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Dreißig Lebensläufe von Nazi-Dichtern aus Süd- und Nordamerika. All diese Autoren haben nie existiert. Sämtliche hier beschriebenen Lebensläufe und Werke sind voller kultureller, politischer und geschichtlicher Bezüge zur Realität - der historischen, der gegenwärtigen, sogar der künftigen, denn einige der hier Versammelten sind erst im Kommenden Jahrtausend gestorben. Diese seltsamen Dichter reisen durch Amerika und Europa, erleben Abenteuer, deren historischer Hintergrund bekannt ist, und geraten in Kontakt mit Künstlern, Literaten, Politikern und Wissenschaftlern, die der Leser in den…mehr

Produktbeschreibung
Dreißig Lebensläufe von Nazi-Dichtern aus Süd- und Nordamerika. All diese Autoren haben nie existiert. Sämtliche hier beschriebenen Lebensläufe und Werke sind voller kultureller, politischer und geschichtlicher Bezüge zur Realität - der historischen, der gegenwärtigen, sogar der künftigen, denn einige der hier Versammelten sind erst im Kommenden Jahrtausend gestorben. Diese seltsamen Dichter reisen durch Amerika und Europa, erleben Abenteuer, deren historischer Hintergrund bekannt ist, und geraten in Kontakt mit Künstlern, Literaten, Politikern und Wissenschaftlern, die der Leser in den passenden historischen und politischen Kontext wird setzen können ...
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.07.1999

Pampa-Germano
Roberto Bolaño über die Naziliteratur in Amerika

Wer kennt noch Edelmira Thompson de Mendiluce, geboren 1894 in Buenos Aires und 1993 dort gestorben, die in ihrem Gedichtband "Argentinische Stunden" vaterländische Ermannung statt erotischer Ermattung predigte und 1929 sogar von Adolf Hitler empfangen wurde? Wer erinnert sich an den Brasilianer Luiz Fontaine da Souza, der einundzwanzigjährig mit einer "Widerlegung Voltaires" vielversprechend debütierte, woran sich Widerlegungen Montesquieus, Rousseaus und Hegels, sodann eine vieltausendseitige "Kritik von Sartres ,Das Sein und das Nichts'" und schließlich die geistige Umnachtung anschlossen? Wer spricht von Max Mirebaliais aus Port-au-Prince, einem schillernden Antillen-Pessoa, der unter dem Pseudonym Max von Hauptmann seine arische Weltanschauung mit Senghors Négritude verquickte? Auch um Ramirez Hoffman ist es still geworden, den Dichter und Flieger aus Santiago de Chile. In den Jahren nach Pinochets Putsch sorgte er mit kühnen "poetischen Akten" zu Lande und in der Luft für Aufregung, ehe sich seine Spur in Europa verlor.

Ginge es nach Roberto Bolaño, dann wimmelte es in der Literatur der beiden Amerikas von Faschisten und Falangisten, Futuristen und Fußballfans. "Die Naziliteratur in Amerika" heißt das sechste Buch des 1953 in Chile geborenen und nun in Spanien lebenden Autors: ein fiktives Handbuch der verwegensten Dichterexistenzen beidseits des Rio Grande. In dreißig Lebensläufen sowie einem "Monster epilog" erfindet Bolaño eine komplette literarische Landschaft mitsamt Zeitschriften, Verlagen, Büchern und einer blühenden Biographie, als deren erster Diener er selbst gelten darf. Daß es diese sonderbaren Literaten - deren Sterbedaten mitunter weit im 21. Jahrhundert liegen - nie gegeben hat, tut Bolaños fröhlich-absurder Wissenschaft keinen Abbruch. Er hat ihre Werke und Taten derart täuschend in echte literarhistorische Zusammenhänge hineinkopiert, daß man sich eine Geschichte der südamerikanischen Literatur künftig schwer ohne Edelmira Thompson de Mendiluce vorstellen kann.

Irreführend könnte allerdings der Gebrauch sein, den Bolaño von dem Wort "Naziliteratur" macht. Eher als um "Nazis" handelt es sich bei den Helden seines Handbuchs um Germanophile. Fern vom Sehnsuchtsland huldigen sie ihren Idolen mit fiebriger Intensität und in vielerlei Gestalt: als Romantiker, als Dezisionisten, als "arische Naturfreunde" oder als elitäre Katholiken. Unter den sogenannten Nazi-Dichtern sind auch zwei Deutsche; sie kommen, wie Bolaño schreibt, vom Ende der Welt, und vielleicht klingen deshalb ihre Namen wie geträumt. Franz Zwickau heißt der eine, ein deutsch-venezolanisches Enfant terrible, das mit einem Gedicht namens "Dialog mit Hermann Göring in der Hölle" berühmt wird und mit 24 Jahren auf dem Motorrad in den Abgrund rast. Willy Schürholz heißt der andere. Er ist aufgewachsen in der südchilenischen "Colonie Renacer" und dann hervorgetreten als Lyriker und politisch dubioser Konzeptkünstler, der Lagepläne von Konzentrationslagern in die chilenische Wüste pflügt.

Bolaño erfindet nicht nur Lebensläufe und Werkgeschichten, er entwirft nebenbei eine kleine Pathologie der künstlerischen Produktivität. Zum Krankheitsbild gehören - von Iowa bis Feuerland - intellektuelle Verstiegenheit, das Lob der Tat und ein Rassenwahn, der in der Abgeschiedenheit von Pampa und Kordilleren besonders dicke Blüten treibt.

Das Buch beginnt als Parodie eines literarischen Handbuchs und endet beinahe wie ein Roman. Im letzten, längsten Artikel seines Buches, dem über Ramirez Hoffman, tritt Bolaño selbst in Erscheinung und erzählt von seiner Gefangenschaft in Chile nach Allendes Sturz 1973. "Die Umstände", schreibt er, "die mich ins Lager brachten, waren banal, aber sie erlaubten mir, beim ersten poetischen Akt von Ramirez Hoffman zugegen zu sein." Doch die Authentizität in eigener Sache, die Bolaño hier anzukündigen scheint, ist nur eine Finte unter vielen in diesem gewitzten Buch.

Wie Borges in seiner "Universalgeschichte der Niedertracht" operiert Bolaño mit "barocken" Mitteln, mit disparaten und disproportionalen Stilelementen. Die Sprünge in seinen Geschichten stehen im Dienst eines finsteren intellektuellen Vergnügens, einer historischen Metafiktion, die man, so Bolaño, besser nicht dechiffrieren solle. Andernfalls könne man verrückt werden.

CHRISTOPH BARTMANN

Roberto Bolaño: "Die Naziliteratur in Amerika". Aus dem Spanischen übersetzt von Heinrich von Berenberg. Verlag Antje Kunstmann, München 1999. 240 S., geb., 38 DM.

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