Marktplatzangebote
2 Angebote ab € 10,00 €
  • Broschiertes Buch

Die Orestie des Aischylos bildet einen Höhepunkt der Weltliteratur. Peter Stein, international renommierter Theaterintendant und Regisseur, hat eine kraftvolle und klare Übersetzung von hoher literarischer Qualität geschaffen. In dem vorliegenden Band wird dieser Text, der während der Aufführung an der Berliner Schaubühne viel Beifall gefunden hat, erstmals einem breiten Lesepublikum zugänglich gemacht. Die Interpretation des antiken Stoffes gelang Peter Stein so vorzüglich, daß seine Inszenierung unter anderem nach Frankreich, Italien, Venezuela, Griechenland, England, Rußland und in die Ukraine eingeladen wurde.…mehr

Produktbeschreibung
Die Orestie des Aischylos bildet einen Höhepunkt der Weltliteratur. Peter Stein, international renommierter Theaterintendant und Regisseur, hat eine kraftvolle und klare Übersetzung von hoher literarischer Qualität geschaffen. In dem vorliegenden Band wird dieser Text, der während der Aufführung an der Berliner Schaubühne viel Beifall gefunden hat, erstmals einem breiten Lesepublikum zugänglich gemacht.
Die Interpretation des antiken Stoffes gelang Peter Stein so vorzüglich, daß seine Inszenierung unter anderem nach Frankreich, Italien, Venezuela, Griechenland, England, Rußland und in die Ukraine eingeladen wurde.
Autorenporträt
Bernd Seidensticker studierte Klassischen Philologie und Germanistik in Tübingen und Hamburg. Seit 1987 hat er eine Professor für Klassische Philologie an der FU Berlin inne.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.1997

Wilder Tanz des wilden Herzens
Die "Orestie", übersetzt von Peter Stein / Von Christian Meier

Peter Steins Inszenierung der "Orestie" des Aischylos, die am 18. Oktober 1980 an der Berliner Schaubühne, damals noch am Halleschen Ufer, Premiere hatte, war ein Ereignis. Lange Vorbereitungen, eine Probenzeit sondergleichen waren vorausgegangen. Ensemble und Regisseur befanden sich auf der Höhe ihrer Möglichkeiten; nicht zu vergessen den Dramaturgen Dieter Sturm, einen der besten Kenner der griechischen Antike. Von zwei bis elf Uhr dauerte die zusammenhängende Aufführung, mit zwei langen Pausen; man hatte auf flachen blanken Stufen zu sitzen oder, wenn die Bandscheiben das nicht erlaubten, zu stehen, aber das machte nichts.

Aischylos' Sprache ist schwierig gefügt, der Sinn oft in sehr eigenen Wortbildungen zusammengedrängt. Zügellos, wild, ungemischt nannte ihn ein Kritiker. Die vorliegenden Übersetzungen, die dem Original stilistisch nahe zu kommen versuchten, waren unspielbar. Man hat von "Abgründen der Geschmacklosigkeit" gesprochen, in die manch eine von ihnen geraten sei.

So übersetzte Stein den Text neu. Dem Zuhörer sollte von seinem Sinn nichts vorenthalten werden. Aber die Sprache sollte sich ihm nicht verschließen. Der Text bewegt sich zumeist in kurzen, klaren Sätzen. Wo der Sinn strittig ist, bietet er oft verschiedene Varianten nacheinander. Manches wird am Wege verdeutlicht oder erläutert. Wo etwa Aischylos "Du willst gerecht eher heißen als handeln" geschrieben hat, findet man in der Übersetzung, die Stein ursprünglich eine "Nacherzählung" nannte: "Sucht ihr Gerechtigkeit oder nur Rache? Ihr wollt als gerecht gelten, handelt aber nicht danach." Dabei ist von den poetischen Formen des Originals zwar vieles geopfert, aber ein poetischer Reiz geht auch von der deutschen Übersetzung aus.

Diese Übersetzung stellt eine bewundernswerte Leistung der Gelehrsamkeit dar. Doch hat Stein die Übersetzung nicht nur im Blick auf die Bühne abgefaßt, sondern anschließend auch mit den Schauspielern besprochen, erprobt; Alternativen wurden durchgespielt, neue Lösungen gefunden. Die Erörterung gelehrter Interpretationen gehörte in dieser erstaunlichen Bühne zum Probenalltag. So war mit dem Gelehrten zugleich immer der Künstler am Werk. Die Trilogie wurde neu - in einer kaum wiederholbaren Kongenialität - erschlossen.

Dieser Text, der ursprünglich den Besuchern in einem anspruchslosen Heft zur Verfügung gestellt wurde, wird jetzt zum sechzigsten Geburtstag Steins neu herausgebracht, mit zahlreichen Aufnahmen von den Aufführungen und einem informativen Nachwort des Herausgebers Bernd Seidensticker. Der Text ist fast ganz derjenige von 1980. Wenige damals ausgelassene Zeilen sind in Klammern hinzugefügt, außerdem kurze Angaben über Auftritt und Abgang der Personen. Seidensticker bespricht auch den einzigen tieferen Eingriff, durch den Stein eine der vielsagenden Spitzen des Textes willkürlich abzuschleifen versucht hat; man weiß nicht, warum. Die ursprünglichen "Schlagzeilen" für die drei Tragödien: "Der Schlächter wird geschlachtet", "Der Befreier wird wahnsinnig", "Die Vampire segnen die Stadt" sind weggelassen. Leider fehlt eine Zeilenzählung.

Man hat viel über die "Konzeption" der Aufführung gerätselt. Sollte etwa die "formale" Demokratie verherrlicht, sollte sie eher kritisiert werden? Ließ sich da eine Wende nach 1968, vielleicht auch nach dem vorangegangenen "Antikenprojekt I" beobachten? Doch Fragen dieser Art prallen an Steins Interpretation genauso ab wie die Suche nach politischen Parteinahmen am Original.

Aischylos' "Orestie" antwortet auf den wohl erschütterndsten, am tiefsten empfundenen Bruch in der griechischen Geschichte: die Entfaltung der Demokratie in Athen. Bewußt und unbewußt muß man damals weithin noch im Glauben an eine auch von den Göttern sanktionierte rechte Ordnung gelebt haben. Jetzt ging menschliche Willkür daran, die Dinge auf den Kopf zu stellen: Kleine, ungebildete Leute, die Mehrheit der Bürger, sollten herrschen, und dies in der mächtigsten Stadt der Griechen. Damit hatte sich eine unerhörte Freiheit aufgetan, gegenüber allen Selbstverständlichkeiten, die bisher in Geltung waren, aber auch gegenüber dem Hinnehmen von vielen schlimmen Tatbeständen, unter anderem der Rache, die jetzt neu und erregend zum Thema wurde.

Man fand sich vor der Frage, was Menschen können und was sie dürfen, ja was sie sind. Zeus selbst war betroffen. Wie immer, wenn menschliche Macht großartig triumphiert (und die Menschen nicht ganz stumpfsinnig sind), meldete sich zugleich die Angst, tat sich die ganze Doppeldeutigkeit des Ungeheuren auf. Und der Umbruch ließ Positionen und Begriffe zunächst einmal verschwimmen. Da mußte neu geordnet werden, im Himmel und auf Erden.

Diese Herausforderung hat Aischylos über sich hinauswachsen lassen. Die Orestie beginnt in früher Zeit, wo die Großen unentrinnbar den Verkettungen von Rache und Widerrache unterliegen und die Kleinen im dunkeln tappen. "Warum flattert immerzu diese Angst, die nicht weichen will vor dem Seherblick des Herzens?" Doch im Grunde wissen sie Bescheid: "In meinem Innern, dort, wo das Rechte ich weiß, vollführt mein Herz einen wirbelnden Tanz."

Was ist ein Menschenleben? fragt Kassandra. "Wenn es glücklich ist, kann ein Schatten es verwandeln. Im Unglück wischt ein feuchter Schwamm darüber, und das Bild, die Schrift erlöscht. Mehr als alles andere schmerzt mich dies Vergessensein."

Schließlich erlebt man, wie es in Athen möglich wird, Herr über die Verkettungen zu werden: dank des Gerichts der Polis, das die schwierigsten Fragen entscheiden kann. Mit Hilfe der Göttin Athene, der Tochter des Zeus. Freilich heißt das zugleich, daß schärfste, folgenreiche Auseinandersetzungen aufbrechen, aber sie sind öffentlich und ohne Gewalt, und sie haben ein Ende. Genauer: Sie können eines haben.

Denn die vor Gericht Unterlegenen wenden ihren Racheanspruch zunächst gegen die Stadt Athen und müssen von der Göttin erst noch mühsam versöhnt werden. Wenn man so will, siegt die Demokratie mit Hilfe Athenes. Die Göttin zeigt aber auch, und zwar unter Berufung auf Zeus, daß der Sieger versöhnlich sein muß. Demokratie neigt zum Radikalen, aber Mäßigung ist gefordert. Doch wie will man diese gewaltige Tragödie darauf zuspitzen?

Richtig ist gewiß, daß es Stein gelang, den letzten Teil der Trilogie, der im allgemeinen eher Verlegenheit ausgelöst hatte, oft ganz oder großenteils weggelassen worden war, erstmals ernst zu nehmen. Das Ganze wurde insofern voll ausgespielt, und vermutlich ging das nur in einer gelebten Demokratie. Obwohl Aischylos die Demokratie nicht feiert, sondern nur ihre Einführung versteht, also mit dem Sinn der Welt in Übereinstimmung bringen, ja sie darin auffangen wollte.

Jacob Burckhardt hat in der Tragödie geradezu einen "Willen zum Düsteren" am Werk gesehen. Vielleicht war es eher eine wache, bis in düstere Bereiche hinein umsichtige Aufmerksamkeit. Alles war aufgewirbelt. Mit allem war zu rechnen. Doch wo große Trilogien eine ganze Geschichte auf die Bühne bringen, wird das Dunkle, Unheimliche, Angsterregende in die Vergangenheit gebannt. Man weiß, daß es da ist, aber man will es hinter sich haben. So spannt sich hier ein Bogen vom Archaischen, Dunklen, Gewaltigen zum "Modernen" mit seinen Möglichkeiten, seinen Gefährdungen, heute kann man auch meinen: vielleicht auch seiner Langeweile. Nicht umsonst ließ Stein die Abstimmerei am Ende ins Unendliche auslaufen. Doch ist eben das Ende nicht ohne den Anfang wahrzunehmen, wo man sich der ganzen Ungewißheit, der unberechenbaren Drohung des Götterwillens ausgesetzt sah, wo es immer wieder "Wehe" hieß und man sich dann trotzig darauf berief, daß das Gute siege.

Was diese Aufführung zum Ereignis machte, war deswegen die Kunst, dieses aus einer höchst gespannten Situation stammende Werk unter ganz anderen, eher entlasteten Umständen kongenial auf eine andere, eine neue Bühne zu bringen. Die Neuausgabe nach siebzehn Jahren mag zum Nachdenken reizen, in welchem Maße die Zeit damals eine solche Leistung herausforderte. Vielleicht weil die Moderne damals noch einmal der heraufziehenden Postmoderne in voller Höhe begegnen wollte - und konnte? Aber weit darüber hinaus lädt sie zu einer neuen, spannenden, nicht unnötig erschwerten Lektüre eines der größten Werke der Weltliteratur ein.

Bernd Seidensticker (Hrsg.): "Die Orestie des Aischylos". Aus dem Griechischen übersetzt von Peter Stein. Verlag C. H. Beck, München 1997. 236 S., Abb., br., 29,80 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.11.2016

Der Ochse auf der Zunge
Kurt Steinmann hat die „Orestie“ des Aischylos neu übersetzt.
Im hohen Ton und mit modernen Redensarten macht er dieses Kunstwerk der Kunstwerke zugänglich
VON GUSTAV SEIBT
Dem Wächter, der zu Beginn der „Orestie“ des Aischylos über das Unglück der Atriden, der Familie von Agamemnon und Orestes also, sprechen will, fühlt einen „Ochsen auf seiner Zunge“, so schwer fällt es ihm. Was einem heutigen Leser wie ein kühnes poetisches Bild erscheint, war im Griechischen des fünften Jahrhunderts vor Christus eine geläufige Redensart – wir dürfen an den „Kloß im Hals“ denken. Kurt Steinmann, der jetzt eine hochrespektable Neuübersetzung der Trilogie des Aischylos vorgelegt hat, entscheidet sich für die Beibehaltung des beeindruckenden Sprachbilds.
  Frühere Übersetzer, darunter Meister des Griechischen wie Johann Gustav Droysen und Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff haben es anders gehalten: Droysen spricht von einem „goldenen Schlüssel“, der dem treuen Diener den Mund verschließt; Wilamowitz lässt ihn sagen: „Mir ist der Mund zu fest gestopft“. Nicht einmal Wilhelm von Humboldt ließ in seiner 1816 erschienenen, wegen ihrer verfremdenden Unverständlichkeit berüchtigten Übertragung den Ochsen stehen: „Schwere Fessel bindet fest die Zunge“, schrieb er. Nur Peter Stein, dessen Theatertext bisher die zugänglichste deutsche Version bereitstellte, ließ es beim Rind: Bei ihm ist es ein Stier (das griechische Wort ist übrigens „bous“).
  An solchen Einzelentscheidungen lässt sich die Strategie einer Übersetzung ablesen: Welche Fremde wird übersetzt und fühlbar? Die allgemeine kulturelle eines sehr alten Textes, oder die Innovationen und Abweichungen von damals, also die Fremdheit für die dem Werk zeitgenössischen Rezipienten? Wilamowitz beanspruchte eine so vollkommene Vertrautheit mit dem Griechischen, dass er mit Bedacht alles modernisierte, was nach seinem Urteil für Athener des fünften Jahrhunderts unproblematisch war. Humboldt verlachte er: „Das ist kein Deutsch“. Dabei hatte dieser die beiden Fremdheiten (die kulturelle und die poetische) methodisch scharf unterschieden – ein wichtiger Schritt in der Theorie des Übersetzens. Praktisch lässt sich die Unterscheidung bei einem so alten, im Vergleich zu späterer Literatur auch so kontextarmen Text kaum lupenrein durchführen. Kurt Steinmann weist im Kommentar auf die Geläufigkeit des Ochsenbildes eigens hin.
  Dass er kein Dogmatiker ist, zeigen zahllose andere Entscheidungen. Wenn Apollon in den „Eumeniden“, dem letzten Stück der Trilogie, vor der Auszählung der Stimmen im Prozess gegen Orestes zur Sorgfalt mahnt, lässt er ihn sagen: „Zählt, was an Steinen, Fremde, aus den Urnen fiel, korrekt.“ Peter Stein, Droysen und Wilamowitz haben hier „sorgfältig“, Emil Staiger „genau“ (griechisch: „orthos“ als Adverb). Solche Modernismen erlaubt sich Steinmann immer wieder. Da gibt es ein „ja, klar“, mehrfach „klipp und klar“ oder, sehr kühn „Normen“, einen „herrschaftsfreien Raum“ (für „anarchon“), gar einen „öffentlichen Raum“ (es geht darum, mit dem Volk an Altären zu opfern).
  Doch solche Kolloquialität gleicht nur aus, was Steinmann mit Entschiedenheit wieder versucht: den hohen Ton, das tragische Versmaß. Und da darf man rühmen: Gemessen an den fast übermenschlichen Schwierigkeiten, die sich hier zeigen, hat Steinmann eine bewundernswerte Leistung vollbracht. Sein Text ist nah am Original und seiner Bildwelt, darin nur dem von Peter Stein vergleichbar. Doch anders als Stein versucht sich Steinmann auch an den originalen Satzbauten und den sechshebigen Jamben (auch „Jambische Trimeter“ genannt) des antiken Theaterverses.
  Und er versucht darüberhinaus auch die variablen hymnischen Versarten der Chorlieder in ihrer radikalen Andersartigkeit hörbar zu machen – beides ohne Pedanterie, jedoch, wie das laute Lesen zeigt, mit beachtlicher Wirksamkeit. Ob Regisseure an diesem Text Gefallen finden werden? Peter Steins parataktisches, zuweilen umschreibendes, die Verse einförmig aufbrechendes Libretto, das sehr gute Sprecher erfordert, um nicht wässrig zu wirken, hat nun eine starke Konkurrenz.
  Dass den mit Kommentaren bewaffneten Philologen viel einzuwenden bleibt, ist unvermeidlich: Wie hält Steinmann es mit der „Dike“, dem vielsinnigen Zentralbegriff der einen gewaltigen Rechtsfortschritt inszenierenden Trilogie? Manchmal sagt er einfach „Dike“, belässt es also bei der Vergöttlichung von Recht und Gerechtigkeit. An anderen Stellen wird variiert: „Pflicht“, „Rechtsansprüche“ und „Klagepunkte“ kommen zum Vorschein, wo im Original nur „Dike“ und „dikaios“ steht.
  Steinmann ist ein erfahrener Übersetzer aus den alten Sprachen, sein Portefeuille reicht von Homer bis zu Erasmus von Rotterdam. Die Schule der Genauigkeit, die er hier durchlaufen hat, findet in seiner „Orestie“ jetzt ihre stärkste Probe. Denn auch im deutschen Text kann man die Streitfragen, die sich an diesem „Kunstwerk der Kunstwerke“ (Goethe), der „größten Errungenschaft der Menschheit“ (Swinburne), dem Inspirationstext von Wagners „Ring des Nibelungen“ seit zweihundert Jahren entzünden, mitverfolgen. Aus dem Gesetz der Blutrache wird ein Gerichtsverfahren, bei dem die Rechtsgüter detailliert abgewogen werden: Was ist die größere Blutschuld, der Gattenmord von Klytaimestra, die Agamemnon wegen der Opferung Iphigenies tötete, oder der Muttermord des Orestes, der Klytaimestra wegen des Mords an seinem Vater Agamemnon umbrachte? Die riesenhaften Schuldgebirge, die sich hinter diesen Taten auftürmen – darunter das Verspeisen von Kindern, die Entführung der Helena, die Zerstörung Troias – stellen die Frage nach göttlichem und menschlichem Recht überhaupt.
  Dass die alte These vom großen Schritt von der Blutrache zum Rechtsstaat zu einfach ist, hat Jonas Grethlein 2003 in seiner Doktorarbeit über „Asyl und Athen“ gezeigt. Der Prozess auf dem Areopag ist wenig rechtsförmig, eher zeigt er den Charakter eines großen Wettstreits. Am Ende geht er mit Stimmengleichheit aus, Orestes wird vom Bann nur gelöst, weil eine Mehrheit für seine Verurteilung nicht zustande kommt. So geht Demokratie, das zeigte Christian Meier in seiner unverändert lesenswerten Studie zur „Politischen Kunst der griechischen Tragödie“: Es kann knapp werden, und am Ende muss man die unterlegene Partei integrieren. Die Erinyen, die grauenhaften Rachegeister, werden zu wohlwollenden Eumeniden, die die Bürger Athens aber weiterhin mit jenem Quantum Furcht versorgen, ohne das für Aischylos Rechtstreue nicht denkbar ist.
  Zwischen Despotie und Herrschaftsfreiheit gibt es eine Mitte, in der Schuld immer etwas Entsetzliches bleibt. Die „Orestie“ gehört zu der Handvoll Texte, um die sich jeder ernste Leser einmal in seinem Leben bemüht haben sollte. Kurt Steinmann macht das Schwere nicht leicht und das Ferne nicht nah, aber zugänglich, das ist sein Verdienst.
Aischylos: Die Orestie. Agamemnon. Choephoren. Eumeniden. Übersetzung und Anmerkungen von Kurt Steinmann. Nachwort von Anton Bierl. Reclam Verlag, Stuttgart 2016. 290 Seiten. 24,95, E-Book 20,99 Euro.
Gemessen an den gewaltigen
Schwierigkeiten, gelang hier
Bewundernswertes
Die tote Klytaimnestra (Constanze Becker), Orest (Stefan Konarske, links) und Agamemnon (Henning Vogt) in der Inszenierung Michael Thalheimers am Deutschen Theater in Berlin, 2006. Foto: Claudia Esch-Kenkel, dpa
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr