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Was geschieht, wenn Péter Esterházy sich vornimmt, eine einfache Geschichte zu erzählen? Er schreibt einen historischen Roman: Kutschen rauschen, von Spionen verfolgt, durch ein Mitteleuropa avant la lettre - wir befinden uns in den Jahren der Rückeroberung Budas zur Zeit der Türkenherrschaft -, kein noch so geheimes Treffen bleibt unbespitzelt. Denn sowohl Pál Nyáry, der über die Geschicke von Ungarn verhandeln soll, als auch sein Vertrauter, Hauptmannn Mihály Bárány, haben ihre Herzen leichtsinnigerweise der Liebe geöffnet ... Natürlich pfeift Esterházy auf das historische Genre und hält…mehr

Produktbeschreibung
Was geschieht, wenn Péter Esterházy sich vornimmt, eine einfache Geschichte zu erzählen? Er schreibt einen historischen Roman: Kutschen rauschen, von Spionen verfolgt, durch ein Mitteleuropa avant la lettre - wir befinden uns in den Jahren der Rückeroberung Budas zur Zeit der Türkenherrschaft -, kein noch so geheimes Treffen bleibt unbespitzelt. Denn sowohl Pál Nyáry, der über die Geschicke von Ungarn verhandeln soll, als auch sein Vertrauter, Hauptmannn Mihály Bárány, haben ihre Herzen leichtsinnigerweise der Liebe geöffnet ... Natürlich pfeift Esterházy auf das historische Genre und hält sich an die Gegenwart, natürlich nutzt er jede sich bietende Gelegenheit für Abschweifungen voll wunderbarer Einfälle.
Autorenporträt
Péter Esterházy wurde 1950 in Budapest geboren. Für Harmonia Cælestis (dt. 2001) erhielt er u. a. den Ungarischen Literaturpreis, 2004 wurde er mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Nach Esti (2013) erschien bei Hanser Berlin zuletzt Die Mantel-und-Degen-Version (2015) und Die Markus-Version (2016). Péter Esterházy ist im Juli 2016 in Budapest gestorben.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

In Péter Esterházys "Die Mantel-und-Degen-Version" spielt Zeit kaum eine Rolle, beziehungsweise eine sehr merkwürdige, erklärt Helmut Böttiger, denn die Geschichte hüpft gut gelaunt zwischen der ungarischen Verteidigung gegen die Türken im siebzehnten Jahrhundert und der Gegenwart hin und her, immerhin auch die in Ungarn, so der Rezensent. Esterhazy tue alles, um sämtliche Lesererwartung zu unterlaufen, warnt Böttiger: Pál Nyáry, eine Art Vaterfigur des Autors aus dem siebzehnten Jahrhundert agiert als "Vertrauter, Spitzel und Diplomat" mal in "erkennbaren Ich-Konturen", mal unter recht "albernen" Bekundungen gegenüber der linearen Erzählweise und wirft Assoziationsfäden in jeden Winkel des Werkes, fasst Böttiger etwas irritiert zusammen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.05.2015

Das Karussell der Spione
In seinem neuen Roman „Die Mantel-und-Degen-Version“ fährt Péter Esterházy mit der
ungarischen Geschichte Schlitten – in einer Kutsche. Auf der Strecke bleibt dabei der Opfer-Mythos
VON ULRICH RÜDENAUER
Blij zijn“ – sich freuen. Diese zwei Worte stehen auf dem eisbeblumten Fenster der Kutsche, die auf der zweiten Seite durch Péter Esterházys neuen Roman „Die Mantel- und Degen-Version“ holpert. Wir befinden uns im 17. Jahrhundert. Die Diamant-Intarsie eines Rings dient dem Scheiben-Graveur als Utensil. Sich freuen also! Damit könnte man beginnen, denn auf gewisse Weise hat die Fensterinschrift etwas Programmatisches: Sie bleibt den Protagonisten im Buch ein frommer Wunsch. Allerdings darf man sich als Leser an der Lektüre dieses verwirrenden Buches erfreuen. Aber davon später.
  Man könnte nämlich auch ganz anders anfangen. Etwa mit dem Lachen des Autors auf dem Klappenfoto, das einen durch das ganze Buch hindurch begleiten wird. Péter Esterházy schaut so drein, als würde er sich über den heiligen Ernst seriöser Schriftsteller-Porträts schon mal von vornherein lustig machen wollen. Man kann sich, mit dieser Fotografie vor Augen, ungefähr vorstellen, wie er sich beim Schreiben seiner „Mantel- und Degen-Version“ – bei aller Ernsthaftigkeit des Sujets – amüsiert hat. Der Gegenwart ist manchmal nicht anders beizukommen.
  Eine „einfache Geschichte Komma hundert Seiten“ nennt Esterházy, der 1950 in Budapest geboren wurde und dort lebt, wenn er nicht gerade im Ausland unterwegs ist, seinen Roman im Untertitel. Von dieser „einfachen Geschichte“ liefert das Buch nun also eine Version (weitere Versionen sind vom Autor in Aussicht gestellt), und da beginnt bereits die schöne Konfusion: Weder ist das nämlich eine einfache Geschichte noch sind es 100 Seiten, die den Leser erwarten. Die „LETZTE SEITE“ findet sich ungefähr in der Mitte des Buches, und weil manchmal die Zeit einfach stehen bleibt, gibt es die „einundachtzigste“ gleich fünfmal.
  Was Esterházy auf „HUNDERT“, aber eigentlich 238 Seiten erzählt, ist so geheimnisvoll wie naheliegend: Es dreht sich alles um Ungarn (also die Welt) und, wie immer bei diesem Autor, um die eigene Familiengeschichte, die aufs Engste mit dem Land verbandelt ist. Vordergründig ist seine Erzählung in der Barockzeit angesiedelt (siehe die Kutsche). Die Türken stehen vor Wien; Ungarn haben sie schon geraume Zeit im Würgegriff. In dieser Epoche – zwischen der Schlacht von Mohács (1526) und der Rückeroberung Budas (1686) – geschehen Dinge, die noch heute in Volksseele und Politik nachbeben. Die Ungarn empfinden sich als Opfer der Geschichte, verkauft und verraten, aufgerieben zwischen osmanischem Reich und Habsburger Machtansprüchen. Esterházy zerbröselt diesen fortdauernden Nationalmythos in lose verknüpften Episoden – nicht schlecht ist es, bei der Lektüre ein Lexikon in Reichweite zu haben, um manchem Namen oder Ereignis auf die Spur zu kommen.
  Im Mittelpunkt jedenfalls steht Pál Nyáry, der als Doppelagent den sich feindlich gegenüberstehenden Habsburgern Ludwig III. und Leopold zuarbeitet und Geheimverhandlungen führen soll. Vor und hinter den Kulissen wird reichlich konferiert, intrigiert und fraternisiert, und wie auf einer Drehbühne flattern kapitelweise die Figuren am Leser vorbei: die Patriotin Zsófia Pázmándi, ihr Mann Graf Schweidenfeldt, der schwule Koch Zsigmond Kara, Nyárys Burgverwalter Mihály Bárány, der auf den Koch ein Auge geworfen hat; selbst der liebe Gott hat seinen Auftritt, samt schizophrener Katze, die er so hingebungsvoll streichelt wie ein zweiter Dr. No. Es geht bei diesem Figurenkarussell um Macht und Begehren, und beides hat unstrittig miteinander zu tun. Es geht auch um handfestere Dinge: um einen Mord und ums „Ficken“ (sehr ausführlich und in allen möglichen Spielarten). Esterházys „Mantel- und Degen-Version“ handelt von einer Nation, die noch keine ist, von tragikomischen Helden und korrupten Fürsten, von Verschwörungen und Verschwörern.
  Freilich sollte man trotz des Titels keine Musketier-Geschichte erwarten (auch wenn D’Artagnan und Co. zwischendurch einen Cameo-Auftritt haben, ebenso übrigens wie Inspektor Columbo oder John Lennon). Vom 17. springt die Geschichte locker ins 20. Jahrhundert, und das Personal wird wie Pál Nyáry schon mal aus dem 19. Jahrhundert in die Vergangenheit gebeamt. Nyáry ist zudem als fiktiver Vorfahr von Esterházys eigenem Vater zu identifizieren, der als Leitstern oder Komet durch das gesamte Werk des Sohnes schweift: Diesem Vater hat Esterházy in seinem Opus magnum „Harmonia Caelestis“ ein Denkmal gesetzt, das nach Bekanntwerden der kommunistischen Spionagetätigkeit von Graf Esterházy senior ein wenig bröckelt; Peter Esterházy schrieb darüber die „Verbesserte Ausgabe“.
  Von Spionen wimmelt es nun auch in der „Mantel- und Degen-Version“. Sie spitzeln mal für die eine, mal für die andere Seite, zuweilen für beide. Irgendwann blickt man nicht mehr recht durch. Aber das ist Konzept. Man durchschaut ja auch heutzutage nicht, wer gerade wen wieder abhört. Was der Sprachvirtuose uns mit seinem Hin- und Herspringen zwischen Formen und Zeiten, Logik und höherem Unsinn erzählen will, bleibt ein unlösbares Rätsel. „Ich sage nicht, ich durchschaue die Absicht, doch seien auch Sie sich nicht so sicher, dass Sie mich durchschauen. Ich bin zwar ein offenes Buch, aber Sie kennen dieses Buch nicht; mag sein, auch ich nicht. Doch spiele ich mit offenen Karten. Aber welches Spiel?“
  Das Spiel, ein zauberhaftes dazu, ist die Literatur. Und mit der ist es wie mit dem Leben: Vom geplanten Weg kommt man gerne ab, wenn in Seitengassen kleine Sensationen lauern und nichtsnutzige Zerstreuungen. Bei Péter Esterházy verlocken Fußnoten, und das mit Witz und Esprit, sodass man den Hauptstrang (sic!) zuweilen aus den Augen verliert. Die Fußnoten entfalten ein Eigenleben, manchmal unterhalten sie sich mit dem Haupttext oder ersetzen ihn sogar; es werden darin echte oder falsche Zitate nachgewiesen und absurde Bemerkungen versteckt. Der Autor widerspricht sich, und manchmal widerspricht auch die wunderbare Übersetzerin Heike Flemming dem Autor. Aus Fußnoten erstehen neue Fußnoten, und bald ahnt man kaum noch, wo oben ist und wo unten. Esterházy reagiert mit diesem ausufernden Anmerkungsapparat nebenbei und raffiniert auf einen Plagiatsvorwurf, der ihn bei „Harmonia Caelestis“ ereilt hatte. „Wenn wir den Mund aufmachen, reden immer zehntausend Tote mit“, heißt es bei Hugo von Hofmannsthal.
  Was aber bleibt als Moral von der langen ungarischen und kurzen Esterházy’schen Geschichte? Mindestens ein gesunder Zweifel an allen Mythen und großen Erzählungen, an Historienschinken sowieso. Und das Vertrauen ins Fabulieren. 65 Jahre alt ist Péter Esterházy in diesem Frühjahr geworden. Das ironische Lachen aber ist ihm nicht abhanden gekommen, selbst in Ungarn nicht, wo Ministerpräsident Viktor Orbán und seine Gefolgsleute auf chauvinistische Weise zu definieren suchen, was das Ungarsein, die Tradition und das Wir ausmachen. Dabei könnten sie von Péter Esterházy nicht nur lernen, dass die Wirklichkeit immer einen doppelten Boden hat, die Wahrheit irgendwo im Ungewissen liegt, Fakten nach Belieben verdreht werden können. Sondern obendrein, dass die „Ungarn“ gar keine Vergangenheit haben, „alldieweil sie stets fort davon tönen, voll lauten Heldenmuts tönen und voll stiller Süße erzählen, jedennoch nicht aus der Vernunft heraus, sich und die Zeit kennenzulernen, die das Vergangene, das Gewesene, das Alte und also sie (die Ungern) formt, sondern um vom Schalle, der Musik der Vergangenheit einzuschlummern, mit unschuldiger Spucke im Mundwinkel, fürwahr wie kleine Kinder.“ Identitätssuche ist eine komplizierte Sache, und „Ungar sein ist schwer“ – sein überhaupt, möchte man hinzufügen. 
Der liebe Gott streichelt
seine schizophrene Katze wie
einst Dr. No bei James Bond
„Ich bin zwar ein offenes Buch,
aber Sie kennen dieses Buch
nicht; mag sein, auch ich nicht.“
Heute erinnert ein Denkmal an die Schlacht bei Mohács, in der das ungarische Heer im Jahr 1526 vernichtend geschlagen wurde.
Foto: Danita Delimont / Martin Zwick
  
Péter Esterházy: Die Mantel-und-Degen-Version. Einfache Geschichte Komma hundert Seiten. Aus dem Ungarischen von Heike Flemming. Verlag Hanser Berlin, Berlin 2015. 238 Seiten, 19,90 Euro. E-Book 15,99 Euro.
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"Wer es in der Literatur gern ein wenig wilder mag, kann mit Esterházys Büchern wahre Abenteuer erleben." Ursula März, Deutschlandfunk, 31.05.15