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Physik ist die katholische Kirche der Wissenschaft: Daß Frauen dabei nichts zu lachen haben, ergibt sich von selbst. So wenig den Frauen erlaubt war, das Buch Gottes auszulegen, so wenig durften sie das Buch der Natur entziffern. Entsprechend selten wagten sie sich auf das Gebiet der Physik, und nur wenige konnten sich durchsetzen wie Hypatia, Marie Curie, Lise Meitner oder Chien-Shung Wu. Eine intelligente und unkonventionelle Geschichte der Physik von ihren Anfängen bis heute. "Ein engagiertes, manchmal polemisch überspitztes Buch, das niemanden kalt läßt, weder Mann noch Frau." (Süddeutsche Zeitung)…mehr

Produktbeschreibung
Physik ist die katholische Kirche der Wissenschaft: Daß Frauen dabei nichts zu lachen haben, ergibt sich von selbst. So wenig den Frauen erlaubt war, das Buch Gottes auszulegen, so wenig durften sie das Buch der Natur entziffern. Entsprechend selten wagten sie sich auf das Gebiet der Physik, und nur wenige konnten sich durchsetzen wie Hypatia, Marie Curie, Lise Meitner oder Chien-Shung Wu. Eine intelligente und unkonventionelle Geschichte der Physik von ihren Anfängen bis heute.
"Ein engagiertes, manchmal polemisch überspitztes Buch, das niemanden kalt läßt, weder Mann noch Frau." (Süddeutsche Zeitung)
Autorenporträt
Margaret Wertheim, geboren 1960 in Australien, lebt heute in Berkeley/Kalifornien. Sie hat Physik, Mathematik und Informatik studiert und arbeitet als freiberufliche Wissenschaftsjournalistin für Zeitschriften, Radio und Fernsehen. Von ihr liegen auf deutsch vor "Die Hosen des Pythagoras" und "Die Himmelstür zum Cyberspace".
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.02.1999

Pythagoras und Einstein waren schlampig gekleidet
Für ihre Physik braucht Margaret Wertheim Forscher, die eine bessere Figur machen

"Und der Herr stieg herab und sah den Beschleuniger, den die Kinder der Menschen bauten. Und der Herr sagte, Siehe, die Menschen entwirren meine Verwirrung. Und der Herr seufzte und sagte, Voran, gehen wir hin und geben ihnen das Gottesteilchen, worauf sie sehen mögen, wie schön das Universum ist, das ich geschaffen habe" (Das Sehr Neue Testament, 11:1). So sieht der Physiker Leon Lederman sein Forschungsgebiet, die Suche nach neuen subatomaren Teilchen, gerne dargestellt. Wie ein Prophet möchte er einer staunenden Öffentlichkeit die letzten Geheimnisse der Schöpfung offenbaren. Doch mit seiner Berufung zum Hohenpriester steht es ähnlich wie mit dem zitierten Sehr Neuen Testament: Gibt's gar nicht! Hat er sich selbst ausgedacht.

Für Margaret Wertheim ist Lederman das Urbild eines Physikers: Von religiösem Eifer getrieben, beschäftigt er sich mit einem Forschungsgebiet, dessen Nutzen nicht unmittelbar auf der Hand liegt. Vor allem aber ist er ein Mann! Denn Männer haben es immer verstanden, die Frauen von der Beschäftigung mit der Physik fernzuhalten. Margaret Wertheim stellt die Geschichte der Physik als eine systematische Ausgrenzung der Frauen dar.

Angefangen hat alles im sechsten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung, als die Griechen begannen, die Natur nicht länger als ein Schauspiel der Götter zu betrachten, sondern hinter ihre Kulissen zu sehen. Für Pythagoras von Samos, von dem es hieß, er sei ein Sohn des Apoll, den seine Mutter als Jungfrau zur Welt gebracht habe, war alles durch Zahlen erklärbar. Der Zahlenmystiker, der gegen zeitgenössische Modetrends Hosen trug, vertrat die Überzeugung, daß mathematisches wie göttliches Wissen nur denjenigen enthüllt werden dürfe, die an Körper und Geist vollständig geläutert waren. Läuterung hieß, daß das männlich definierte Element des menschlichen Wesens (die Seele), das weiblich definierte (die Materie des Körpers) hinter sich zu lassen hatte. Damit war der Mathematische Mann geboren, wie Wertheim den zölibatären Ergründer numerischer Naturgesetze nennt.

Im Mittelalter reformierten Karl der Große und Gregor VII. das Priestertum durch Bildung. Latein war die Sprache ihrer Schulen, und Frauen hatten kaum Zugang zu dieser Geheimsprache. Die Kirche als Hüterin des mathematischen Wissens war nicht nur an einer mathematischen Beschreibung von Qualitäten wie Sünde, Wohltätigkeit oder Gnade interessiert, sondern auch an Dingen, die ihrer Macht zuträglich sein konnten, wie bessere Kalender, bessere Navigation oder bessere Ballistik. Die Herausforderung durch praktische Aufgaben führte in der Renaissance zu einer naturwissenschaftlichen Revolution, wie sie die weltabgewandten Philosophen Chinas trotz hervorragender mathematischer Kenntnisse nicht zustande brachten. Trotz aller Hindernisse, die ihnen in den Weg gelegt wurden, bemühten sich immer wieder auch Frauen, zum wissenschaftlichen Fortschritt beizutragen, doch allen von Margaret Wertheim aufgezählten Geschlechtsgenossinnen blieben Anerkennung und Würdigung in der Männerdomäne versagt.

Galileo machte sich als Hofmathematiker in Florenz bei wissenschaftlichen Disputen, den barocken Äquivalenten zu den mittelalterlichen Ritterturnieren, gerne und mit Erfolg über jesuitische Gelehrte lustig. Schließlich hielt er es nicht mehr für nötig, sich an die Absprachen mit Papst Urban VIII. zu halten, nach denen er nur hypothetisch über den Heliozentrismus schreiben sollte. Die Kirche sah sich genötigt, Galileo zu maßregeln, und verordnete ihm Hausarrest in seiner eigenen Villa. Der Lästerer, der keinen einzigen Tag im Gefängnis verbringen mußte, gilt heute als Märtyrer, während, wie die Autorin klagt, Hunderttausende von Frauen, die auf dem Scheiterhaufen landeten, der Vergessenheit anheimfielen.

Weder Galileo noch Newton, der vermutlich zeit seines Lebens erfolgreich den Frauen aus dem Weg ging, stellten mit ihren Erkenntnissen über die materielle Welt die Kompetenz des Christentums in Frage. Erst mit der auf die Aufklärung folgenden Industrialisierung entstand die Vorstellung einer Erlösung der Menschheit durch Wissenschaft und Technik. Damit war die Wissenschaft selbst zu einer Religion geworden, die ihren Jüngern Würde und Freiheit verhieß. Wie die katholische Kirche verstand es auch diese neue Religion, die Frauen von der Priesterweihe auszuschließen. Erst seit Beginn unseres Jahrhunderts erlangen Frauen allmählich Zugang zum Studium der Naturwissenschaften, am langsamsten dringen sie in die Physik ein. Albert Einstein, für die Autorin "dieser triefäugige Deutsche mit seinem wilden Haarschopf", stieg mit seiner Suche nach einer Weltformel, die alle bekannten Naturkräfte vereinigt und somit vielleicht den Bauplan der Schöpfung offenbart, zum mystischen Propheten auf. Er war schlampig, unmodisch gekleidet und bequem. Für diese Eigenschaften wurde er sogar gelobt, während die nicht minder geniale Mathematikerin Emmy Noether, die sogar von Einstein konsultiert wurde, mit den gleichen Eigenheiten eher den Spott der Leute auf sich zog.

Heute suchen die Physiker immer noch nach einer theory of everything und geben sich dabei religiöser denn je. Stephen Hawking verspricht uns, daß wir das Bewußtsein Gottes sehen werden, wenn die Suche nach einer vereinheitlichten Theorie zum Ende gelangt. "Er hat sich mit einer fast mystischen Aura umgeben", schreibt Margaret Wertheim, "in seinem Fall noch verstärkt durch den extremen Gegensatz zwischen der Kraft seines Intellekts und der Schwäche seines Körpers. Er stellt damit eine in vielen Kulturen der Welt vorhandene archetypische Gestalt dar - die des gelähmten oder verkrüppelten Sehers."

Margaret Wertheim bezweifelt, daß das Geld für neue, teurere und leistungsfähigere Teilchenbeschleuniger, mit denen physikalisch-religiöse Theorien experimentell bestätigt oder widerlegt werden könnten, gut angelegt ist. Sie möchte lieber die Kirche im Dorfe lassen. Würden mehr Frauen die Physik mitgestalten, würde das Geld sicher sinnvoller angelegt. Leider versäumt sie es, uns mitzuteilen, wofür. HARTMUT HÄNSEL

Margaret Wertheim: "Die Hosen des Pythagoras". Physik, Gott und die Frauen. Aus dem Englischen von Karin Schuler, Karin Miedler und Silke Egelhof. Ammann Verlag, Zürich 1998. 390 S., Abb., geb., 49,80 DM

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