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"Ich bin glücklich, wollte Jakob sagen, aber der Satz war wie ein Holzpüppchen, das man behutsam aufstellte und das sich doch nur einen Augenblick hielt, bevor es umkippte."- Isabelle und Jakob treffen sich am 11. September 2001 nach Jahren auf einer Party in Berlin wieder. Sie verlieben sich,heiraten und bekommen die Chance, nach London zu ziehen, wo Jakob - Schicksal? Zufall? - eine Stelle in einer Anwaltskanzlei antritt, die eigentlich für einen Kollegen vorgesehen war, der bei den Anschlägen auf das World Trade Center umgekommen ist. Isabelle arbeitet von dort aus weiter für ihre Berl...
"Ich bin glücklich, wollte Jakob sagen, aber der Satz war wie ein Holzpüppchen, das man behutsam aufstellte und das sich doch nur einen Augenblick hielt, bevor es umkippte."- Isabelle und Jakob treffen sich am 11. September 2001 nach Jahren auf einer Party in Berlin wieder. Sie verlieben sich,heiraten und bekommen die Chance, nach London zu ziehen, wo Jakob - Schicksal? Zufall? - eine Stelle in einer Anwaltskanzlei antritt, die eigentlich für einen Kollegen vorgesehen war, der bei den Anschlägen auf das World Trade Center umgekommen ist. Isabelle arbeitet von dort aus weiter für ihre Berliner Grafikagentur und genießt, in den spannungsreichen Wochen vor Ausbruch des Kriegs im Irak, ihr Londoner Leben. Die beiden haben alles, was ein junges, erfolgreiches Paar braucht - und stehen doch mit leeren Händen da. Sehnsüchtig und ratlos sehen sie zu, wie ihr Leben aus den Fugen gerät. Jakob ist fasziniert von seinem Chef, Isabelle von Jim, dem Dealer. Die untergründigen Ströme von Liebe und Gewalt werden spürbar, und das Nachbarskind Sara wird ihr Opfer. Wie das Weltgeschehen ins eigene Leben eingreift, wie sehr dabei die Unfähigkeit, Entscheidungen zu treffen oder mitzufühlen, kollidiert mit der Sehnsucht nach existentiellen Erfahrungen, das erzählt Katharina Hacker meisterlich. Sie erzählt von jenen Mittdreißigern, die alle Möglichkeiten und Handlungsfreiheiten haben, sich selbst und die Menschen in ihrer Umgebung aber nicht vor Unheil bewahren können.
Katharina Hacker, 1967 in Frankfurt am Main geboren und aufgewachsen, studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Freiburg und Jerusalem. Sie arbeitete mehrere Jahre in Israel und lebt seit 1996 als Autorin in Berlin.
Katharina Hacker wurde zur Stadtschreiberin 2005/2006 von Bergen-Enkheim gewählt.
Katharina Hacker wurde zur Stadtschreiberin 2005/2006 von Bergen-Enkheim gewählt.
Produktdetails
- Verlag: Suhrkamp
- Seitenzahl: 308
- Deutsch
- Abmessung: 28mm x 129mm x 203mm
- Gewicht: 404g
- ISBN-13: 9783518417393
- ISBN-10: 3518417398
- Artikelnr.: 20774420
Herstellerkennzeichnung
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Nichts wird gut
Unerbittlich: Katharina Hackers Roman ihrer Generation
Über die Befindlichkeit der zwischen 1965 und 1975 in der Bundesrepublik Geborenen wurde die lesende Öffentlichkeit ausführlich unterrichtet. Unpolitisch, aber stil- und markenbewußt, sollen sie zunächst gut gelaunt den von ihren Eltern erarbeiteten Wohlstand genossen haben und nur sporadisch vom Gefühl einer zähen Bewegungslosigkeit befallen worden sein. Auf die Wirtschaftskrise und die Terroranschläge seien sie unter Helmut Kohls Obhut nicht vorbereitet worden; so sei die Entspanntheit unversehens in nicht weniger als apokalyptische "Weltangst" umgeschlagen.
Die bisherigen Romane einer der begabtesten Erzählerinnen dieser Generation
Unerbittlich: Katharina Hackers Roman ihrer Generation
Über die Befindlichkeit der zwischen 1965 und 1975 in der Bundesrepublik Geborenen wurde die lesende Öffentlichkeit ausführlich unterrichtet. Unpolitisch, aber stil- und markenbewußt, sollen sie zunächst gut gelaunt den von ihren Eltern erarbeiteten Wohlstand genossen haben und nur sporadisch vom Gefühl einer zähen Bewegungslosigkeit befallen worden sein. Auf die Wirtschaftskrise und die Terroranschläge seien sie unter Helmut Kohls Obhut nicht vorbereitet worden; so sei die Entspanntheit unversehens in nicht weniger als apokalyptische "Weltangst" umgeschlagen.
Die bisherigen Romane einer der begabtesten Erzählerinnen dieser Generation
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fügten sich aber nicht in das Schema. Die 1967 geborene Katharina Hacker, derzeit Stadtschreiberin von Bergen-Enkheim, hatte sich vielmehr bitteren Geschichten aus der Vergangenheit gewidmet, um sie, nach einem Wort Paul Ricoeurs, annehmbar zu machen "trotz allem". In "Der Bademeister" (2000) ließ sie einen Ausgesonderten sprechen, den in einem nach der Wende geschlossenen Badehaus Prenzlauer Berg die deutsche Geschichte umtreibt. In "Eine Art Liebe" (2003) wurde das Schicksal eines Überlebenden der Judenverfolgung von einer deutschen Studentin in Israel erzählt. Die langsam zutage tretende Geschichte der von einem Verrat verdunkelten Freundschaft des Überlebenden zu einem Jugendfreund, der nach dem Krieg in ein Trappistenkloster geht, fünfzig Jahre später nach Berlin flieht und dort unter recht unchristlichen Umständen zu Tode kommt, wurde kunstvoll damit verknüpft.
In die Entfremdung entführt
So überrascht es, daß Katharina Hacker am Anfang ihres neuen Romans "Die Habenichtse" nun Menschen ihrer Generation, die wie unvermeidlich Golf fahren, in den schicken Läden, Ateliers, Bars und Restaurants zwischen dem Hackeschen Markt und der Kreuzberger Bergmannstraße aufsucht. Jedoch ist von vornherein bezeichnend, daß das Geschehen im "Würgeengel" seinen Anfang nimmt, der ultimativ stilisierten Bar in Berlins neuer Mitte, deren Name kokett auf Luis Buñuels Abendgesellschaft Bezug nimmt, die auf unerklärliche Weise gefangengehalten wird. Die Hauptfiguren des Romans, Isabelle und Jakob, entrinnen allerdings scheinbar dem schicken Ambiente, ihre Wahl aber ist blind, und so werden sie mit der Unausweichlichkeit des Tragischen in die Entfremdung geführt.
Die beiden haben sich nach langer Trennung am 11. September 2001 auf einer Party in Berlin wiedergetroffen und sich erneut ineinander verliebt. Für dieses Rendezvous hat Jakob, ein auf Restitutionsansprüche von aus rassischen, politischen oder religiösen Gründen Verfolgten spezialisierter junger Anwalt, einen Termin im World Trade Center verschoben und ist so im Gegensatz zu seinem Kollegen Robert dem Tod entgangen. Obendrein erhält nun statt des Umgekommenen er den begehrten Posten in einer renommierten Londoner Kanzlei. Isabelle wird ihn begleiten, denn ihre Tätigkeit in einer Graphikagentur kann sie auch von dort aus weiterführen. Vorher heiraten sie, weil es "so passend" ist. In Isabelles Augen aber nimmt Andras, ihr liebender Freund und Agenturpartner, plötzlich "eine unerbittliche Ziellosigkeit" wahr.
Das Datum des 11. September ist der Geschichte jenseits des Sensationellen eingeschrieben. Am Verhalten der schicken Clique, die sich im "Würgeengel" trifft, ändert die hilflose Aufregung darüber nichts. Es ändert sich im Gegensatz zu George Bushs Prophezeiung überhaupt nicht viel, jener Tag markiert lediglich "die Scheidelinie zwischen einem phantasierten, unbeschwerten Vorher und dem ängstlichen, aggressiven Gejammer, das sich immer weiter ausbreitete". Dieses Gejammer gilt dem Verlust einer Wirklichkeit, auf die man glaubte Anspruch zu haben. Jakob, der "die Ablagerungen der Geschichte" als "alte Ungerechtigkeit" täglich auf dem Schreibtisch hat, erkennt das, und doch gibt er sich der Illusion hin, für ihn und Isabelle würde sich in London alles ändern. Wie ein tragischer Held wählt er genau das Verhängnis, dem er entgehen will. Statt für die Wohnung in Primrose Hill, wo man posh, also angemessen schick wohnt, entscheidet er sich für ein Haus in Kentish Town, nicht gerade die beste Adresse für einen Anwalt und seine unbekümmert ihre Reize zur Schau stellende junge Frau.
In der Lady Margaret Road mit den viktorianischen Fassaden hat die Erzählerin den Schauplatz vorbereitet, auf dem sich die Katastrophe der Teilnahmslosigkeit abspielen wird. Denn sie ist schon dagewesen, bevor ihr schönes Pärchen dort einzieht. Mit den Augen Saras, eines geprügelten, bettnässenden Kindes, hat sie in das verwahrloste Wohnzimmer einer Proletarierfamilie geblickt und Jim, einen ebenfalls dort wohnenden jungen Stricher und Drogendealer, auf seinen Streifzügen durch das Milieu begleitet. Das alles wird mit einer schmerzhaften Detailliertheit in der Beschreibung des Sichtbaren geschildert, die den Blick auf eine Fensterscheibe zu einem Schauspiel der Beängstigung werden lassen kann. "Die Regentropfen waren zu langen Streifen zusammengelaufen, die Streifen angeschwollen, sie hatten Ausbuchtungen, dicke Knoten gebildet, die platzten und auseinanderrannen, in dünnen, hastigen Fäden, deren Spitzen giftig aussahen, doch das täuschte, denn meist wurden sie von einem breiteren, viel langsameren Rinnsal geschluckt, unfähig, sich in Sicherheit zu bringen."
Die Topographie Berlins wie Londons, Regent's Park in der Mitte des Geschehens, wird so präzise geschildert, daß der Leser die Wege der Protagonisten gehen könnte, sofern sie sich nicht verlaufen haben. Derart läßt Katharina Hacker keinen Zweifel, daß es die von einem Trauma aus der Zukunft überschattete zeitgenössische Wirklichkeit ist, die hier zunehmend unheimlich dargestellt wird.
Unbarmherzig entfaltet die Erzählerin die Handlung als ein Drama gegenseitiger Blicke. Wie zwangsläufig werden alle Hauptfiguren zu Voyeuren, die in ein grausames Spiel von Ähnlichkeiten und Übertragungen, Anziehungen und Abstoßungen gezogen werden, für dessen Sinn sie sehenden Auges blind bleiben. Isabelle beobachtet das Kind, und es blickt beängstigend starr zurück wie das bucklicht Männlein. Sie hört die Geräusche der Gewalt aus dem Nebenhaus, aber sie bleibt "unbehelligt" und unschlüssig. Einen untauglichen Versuch der Teilnahme bricht sie angewidert ab: "wie idiotisch, sich einzumischen". Eine ermordete Katze hätte sie metaphorisch an den Zusammenhang alles Lebendigen erinnern können, Sara wird von ihrem Bruder "little cat" genannt, aber sie erkennt auch dieses drastische Zeichen nicht. Derweil wächst ihre Enttäuschung, daß nichts Aufregendes passieren will. Sie streunt in immer grauer werdenden Turnschuhen durch Londons Straßen, sieht und wird gesehen oder zieht sich auf ihre Arbeit zurück und verläßt das Haus nicht. Jakob kommt spät aus der Kanzlei; im Bett liegend, ohne zu schlafen, hofft er, Isabelle möge noch nicht kommen. Schleichend entfremden sie sich einander und wissen nicht, warum.
Jakob ist fasziniert von Bentham, dem Inhaber der Kanzlei, einem emigrierten deutschen Juden, der einmal Bensheim hieß. Im Gespräch mit ihm dämmert ihm etwas von "der Traurigkeit und dem Entsetzen, daß es keinen Ort gibt, der unberührt geblieben ist von der Wahrheit, der Kälte" und von den Kausalitäten einer Geschichte, die nicht Schicksal war, sondern "Politik, Handlung, Wille". Rückerstattung ist, so muß er erkennen, eine Farce, nichts ist wiedergutzumachen. Der Jurist möchte sich rückwirkend als "Historiker einer als gerecht gedachten Geschichte" verstehen, aber die Geschichte läßt sich nicht zusammenfügen über die geraubte Erinnerung hinweg.
Spatzen der Freiheit
An Bentham bewundert Jakob ein Hinnehmen der Vergangenheit trotz allem, eine Haltung, die aus der Zwiesprache mit den Toten den Mut gewinnt, sich der Wirklichkeit zu stellen und etwas Neues zu beginnen, auch wenn nichts geheilt werden kann. Bentham liebt Spatzen, weil das hebräische Wort dafür zugleich Freiheit bedeutet. Auf seinen vorabendlichen Spaziergängen im Park sieht er aber immer weniger davon. Selbst in seiner Eigenschaft als alternder Homosexueller weiß er sich mit den Gegebenheiten selbstbewußt zu arrangieren, sein Leben gegen alte und neue Zumutungen zu verteidigen. Für Menschen seiner eigenen Generation dagegen muß Jakob erkennen, daß sie weder wirklich geben noch nehmen können, daß die Anteilnahme am Leben und Leiden anderer vielleicht echt ist, die Teilnahme aber verhindert oder vorgetäuscht. Nur scheinbar paradox stehen in dem Roman gerade die, welche wirklich Verluste zu beklagen haben, nicht mit leeren Händen da. Sie wissen, was sie besitzen, weil sie verloren haben.
Auch Isabelle fühlt sich vom anderen angezogen. Ihr verquer erotisches Interesse an Jim erscheint als fatale Sehnsucht nach der Härte des wirklichen Lebens. Der underdog aber zerbricht in seiner Wut auf eine heillos feindliche Welt das falsche Spiel der Ähnlichkeiten. Isabelle ähnelt seiner verschwundenen Liebe Mae, die sich nach der Ordnung eines bürgerlichen Lebens sehnte. "Sie glaubte ihm nicht, daß er sie liebte, daß alles gut werden würde." Nur von einem Foto, auf dem man eine häßliche Narbe erkennt, weiß er, daß ihre Flucht sie unter brutalere Gewalt geraten ließ. Isabelles unberührt scheinendes Gesicht reizt ihn zu einer grausamen Therapie der Konfrontation mit dem Leiden anderer.
Als sich die Gedemütigte endlich zu einem eigentlich selbstverständlichen Akt der Mitmenschlichkeit aufrafft, scheint es zu spät zu sein. "Es wird anders jetzt", sagt Jakob hilflos, während er ihr Gesicht betrachtet, das ihm fremd und traurig erscheint. Die Lady Margaret Road aber liegt verlassen da, als wären die Anwohner "einer Warnung gefolgt, die Straße zu räumen, nur er und Isabelle hatten nichts begriffen".
Katharina Hackers Bild zweier Menschen, denen es an nichts fehlt und die doch weder zur Gemeinschaft noch zur Selbstsorge fähig sind, beeindruckt um so mehr, als sich die Erzählerin scheinbar kaltsinnig jedes moralisierenden Kommentars enthält. In souveräner Beherrschung der Technik eines multiperspektivischen realistischen Erzählens exponiert sie eine zeitgenössische Wirklichkeit, die als erscheinende nur sinnhaft erfahren werden kann, wenn sie mit dem ihr eingeschriebenen Gedächtnis des Leidens angenommen und als Mitsein gestaltet wird. So erweist gerade der deprimierende Verlauf der Liebesgeschichte die Möglichkeit der Liebe.
Schon in Katharina Hackers letztem Roman konnte der Leser die bewegende Kraft ihrer kühlen und eleganten Sprachführung bewundern. In "Die Habenichtse" hat die Autorin ihre außerordentlichen erzählerischen Fähigkeiten noch einmal erweitert und die Höhe der besten europäischen Tradition einer sozial engagierten und geschichtsbewußten Romankunst erreicht.
Katharina Hacker: "Die Habenichtse". Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006. 313 S., geb., 17,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In die Entfremdung entführt
So überrascht es, daß Katharina Hacker am Anfang ihres neuen Romans "Die Habenichtse" nun Menschen ihrer Generation, die wie unvermeidlich Golf fahren, in den schicken Läden, Ateliers, Bars und Restaurants zwischen dem Hackeschen Markt und der Kreuzberger Bergmannstraße aufsucht. Jedoch ist von vornherein bezeichnend, daß das Geschehen im "Würgeengel" seinen Anfang nimmt, der ultimativ stilisierten Bar in Berlins neuer Mitte, deren Name kokett auf Luis Buñuels Abendgesellschaft Bezug nimmt, die auf unerklärliche Weise gefangengehalten wird. Die Hauptfiguren des Romans, Isabelle und Jakob, entrinnen allerdings scheinbar dem schicken Ambiente, ihre Wahl aber ist blind, und so werden sie mit der Unausweichlichkeit des Tragischen in die Entfremdung geführt.
Die beiden haben sich nach langer Trennung am 11. September 2001 auf einer Party in Berlin wiedergetroffen und sich erneut ineinander verliebt. Für dieses Rendezvous hat Jakob, ein auf Restitutionsansprüche von aus rassischen, politischen oder religiösen Gründen Verfolgten spezialisierter junger Anwalt, einen Termin im World Trade Center verschoben und ist so im Gegensatz zu seinem Kollegen Robert dem Tod entgangen. Obendrein erhält nun statt des Umgekommenen er den begehrten Posten in einer renommierten Londoner Kanzlei. Isabelle wird ihn begleiten, denn ihre Tätigkeit in einer Graphikagentur kann sie auch von dort aus weiterführen. Vorher heiraten sie, weil es "so passend" ist. In Isabelles Augen aber nimmt Andras, ihr liebender Freund und Agenturpartner, plötzlich "eine unerbittliche Ziellosigkeit" wahr.
Das Datum des 11. September ist der Geschichte jenseits des Sensationellen eingeschrieben. Am Verhalten der schicken Clique, die sich im "Würgeengel" trifft, ändert die hilflose Aufregung darüber nichts. Es ändert sich im Gegensatz zu George Bushs Prophezeiung überhaupt nicht viel, jener Tag markiert lediglich "die Scheidelinie zwischen einem phantasierten, unbeschwerten Vorher und dem ängstlichen, aggressiven Gejammer, das sich immer weiter ausbreitete". Dieses Gejammer gilt dem Verlust einer Wirklichkeit, auf die man glaubte Anspruch zu haben. Jakob, der "die Ablagerungen der Geschichte" als "alte Ungerechtigkeit" täglich auf dem Schreibtisch hat, erkennt das, und doch gibt er sich der Illusion hin, für ihn und Isabelle würde sich in London alles ändern. Wie ein tragischer Held wählt er genau das Verhängnis, dem er entgehen will. Statt für die Wohnung in Primrose Hill, wo man posh, also angemessen schick wohnt, entscheidet er sich für ein Haus in Kentish Town, nicht gerade die beste Adresse für einen Anwalt und seine unbekümmert ihre Reize zur Schau stellende junge Frau.
In der Lady Margaret Road mit den viktorianischen Fassaden hat die Erzählerin den Schauplatz vorbereitet, auf dem sich die Katastrophe der Teilnahmslosigkeit abspielen wird. Denn sie ist schon dagewesen, bevor ihr schönes Pärchen dort einzieht. Mit den Augen Saras, eines geprügelten, bettnässenden Kindes, hat sie in das verwahrloste Wohnzimmer einer Proletarierfamilie geblickt und Jim, einen ebenfalls dort wohnenden jungen Stricher und Drogendealer, auf seinen Streifzügen durch das Milieu begleitet. Das alles wird mit einer schmerzhaften Detailliertheit in der Beschreibung des Sichtbaren geschildert, die den Blick auf eine Fensterscheibe zu einem Schauspiel der Beängstigung werden lassen kann. "Die Regentropfen waren zu langen Streifen zusammengelaufen, die Streifen angeschwollen, sie hatten Ausbuchtungen, dicke Knoten gebildet, die platzten und auseinanderrannen, in dünnen, hastigen Fäden, deren Spitzen giftig aussahen, doch das täuschte, denn meist wurden sie von einem breiteren, viel langsameren Rinnsal geschluckt, unfähig, sich in Sicherheit zu bringen."
Die Topographie Berlins wie Londons, Regent's Park in der Mitte des Geschehens, wird so präzise geschildert, daß der Leser die Wege der Protagonisten gehen könnte, sofern sie sich nicht verlaufen haben. Derart läßt Katharina Hacker keinen Zweifel, daß es die von einem Trauma aus der Zukunft überschattete zeitgenössische Wirklichkeit ist, die hier zunehmend unheimlich dargestellt wird.
Unbarmherzig entfaltet die Erzählerin die Handlung als ein Drama gegenseitiger Blicke. Wie zwangsläufig werden alle Hauptfiguren zu Voyeuren, die in ein grausames Spiel von Ähnlichkeiten und Übertragungen, Anziehungen und Abstoßungen gezogen werden, für dessen Sinn sie sehenden Auges blind bleiben. Isabelle beobachtet das Kind, und es blickt beängstigend starr zurück wie das bucklicht Männlein. Sie hört die Geräusche der Gewalt aus dem Nebenhaus, aber sie bleibt "unbehelligt" und unschlüssig. Einen untauglichen Versuch der Teilnahme bricht sie angewidert ab: "wie idiotisch, sich einzumischen". Eine ermordete Katze hätte sie metaphorisch an den Zusammenhang alles Lebendigen erinnern können, Sara wird von ihrem Bruder "little cat" genannt, aber sie erkennt auch dieses drastische Zeichen nicht. Derweil wächst ihre Enttäuschung, daß nichts Aufregendes passieren will. Sie streunt in immer grauer werdenden Turnschuhen durch Londons Straßen, sieht und wird gesehen oder zieht sich auf ihre Arbeit zurück und verläßt das Haus nicht. Jakob kommt spät aus der Kanzlei; im Bett liegend, ohne zu schlafen, hofft er, Isabelle möge noch nicht kommen. Schleichend entfremden sie sich einander und wissen nicht, warum.
Jakob ist fasziniert von Bentham, dem Inhaber der Kanzlei, einem emigrierten deutschen Juden, der einmal Bensheim hieß. Im Gespräch mit ihm dämmert ihm etwas von "der Traurigkeit und dem Entsetzen, daß es keinen Ort gibt, der unberührt geblieben ist von der Wahrheit, der Kälte" und von den Kausalitäten einer Geschichte, die nicht Schicksal war, sondern "Politik, Handlung, Wille". Rückerstattung ist, so muß er erkennen, eine Farce, nichts ist wiedergutzumachen. Der Jurist möchte sich rückwirkend als "Historiker einer als gerecht gedachten Geschichte" verstehen, aber die Geschichte läßt sich nicht zusammenfügen über die geraubte Erinnerung hinweg.
Spatzen der Freiheit
An Bentham bewundert Jakob ein Hinnehmen der Vergangenheit trotz allem, eine Haltung, die aus der Zwiesprache mit den Toten den Mut gewinnt, sich der Wirklichkeit zu stellen und etwas Neues zu beginnen, auch wenn nichts geheilt werden kann. Bentham liebt Spatzen, weil das hebräische Wort dafür zugleich Freiheit bedeutet. Auf seinen vorabendlichen Spaziergängen im Park sieht er aber immer weniger davon. Selbst in seiner Eigenschaft als alternder Homosexueller weiß er sich mit den Gegebenheiten selbstbewußt zu arrangieren, sein Leben gegen alte und neue Zumutungen zu verteidigen. Für Menschen seiner eigenen Generation dagegen muß Jakob erkennen, daß sie weder wirklich geben noch nehmen können, daß die Anteilnahme am Leben und Leiden anderer vielleicht echt ist, die Teilnahme aber verhindert oder vorgetäuscht. Nur scheinbar paradox stehen in dem Roman gerade die, welche wirklich Verluste zu beklagen haben, nicht mit leeren Händen da. Sie wissen, was sie besitzen, weil sie verloren haben.
Auch Isabelle fühlt sich vom anderen angezogen. Ihr verquer erotisches Interesse an Jim erscheint als fatale Sehnsucht nach der Härte des wirklichen Lebens. Der underdog aber zerbricht in seiner Wut auf eine heillos feindliche Welt das falsche Spiel der Ähnlichkeiten. Isabelle ähnelt seiner verschwundenen Liebe Mae, die sich nach der Ordnung eines bürgerlichen Lebens sehnte. "Sie glaubte ihm nicht, daß er sie liebte, daß alles gut werden würde." Nur von einem Foto, auf dem man eine häßliche Narbe erkennt, weiß er, daß ihre Flucht sie unter brutalere Gewalt geraten ließ. Isabelles unberührt scheinendes Gesicht reizt ihn zu einer grausamen Therapie der Konfrontation mit dem Leiden anderer.
Als sich die Gedemütigte endlich zu einem eigentlich selbstverständlichen Akt der Mitmenschlichkeit aufrafft, scheint es zu spät zu sein. "Es wird anders jetzt", sagt Jakob hilflos, während er ihr Gesicht betrachtet, das ihm fremd und traurig erscheint. Die Lady Margaret Road aber liegt verlassen da, als wären die Anwohner "einer Warnung gefolgt, die Straße zu räumen, nur er und Isabelle hatten nichts begriffen".
Katharina Hackers Bild zweier Menschen, denen es an nichts fehlt und die doch weder zur Gemeinschaft noch zur Selbstsorge fähig sind, beeindruckt um so mehr, als sich die Erzählerin scheinbar kaltsinnig jedes moralisierenden Kommentars enthält. In souveräner Beherrschung der Technik eines multiperspektivischen realistischen Erzählens exponiert sie eine zeitgenössische Wirklichkeit, die als erscheinende nur sinnhaft erfahren werden kann, wenn sie mit dem ihr eingeschriebenen Gedächtnis des Leidens angenommen und als Mitsein gestaltet wird. So erweist gerade der deprimierende Verlauf der Liebesgeschichte die Möglichkeit der Liebe.
Schon in Katharina Hackers letztem Roman konnte der Leser die bewegende Kraft ihrer kühlen und eleganten Sprachführung bewundern. In "Die Habenichtse" hat die Autorin ihre außerordentlichen erzählerischen Fähigkeiten noch einmal erweitert und die Höhe der besten europäischen Tradition einer sozial engagierten und geschichtsbewußten Romankunst erreicht.
Katharina Hacker: "Die Habenichtse". Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006. 313 S., geb., 17,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Für Rezensent Friedmar Apel hat sich Katharina Hacker mit ihrem neuem Roman nicht nur erneut als begabteste Autorin ihrer Generation gezeigt, sondern die Höhe der besten europäischen Tradition einer sozial engagierten und geschichtsbewussten Romankunst erreicht. Sie porträtiere ein junges, karriereorientiertes Paar, das sich nach langer Trennung auf einer Party in Berlin wiederbegegnet, heiratet und nach London zieht, wo der junge Ehemann einen begehrten Posten in einer Anwaltskanzlei bekommt und seine Frau eine Grafikagentur führen würde. Apel ist beeindruckt, wie "scheinbar kaltsinnig" Hacker mit ihren Protagonisten Jakob und Isabelle zwei Menschen beschreibt, die alles haben und trotzdem "weder zur Gemeinschaft noch zur Selbstsorge fähig sind". Das Buch überzeugt ihn auch mit seinen Randfiguren, einem jungen Stricher und Drogendealer, mit dem Isabelle eine Affäre hat und Jakobs Chef Bentham, einen emigrierten deutschen Juden. Mit ihrer "eleganten Sprache" und multiperspektivischen Erzähltechnik exponiere Katharina Hacker eine zeitgenössische Wirklichkeit, die dem Kritiker immer unheimlicher wird.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Furchtbar schlecht, konstruiert und unausgegoren. Der Verdacht liegt nahe, dass die Autorin zu stark ihre eigene Lebenswirklichkeit einbaut. Wo bleibt die ironische Distanz? Ein mokierender oder vernichtender Ton hätte dem Roman gut getan. Dadurch, dass Hacker die Hauptfiguren jedoch kaum …
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Furchtbar schlecht, konstruiert und unausgegoren. Der Verdacht liegt nahe, dass die Autorin zu stark ihre eigene Lebenswirklichkeit einbaut. Wo bleibt die ironische Distanz? Ein mokierender oder vernichtender Ton hätte dem Roman gut getan. Dadurch, dass Hacker die Hauptfiguren jedoch kaum zeichnet, dadurch, dass sie unglaublich blass bleiben und weit hinter manch einer Nebenfigur stehen, können sie auch nicht für sich sprechen. Sie reflektieren nicht und werden nicht reflektiert. Eine sehr enttäuschende Leistung, der aus undurchsichtigen Gründen vom Feuilleton gelobten Katharina Hacker.
Wenn das die Hoffnung der neuen deutschen Literatur sein soll, dann steht es wirklich sehr schlecht um sie!!!
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So ein schlechtes Buch habe ich selten gelesen. Ich habe mich bis zur Hälfte des Buches durchgequält, dann aber enttäuscht aufgehört. Es hat keinen Spaß gemacht zu lesen weil einfach die wörtliche Rede fehlt. Schade, und das für den Preis, echt ärgerlich.
Antworten 8 von 11 finden diese Rezension hilfreich
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Ich habe die ersten 4 Kapitel gelesen und war sehr enttäuscht.
Die lakonische Sprache erinnerte mich an die Lesungen bei den Klagenfurter Literaturtagen. Es geht bei diesem Roman aber doch nicht um den Ingeborg-Bachmann-Preis, sondern ein breites Publikum möchte einen solchen Roman …
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Ich habe die ersten 4 Kapitel gelesen und war sehr enttäuscht.
Die lakonische Sprache erinnerte mich an die Lesungen bei den Klagenfurter Literaturtagen. Es geht bei diesem Roman aber doch nicht um den Ingeborg-Bachmann-Preis, sondern ein breites Publikum möchte einen solchen Roman genießen.
Die Vielzahl der Personen, die in den ersten Kapiteln alle nur mit Vornamen eingeführt werden, hat mich auch irritiert.
Ich glaube nicht, dass dieses Buch, das mit einem so hoffnungsvollen Preis ausgezeichnet wurde, großen Erfolg im In- und Ausland haben wird.
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Schade um die Zeit, die man mit Lesen dieses Buches verbringt. Es gibt soviele lesenswerte Bücher - "Die Habenichtse" gehören sicher nicht dazu, "Deutscher Buchpreis" hin oder her. Inhaltlich öd und leer, sprachlich wenig beeindruckend. Ohne Witz und Charme, ohne …
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Schade um die Zeit, die man mit Lesen dieses Buches verbringt. Es gibt soviele lesenswerte Bücher - "Die Habenichtse" gehören sicher nicht dazu, "Deutscher Buchpreis" hin oder her. Inhaltlich öd und leer, sprachlich wenig beeindruckend. Ohne Witz und Charme, ohne Tiefgang. Wie berauschend und mitreißend sind dagegen zeitgenössische amerikanische Autoren wie Jonathan Franzen oder Marisha Pessl - davon ist die gegenwärtige deutsche Literatur leider Welten entfernt. Schade.
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Antworten 5 von 9 finden diese Rezension hilfreich
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Ein wunderbarer Roman, der mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt hat. Die Autorin hat den Deutschen Bücherpreis 2006 wahrlich verdient.
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Ein Buch über unsere Zeit, unser Leben, das spannend ist und anrührend. "Wörtliche Rede" oder "ironische Distanz" braucht es und hat es zum Glück nicht. Wer etwas leicht zu konsumierendes sucht, ein Nebenbeibuch, für den ist es sicher nichts. Wer junge, …
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Ein Buch über unsere Zeit, unser Leben, das spannend ist und anrührend. "Wörtliche Rede" oder "ironische Distanz" braucht es und hat es zum Glück nicht. Wer etwas leicht zu konsumierendes sucht, ein Nebenbeibuch, für den ist es sicher nichts. Wer junge, deutsche Literatur lesen will, die vom Hier und Heute berichtet, sollte es probieren.
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Broschiertes Buch
Kein Wohlfühlroman
Mit dem Roman «Die Habenichtse» von 2006 hat Katharina Hacker eine ungewöhnlich konträre Rezeption ausgelöst, den fast durchweg positiven Buch-Besprechungen des Feuilletons stehen überwiegend negative, fast wütende Bewertungen der …
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Kein Wohlfühlroman
Mit dem Roman «Die Habenichtse» von 2006 hat Katharina Hacker eine ungewöhnlich konträre Rezeption ausgelöst, den fast durchweg positiven Buch-Besprechungen des Feuilletons stehen überwiegend negative, fast wütende Bewertungen der Leserschaft gegenüber. Nicht zuletzt hat dieser Roman ja den Frankfurter Buchpreis gewonnen, und die Jury hatte damals dazu ausgeführt: «In einer flirrenden, atmosphärisch dichten Sprache führt Katharina Hacker ihre Helden durch Geschichtsräume und in Problemfelder der unmittelbarsten Gegenwart, ihre Fragen sind unsere Fragen: Wie willst du leben? Was sind deine Werte? Wie sollst und wie kannst du handeln? Die Qualität des Romans besteht darin, diese Fragen in Geschichten aufzulösen, die sich mit den plakativen Antworten von Politik und Medien nicht zufriedengeben». Wer hat denn nun recht, die Profis oder die Laien?
Die in 39 Kapiteln mit wechselnden Handlungssträngen erzählte Geschichte vom Haben und Sein bildet soziologisch drei Gesellschaftsschichten ab, das verwahrloste Prekariat, die kleinkriminelle Unterwelt und den gutsituierten Mittelstand. Handlungsorte sind London und Berlin, der Zeitrahmen wird durch die Zäsur von 9/11 und den Beginn des Irakkrieges geprägt. Recht plakativ steht gleich zu Beginn des Plots der Angriff auf das World Trade Center, der 33jährige Berliner Jurist Jakob hätte just an diesem Tag einen Termin mit einem Kunden dort gehabt. Den hat aber auf seinen Wunsch ein Kollege kurzfristig für ihn wahrgenommen, der dann bei dem Anschlag umgekommen ist. Jakob wollte unbedingt eine gleichzeitig in Berlin stattfindende Party besuchen, auf der er seine frühere Freundin und große Liebe Isabelle wieder zu treffen hoffte. Er findet tatsächlich erneut mit ihr zusammen, sie heiraten bald darauf, der verhängnisvollen politischen Zäsur zeitgleich ist dies also ein ebensolcher Einschnitt in sein bisheriges Privatleben. Der in New York umgekommene Kollege war für einen Wechsel in eine Londoner Kanzlei vorgesehen, die sich auf komplizierte Restitutionsbegehren spezialisiert hat, die in die DDR und bis in die Nazizeit zurückgreifen. Nun bekommt Jakob den Posten und zieht mit seiner Frau nach London, Isabelle kann als Mitinhaberin einer Grafikagentur problemlos auch per Heim-Office kreativ in ihrer Firma mitarbeiten. Die neuen Nachbarn sind eine Proletarier-Familie mit zwei Kindern, der Vater ein brutaler Säufer, es geht oft laut zu nebenan. In der Nachbarschaft gibt es aber auch den Dealer und Kleinkriminellen Jim, der von einem Ausbruch aus seinem Milieu träumt, wenn er seine verschwundene Freundin Mae wiedergefunden hat.
Über die verschiedenen Figurengruppen wird in diversen Rückblicken aus Sicht der Handelnden berichtet, wobei die Vielzahl der Figuren die Leser vor ziemliche Probleme stellt. Einerseits, weil sie ohne Einführung quasi hineingeschubst werden in die Handlung, andererseits aber auch, weil sie kaum Empathie zu erzeugen vermögen, man weiß fast nichts von ihnen. Nach etwa einem Drittel des Romans beginnen die Handlungsstränge allmählich aufeinander zuzulaufen, es kommt zu ersten Begegnungen und auch Konfrontationen, man begreift allmählich, worauf das hinaus soll.
Der Reiz dieses raffiniert konstruierten, zeitkritischen Romans liegt in der Konfrontation dieser verschiedenen Lebensformen in stimmigen Szenen, mit dem verblüffenden Ergebnis, dass auch das junge Paar zu den «Habenichtsen» gehört, - nicht materiell, sondern seelisch. Denn sie sind menschlich verarmt, ihr Leben ist völlig aus den Fugen geraten, sie haben sich allzu schnell auseinandergelebt und scheitern an ihrer Gedankenlosigkeit. Jakob ist von seinem charismatischen, homosexuellen Chef fasziniert, Isabelle fühlt sich zu dem verwahrlosten Junkie hingezogen, wird von ihm aber verachtet und gedemütigt. Minutiös und hoch verdichtet wird hier lakonisch über Desillusionierung berichtet, kein Wohlfühlroman also, eher ein ambitioniertes Sprachkunstwerk, wie man es selten zu lesen bekommt.
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