Marktplatzangebote
8 Angebote ab € 4,00 €
  • Gebundenes Buch

Jurij Brezan ist ein vergnüglicher Roman über ein Dorf geglückt, das trickreich und gewitzt die Bemühungen einer Behörde namens BAAAL durchkreuzt, Land und Eigentum aus den geschichtlichen Zusammenhängen zu reißen.

Produktbeschreibung
Jurij Brezan ist ein vergnüglicher Roman über ein Dorf geglückt, das trickreich und gewitzt die Bemühungen einer Behörde namens BAAAL durchkreuzt, Land und Eigentum aus den geschichtlichen Zusammenhängen zu reißen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.04.1997

Her mit der Schadenfreude
Die Treuhand im Roman: Jurij Brezan kämpft den heroischen Kampf

Schloß und Boden von Salow, einer ehemaligen Großgrafschaft im östlichen Deutschland, nach 1945 in Volks-, genauer Staatseigentum überführt und einer Produktionsgenossenschaft überlassen, sollen nach der Wende privatisiert werden. In Hamburg lebt noch der letzte gräfliche Erbe. Die Privatisierung ist Aufgabe einer Institution, die hier trotz der Abkürzung "BAAL" bis zur Überkenntlichkeit als Treuhand identifizierbar ist und von einer "Frau wie aus dem Eiskeller" geleitet wird. Das Schloß, das nun ein Museum und eine Behindertenwerkstatt beherbergt, soll wieder geräumt werden. Man ahnt ein schlimmes Spiel der bösen Fee und des gierigen Drachens, der den entwendeten Schatz wieder zurückhaben will.

Aber die zeitgenössische Märchengeschichte, die uns hier erzählt wird, nimmt einen anderen Verlauf. Der Autor Jurij Brezan, der Bücher in deutscher und sorbischer Sprache geschrieben und 1951 und 1964 den Nationalpreis der DDR erhalten hat, nimmt Abschied vom alten Klassenkampfschema. Der gräfliche Erbe, ein Historiker, der den Adelstitel abgelegt hat und sich Cordialis nennt, sorgt gemeinsam mit einem aus Schlesien gebürtigen, jetzt in der Schweiz ansässigen jüdischen Bankier, den sein Vater während der Nazizeit auf dem Gut unter falschem Namen versteckte, dafür, daß Grund und Boden nicht geteilt werden, sondern in den Besitz der Gemeinde Salow (jetzt "Cordialische Grafschaft") übergehen. Das beziehungsvolle Motto: "Wir halten zusammen, was zusammengehört."

Die Überlistung der "BAAL" (also Treuhand) ist das Werk des Schulzen, des Landwirtschaftsexperten Franska, und seiner Helfer. Bauernschläue nutzt die Schlupflöcher in den Gesetzen. Der Autor kennt sich im Geschäft volksnahen Erzählens aus. Denn die märchenhafte Geschichte ist eingebettet in einen Komödienroman, in dem es an gewitzten Typen, an Liebesgeplänkel und einem versöhnlichen Schluß nicht fehlt. Das eigentliche Vergnügen, auf das die Erzählung zielt, ist die Schadenfreude - darüber, daß die Frau aus dem Eiskeller und ihre Anstalt ausmanövriert werden. Brezans Roman vermittelt eine Ahnung davon, wieviel Groll die Treuhand auf sich gezogen hat.

Mit den Mitteln des freien Markts werden paradoxerweise alte Verhältnisse wiederhergestellt. Der Preis ist die Ausblendung dunkler Kapitel der DDR-Vergangenheit. Staatssicherheit, Informanten, Parteisekretäre haben in der Optik dieses Romans so gut wie nicht existiert. Ein Erziehungssystem scheint bruchlos in das andere übergegangen zu sein; von Revision ist jedenfalls nicht die Rede.

Am Anfang rückt der Autor Salow in die Nähe von Schilda. Da unterbewertet er seine Salower; lächerliche Schildbürger sind sie nicht, sie stammen eher aus dem Geschlecht des Eulenspiegel, des Hasekschen Schweijk oder des Brechtschen Azdak. Zu hoch greift der Autor, wenn er mit dem Titel des Romans auf Erzählprosa Gottfried Kellers anspielt. An die menschen- und zeitkritische Erzählkunst in Kellers Novellensammlung "Die Leute von Seldwyla" denken wir besser nicht. WALTER HINCK

Jurij Brezan: "Die Leute von Salow". Roman. Gustav Kiepenheuer Verlag, Leipzig 1997. 220 S., geb., 29,90 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr