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Woher kommt das Böse? Der Biologe Lyall Watson zeigt am Beispiel farbig und eindringlich geschilderter Tierbeobachtungen, die er mit den entsprechenden Verhaltensformen des Menschen vergleicht, daß die Wurzeln des "Bösen", der Heimtücke und der nackten Gewalt in der Natur selbst liegen, im blinden Egoismus der Gene. Aber auch das moralische Verhalten des Menschen ist in der Natur verankert, und wir haben kein Recht, individuelle oder kollektive Gewaltausübung auf Naturgesetze zurückzuführen und so zu entschuldigen. "Wir sind die ersten ethischen Tiere der Welt, zwar immer noch in der Gewalt…mehr

Produktbeschreibung
Woher kommt das Böse? Der Biologe Lyall Watson zeigt am Beispiel farbig und eindringlich geschilderter Tierbeobachtungen, die er mit den entsprechenden Verhaltensformen des Menschen vergleicht, daß die Wurzeln des "Bösen", der Heimtücke und der nackten Gewalt in der Natur selbst liegen, im blinden Egoismus der Gene. Aber auch das moralische Verhalten des Menschen ist in der Natur verankert, und wir haben kein Recht, individuelle oder kollektive Gewaltausübung auf Naturgesetze zurückzuführen und so zu entschuldigen. "Wir sind die ersten ethischen Tiere der Welt, zwar immer noch in der Gewalt unserer Biologie, aber auch schon befähigt, uns über sie zu erheben."
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.03.1997

Die Gene fahren ihre Mietwagen zu Schrott
Elementar, Dr. Watson: Alle Bosheit der Natur wirkt schwach gegen den Irrsinn des Menschen / Von Andreas Platthaus

Das Böse fasziniert mehr als das Gute, weil man in ihm ein spezifisch menschliches Element zu erkennen glaubt. Trotzdem sind zweifellos mehr Tugendbü! cher erschienen als Abhandlungen über das Böse. Nun ist die kurze Liste der "Übelbücher" um einen spektakulären Titel erweitert worden: Der südafrikanische Biologe Lyall Watson hat seine "Naturgeschichte des Bösen" veröffentlicht. Er begibt sich damit auf glattes Parkett, denn unser Bild von der Natur ist ein friedliches. Illusionen gibt man nicht gern für Wissen auf.

Ob man jeweils mit Aristoteles den Menschen als "zoon politikon" bezeichnen will oder als "weniger unvernünftiges Tier" - Kennzeichen beider Definitionen ist die Transzendierung des Naturzustands. Nicht erst Rousseau hat der fiktiven Urform des Daseins Unschuld zugesprochen. Das ganze westliche Verständnis der Natur beruht auf der biblischen Schilderung des Garten Eden, in dem friedliche Lebewesen ihr Leben in Harmonie fristeten. Gott hatte gesehen, daß es gut war, und so sollte es bleiben.

Nun hat die gegenwärtige Natur mit Eden nichts gemein; daran läßt Watson keinen Zweifel. Er formuliert als Grundzug des Lebens in der Natur drei "Hauptsätze der Pathik", die den Verlust von Gemeinsamkeit und individueller Tugend erklären. Alles, was den natürlichen Zusammenhalt verringert, erzeugt Leid, das die etymologische Wurzel der Pathik bildet.

Zunächst wirkt sich ein "Standortverlust" negativ auf die natürliche Ordnung aus. Jedem Organismus ist ein Lebensraum zugewiesen, dessen Verlassen weniger ihn selbst gefährdet als sein neues Habitat, in dem er nicht eingeplant war. Das klassische Beispiel dafür sind die Kaninchen in Australien. Aber auch der amerikanische Feigenkaktus verwüstete Teile des fünften Kontinents, bis endlich die importierte südamerikanische Kaktusmotte seinem Vormarsch Einhalt gebot. Was indes diese hungrigen Insekten fressen werden, wenn sie mit dem Feigenkaktus fertig sind, werden sich derzeit etliche australische Biologen fragen.

Der zweite Hauptsatz der Pathik widmet sich deshalb dem natürlichen Gleichgewicht: Wird es gestört, leidet die Ordnung. So dient der Kampf der kalifornischen Bevölkerung gegen die alljährlichen Waldbrände zwar dem Schutz der Wildnis, doch diese benötigt die regulierenden Feuersbrünste weitaus dringlicher als den Status einer sakrosankten Landschaft, in der die Fürsorge des Menschen alle natürlichen Prozesse verhindert.

Das gravierendste Manko, das Watsons Pathik aufzudecken vermag, ist jedoch das an Vielfalt. Gerade die scheinbare Anarchie der Natur sorgt für Ausgewogenheit. Jede einzelne Spezies findet ihr Auskommen durch Symbiose oder auch durch Beutebeziehungen. Das Böse in der Natur hat in der Konkurrenz der Arten seine Ursache, die Watson als unverzichtbar für die natürliche Ordnung schildert. Damit ist der Punkt bezeichnet, in dem er sich von der Originalität verabschiedet und zum Kronzeugen für Gemeinplätze wird.

Denn nun entfaltet sich keine "Naturgeschichte des Bösen" mehr, sondern eine Historiographie der Evolution, und was Darwin billigte, kann Watson nicht verdammen. Die Schöpfungsgeschichte wird ihm zum Beleg: Weil Eva sich frei dafür entschieden hatte, in den Apfel zu beißen, wurde das Böse, obwohl es von der Schlange verkörpert wurde, vor allem dem Menschen zu eigen. Mit seiner Überantwortung an die nun feindliche Umwelt trat er in einen Anpassungswettlauf ein, den er dank seiner durch den Apfelbiß gewonnenenLernfähigkeit für sich entscheiden konnte. Hier lassen sich die Bibel und Darwins Lehre gut vereinen.

Das mosaische Erbe hielt allerdings das Vertrauen auf die prinzipielle Güte der Schöpfung lebendig, was sich vor allem in den Paradiesvorstellungen von Christen und Moslems zeigt. In der Renaissance wurden diese Ideale zwar zivilisatorisch geglättet, doch danach entwickelte sich das Bild vom edlen Wilden, der die letzten Fesseln der abendländischen Kultur abgestreift hatte und wieder ganz im Einklang mit der Natur lebte. Die neu entdeckten Kontinente und Inseln wurden zu Paradiesen verklärt: Frieden, Freundschaft und Nahrung im Überfluß.

Erst allmählich konnten Biologen und Ethnologen die Erkenntnis durchsetzen, daß die Menschen damit wohl falsche Vorstellungen gehegt hatten. Das Leben in der Natur ist grausam, und zu essen findet man nichts, was man sich nicht selbst erkämpfen müßte. Doch das Selbstverständnis des Menschen als vernünftiges Lebewesen ließ es weiterhin zu, daß er sich selbst das alleinige Potential zum Bösen zusprach, während alle Grausamkeit der Natur dem Evolutionsgang geschuldet war. Die Entzauberung der Natur hielt sich somit in Grenzen, der Status der Unschuld blieb ihr weiterhin erhalten. Noch heute zehren die ökologischen Bewegungen von diesem Verständnis, das sich vor allem dem holistischen Denken der Jahrhundertwende und der folgenden drei Jahrzehnte verdankt.

Deshalb ist es mutig, dem Bösen in der Natur ein Buch zu widmen. Aber Watson ist durch die Nachsicht des Liebhabers korrumpiert, die ihn die "Nachtseite des Lebens" recht glimpflich behandeln läßt. Diese mangelnde Erfüllung des eigenen Anspruchs basiert auf der Einteilung in eine "schwache" und eine "starke Form des Bösen". Die schwache Form bezeichnet alles das, was der Autor subjektiv als böse empfindet, was aber auf evolutionäre Anpassungsleistungen zurückzuführen ist. Die starke dagegen bezeichnet Taten, die wider die Natur sind und somit als Irrsinn gekennzeichnet werden können: Amok, Massenmord, Sadismus.

Die schwache Form des Bösen umfaßt dagegen die zahllosen Spielarten solch unerfreulicher Handlungen wie Diebstahl, Einbruch, Mord, Krieg oder Vergewaltigung. Alle diese Verhaltensweisen sind kein menschliches Privileg. Eine Stärke von Watsons Buch liegt darin, zahlreiche Beispiele für entsprechendes tierisches Handeln aufzuzählen. Die sexuelle Aggressivität männlicher Skorpionfliegen gestattet auch den Schwächeren unter ihnen die gewaltsame Fortpflanzung. Die Verwüstungen fremder Liebeslauben durch die australischen Laubenvögel oder das skrupellose Vorgehen des Kuckucks sind seit langem bekannt, aber daß in Affenherden bisweilen Mord und Totschlag herrschen, daß neue Rudelführer unter den Jungen einer Löwenhorde ein Blutbad anrichten oder daß Ameisenvölker bei ihren Schlachten im Amazonasgebiet jährlich 200000 Tonnen Ameisensäure freisetzen - die im übrigen die Kompostierung im Regenwald begünstigen - das alles sind Fakten, die uns die friedliche Natur mit neuen Augen sehen lassen und die Bösartigkeit des Menschen in milderes Licht rücken.

Aber alle diese schwachen Formen des Bösen sind laut Watson genetisch bedingt; sie entstehen unter dem "Fortpflanzungsdiktat" der Gene. Deshalb hat Vergewaltigung - egal ob bei Mensch oder Tier - für ihn nichts Pathologisches. Selbst die Massenschändungen in Bosnien können von Watson noch als pervertiertes Überlebensstreben schwacher Männer gedeutet werden. Spätestens hier bekommt die "schwache Form des Bösen" einen zynischen Anstrich. Watson tritt in alle Fettnäpfe des Sozialdarwinismus.

Das "schwache" Böse wird somit relativiert, und die Natur behält ihre Unschuld, indem Watson sie als Ansammlung von Lebewesen versteht, die lediglich als "Mietwagen" für ihre Gene fungieren. Die wiederum bedienen sich ihrer Vehikel nach Gutdünken, und dieses "Gutdünken" beschränkt sich auf einen grenzenlosen Egoismus, der sich allein an drei Regeln orientiert. Erstens: Sei gemein zu Fernstehenden. Zweitens: Sei nett zu Nahestehenden. Drittens: Betrüge, wo du nur kannst.

Dieser einfache Dreisatz erlaubt maximalen Reproduktionserfolg und damit das Überleben der jeweiligen Gene. Dementsprechend kann man kaum einem Übeltäter vorwerfen, was er getan hat. Rundheraus verwerflich sind nur diejenigen Handlungen, die das Kriterium der "starken Form des Bösen" erfüllen. Sie ist ganz für den Menschen reserviert, denn nur Angehörige unserer Spezies laufen Amok, begehen sinnlose Serienmorde aus Sexualpathologie oder vernichten andere Völker systematisch. Es ist bezeichnend, daß Watsons Buch in dem Moment faszinierend wird, in dem es sich einem unbegreiflichen Verbrechen zuwendet: der Ermordung eines Vierjährigen durch zwei Zehnjährige. Auf kaum zehn Seiten gelingt es dem Autor, ein Porträt eines der beiden Täter zu zeichnen, das die starke Form des Bösen begreiflich macht. Denn Watson verzichtet vollständig auf Analysen und vertraut ganz seinem Blick. Die Lösung liegt in den Augen des Täters, die er im Gerichtssaal beobachten konnte.

Diese Augen "sind wie die Kameralinsen eines automatischen Sicherheitssystems, wachsam, ohne Andeutung einer Persönlichkeit. Diese Augen sind die Fenster eines leeren Zimmers - der Bewohner ist nicht zu Hause." Diese Unbehaustheit erklärt Watson zum Charakteristikum pathologischer Persönlichkeiten. Ein "Spiegel der Seele", der nichts reflektiert, offenbart die Seelenlosigkeit seines Besitzers. Aus leeren Höhlen schaut das Grauen, und Watson hat es gesehen. Das ist eine elementare Beobachtung, die wissenschaftlich unhaltbar sein dürfte, aber die Hilflosigkeit des Analytikers vor dem schlichtweg Bösen offenbart.

Deshalb zählen diese wenigen Seiten zum eindringlichsten, was populäre Wissenschaft in den letzten Jahren hervorgebracht hat. Bezeichnend aber ist, daß die Virtuosität des Schreibers wie die Faszination des Lesers abermals bei der Schilderung extremer menschlicher Grausamkeit entsteht. Keine Begebenheit aus freier Natur kommt an Schrecken dieser Passage nahe - und Watson hat diesbezüglich einiges zu bieten. Es ist wohl mehr als bloße Sehnsucht nach Unschuld, die uns die Natur verklären hilft. Es ist tatsächlich so, wie Watson sagt: Das eigentlich Böse, seine "starke Form", die keine wie auch immer geartete Rechtfertigung mehr erkennen läßt, ist ein menschliches Privileg.

Gibt es aus diesem Dilemma ein Entrinnen? Watson hat ein Rezept: "Wir müssen dem dunklen Schatten ein Existenzrecht einräumen und seine genetischen Hilfstruppen dem hellen Tageslicht aussetzen. Wir müssen die Bestie akzeptieren und unseren stammesgeschichtlich jungen Intellekt mit ihrer stammesgeschichtlich alten Kraft zusammen in ein Joch spannen."

Das klingt hoffnungsfroh und preist auf traditionelle Weise die Macht der Vernunft. Aber diese ganze Therapie bezieht sich allein auf die schwache Form des Bösen, die schon dadurch zu bezwingen ist, daß man die individuellen Überlebensbedingungen verbessert, soziale Sicherheit schafft oder Benachteiligungen abbaut. Gegen die starke Form aber hilft keine Vernunft. Sie ist, was Satan in der Religion verkörpert: das Antiprinzip, der Geist, der stets verneint. Watsons Buch trägt nichts dazu bei, ihn verständlicher zu machen oder gar zu bekämpfen. Es hat ihm nur ein Gesicht gegeben, das Antlitz der Unbehaustheit.

Lyall Watson: "Die Nachtseite des Lebens". Eine Naturgeschichte des Bösen. Aus dem Englischen von Kurt Neff. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1997. 400 S., geb., 44,- DM.

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