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Die Hamburger Juden im NS-Staat 1933 bis 1938/39 - Berkemann, Jörg;Lorenz, Ina
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Verfolgung und Selbstbehauptung - eine umfangreiche Dokumentation zum Leben der Juden in Hamburg in schwerer Zeit.Anfang 1933 waren in den jüdischen Gemeinden von Hamburg, Altona und Wandsbek etwa 24.000 Mitglieder organisiert, deren Leben zwischen 1933 und 1938/39 in sozialer, politischer, institutioneller, wirtschaftlicher, religiöser und kultureller Hinsicht in dieser Dokumentation erstmals umfassend dargestellt wird. Ein Leben, das beherrscht wurde durch zunehmende Entrechtung, gesellschaftliche Diskriminierung, staatliche Unterdrückung und Verfolgung sowie den Verlust an humaner…mehr

Produktbeschreibung
Verfolgung und Selbstbehauptung - eine umfangreiche Dokumentation zum Leben der Juden in Hamburg in schwerer Zeit.Anfang 1933 waren in den jüdischen Gemeinden von Hamburg, Altona und Wandsbek etwa 24.000 Mitglieder organisiert, deren Leben zwischen 1933 und 1938/39 in sozialer, politischer, institutioneller, wirtschaftlicher, religiöser und kultureller Hinsicht in dieser Dokumentation erstmals umfassend dargestellt wird. Ein Leben, das beherrscht wurde durch zunehmende Entrechtung, gesellschaftliche Diskriminierung, staatliche Unterdrückung und Verfolgung sowie den Verlust an humaner Solidarität durch die nichtjüdische Gesellschaft. Dagegen steht das reiche jüdische Gemeindeleben in seinen vielfältigen Aktivitäten der Selbsthilfe, seinen Vereinen, Organisationen und die Verteidigung der jüdischen Selbstachtung. Die Historikerin Ina Lorenz und der Jurist Jörg Berkemann haben in einer nahezu zwanzigjährigen Forschungsarbeit das umfangreiche Quellenmaterial gesichtet und ausgewertet. Das Ergebnis dieser langjährigen Recherchen liegt nun in einer zweibändigen Monografie sowie einer mehrbändigen kommentierten Quellenedition vor.
Autorenporträt
Jörg Berkemann, geb. 1937, Jurist, zuletzt Richter am Bundesverwaltungsgericht, Honorarprofessor für öffentliches Recht an der Universität Hamburg, Lehrbeauftragter an der Bucerius Law School Hamburg. Veröffentlichungen u. a.: Streitfall jüdischer Friedhof Ottensen 1663-1993 (mit Ina Lorenz, 1995).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rolf Lamprecht lobt die jahrelange akribische Arbeit der Geschichtsprofessorin Ina Lorenz und des Rechtsprofessors Jörg Berkemann, deren Ergebnis nun auf 5000 Seiten vorliegt. Die insgesamt sieben Bände spiegeln laut Lamprecht am Beispiel von Hamburg die Verwandlung einer Gesellschaft zum Bösen wider. Dass es kaum Widerstand gab gegen die institutionalisierte Menschenverachtung, dass die Hamburger wegschauten oder mitmachten bei der Judenverfolgung und wie stark die Solidarität unter den Opfern war, erfährt Lamprecht aus umfangreichen Quellen, monografisch und mit Registerband erschlossen. Als wissenschaftliches Pendant zu Klemperers Tagebüchern, repräsentativ und zugleich das Besondere darstellend, erscheint die Arbeit dem Rezensenten. Eine vergleichbare Dokumentation kennt er nicht.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.08.2016

Unerwünscht,
verachtet, ermordet
Eine monumentale Forschungsarbeit untersucht
das Schicksal der Hamburger Juden im NS-Staat
VON ROLF LAMPRECHT
Auch die stolze Hansestadt Hamburg mühte sich, dem „Führer“ zu gefallen. Durch vorauseilenden Gehorsam. Nur wenige Monate nach Adolf Hitlers Machtergreifung, im Sommer 1933, knickten die Berufsgilden der Oberschicht ein. Sie waren unter den ersten, die sich rigoros von ihren jüdischen Mitgliedern lossagten. Besonders beflissen agierte das Universitäts-Krankenhaus Eppendorf. Bereits im Juli entzog die medizinische Fakultät sechzehn „nichtarischen“ Professoren und Dozenten, unter ihnen international renommierte Wissenschaftler, die Lehrbefugnis.
  Die Advokaten wollten nicht nachstehen. Sie vergaßen ihre feinen hanseatischen Manieren und trennten sich im Eiltempo von angesehenen, aber nunmehr unerwünschten Kollegen: „Der Hamburgische Anwaltsverein muss die Kündigung aussprechen, weil Sie nicht arischer Abstammung sind.“ Das war zugleich, wie der Brief nicht mal zu verbergen suchte, eine Ergebenheitsadresse an den „Bund National-Sozialistischer Deutscher Juristen als der maßgebenden Juristen-Vereinigung“.
  Eine akribische Untersuchung über das Schicksal der Hamburger Juden, von der hier die Rede sein soll, widerspiegelt die schnelle Verwandlung einer Gesellschaft zum Bösen. Es fing damit an, dass plötzlich keiner mehr etwas mit „nicht reinrassigen“ Kollegen zu tun haben wollte. So wurde aus Eppendorf berichtet, „dass die meisten ‚arischen‘ Kollegen die Entlassenen mieden.“ Nicht nur dort. Die akademische Elite ging überall und ganz schnell zu den „verfemten“ Kollegen auf Distanz. Gerhard Leibholz, berühmter Staatsrechtler und Bundesverfassungsrichter der ersten Stunde, erzählte Einschlägiges aus Göttingen: Fakultätskollegen, mit denen er bei den Uni-Feiern zum Jahreswechsel 1932/1933 noch in trauter Runde beisammen saß, hätten nach dem 30. Januar die Straßenseite gewechselt, um nicht mit ihm gesehen zu werden.
  Solche Diskriminierungen, Boykottwachen vor jüdischen Geschäften oder eilfertige berufliche Ausgrenzungen, setzten bereits zu einem Zeitpunkt ein, als an staatliche Repressionen noch nicht zu denken war. Später dann hatten die Machthaber mit den Willfährigen ein umso leichteres Spiel. Es regte sich kaum Widerstand gegen die Abertausend Nadelstiche, mit denen jüdische Mitbürger täglich malträtiert wurden.
  Das vorliegende siebenbändige Werk (zwei Bände Monografie, vier Bände Quellen, ein Registerband, insgesamt 4754 Seiten) widerspiegelt Deutschlands dunkelste Jahre – eine staatlich instrumentalisierte Menschenverachtung, die das Volk bereitwillig mittrug oder apathisch hinnahm. Wer wollte das leugnen.
  Eines Tages fehlte das gewohnte Schild des Hausarztes, war der Schreibtisch des Kollegen verwaist, hatte das Juweliergeschäft einen neuen Inhaber. Erst duckten sich die jüdischen Nachbarn ängstlich weg, irgendwann waren sie fort, wie vom Erdboden verschluckt. Das alles spielte sich nicht im Geheimen ab, jeder konnte sehen, was passierte. Die Hamburger Untersuchung führt penibel Buch über dieses menschliche Versagen. Herausgekommen ist Bedrückendes – eine Chronik des kollektiven Mitmachens und Wegschauens, gleichsam das wissenschaftliche Pendant zur Victor Klemperers Tagebüchern.
  Die Geschichtsprofessorin Ina Lorenz und der Rechtsprofessor Jörg Berkemann haben an dem Projekt 20 Jahre gearbeitet. In diesem Frühjahr konnten sie „Die Hamburger Juden im NS-Staat“ der Öffentlichkeit präsentieren. Ihnen ist damit ein Werk gelungen, das auf jeder seiner fast 5000 Seiten verrät, wie einem zivilisierten Volk das Gefühl für Recht und Moral abhandenkam. Hier ist – so viel kann man heute schon sagen – eine Quelle von bleibendem Wert entstanden, zumal kaum Vergleichbares existiert. Und was die Judenverfolgung betraf, war Hamburg ein repräsentativer Teil des Ganzen – eines Staates, der selbst seine Infamien im Gleichschritt beging, flächendeckend.
  Die Forschungsarbeit erschien in der Schriftenreihe des „Instituts für die Ge-schichte der deutschen Juden“. Zu dessen Gründung hat, da spannt sich der historische Bogen, ein emigrierter Hamburger beigetragen. Sein Name: Benno Offenburg. Er hatte im Juli 1933, quasi in allerletzter Minute, an der Hamburger Universität über „Das Erwachen des deutschen Nationalbewusstseins in der preußischen Judenheit“ promoviert. Der Doktorand konnte die Uni nur „über den Hintereingang betreten“, das Rigorosum wurde – auch das gab es also noch – in einer versteckten Kammer abgenommen.
  Der junge Doktor emigrierte nach Palästina und nahm dort den Namen Baruch Zwi Ophir an. Weil er die Heimatstadt nicht vergessen konnte, gründete er den „Verein ehemaliger jüdischer Hamburger in Israel“ (mit etwa 1000 Mitgliedern). „An ihn gilt es“, so Ina Lorenz, „aus guten Gründen zu erinnern“. Der Verein „schuf ihm eine Plattform“. Als Hans-Ulrich Klose 1976 Israel besuchte, weckte Ophir das Interesse des Ersten Bürgermeisters für die nahezu vergessene Geschichte der Hamburger Juden. Mit Erfolg. Von 1977 an förderte die Hansestadt entsprechende Forschungsprojekte. So gesehen, ist die vorliegende Untersuchung das nunmehr letzte Glied dieser Kette.
  Die beiden Autoren haben etwa 200 000 Blätter für ihre umfassende Dokumentation gesichtet. Berkemann sagt über die Qual der Wahl, zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen: „Wir haben uns für einen mittleren Weg entschieden, durchaus für das Besondere“, zugleich aber auch „für das Normale und insoweit Exemplarische“.
  Unter diese Kategorie fällt etwa, wie der Präses der Hamburger Justizverwaltung, der berüchtigte Curt Rothenberger, die Rechtsprechung unter seine Kontrolle brachte. Er griff nicht nur in einzelnen be-deutenden Fällen „unmittelbar lenkend ein“, sondern verhinderte auch Anklagen „gegen Angehörige der SA oder der SS“. Eine Fürsorge, die nach den Judenpogromen am 9. November 1938 nötig war. Die NS-Bürokraten hielten fest, „dass es unmöglich sei, diese Sachen in der üblichen justizförmigen Weise abzuwickeln“.
  „Diese „Sachen“ füllen ein paar Tausend Seiten. Wo anfangen, wo aufhören? Bemerkenswert ist das Besondere, etwa der kleinkarierte Briefwechsel zwischen den Dienststellen der Stadt und der NSDAP, ob eine junge Kindergärtnerin (keine Parteigenossin!) entlassen werden muss, weil sie (nicht mal „intim“!) mit einem Juden verkehrte. Sie musste.
  Bemerkenswert ist zum Beispiel auch „die erstaunliche Solidarität der Diskriminierten und Verfolgten untereinander“. Dokumentiert wird, wie sie ihr reiches jüdisches Gemeindeleben und die vielfältigen Aktivitäten der Selbsthilfe aufrechterhielten. Von den 24 000 Mitgliedern der jüdischen Gemeinde der Hansestadt wurden 9000 ermordet.
  Dieses Wissen hat die beiden Autoren belastet. Sie hätten bei ihrer Arbeit vielen Hamburger Juden „gleichsam über die Schulter geschaut“, erinnert sich Berkemann. „Was taten sie? Was dachten sie, soweit man das erahnen kann? Welche Hoffnungen hatten sie?“ Die Forscher sahen sie „Freud und Leid teilen“. Eines hat sie belastet: „Wir wussten etwas, was sie nicht wussten. Wir kannten in großer Zahl ihr Lebensende, wenn es Riga, Auschwitz, Lodz, Sobibor oder Minsk war.“
  Autor Berkemann sagt: „Nicht selten packte mich die Wut.“
Rolf Lamprecht schreibt über Rechtspolitik. Er ist seit 1968 Berichterstatter an den Obersten Gerichtshöfen in Karlsruhe.
Entstanden ist eine Chronik
des kollektiven Mitmachens
und Wegschauens
Die beiden Forscher
arbeiteten 20 Jahre
an dem Projekt
  
  
Ina Lorenz und
Jörg Berkemann:
Die Hamburger Juden im NS-Staat 1933 bis 1938/39. Wallstein-Verlag Göttingen 2016. Sieben Bände, insgesamt 4772 Seiten, 169,90 Euro.
Davongekommen: Jüdische Jugendliche aus Hamburg und Berlin erreichen 1938 Großbritannien. Auf der Flucht vor den Repressionen des NS-Staats werden sie zunächst in Ferienlagern untergebracht, bevor sie von britischen Familien aufgenommen werden. Doch den allermeisten Juden gelingt es nicht, Deutschland zu verlassen.
Foto: Scherl/SZ Photo
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»eine Quelle von bleibendem Wert« (Rolf Lamprecht, Süddeutsche Zeitung, 22.08.2016) »ein Monumentalwerk (...), das über eine Hamburgensie weit hinausgeht.« (Bernhard Stüer, Deutsches Verwaltungsblatt, 13/2016) »Hier ist - so viel kann man heute schon sagen - eine Quelle von bleibendem Wert entstanden« (Rolf Lamprecht, Süddeutsche Zeitung, 22.08.2016) »weit mehr als eine Hamburgensie« (P.M. History, November 2016) »Kein Zweifel: Damit liegt ein Standardwerk vor, das seinesgleichen sucht.« (Rainer Hering, Auskunft 36 (2016) 2) »Wer aus der Geschichte zu lernen bereit ist, dem sei die Lektüre (...) bestens empfohlen.« (Dr. Irene Strenge, Journal der Juristischen Zeitgeschichte, 2017 Heft 2) »Die abgedruckten Dokumente sind mit großer Sorgfalt ausgewählt und editiert« (Helmut Goerlich, Comparati 5, 2016) »ein Ehrfurcht gebietendes und (...) hervorragendes Werk« (Ursula Büttner, Zeitschrift für Geschichtswissenschaften, 11/2017) »nicht weniger als das Standardwerk zur Geschichte der Hamburger Juden (...) und damit zugleich ein neuer Maßstab für die Erforschung einer jüdischen Großgemeinde im 'Dritten Reich'« (Jörg Osterloh, Einsicht, November 2018)