Wytske Versteeg
Gebundenes Buch
Die goldene Stunde
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Mari, Ahmad und Tarik wissen nicht weiter. Alle drei sind auf der Suche nach Trost und Errettung und finden sie nicht. Ahmad ist vor dem Krieg in seiner Heimat geflohen, stieß in den Niederlanden jedoch auf neue Hindernisse. Mari wollte ihn beschützen und lieben, aber es gelang ihr nicht. Und der ehemalige Soldat Tarik hat sich in ein abgelegenes Grenzgebiet zurückgezogen, doch sein Gewissen nagt an ihm. Dort trifft er nun auf Mari, die mittlerweile ihr Zuhause hinter sich gelassen hat, nachdem ihr idealistisches Projekt katastrophal gescheitert ist.Die drei Leben sind auf fatale Weise mite...
Mari, Ahmad und Tarik wissen nicht weiter. Alle drei sind auf der Suche nach Trost und Errettung und finden sie nicht. Ahmad ist vor dem Krieg in seiner Heimat geflohen, stieß in den Niederlanden jedoch auf neue Hindernisse. Mari wollte ihn beschützen und lieben, aber es gelang ihr nicht. Und der ehemalige Soldat Tarik hat sich in ein abgelegenes Grenzgebiet zurückgezogen, doch sein Gewissen nagt an ihm. Dort trifft er nun auf Mari, die mittlerweile ihr Zuhause hinter sich gelassen hat, nachdem ihr idealistisches Projekt katastrophal gescheitert ist.Die drei Leben sind auf fatale Weise miteinander verflochten, die Geschichte droht sich zu wiederholen - und dennoch gibt es Hoffnung. Wytske Versteeg verfügt über eine besondere Menschenkenntnis, große Empathie und Scharfsinn. So schafft sie es, in äußerst prägnanten Bildern und Dialogen die Konflikte unserer Zeit in einen reichen, vieldeutigen Roman zu verwandeln. Ein lange nachhallendes Leseerlebnis.
Wytske Versteeg, geboren 1983, Politikwissenschaftlerin, Essayistin und Romanautorin, schrieb ihr Debüt 2012. Ihr zweiter Roman 'Boy', in mehrere Sprachen übersetzt, erschien auf Deutsch bei Wagenbach. Für ihre Werke erhielt Versteeg zahlreiche Literaturpreise. Sie lebt in Delft.
Produktdetails
- Quartbuch - Literatur
- Verlag: Wagenbach
- Artikelnr. des Verlages: 3364
- Seitenzahl: 256
- Erscheinungstermin: 1. Februar 2024
- Deutsch
- Abmessung: 216mm x 137mm x 26mm
- Gewicht: 406g
- ISBN-13: 9783803133649
- ISBN-10: 3803133645
- Artikelnr.: 69149194
Herstellerkennzeichnung
Wagenbach Klaus GmbH
Emser Strasse 40/41
10719 Berlin
»Versteeg wusste von Beginn an, wovon sie erzählen wollte und vor allem wie. In ihrem klug komponierten und psychologisch genau gearbeiteten Roman stellt sie die Frage, ob ein Land wie die Niederlande offen für Menschen ist, die anders sind.« Holger Heimann, Deutschlandfunk, über »Boy«
Eigentum am Lebenslauf
Wytske Versteeg erzählt in "Die goldene Stunde" von drei Menschen auf der Flucht
Auf dem Umschlag des Romans "Die goldene Stunde" ist eine Frau im Profil gezeichnet. Der Kopf neigt sich leicht nach vorn, die Augen sind fast geschlossen. Sie wirkt nachdenklich, sieht erschöpft aus. Dieses melancholische Porträt stellt die Protagonistin Mari dar, eine kinderlose Niederländerin, die zwischen vierzig und fünfzig Jahre alt ist. Die Aufnahme deutet die Spuren im Leben der Frau an, die Erfahrungen, mit denen sie innerlich zu kämpfen hat. Sie hat Archäologie studiert, konnte aber kaum Arbeit finden in diesem Bereich. Schließlich hat sie sich für eine Tätigkeit im sozialen Feld entschieden, bei der
Wytske Versteeg erzählt in "Die goldene Stunde" von drei Menschen auf der Flucht
Auf dem Umschlag des Romans "Die goldene Stunde" ist eine Frau im Profil gezeichnet. Der Kopf neigt sich leicht nach vorn, die Augen sind fast geschlossen. Sie wirkt nachdenklich, sieht erschöpft aus. Dieses melancholische Porträt stellt die Protagonistin Mari dar, eine kinderlose Niederländerin, die zwischen vierzig und fünfzig Jahre alt ist. Die Aufnahme deutet die Spuren im Leben der Frau an, die Erfahrungen, mit denen sie innerlich zu kämpfen hat. Sie hat Archäologie studiert, konnte aber kaum Arbeit finden in diesem Bereich. Schließlich hat sie sich für eine Tätigkeit im sozialen Feld entschieden, bei der
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sie sich für das Schicksal anderer Menschen verausgabt.
Nachdem sie mehrere Monate nicht arbeiten konnte, ist sie mit einem Projekt in einer Kleingartenkolonie beauftragt worden. Hier sind es vor allem Flüchtlinge, die sie betreut. Sie verliebt sich in den jungen Emigranten Ahmad, der vor dem Krieg geflohen ist. Aus welchem Land er stammt, bleibt offen. Wahrscheinlich liegt es im Nahen Osten. Ähnlichkeiten mit Syrien sind vorhanden. Die Autorin erfindet Namen für Städte, die Sarakina und Daresh heißen, auch die Ortsangabe Holland oder Niederlande vermeidet sie.
Durch einen Unfall brennt die Kleingartenkolonie ab, Ahmad verschwindet, schickt Mari aber seine lederne Aktentasche mit Aufzeichnungen. Mari fliegt in sein Land, um im Grenzgebiet archäologisch zu arbeiten. Das Projekt verfolgt einen touristischen Zweck. Dort trifft sie auf Tarik, der ortskundig ist, sie bei ihrem Vorhaben begleitet und ihr die Aufzeichnungen von Ahmad vorliest. "Die goldene Stunde" erzählt die Lebensgeschichten von drei Menschen, mit deren Namen jeweils die unterschiedlichen Kapitel beginnen. Die Schilderungen von Ahmad und Mari werden in der ersten, die von Tarik in der dritten Person dargestellt. Der Titel des Buches bezieht sich auf den Zeitpunkt am späten Nachmittag, wenn der Tag in den Abend übergeht.
"Du lachtest oft, wenn du nicht wusstest, was du sagen solltest: um die Leute auf Distanz zu halten. Damals wusste ich das noch nicht, und so stellte ich dir jede Menge dumme Fragen, woher du kamst, wie lange du schon hier warst. Erst viel später solltest du mir erzählen, wie sehr du es hasst, dass sich jeder einbildet, ein Recht auf deine Geschichte zu haben, auf das, was du alles durchgemacht hast. Einige fragten ungeniert, wie viele Tote du gesehen und ob du selbst gekämpft hast." So schreibt die weibliche Figur über ihre Beziehung zu dem jungen Emigranten. Die Schwäche des Buchs liegt im Vorwurf an die westliche Gesellschaft, auf die Situation der Geflüchteten nicht angemessen zu reagieren. Auch in Ahmads Aufzeichnungen tauchen kritische Worte auf über die Einheimischen während seiner Zeit im Exil. Die Frage nach den Erfahrungen der Geflüchteten ist aber vielleicht weniger eine Form der Aneignung von Lebensgeschichte als vielmehr der Versuch, über das Interesse an der Herkunft eine emotionale Nähe herzustellen.
In der Erzählung von Tarik, die im Heimatland von Ahmad spielt, taucht das Thema der Migration abermals auf. In der Grenzregion, in der er lebt, sind Flüchtlinge ungern gesehen und werden von den Einheimischen vertrieben. Tarik ist als Jugendlicher zur Armee gegangen; er diente im "Lager 33", wo auch Unschuldige inhaftiert und gefoltert wurden. Er ist an die Grenze gezogen, um seine Vergangenheit hinter sich zu lassen. Die Beziehung zu Karima, einer Frau, die ihm durch ihren offenen Lebenswandel imponiert, zerbricht. Seine sexuellen Probleme werden am Schluss des Buches gemildert, denn er schläft mit Mari kurz vor ihrer Abreise. Schließlich kehrt er in die Grenzregion zurück, hilft Migranten bei der Flucht und erlebt dabei selbst die Gewalt der Einheimischen.
Gelungen wirkt Wytske Versteegs Buch, wenn die Differenz zwischen Tätern und Opfern aufgelöst, wenn das Wort Flucht zur Metapher wird. So erscheint Mari im Roman als Migrantin ihres eigenen Lebens, als Person ohne Halt, die auf der Suche nach Glück und Sicherheit ist. Reizvoll ist "Die goldene Stunde" in den dramatischen Passagen, den Schilderungen der gefährlichen Momente im Krieg, die vor allem in der Erzählung des jungen Ahmad deutlich werden. Zentral ist dabei die Darstellung von Gewalt, die für die Menschen unerträglich und der Auslöser ist, die Heimat zu verlassen. Die Autorin hat ihrem Text das berühmte Zitat von Friedrich Hölderlin aus der Hymne "Patmos" vorangestellt: "Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch." Der Schluss des Buchs lässt offen, wo die glücklichen Auswege für die Protagonisten liegen. Gemeint ist im Titel des Hölderlin-Gedichtes jene griechische Insel, die als Exil für den verfolgten Verfasser der Apokalypse diente. Auch hier taucht das Thema der Flucht auf. THOMAS COMBRINK
Wytske Versteeg: "Die goldene Stunde". Roman.
Aus dem Niederländischen von Christiane Burkhardt. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2024.
240 S., geb., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nachdem sie mehrere Monate nicht arbeiten konnte, ist sie mit einem Projekt in einer Kleingartenkolonie beauftragt worden. Hier sind es vor allem Flüchtlinge, die sie betreut. Sie verliebt sich in den jungen Emigranten Ahmad, der vor dem Krieg geflohen ist. Aus welchem Land er stammt, bleibt offen. Wahrscheinlich liegt es im Nahen Osten. Ähnlichkeiten mit Syrien sind vorhanden. Die Autorin erfindet Namen für Städte, die Sarakina und Daresh heißen, auch die Ortsangabe Holland oder Niederlande vermeidet sie.
Durch einen Unfall brennt die Kleingartenkolonie ab, Ahmad verschwindet, schickt Mari aber seine lederne Aktentasche mit Aufzeichnungen. Mari fliegt in sein Land, um im Grenzgebiet archäologisch zu arbeiten. Das Projekt verfolgt einen touristischen Zweck. Dort trifft sie auf Tarik, der ortskundig ist, sie bei ihrem Vorhaben begleitet und ihr die Aufzeichnungen von Ahmad vorliest. "Die goldene Stunde" erzählt die Lebensgeschichten von drei Menschen, mit deren Namen jeweils die unterschiedlichen Kapitel beginnen. Die Schilderungen von Ahmad und Mari werden in der ersten, die von Tarik in der dritten Person dargestellt. Der Titel des Buches bezieht sich auf den Zeitpunkt am späten Nachmittag, wenn der Tag in den Abend übergeht.
"Du lachtest oft, wenn du nicht wusstest, was du sagen solltest: um die Leute auf Distanz zu halten. Damals wusste ich das noch nicht, und so stellte ich dir jede Menge dumme Fragen, woher du kamst, wie lange du schon hier warst. Erst viel später solltest du mir erzählen, wie sehr du es hasst, dass sich jeder einbildet, ein Recht auf deine Geschichte zu haben, auf das, was du alles durchgemacht hast. Einige fragten ungeniert, wie viele Tote du gesehen und ob du selbst gekämpft hast." So schreibt die weibliche Figur über ihre Beziehung zu dem jungen Emigranten. Die Schwäche des Buchs liegt im Vorwurf an die westliche Gesellschaft, auf die Situation der Geflüchteten nicht angemessen zu reagieren. Auch in Ahmads Aufzeichnungen tauchen kritische Worte auf über die Einheimischen während seiner Zeit im Exil. Die Frage nach den Erfahrungen der Geflüchteten ist aber vielleicht weniger eine Form der Aneignung von Lebensgeschichte als vielmehr der Versuch, über das Interesse an der Herkunft eine emotionale Nähe herzustellen.
In der Erzählung von Tarik, die im Heimatland von Ahmad spielt, taucht das Thema der Migration abermals auf. In der Grenzregion, in der er lebt, sind Flüchtlinge ungern gesehen und werden von den Einheimischen vertrieben. Tarik ist als Jugendlicher zur Armee gegangen; er diente im "Lager 33", wo auch Unschuldige inhaftiert und gefoltert wurden. Er ist an die Grenze gezogen, um seine Vergangenheit hinter sich zu lassen. Die Beziehung zu Karima, einer Frau, die ihm durch ihren offenen Lebenswandel imponiert, zerbricht. Seine sexuellen Probleme werden am Schluss des Buches gemildert, denn er schläft mit Mari kurz vor ihrer Abreise. Schließlich kehrt er in die Grenzregion zurück, hilft Migranten bei der Flucht und erlebt dabei selbst die Gewalt der Einheimischen.
Gelungen wirkt Wytske Versteegs Buch, wenn die Differenz zwischen Tätern und Opfern aufgelöst, wenn das Wort Flucht zur Metapher wird. So erscheint Mari im Roman als Migrantin ihres eigenen Lebens, als Person ohne Halt, die auf der Suche nach Glück und Sicherheit ist. Reizvoll ist "Die goldene Stunde" in den dramatischen Passagen, den Schilderungen der gefährlichen Momente im Krieg, die vor allem in der Erzählung des jungen Ahmad deutlich werden. Zentral ist dabei die Darstellung von Gewalt, die für die Menschen unerträglich und der Auslöser ist, die Heimat zu verlassen. Die Autorin hat ihrem Text das berühmte Zitat von Friedrich Hölderlin aus der Hymne "Patmos" vorangestellt: "Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch." Der Schluss des Buchs lässt offen, wo die glücklichen Auswege für die Protagonisten liegen. Gemeint ist im Titel des Hölderlin-Gedichtes jene griechische Insel, die als Exil für den verfolgten Verfasser der Apokalypse diente. Auch hier taucht das Thema der Flucht auf. THOMAS COMBRINK
Wytske Versteeg: "Die goldene Stunde". Roman.
Aus dem Niederländischen von Christiane Burkhardt. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2024.
240 S., geb., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
Rezensentin Andrea Gerk schätzt die niederländische Autorin Wytske Versteeg dafür, über wichtige aktuelle Themen zu schreiben, in ihrem neuen Roman widmet sie sich anhand dreier ganz verschiedener Protagonisten dem Thema "Flucht". Die Archäologin Mari macht einen kurzen, ziemlich desillusionierenden Ausflug in die Sozialarbeit und lernt dabei den Geflüchteten Ahmad kennen, der von den unbeholfenen Hilfsversuchen zunehmend genervt ist, so Gerk. Mari begibt sich auf eine Art Spurensuche in Ahmads Herkunftsland und trifft auf Tarik, der als Soldat in einem Foltergefängnis gedient hat, auf irgendeine Weise sind sie alle drei auf der Flucht, vor Krieg, den Konsequenzen des eigenen Handelns oder vor sich selbst, betont die Kritikerin. Mit "großem Einfühlungsvermögen" schreibt die Autorin davon, dass das Thema uns alle betrifft, resümiert Gerk zufrieden.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Seid ihr schon mal aus ganzen Herzen überzeugt gewesen, das Richtige zu tun, und musstest hinterher feststellen, das es falsch war? Oder wolltet einem Menschen helfen, doch die Hilfe war nicht das, was dieser Mensch in dem Moment brauchte? Diesen und ähnlichen Fragen geht Wytske Versteeg …
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Seid ihr schon mal aus ganzen Herzen überzeugt gewesen, das Richtige zu tun, und musstest hinterher feststellen, das es falsch war? Oder wolltet einem Menschen helfen, doch die Hilfe war nicht das, was dieser Mensch in dem Moment brauchte? Diesen und ähnlichen Fragen geht Wytske Versteeg in ihrem Debütroman nach.
Mari, die eigentlich Archäologin ist, wollte es anders machen und engagierte sich für ein Projekt, das Geflüchteten helfen soll, in den Niederlanden anzukommen. In einer spießigen Kleingartenanlage namens Paradies. Einer von ihnen ist Ahmad, ein arabischer Flüchtling, mit dem sie eine kurze Beziehung hat und der just an dem Tag verschwindet, als das Gartenhaus abbrennt. Mari, zutiefst enttäuscht, verlässt ihr Zuhause und begibt sich auf die Suche nach Felsmalereien in Ahmads Heimatland. Wieder mit guten Absichten, denn sie denkt, mit ihrer Arbeit den Tourismus ankurbeln zu können. Doch das Land hat ganz andere Problem, wie schnell deutlich wird. Dort begegnet sie Tarik, der vor seiner Vergangenheit in ein kleines Dorf geflüchtet ist. Niemand in dem Dorf weiß, dass er als Aufseher in einem Lager gearbeitet hat, aus dem Menschen verschwanden, die gegen die Regierung rebelliert haben. Immer wieder werden Leichen vom Fluss angeschwemmt, die er wortlos beerdigt. Doch dann holt ihn seine Vergangenheit ein, denn Mari bittet ihn, Ahmads Aufzeichnungen vorzulesen, die er ihr hinterlassen und in seiner Muttersprache verfasst hat. Er schrieb sich alles von der Seele, worüber er geschwiegen oder gelogen hat. Nicht nur über die Gründe seiner Flucht, die lange Odyssee durch Flüchtlingslager mit katastrophalen Verhältnissen. Er findet auch harsche Worte für ihre erdrückend guten Absichten, seine Verachtung für sie und ihre sensationslüsternen Landsleute.
»Ich bin nicht die Geschichte, die du aus mir machst und anderen gegenüber im immer selben Wortlaut wiederholst, ich bin keine Puppe, die du verbiegen, verrenken, hinsetzen kannst, wie es dir gefällt, das Rot, das du siehst, ist eine blutende Wunde.« S.147
Versteegs Buch lässt sich nicht leicht in Worte fassen, auch hatte ich so meine Startschwierigkeiten, und sicherlich lässt es sich auf verschiedene Weise lesen, denn sie wirft viele Fragen auf. Eine davon ist, wie wir mit Flüchtlingen umgehen. Sachbearbeiter, die ausgelaugt, müde sind, immer wieder die gleichen Fragen stellen, sich aber nicht wirklich für die Schicksale der Menschen interessieren. Flüchtlinge, die schnell lernen, dass die Wahrheit einen nicht weiterbringt, es besser ist, zu lügen und sich zu verbiegen.
»So freundlich sie hier auch alle waren: Alles schien darauf ausgelegt zu sein, mich nicht zu hören.« S.150
Versteeg schreibt von einer katastrophalen europäischen Flüchtlingspolitik, von gescheiterten guten Absichten und dennoch heißt der letzte Satz im Buch:
»Und da ist so viel Hoffnung.«
Sie widmet allen drei Figuren eine eigene Perspektive, verwebt sie miteinander. Jeder der drei ist auf der Suche nach sich selbst und gleichzeitig auf der Flucht, fühlt, was Fremdsein bedeutet. Immer wieder kreist sie um richtig und falsch, kurbelt mein Gedankenkarussell an, hält mir den Spiegel vor, stellt Fragen, gibt mir aber keine Antworten, die muss ich schon selbst finden. Am Ende liegt sehr viel darin, was nicht gesagt wird.
Sie schreibt zärtlich, fast schon leise, an anderer Stelle wird sie laut. Ihr Text ist oft schmerzhaft, wenn sich beim Lesen eine Erkenntnis einstellt, dass unser Leben oft aus vielen Missverständnissen besteht, aus Ängsten, Schweigen und falschen Erwartungen. Herausragend war für mich, wie sie sich in die einzelnen Charaktere hineinversetzen konnte. Ein großartiges Stück Literatur von brisanter Aktualität, das sehr lange nachhallt.
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Wo aber Gefahr ist, wächst der Rettende auch.
Friedrich Hölderlin
Um was geht es hier? Mari, Niederländerin, um die vierzig, reist nach dem Scheitern eines sozialen Projektes, dass sie als Sozialarbeiterin betreute, in das Land des Flüchtlings Ahmad zu dem sie sich sehr …
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Wo aber Gefahr ist, wächst der Rettende auch.
Friedrich Hölderlin
Um was geht es hier? Mari, Niederländerin, um die vierzig, reist nach dem Scheitern eines sozialen Projektes, dass sie als Sozialarbeiterin betreute, in das Land des Flüchtlings Ahmad zu dem sie sich sehr hingezogen fühlte. Dieser jedoch spurlos verschwand. Er hinterließ Mari eine Tasche mit seinen Aufzeichnungen. Und mit jener Tasche reist nun Mari in das Heimatland Ahmads. Sie hofft auf Antworten, sie hofft auf Ahmad. Die kehrt in ihren ursprünglichen Beruf als Archäologin zurück und macht sich auf die Suche Jahrtausend alte Felszeichnungen zu finden. Unterstützt wird sie mit einem Außenseiter, dem ehemaligen Soldaten Tarik.
Alles hier lebt von Erinnerung, sagte Tarik heute zu mir, sogar die Baumwurzeln träumen von dem Wasser, das sie vor langer Zeit getrunken haben. Aber so etwas wie die gute alte Zeit hat es nie gegeben, alle Erinnerung ist Wahnsinn, madness, you know.
Seite 45
Mari, Ahmad und Tarik. Drei Leben die perniziös miteinander verbunden sind. Drei Leben auf der Suche nach sich selbst. Wytske Versteeg lässt ihre Figuren in verschiedenen eigenen Kapiteln erzählen und reflektieren.
Mari wie sie sich um Ahmad bemühte, doch spürte, dass diese Gefühle nicht erwidert wurden. Und der Schock als er plötzlich nicht mehr da war. Ahmad, der sich von einem Kriegsgebiet in die Niederlande durchgeschlagen hatte, um dann zu erfahren, welche weitere Hürden im das Leben noch auferlegt. Diese lange Warterei auf sein Asylgesuch.
Die sunk cost fallacy, Karam war regelmäßig darauf zu sprechen gekommen, ich kann es ihn beinahe noch sagen hören. Schau auf Wikipedia nach, wenn du nicht weißt, was das ist. Es bedeutet, gutes Geld schlechtem hinterher zu werfen – weil man investiert hat und seinen Irrtum nicht einsehen will.
Seite 152
Tarik, der schwer an seinen Taten als Soldat trägt. Tarik, der den gescheiterten Fluchtversuchen vieler Menschen über das Meer, ein würdevolles Grab bereitet.
Mari, Ahmad und Tarik verbunden in ihrer Hoffnung.
Fazit: Ich habe viele Seiten gebraucht, um in die Story zu finden. Zu viele Fragen, zu wenig Antworten. Ich gebe zu, ich habe gehadert ob ich dieses Buch beiseitelege. Nunfühle ich mich beschenkt es ganz gelesen zu haben. Denn es lichtete sich der Nebel und gab vieles preis, was ich nicht vermutet hätte. Dies ganze Thematik von Liebe, Flucht, Asylsuche und der Versuch einer Gutmachung von schwerer Schuld, ist hier in > Die goldene Stunde < zu etwas ganz Besonderem verwoben. Mein Durchhalten wurde unsagbar belohnt!
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Diktatur, Flucht und fragile Sicherheit
Hier gab es mal wieder einen Schatz aus dem Hause Wagenbach zu bewundern. Die niederländische Schriftstellerin Wytske Versteeg ermöglicht der Leserschaft in ihrem Buch „Die goldene Stunde“ einen Blick in eine Diktatur. Was heute ja …
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Diktatur, Flucht und fragile Sicherheit
Hier gab es mal wieder einen Schatz aus dem Hause Wagenbach zu bewundern. Die niederländische Schriftstellerin Wytske Versteeg ermöglicht der Leserschaft in ihrem Buch „Die goldene Stunde“ einen Blick in eine Diktatur. Was heute ja anscheinend dringend notwendig ist, da ja wieder viele über stärkere Regierungen nachdenken.
Mari, Ahmad und Tarik sind die Protagonisten in diesem Buch. Jeder der drei kämpft mit seinen Dämonen.
Ahmad ist damals aus seiner Heimat geflohen. Er floh vor der staatlichen Willkür, vor staatlicher Gewalt. Namentlich wird dieses Land, aus dem Ahmad flieht, nicht genannt, dennoch gibt es viele Hinweise, die darauf hindeuten, dass Syrien gemeint ist. Es wird eine Bevölkerung gezeichnet, die unserer nicht unähnlich ist. Auch hier bemerken die Menschen die Ungerechtigkeiten, auch hier begehren sie auf. Jedoch geht hier der Staat mit ungeahnter Grausamkeit gegen die eigene Bevölkerung vor. Das ist etwas, was schwer zu ertragen ist, dennoch zeigt dieses Buch ja das wahre Leben auf. Ein Leben, das sich genau so in vielen Teilen der Erde abspielt. Etwas, was uns wohlstandsverwöhnten Europäern klar sein muss, klar sein sollte.
Ahmad flieht nun aus dieser für ihn gefährlich gewordenen Welt. Er flieht nach Europa. Er flieht in die Niederlanden. Wobei dieses Land meines Erachtens nur exemplarisch für unsere sogenannte Willkommenskultur steht. Denn die Flüchtlinge müssen erst durch diese Auffangstationen an den Außengrenzen der EU, was weiteres Leid verursacht. Nun könnte man sagen, die Einreise in unsere Länder des Friedens und des Wohlstands muss ja irgendwie geregelt werden. Ja, dass muss es. Aber geht das nicht menschlicher, geht das nicht etwas umsichtiger? Aber gut. Es ist, wie es ist. Genießen wir unsere Sicherheit in den europäischen Landen. Wer weiß, wie lange wir diese noch haben werden. Die Rechten erstarken an vielen Orten und gefährden mit ihren polemischen Slogans unsere Sicherheit und viel zu viele fallen darauf herein. Menschenfänger. Erst gibt es das Zuckerbrot. Und dann? Wer mit wachen Augen in die Geschichte schaut, wird wissen, was dieses Dann bedeuten kann.
Ahmad kommt nun in den Niederlanden an, ist traumatisiert, trägt eine Schuld mit sich. Er konnte dieser Hölle in seiner Heimat entkommen. Doch was ist mit seiner Familie, was ist mit seinen Freunden? Ja, Ahmad trägt nicht nur das Grauen des Erlebten in sich, er krankt auch noch an den Unsicherheiten, die seine Familie, sein Umfeld betreffen. Was verstehbar ist! Wenn man sich nur etwas mit den Schicksalen der Menschen befasst, empathisch auf sie schaut. Und nicht den Hass gewinnen lässt.
Er trifft auf hilfsbereite Geister. Menschen voller Mitleid. Aber auch auf Menschen mit Erwartungshaltungen. Das ist etwas zutiefst menschliches, Erwartungshaltungen zu haben. Wenn man sich nicht ausreichend hinterfragt. Denn wenn man dies tut, erkennt man, oder kann man erkennen, dass genau diese Erwartungshaltungen auch voller Gift stecken. Denn mit Erwartungshaltungen kann man sich, aber auch seiner Umwelt das Leben immens schwer machen. Muss man erkennen. Ist halt nur nicht einfach. Einer dieser hilfsbereiten Geister ist Mari. Sie nimmt Ahmad auf. Sie ist voller tiefer Gefühle. Doch was passiert, wenn zu viel Druck auf eine Seele trifft, die schon genug Druck in sich trägt?
Ahmad verschwindet, hinterlässt Mari aber Aufzeichnungen. Aufzeichnungen in Arabisch. Mari ist nun verunsichert, hinterfragt sich, kommt auch einigen Antworten nahe. Aber nicht allen. Und so reißt sie in das Herkunftsland von Ahmad. Und trifft auf Tarik. Und hier schließt sich der Kreis, denn Tarik gehört zu den Kräften, die der Diktatur erst die Macht ermöglichen. Er krankt an seiner Schuld. Findet in Mari die Möglichkeit sich zu hinterfragen, erkennt ganz neue Gedanken in sich.
Ein intensives Buch! Wie ich es aus dem Hause Wagenbach schon gewohnt bin. Ein beeindruckendes Buch. Auch Francesca Melandri und Omar Robert Hamilton haben mich mit ihren Büchern tief beeindruckt, auch diese beiden Bücher stammten aus dem Hause Wagenbach. Ein Verlag, wo man genau hinschauen sollte. Ich kann nur sagen, Wagenbach-Liebe!!!
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