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Über die Kraft sich immer wieder neu zu erfinden - der neue Roman von Christophe Boltanski.
Ein Jahr lang, zwischen 1973 und 1974, lässt sich ein gewisser Jacob B'chiri täglich und in wechselnder Verkleidung in einem Fotoautomaten ablichten. Wozu dienten die geheimnisvollen Aufnahmen? Christophe Boltanski begibt sich fasziniert auf Jacobs Spur, die von Paris über Rom und Marseille führt, zu den Friedhöfen von Djerba und an die Ränder der israelischen Negev-Wüste. Dabei fördert er eine unglaubliche Biographie zu Tage, in der sich Kriegs- und Exilerfahrung mit künstlerischen Ambitionen…mehr

Produktbeschreibung
Über die Kraft sich immer wieder neu zu erfinden - der neue Roman von Christophe Boltanski.

Ein Jahr lang, zwischen 1973 und 1974, lässt sich ein gewisser Jacob B'chiri täglich und in wechselnder Verkleidung in einem Fotoautomaten ablichten. Wozu dienten die geheimnisvollen Aufnahmen? Christophe Boltanski begibt sich fasziniert auf Jacobs Spur, die von Paris über Rom und Marseille führt, zu den Friedhöfen von Djerba und an die Ränder der israelischen Negev-Wüste. Dabei fördert er eine unglaubliche Biographie zu Tage, in der sich Kriegs- und Exilerfahrung mit künstlerischen Ambitionen vermischen. Leichthändig und klug setzt er das Leben eines Fremden zu einer Erzählung über Identität, Glauben und die großen Tragödien des 20. Jahrhunderts zusammen.
Autorenporträt
Christophe Boltanski, 1962 in Paris geboren, arbeitete lange als Journalist und Kriegsreporter bei Libération und Nouvel Observateur und war Chefredakteur der Zeitschrift XXI. Er ist der Sohn des Soziologen Luc Boltanski und ein Neffe des bildenden Künstlers Christian Boltanski. Sein erster Roman Das Versteck (Hanser, 2017) war ein Überraschungserfolg in Frankreich und wurde mit dem Prix Fémina ausgezeichnet. Zuletzt erschien bei Hanser Die Leben des Jacob (Roman, 2023).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

In diesem Roman folgt Rezensent Fritz Göttler dem französischen Schriftsteller Christophe Boltanski auf der Suche nach der Identität eines rätselhaften Fremden. Der Erzähler des Buchs wird mit einem Fotoalbum aus den siebziger Jahren konfrontiert, berichtet der Kritiker. Es enthält 369 Passfotos eines gewissen Jacob B'chiri, der sich ein Jahr lang jeden Tag in diversen Verkleidungen und Posen in Fotoautomaten an unterschiedlichen Orten ablichten ließ. Hinweise auf sein Leben geben Notizen auf den Rückseiten der Fotos, so der Rezensent. Für den Erzähler beginnt damit eine Spurensuche, laut Göttler lässt sich die Geschichte auch als Krimi lesen. Gleichzeitig werden medientheoretische Reflexionen über das Wesen der Fotografie angestoßen, erkennt der Kritiker, der hier unter anderen denkt an Texte von Walter Benjamin und Friedrich Kittler denkt. Das Buch ist demensprechend für ihn mehr "Installation als Dramaturgie".

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.04.2023

Ein jüdisches Schicksal in 369 Fotos
Blättern in einem sehr speziellen Album: Christophe Boltanskis Roman „Die Leben des Jacob“
Du bist ein Überlebender, erklärt der Erzähler mehrfach, er spricht den „Helden“ seines Buches direkt an, den unnahbaren Jacob B’chiri, dessen Leben – die Leben, nicht das Leben, Plural, nicht Singular! – hier erforscht werden. Dokument dieses Überlebens ist ein Album mit Fotos von Jacob, keine Sammlung von Schnappschüssen, aus diversen Lebenszeiten und -situationen, sondern eine Serie von Passbildern aus dem Automaten, mit monotoner Beharrlichkeit aneinandergereiht.
Eine Filmproduzentin hat das Album auf dem Flohmarkt entdeckt, der Erzähler soll sich davon inspirieren lassen zum Exposé für eine Filmgeschichte. „Mit seinem zwischen den Händen klebrigen Einband aus grünmarmoriertem Kunstleder, übersät mit kleinen schwärzlichen Runzeln ähnelte das Album einem alten Zauberbuch. Es war schwer, voluminös, völlig verstaubt und verströmte den Mief des Elends. Man erwartete, kabbalistische Zeichen darin zu entdecken oder okkulte Riten. Man stieß auf hunderte von Selfies. Genau gesagt auf dreihundertsiebenundsechzig Schwarz- Weiß- und zwei Farbbilder, alle oder fast alle in einem Fotoautomaten aufgenommen ...“
Etwa so viele Fotos, wie ein Jahr Tage hat ... aus Fotoautomaten, wie sie in vielen U-Bahn-Stationen europäischer Großstädte auf einen warten. Sie sollen der Identifikation dienen, fördern aber zugleich die Anonymisierung, und von dieser Dialektik handelt das Buch. Wer ist dieser Jacob B’chiri, der sich immer wieder in einen dieser grauen Kästen zwängt und auf den Blitz der Aufnahme wartet, der Kleidung, Haltung, Frisur, Miene ein bisschen abwandelt, mit seiner Identität spielt, zwischen Verleugnung und Exhibitionismus ... Der Autor Christophe Boltanski, 1962 in Paris geboren, ist der Sohn des Soziologen Luc Boltanski, dieser schrieb unter anderem das Buch „Rätsel und Komplotte“, über „Kriminalliteratur, Paranoia, moderne Gesellschaft“, und, gemeinsam mit dem Kollegen Pierre Bourdieu, „Eine illegitime Kunst“, über die „sozialen Gebrauchsweisen der Fotografie“.
Natürlich ist das Buch über Jacob von Anfang an offen für Spekulation. „Du spitzt die Ohren und stellst dir deinen Avatar gefangen in einem gewaltigen Uhrwerk vor, mitgerissen von Zahnrädern, Kurbelstangen und Riemen, wie er Achten zwischen zwei Zylindern beschreibt, als wäre er Charlie Chaplin in Moderne Zeiten. Du wartest auf ein Klicken, das Geräusch einer Feder, das deine Erlösung ankündigt. Und plötzlich siehst du dich, Kopf voran, aus der Maschine dringen, wie Laub unter der Einwirkung des Gebläses zittern und vorsichtig ins Körbchen fallen.“
Das Serielle ist, durch die mechanische Reproduktion, eine wichtige Kategorie der modernen Ästhetik geworden, man liest diese Leben des Jacob mit Texten von Walter Benjamin oder Friedrich Kittler im Hinterkopf – und mit Bildern von Andy Warhol, Richard Avedon, Cindy Sherman vor Augen (und in Erinnerung an den Fotosammler Nino aus dem Film „Die fabelhafte Welt der Amélie“). Man mag auch an die Installationen von Christophes Onkel Christian Boltanski denken, der durch Zusammenballung von Objekten die Aura der Shoah beschwört.
Der Verlust der Bewegungsfreiheit in der Fotokabine, der enge Raum des Rituals, die manische Stagnation der Serie, all das scheint ebenso mit dieser Aura assoziiert zu sein, mit der existenziellen Situation eines Juden im 20. Jahrhundert. (Boltanskis erster Roman „La cache/Das Versteck“, 2017, handelte von seinem Vater, der als Jude während der Nazi-Besatzung Monate in einem engen Verschlag in der Wohnung versteckt bleiben musste.)
Die Kabine als cache ... Minimale Details bringen Bewegung in diese Bilder, die nicht von der Stelle zu kommen scheinen, provozieren eine Bedeutung, eine Biografie. Der Mann posiert! „Ab der Hälfte der Sammlung schien er allmählich von Melancholie erfasst und stellte eine traurige Maske à la Buster Keaton zur Schau.“ Einmal ist eine Narbe im Gesicht zu sehen, dann eine andere am Bauch, eine Kriegsverletzung. Einmal sieht man ihn neben einem unbekannten Fremden, einmal hält er ein Bild seines Vaters vor die Kamera. Dann wieder, von Klick zu Klick, ist er Elvis, Rasputin, Pierrot: „Er erschien mir wie ein Gefangener, der an sein eigenes Bild gefesselt ist.“
„Uns fehlen die Untertitel, um zu verstehen, was du uns sagen willst“, klagt der Erzähler, aber dann liefert Jacob doch Hinweise, legt Spuren – so kann man das Buch durchaus als Kriminalroman lesen. Auf dem Vor- und Nachsatzblatt des Albums kleben Etiketten, wie man sie früher bei Schiffskoffern benutzte, darauf sind Adressen notiert: B’chiri Jacob c/o Casa Gizzi, via R. Cadorna 29 Roma (Italia). c/o Kaufmann Lutz, Inn. Margarethenstr. 22, 4051 Basel (Schweiz) ... Überall dort hat Jacob Unterschlupf gefunden, für begrenzte Zeit. Eine Chronologie, eine Topologie, ein Logbuch. Das GPS einer Erzählung. Der Erzähler sucht die Städte und Straßen auf, es gibt sie, aber sie sind wie Bühnenbilder: Schweiz, Italien, Frankreich, immer wieder Marseille, das Zentrum seines Lebenslabyrinths.
Dann löst sich versehentlich ein Foto aus dem Album, und auf seiner Rückseite (und denen einiger anderer) finden sich Angaben zu Jacobs Leben und Existenz. Der Erzähler verlässt seinen Platz vor dem Album und begibt sich, während die Welt sich wegen Covid zusammenschließt, auf Recherchereise, nach Tunesien oder Israel. Er spricht mit dem Bruder und den Kindern Jacobs, befragt Freunde und Zeitzeugen. Jacob ist geboren in Djerba, der tunesischen Insel, wurde in der Jugend nach Israel geschickt, war Soldat im Sechstagekrieg.
Er arbeitete für die israelische Fluggesellschaft El Al, als Sicherheitsbeauftragter – nach Entführungen durch Terroristen in den Sechzigern. Der Mann, der immer wieder die Einsamkeit der Fotoautomaten aufsuchte, der „Blitzlichtstammgast“, der „Mann des Schattens“, steht plötzlich mitten in der Weltgeschichte, Jacob, „der verlorene Sohn, der es geschafft hat“. Am Ende widmet Jacob sich dem Dienst an den Toten. Du bist ein Überlebender ...
Boltanskis Buch kaschiert – mehr Installation als Dramaturgie – nicht die Brüche in dieser Existenz – „es gilt bei allem, das Recht auf Unergründlichkeit zu respektieren“. Die Unrast Jacobs gleicht der des Odysseus, aber sie kennt kein Ithaka, keine Heimat, in die eine Rückkehr denkbar wäre. In den Fotoautomaten sieht er sich mit dem größten Gegner konfrontiert, dem einäugigen Zyklopen.
FRITZ GÖTTLER
Der Mann des Schattens –
er steht plötzlich im
Lichte der Weltgeschichte
369 Passbilder als Dokumente des Überlebens: Fotokabine für automatische Passbilder und andere Porträts.
Foto: imago
Christophe Boltanski:
Die Leben des Jacob.
Roman. Aus dem
Französischen von
Tobias Scheffel.
Hanser, München 2023.
206 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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"Genauso stark wie die Neugier ist in diesem Buch der Respekt: vor dem Recht auf Unergründlichkeit und vor der Unmöglichkeit, ein fremdes Leben angemessen zu begreifen ... Ein bewegender Roman." Andreas Wirthensohn, WDR3, 03.05.23

"Boltanski lässt auf faszinierende Weise eine ganze Epoche Revue passieren, in der sich der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern verschärft hat. Boltanski verknüpft zeitgeschichtliche, reale Ereignisse und die schillernde Welt der Geheimdienste mit existentiellen Fragen ... Virtuos." Dirk Fuhrig, Deutschlandfunk, 20.04.23

"Boltanskis Buch kaschiert - mehr Installation als Dramaturgie - nicht die Brüche in dieser Existenz - 'es gilt bei allem, das Recht auf Unergründlichkeit zu respektieren'. Die Unrast Jacobs gleicht der des Odysseus, aber sie kennt kein Ithaka, keine Heimat, in die eine Rückkehr denkbar wäre." Fritz Göttler, Süddeutsche Zeitung, 13.04.23

"Die autobiographischen Romane 'Das Versteck' und 'Le guetteur' bezeugen, wie findig, beharrlich und einfühlsam Christophe Boltanski Spurensuche betreibt. ... 'Das herrenlose Album', das Christoph Boltanski vor Jahren in die Hände bekam, war für ihn zunächst nichts anderes als eine Todesanzeige. Mit großer Einfühlsamkeit ist es ihm gelungen, ein ganzes, 66 Jahre währendes Leben mit seinen Abgründen und Leerstellen, Verrücktheiten und Glücksmomenten wiedererstehen zu lassen." Sigrid Brinkmann, DLF Kultur, 12.04.23

"Christophe Boltanski ist ein literarischer Fährtenleser. Er versucht, etwas über die Psychologie der Menschen zu erfahren, indem er den von ihnen bewohnten Orten eine Seele zuspricht. In den Menschen wiederum sucht er nach Orten, nach inneren Heimaten. Beides zusammen ergibt labyrinthische Wege durch die Existenz, durch die Absurditäten des Daseins. ... Christophe Boltanskis Hommage an einen Unbekannten ist ein Buch der Vermutungen. Hier, im Bereich des Unklaren, steckt die Spannung dieses Buchs, aber auch ein Kern des Respekts vor einem Menschen." Paul Jandl, Neue Zürcher Zeitung, 11.04.23…mehr