Erfindung der "Anti-Baby-Pille" gesagt hatte und seiner eigenen Biographie entsprach. Vier Geschwister hatte er. Vater von acht Kindern wurde er. Doch auch ein anderer Satz von ihm ist überliefert: "Dann sterben wir ja aus." Da waren dem "Alten" Zahlen über die demographische Entwicklung der kleinen Bundesrepublik vorgelegt worden, und im Sinne seines Wortes, was ihn sein Geschwätz von früher angehe, überdachte er seine Erfahrung, Kinder bekämen die Leute sowieso. Das Kindergeld wurde erfunden und der "Wuermeling" auch.
Den spielerischen Brauch gibt es, Parallelen zu ziehen zwischen Fußball und Politik. Jochen Arntz und Holger Schmale, zwei Journalisten aus dem sogenannten Berliner Hauptstadtmilieu, haben - der These anhängend, das "Private" sei "politisch" - ein anderes Vergleichsmodell entwickelt: "Die Kanzler und ihre Familien". Parallelen sind auch hier offenkundig. Vom Patriarchen Adenauer, der, umgeben von der Schar der Enkel, seine Geburtstage öffentlich inszenierte, bis Helmut Kohl und seinen sommerlichen Ferien am Wolfgangsee, mit Frau, Söhnen und Hund. Vom mehrfach verheirateten Gerhard Schröder und seinem Leben in Patchworkfamilien bis zur kinderlosen Angela Merkel, die sich mit ihrem Mann, dem renommierten Naturwissenschaftler Joachim Sauer, auf den Grundsatz verständigte, jeder gehe seinem Beruf nach. Bundeskanzler, so hatte es einmal geheißen, spiegelten die "Kraftlinien" der Politik und der Gesellschaft in Deutschland wider. Die beiden Autoren greifen das auf - im politisch-analytischen Sinne. Sie haben das Buch nicht mit der Überschrift "Die Kanzler und ihre Affären" versehen.
Das "Privatleben" der Kanzler und der Kanzlerin wird in den Zusammenhang gesellschaftlicher Entwicklungen und ihres politischen Handelns gestellt. Die Erfindung des Kindergeldes; die Demonstrationen gegen §218 zu Zeiten Willy Brandts; familienpolitische Leistungen zu Zeiten Schröders. Reformen des Eherechts in den siebziger Jahren. Dass Ehefrauen von Kanzlern (früher natürlich) "Heimchen am Herd" waren, wird widerlegt. Die Prägung der Kanzler durch ihre Jugend und ihre ersten Schritte in die Politik werden beschrieben: Adenauers bürgerliche Herkunft und seine Verfolgung durch die Nationalsozialisten; Schröder und sein Aufstieg aus ärmlichen Verhältnissen in der Nachkriegszeit; Merkels Leben im Pfarrhaushalt in der DDR.
Eine Fragestellung der Autoren lautet: "Wie das Privatleben die deutsche Politik prägt". Der Frage, wie das Leben als Spitzenpolitiker deren Privatleben prägt, widmen sie sich auch. Es ist der unbedingte Wille zur Macht, der aus "einfachen" Abgeordneten Kanzler werden lässt. Dass das Familienleben einem solchen Aufstieg unterzuordnen ist, gehört zur politischen Gesetzmäßigkeit. Dass Kinder und Ehefrauen darunter auch zu leiden haben, dass Verwerfungen die Folgen sein können, wird beschrieben, nicht aus der Perspektive des Boulevardjournalismus, sondern auf Quellen gestützt, der Söhne Willy Brandts etwa und noch mehr der von Helmut Kohl. Die schönen Bilder von Kanzlern und Familien entsprachen nicht der Wirklichkeit. Wie sollte es auch anders sein? Kanzler halten ihr wahres "Privatleben" geheim. Angela Merkel ist eine Meisterin darin.Vorsicht ist geboten: Die vermeintlichen Sonnenseiten des Lebens können ziemlich rasch und auf nicht kalkulierbare Weise ein hässliches Gesicht bekommen.
GÜNTER BANNAS
Jochen Arntz, Holger Schmale: Die Kanzler und ihre Familien. Wie das Privatleben die deutsche Politik prägt. Dumont Verlag Köln. 2017. 272 Seiten. 22 Euro.
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