurde kurz darauf erschossen. Er und Zofia haben sich nur an diesen drei Tagen gesehen. Nicht mal für den Keim einer Lagerliebe blieb Zeit. Doch Zofia Posmysz trägt heute noch den Talisman, das kleine Eisenamulett mit dem eingestanzten Christuskopf, um den Hals, den er ihr heimlich geschenkt hatte, zu ihrem Schutz, was streng verboten war. "Einen Monat Strafkommando, wenn wir erwischt worden wären", sagt Posmysz.

Geschichten wie diese gibt es viele aus Auschwitz-Birkenau. Das Besondere an den Geschichten, wie Zofia Posmysz sie erzählt, seit sie Anfang der Sechziger das Schweigen aufgab, ist, dass darin den Tätern das Wort erteilt wird, auch, wenn die das erst mal gar nicht haben wollen.

"Ich kann nicht sagen, ob es eine Entscheidung geben kann für Gut oder Böse", sagt sie heute. Aber herausfinden, wie etwas geschah, das sollte möglich sein! Die Täter in den Romanen von Posmysz müssen sich erinnern, sie sollen erzählen aus ihrer Sicht, wie es gewesen sein könnte, sie reden sich um Kopf und Kragen, grübeln, quälen sich - und sie sprechen dabei für ihre Opfer mit. Marta und Tadeusz haben stumme Rollen: Sie gehören zur Generation der Schweigenden.

Später, im Film und im Roman, hat sich die Geschichte verwandelt, sie ist plakativer geworden. Anneliese heißt jetzt Lisa, in der Oper wird aus Tadeusz ein professioneller Violinvirtuose, der im Lagerorchester mitspielt und in einem Akt des Aufbegehrens, ungefragt, Bachs d-Moll-Chaconne anstimmt, was als Protest gemeint ist und auch so verstanden wird.

Die Sicht der Täter

Nur wenige Male ist Weinbergs sehr emotionale, malerische Musik zur "Passagierin" bisher erklungen, der Komponist selbst hat sie seinem Freund Dimitrij Schostakowitsch am Klavier vorgespielt, der setzte sich sehr dafür ein, umsonst. Warum hat es so lange gedauert, bis Mieczyslaw Weinbergs Musik wieder Beachtung findet? War er nicht anerkannt, ja, bewundert in sowjetischen Komponistenkreisen, wurden nicht viele seiner Werke aufgeführt? Wieso nicht diese Oper? Warum nimmt man die Qualität seiner Musik erst seit kurzem auch im Westen zur Kenntnis? Ist sie zu schön? Zu wenig trashig? Zu gut instrumentiert, um vor der westlichen Avantgarde zu bestehen?

Zofia Posmysz weiß es auch nicht. "In Polen ist Weinbergs Musik bekannt seit vielen Jahren", sagt sie, "unsere Oper sollte zuerst in Moskau am Bolschoi aufgeführt werden, danach in Prag, aber das Ministerium hat es verboten, nicht nur das russische, überall anders auch, in allen Ländern, die zum Sowjetblock gehörten. Weinberg hatte so sehr darauf gewartet. Ich glaube aber, es liegt an dem Thema. Ich konnte mir selbst ja auch nicht vorstellen, wie Auschwitz in eine Oper passen soll."

Vor kurzem kam die erste Biographie über Weinberg heraus, ein nüchternes Buch, das nur Fakten zusammenträgt und sich in der Wertung der Musik auf knappe Statements beschränkt. Autor David Fanning führt die Ausgrenzung Weinbergs letztlich darauf zurück, dass er nun einmal Jude gewesen sei, ein polnischer Jude und Flüchtling dazu. Zeitlebens ist Weinberg subtil schikaniert worden, auch in seinem Moskauer Exil, daher die "unüberwindlichen Hindernisse", die sich "Pasazerka" in den Weg stellten. Die wahre Geschichte werde vielleicht nie vollständig erzählt werden können, meint Fanning.

Weinberg selbst sprach am Ende seines Lebens resigniert von der "Rumpelkammer", in der seine Musik gelandet sei, weil sie "gegenwärtigen Moden nicht entspricht". Zofia Posmysz aber erinnert sich, dass sie, als sie in den Sechzigern zu Besuch bei den Weinbergs in Moskau war, um über die "Passagierin" zu sprechen, den besten Hering serviert bekam, den sie in ihrem ganzen Leben gegessen hatte.

ELEONORE BÜNING

Zofia Posmysz: "Die Passagierin". Aus dem Polnischen von Peter Ball. Nachdruck der Ausgabe Verlag Neues Leben 1969, Books on Demand, 3. Auflage 2010, 9,90 Euro. David Fanning: "Mieczyslaw Weinberg. Auf der Suche nach Freiheit". Aus dem Englischen von Jens Hagestedt. Wolke-Verlag 2010, 29,00 Euro. Die Oper "Die Passagierin" von Mieczylaw Weinberg nach dem Roman von Zofia Posmysz wird am 21. Juli bei den Bregenzer Festspielen szenisch uraufgeführt.

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