Shichiro Fukazawa
Gebundenes Buch
Die Narayama-Lieder
Mit einem Nachwort von Eduard Klopfenstein. Mit einem Nachwort von Eduard Klopfenstein
Mitarbeit: Klopfenstein, Eduard;Übersetzung: Eggenberg, Thomas
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Im abgelegenen, rauen japanischen Hochland beherrscht die archaische Natur das Leben der Dorfbewohner. Im Schatten des mächtigen Berges Narayama haben sie gelernt, ihren Rhythmus dem der aufspringenden Knospen anzupassen. Doch jeder Winter ist hart, und das Wohl der Familie steht an erster Stelle.So auch für die zähe, fürsorgliche Orin, die sich unentwegt um das Glück ihres Sohnes sorgt. Noch vor Ende des Jahres muss sie ihm eine Frau finden. Beginnt erst der Winter, wird sie keine Gelegenheit mehr dazu haben. Denn der Brauch gebietet, dass sich die Alten mit siebzig auf eine Reise begebe...
Im abgelegenen, rauen japanischen Hochland beherrscht die archaische Natur das Leben der Dorfbewohner. Im Schatten des mächtigen Berges Narayama haben sie gelernt, ihren Rhythmus dem der aufspringenden Knospen anzupassen. Doch jeder Winter ist hart, und das Wohl der Familie steht an erster Stelle.
So auch für die zähe, fürsorgliche Orin, die sich unentwegt um das Glück ihres Sohnes sorgt. Noch vor Ende des Jahres muss sie ihm eine Frau finden. Beginnt erst der Winter, wird sie keine Gelegenheit mehr dazu haben. Denn der Brauch gebietet, dass sich die Alten mit siebzig auf eine Reise begeben, von der sie nicht zurückkehren.
Fukazawa erzählt eine japanische Legende im Hier und Jetzt, eine Geschichte von Leben und Tod, Liebe, Würde und Hingabe.
So auch für die zähe, fürsorgliche Orin, die sich unentwegt um das Glück ihres Sohnes sorgt. Noch vor Ende des Jahres muss sie ihm eine Frau finden. Beginnt erst der Winter, wird sie keine Gelegenheit mehr dazu haben. Denn der Brauch gebietet, dass sich die Alten mit siebzig auf eine Reise begeben, von der sie nicht zurückkehren.
Fukazawa erzählt eine japanische Legende im Hier und Jetzt, eine Geschichte von Leben und Tod, Liebe, Würde und Hingabe.
Shichir¿ Fukazawa, geboren 1914 in Isawa, Japan, war Schriftsteller und Musiker. Er lernte früh klassisches Gitarrenspiel und trat als Gitarrist in das Nichigeki-Theater in Tokio ein. Nach der Rückkehr in seine Heimatstadt begann er zu schreiben. Mit seiner Erzählung Die Narayama-Lieder (1956), für die er den Ch¿¿-k¿ron-Nachwuchspreis erhielt, wurde er zu einem der berühmtesten Autoren Japans, weitere Auszeichnungen folgten. Mitte der Siebzigerjahre zog er sich aus der Öffentlichkeit zurück, 1987 starb er in Sh¿bu.
Produktdetails
- Verlag: Unionsverlag
- Originaltitel: Narayama bushi k¿
- 2. Aufl.
- Seitenzahl: 122
- Erscheinungstermin: 23. August 2021
- Deutsch
- Abmessung: 194mm x 118mm x 15mm
- Gewicht: 188g
- ISBN-13: 9783293005747
- ISBN-10: 3293005748
- Artikelnr.: 61469587
Herstellerkennzeichnung
Unionsverlag
Neptunstraße 20
8032 Zürich, CH
www.unionsverlag.ch
0041 442832000
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Für Rezensentin Kerstin Holm ist Shichiro Fukazawas Roman von 1955 ein Geschenk aus einer anderen Welt. In neuer Übersetzung von Thomas Eggenberg und in schöner Aufmachung, versehen mit Anmerkungen und Nachwort, bietet ihr der Text die "ethnografisch akribische" Erfindung einer Legende. Fukazawa erzählt von einer Bergregion und dem dort gepflegten Ritus, der alte Menschen zum Sterben auf einen heiligen Berg beordert. Holm folgt der Hauptfigur, der 69-jährigen Orin, bei ihrem letzten Gang, lernt die Lieder und Sozialstrukturen ihres Dorfes kennen und die Stationen des Aufstiegs bis in den Bezirk der Toten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Schneefall als letztes Gnadenzeichen
Die Narayama-Lieder von Shichiro Fukazawa sind ein Geniestreich der modernen japanischen Literatur. Jetzt erscheinen sie in einer vorzüglichen deutschen Ausgabe, erstmals übersetzt aus der Originalsprache.
Von Kerstin Holm
Es ist eine Legende, so stark und existenziell, dass man sofort glaubt, sie stamme aus dem alten Japan, zumal sie durch zwei Verfilmungen bekannter geworden ist als ihr Autor. Dabei greift die Geschichte von den isolierten armen Bergdörflern, bei denen Menschen mit siebzig eine Reise ohne Wiederkehr antreten müssen, zwar auf mythische Überlieferungen zurück - und sie findet auch im Ethos mancher älterer Japaner ihr Echo -, doch es handelt sich um die
Die Narayama-Lieder von Shichiro Fukazawa sind ein Geniestreich der modernen japanischen Literatur. Jetzt erscheinen sie in einer vorzüglichen deutschen Ausgabe, erstmals übersetzt aus der Originalsprache.
Von Kerstin Holm
Es ist eine Legende, so stark und existenziell, dass man sofort glaubt, sie stamme aus dem alten Japan, zumal sie durch zwei Verfilmungen bekannter geworden ist als ihr Autor. Dabei greift die Geschichte von den isolierten armen Bergdörflern, bei denen Menschen mit siebzig eine Reise ohne Wiederkehr antreten müssen, zwar auf mythische Überlieferungen zurück - und sie findet auch im Ethos mancher älterer Japaner ihr Echo -, doch es handelt sich um die
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literarische Fantasie eines Solitärs im japanischen Schrifttum, Shichiro Fukazawa (1914 bis 1987), der zur Zeit der Niederschrift im Jahr 1955 als Gitarrist in einem Tokioter Show- und Striptheater angestellt war. Der selbst in einem Bergdorf aufgewachsene Fukazawa erdichtete mit den "Narayama-Liedern" mit ethnographischer Akribie eine Gegenwelt, die er sogar mit selbst verfassten Volksweisen ausstattete. Dem Unionsverlag ist es zu verdanken, dass dieses Juwel jetzt, von Thomas Eggenberg exquisit und erstmals direkt aus dem Japanischen übersetzt und mit Anmerkungen versehen sowie mit einem gehaltvollen Nachwort von Eduard Klopfenstein in einer gebührend schön gestalteten Ausgabe vorliegt.
Die Erzählung spielt in einer rauen, von aller Welt abgeschnittenen Region, wo die permanente Nahrungsknappheit alle Sitten und Gebräuche bestimmt. Diebstahl von Lebensmitteln wird hart geahndet; um die Zahl der Esser zu drücken, gilt das Gebot, spät zu heiraten; man tötet überzählige Neugeborene. Vor allem aber haben Menschen mit Erreichen des siebzigsten Lebensjahres die Pflicht, den heiligen Berg Narayama zu erklimmen, um dort zu sterben. In der Mangelökonomie wird der Verzicht auf Lebenszeit zum Akt der Solidarität - weshalb man Fukuzawas Text heute auch als Parabel auf Verteilungsgerechtigkeit unter Bedingungen von Überbevölkerung bei schrumpfenden Ressourcen lesen kann.
Die Heldin, die 69 Jahre alte Orin, nimmt den Gang zum Narayama, den vor ihr schon ihre Mutter und die Schwiegermutter beschritten haben, als gesetzmäßiges Finale des ihr zugemessenen Daseins, das in Würde zu absolvieren ist, weshalb sie sich gewissenhaft darauf vorbereitet. Sie richtet den traditionellen Abschiedsschmaus zu, findet für den verwitweten Sohn eine neue Frau; sie schlägt sich sogar, um altersgemäß fragil auszusehen, in frommer Autoaggression die vermeintlich allzu gesunden Zähne aus. Doch da menschliche Vitalität sich wohl vorzugsweise in Schadenfreude äußert, macht sie sich dadurch im Dorf nur zum Gespött.
Auch die Lieder, die im Anhang mit Noten zum Mitsingen und Mitspielen angeführt sind, formulieren das Ethos der Dörfler durch vorwurfsvoll verklausulierten Spott, etwa über eine unmäßig lebenshungrige Frau, die noch ihre Urenkel erlebt, oder über die sechs Wurzeln - ein Echo auf die buddhistische Lehre von den Sinnen -, die den Menschen an die Außenwelt ketten und die von dieser "reinzuwaschen" seien. Umso ungenierter fordern die Jungen ihr Recht: der frühreife Enkel, der Orin zur frühzeitigen Narayama-Besteigung drängt und sich mit sechzehn eine Frau nimmt, deren Appetit die Vorratshaltung der Familie bedroht; oder der Sohn des siebzig Jahre alten Nachbarn, der seinen sich gegen die letzte Reise sträubenden Vater fesseln muss, um ihn fortzubringen.
In dieser rigiden Sozialstruktur bleibt nur ein geringer Freiraum für individuelles Verhalten, das Fukazawa umso feiner herausarbeitet. So bedrängt Orins Sohn die Mutter, den Gang zum Narayama doch aufzuschieben, und vergießt, als diese das zurückweist, heimliche Tränen. Später wird er gegen das Blick- und Redeverbot, das ihm als Begleitperson auferlegt ist, wiederholt verstoßen. Orin aber tadelt den verzweifelten Nachbarn, der in Todesangst zu ihrer Hütte flieht, und redet ihm ins Gewissen, er solle nicht alle Bande zu Gott und der Gesellschaft zerreißen.
Der Aufstieg zum Narayama, der zu einer Art physisch vollzogenen Himmelfahrt wird, folgt den Stationen beim Besuch einer shintoistischen Kultstätte. Nach dem Verlassen der bewohnten Welt erreichen Orin und ihr Sohn einen kleinen See, was der Wasserstelle zur rituellen Reinigung vor einem Schreinbesuch entspricht. Danach führt ihr Weg sie über drei Steinstufen an Bergen und einer tiefen Schlucht vorbei zum heiligen Gipfel. Hier beginnt der Bezirk der Toten, der mit der gleichen lapidaren Drastik geschildert wird wie zuvor die Kleindramen der Dörfler. Doch während es den Sohn insbesondere vor den allgegenwärtigen Krähen schaudert, strebt Orin nur zu einem noch "freien" Platz. Als es plötzlich zu schneien beginnt und die Krähen verschwinden, begreift er den Sinn des alten Liedes, das Schneefall am Gipfel als besonderen Glücksfall für Narayama-Reisende preist. Und als er auf dem Rückweg Zeuge wird, wie der alte Nachbar von seinem Sohn in die Schlucht gestürzt wird, erscheint der freiwillige Abgang von Orin in geradezu strahlendem Licht.
Fukazawa verarbeitete in der Erzählung auch sein Erlebnis mit der eigenen kranken Mutter, mit der er zusammengewohnt hatte und die er kurz vor ihrem Tod auf dem Rücken über die Felder trug, weil sie den Wunsch hatte, die aufkeimende Saat zu sehen. Die Last habe wie Feuer auf seinem Rücken gebrannt, bezeugte der Autor, und als er umkehren wollte, habe sie nur stumm die Hand ausgestreckt und ihn so aufgefordert, immer weiterzugehen.
Fukazawa, der das geruhsame Alter, das ihm selbst trotz seiner schwachen Gesundheit zuteilwurde, als "Herumtrödeln auf dem Weg zur Unterwelt" bezeichnete, scheint selbst keine Angst vor dem Tod gehabt und sich früh auf seinen eigenen Narayama-Aufstieg vorbereitet zu haben. Er habe, bekannte er schon 1970 in einem Interview, auf einem Berggipfel nahe Tokio ein Grab für sich gekauft und sich auch schon bei seinen künftigen Nachbarn mit kleinen Geschenken empfohlen.
Shichiro Fukazawa: "Die Narayama-Lieder". Roman.
Aus dem Japanischen von Thomas Eggenberg. Nachworte von Thomas Eggenberg und Eduard Klopfenstein. Unionsverlag, Berlin 2021. 123 S., geb., 20,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Erzählung spielt in einer rauen, von aller Welt abgeschnittenen Region, wo die permanente Nahrungsknappheit alle Sitten und Gebräuche bestimmt. Diebstahl von Lebensmitteln wird hart geahndet; um die Zahl der Esser zu drücken, gilt das Gebot, spät zu heiraten; man tötet überzählige Neugeborene. Vor allem aber haben Menschen mit Erreichen des siebzigsten Lebensjahres die Pflicht, den heiligen Berg Narayama zu erklimmen, um dort zu sterben. In der Mangelökonomie wird der Verzicht auf Lebenszeit zum Akt der Solidarität - weshalb man Fukuzawas Text heute auch als Parabel auf Verteilungsgerechtigkeit unter Bedingungen von Überbevölkerung bei schrumpfenden Ressourcen lesen kann.
Die Heldin, die 69 Jahre alte Orin, nimmt den Gang zum Narayama, den vor ihr schon ihre Mutter und die Schwiegermutter beschritten haben, als gesetzmäßiges Finale des ihr zugemessenen Daseins, das in Würde zu absolvieren ist, weshalb sie sich gewissenhaft darauf vorbereitet. Sie richtet den traditionellen Abschiedsschmaus zu, findet für den verwitweten Sohn eine neue Frau; sie schlägt sich sogar, um altersgemäß fragil auszusehen, in frommer Autoaggression die vermeintlich allzu gesunden Zähne aus. Doch da menschliche Vitalität sich wohl vorzugsweise in Schadenfreude äußert, macht sie sich dadurch im Dorf nur zum Gespött.
Auch die Lieder, die im Anhang mit Noten zum Mitsingen und Mitspielen angeführt sind, formulieren das Ethos der Dörfler durch vorwurfsvoll verklausulierten Spott, etwa über eine unmäßig lebenshungrige Frau, die noch ihre Urenkel erlebt, oder über die sechs Wurzeln - ein Echo auf die buddhistische Lehre von den Sinnen -, die den Menschen an die Außenwelt ketten und die von dieser "reinzuwaschen" seien. Umso ungenierter fordern die Jungen ihr Recht: der frühreife Enkel, der Orin zur frühzeitigen Narayama-Besteigung drängt und sich mit sechzehn eine Frau nimmt, deren Appetit die Vorratshaltung der Familie bedroht; oder der Sohn des siebzig Jahre alten Nachbarn, der seinen sich gegen die letzte Reise sträubenden Vater fesseln muss, um ihn fortzubringen.
In dieser rigiden Sozialstruktur bleibt nur ein geringer Freiraum für individuelles Verhalten, das Fukazawa umso feiner herausarbeitet. So bedrängt Orins Sohn die Mutter, den Gang zum Narayama doch aufzuschieben, und vergießt, als diese das zurückweist, heimliche Tränen. Später wird er gegen das Blick- und Redeverbot, das ihm als Begleitperson auferlegt ist, wiederholt verstoßen. Orin aber tadelt den verzweifelten Nachbarn, der in Todesangst zu ihrer Hütte flieht, und redet ihm ins Gewissen, er solle nicht alle Bande zu Gott und der Gesellschaft zerreißen.
Der Aufstieg zum Narayama, der zu einer Art physisch vollzogenen Himmelfahrt wird, folgt den Stationen beim Besuch einer shintoistischen Kultstätte. Nach dem Verlassen der bewohnten Welt erreichen Orin und ihr Sohn einen kleinen See, was der Wasserstelle zur rituellen Reinigung vor einem Schreinbesuch entspricht. Danach führt ihr Weg sie über drei Steinstufen an Bergen und einer tiefen Schlucht vorbei zum heiligen Gipfel. Hier beginnt der Bezirk der Toten, der mit der gleichen lapidaren Drastik geschildert wird wie zuvor die Kleindramen der Dörfler. Doch während es den Sohn insbesondere vor den allgegenwärtigen Krähen schaudert, strebt Orin nur zu einem noch "freien" Platz. Als es plötzlich zu schneien beginnt und die Krähen verschwinden, begreift er den Sinn des alten Liedes, das Schneefall am Gipfel als besonderen Glücksfall für Narayama-Reisende preist. Und als er auf dem Rückweg Zeuge wird, wie der alte Nachbar von seinem Sohn in die Schlucht gestürzt wird, erscheint der freiwillige Abgang von Orin in geradezu strahlendem Licht.
Fukazawa verarbeitete in der Erzählung auch sein Erlebnis mit der eigenen kranken Mutter, mit der er zusammengewohnt hatte und die er kurz vor ihrem Tod auf dem Rücken über die Felder trug, weil sie den Wunsch hatte, die aufkeimende Saat zu sehen. Die Last habe wie Feuer auf seinem Rücken gebrannt, bezeugte der Autor, und als er umkehren wollte, habe sie nur stumm die Hand ausgestreckt und ihn so aufgefordert, immer weiterzugehen.
Fukazawa, der das geruhsame Alter, das ihm selbst trotz seiner schwachen Gesundheit zuteilwurde, als "Herumtrödeln auf dem Weg zur Unterwelt" bezeichnete, scheint selbst keine Angst vor dem Tod gehabt und sich früh auf seinen eigenen Narayama-Aufstieg vorbereitet zu haben. Er habe, bekannte er schon 1970 in einem Interview, auf einem Berggipfel nahe Tokio ein Grab für sich gekauft und sich auch schon bei seinen künftigen Nachbarn mit kleinen Geschenken empfohlen.
Shichiro Fukazawa: "Die Narayama-Lieder". Roman.
Aus dem Japanischen von Thomas Eggenberg. Nachworte von Thomas Eggenberg und Eduard Klopfenstein. Unionsverlag, Berlin 2021. 123 S., geb., 20,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Ein Geniestreich der modernen japanischen Literatur, ein Juwel. Von Thomas Eggenberg exquisit und erstmals direkt aus dem Japanischen übersetzt, mit einem gehaltvollen Nachwort.« Kerstin Holm Frankfurter Allgemeine Zeitung
Dieses Büchlein ist eine Preziose: der Einband und natürlich der eigentümliche, außergewöhnliche Text selbst mit den Liedern, die mit spöttischem Unterton, das Dorfleben illustrierend, in den Text hineingewebt sind. Eigentümlich, weil er eine ungewöhnliche …
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Dieses Büchlein ist eine Preziose: der Einband und natürlich der eigentümliche, außergewöhnliche Text selbst mit den Liedern, die mit spöttischem Unterton, das Dorfleben illustrierend, in den Text hineingewebt sind. Eigentümlich, weil er eine ungewöhnliche Schilderung ist, aus einer archaischen Zeit, aus einer archaischen Landschaft. Eine archaische „Triage“. Und doch atmet der Text Lebensfreude, denn Orin hat es akzeptiert, dass sie mit 70 „auf den Berg geht“, nicht dumpf oder aufbegehrend gegen die Tradition, sondern freudig als Lauf des Lebens, als unausweichliches Schicksal. Für uns moderne Menschen ist Orin eine Geisel archaischer Traditionen und die Triage gerade in den aktuellen pandemischen Zeiten ein Stich in das Wespennest unseres modernen Egos. Die verwitwete Orin lebt mit ihrem Sohn Tatsuhei und Enkeln in der „Wurzelhütte“. Das Dorf besteht aus 22 Hütten, alle „getauft“. Das karge Hochland bietet den Dörflern kaum Abwechslung, bis auf das Bon-Fest, bei dem die Ahnen für 3 Tage im Diesseits mit Tanz empfangen werden, Neujahr und das Narayama-Fest. Es gibt nur wenig Anbauflächen. Das bedeutet knappe Ressourcen, und Nahrungsmittel-Diebstahl ist ein großes Tabu im sozialen Gefüge. Beim Narayama-Fest, das nur einmal im Jahr gefeiert wird, wird jedoch üppig getafelt: die Früchte der frühen herbstlichen Ernte und die kostbarste Delikatesse überhaupt, weißer Reis. Orin freut sich auf das Fest, kann sie doch endlich wie alle Alten „auf den Berg gehen“, die wichtigste Reise ihres Lebens antreten, hinauf zum Göttlichen Berg. Sie ist bereit, denn sie hat für ihren Sohn eine neue Frau gefunden, Tamayan. Aber auch ihr Enkel Kesakichi hat sich schon verfrüht eine Frau gesucht, Matsuyan von der „Teichhütte“. Man heiratet spät, jedes neue Familienmitglied ist ein Esser mehr im essenknappen Dorfleben. Der Winter nähert sich. Mehr denn je eine Herausforderung, denn nun gibt es 2 Personen mehr, die essen wollen, zumal Matsuyan wie ein Bär futtert (sie ist im 5. Monat schwanger). Orin fühlt sich überflüssig mit den 2 neuen Frauen im Haus und sehnt sich nach der Reise zum Göttlichen Berg. Endlich gibt ihr Sohn schweren Herzens sein Einverständnis, obwohl die Schwiegertochter meint, man solle das kommende Baby von Matsuyan opfern. Orin lädt zum Abschiedstrunk. 7 Männer und 1 Frau erscheinen, geben Abweisungen und Erklärungen, nehmen Gelübde ab. So ist es Brauch. Es gibt drei Regeln: No. 1: unterwegs nicht sprechen. No. 2: niemand darf sie beim Aufbruch sehen, No. 3: der Begleiter darf bei der Rückkehr vom Berg nicht zurück blicken ( Reminiszenzen an Lots Frau und Orpheus?). Einer gibt Tatsuhei den Tipp: es reiche schon bis zu den 7 Tälern, ein Rat, den er erst auf dem Rückweg versteht. Orin will fort, ermahnt den Sohn, der sie über die 7 Täler, wo es nur einen und doch keinen Weg gebe, (die Symbolik des Unterwegsseins und des finalen Ankommens?) bis auf den Berg, wo der Gott wohnt, trägt. Auf dem Berg legt Orin ihre gewebte Matte zurecht und legt ein Bällchen weißen Reis darauf. Sie schiebt den Sohn in Richtung Abstieg und drückt fest seine Hände. Tatsuhei torkelt weinend abwärts. Er dreht sich nicht um. Doch dann beginnt es zu schneien, und er will dieses Glück mit seiner Mutter teilen, denn sie glaubte fest, dass es schneien würde, wenn sie auf den Berg, wo der Gott wohnt, geht. Er sieht sie beten, die Matte um sich gelegt, vom Schnee umhüllt. Er begegnet bei den 7 Tälern dem Sohn des Nachbarn, der seine Trage abschnallt und den Vater hinabstürzt. Das Schlussbild als „Das Leben geht weiter“-Sinnbild: der Enkel sitzt betrunken in Orins ge-füttertem Wattemantel, seine Frau trägt Orins Stoffgürtel. Und er sagt: Oma hat Glück: es schneit.In diesem kleinen Buch ist alles enthalten, was das menschliche Leben ausmacht: Liebe, Zuneigung, Trauer, Sorge, Neid, Schicksalsergebenheit, Auflehnung, existenzielle Not, Rituale, Würde, Erbarmen. Und der Tod. Der präsent ist als Teil des Lebens. Der in unseren Zeiten verdrängt wird, nur durch Schlagzeil
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Die kunstvoll verpackte Botschaft dieses Buches ist für mich zutiefst inhuman. Die bald siebzigjährige Großmutter besorgt ihrem depressiven Sohn eine neue Frau, also Haushälterin, verzeiht dem Enkel jede Frechheit, schlägt sich gesunde Schneidezähne aus, damit sie …
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Die kunstvoll verpackte Botschaft dieses Buches ist für mich zutiefst inhuman. Die bald siebzigjährige Großmutter besorgt ihrem depressiven Sohn eine neue Frau, also Haushälterin, verzeiht dem Enkel jede Frechheit, schlägt sich gesunde Schneidezähne aus, damit sie älter aussieht, kocht vor für ihre Beerdigungsfeier und vererbt das Wenige, das sie besitzt, um sich dann vom Sohn in den Freitot in der Kälte tragen zu lassen. Alles mit religiösem Überbau.
Sieht so die intellektuelle Antwort auf den Pflegenotstand aus?
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